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Der Terror

Die Ungläubigen lehnen alles ab außer den Unglauben.

Koran, Sure 17, Vers 101

Dreihundert arme, wilde Räuber waren in die Wüste geritten. Als ein mächtiges Heer, geführt von dem populärsten Mann Arabiens, dem Bezwinger der Wüste, kehrten sie nach Medina zurück. Ein Gefecht, in dem dreizehnhundert Mann kämpfen und vierundachtzig fallen, ist weder groß noch blutig. In den Wüsten Arabiens aber war dieser Zusammenstoß eine furchtbare Schlacht und hatte die Bedeutung eines Weltereignisses. Dichter widmeten ihr lange Oden, wilde Beduinen beneideten die Sieger von Badr, und man erzählt, daß alle Heiden, die noch in Medina vorhanden waren, beim Anblick der reichen Beute, die der Prophet mitbrachte, schleunigst auf die Knie fielen und sich zum Islam bekannten. Mohammed war jetzt der unumstrittene, von allen anerkannte Herrscher über Medina. Wüstenscheichs boten ihm Bündnisse an, er verfügte persönlich über einen großen Teil der eroberten Beute und erhielt nebst seinen Kriegern enorme Lösegelder für die Freilassung der gefangenen Quraiš.

An den Toren Medinas erwartete aber den siegreichen Propheten eine Trauernachricht. Am Tage des Sieges war in Medina seine Tochter Ruqaiya, die eben aus Abessinien zurückgekehrt war, gestorben. Der Gesandte Gottes sollte nicht übermütig werden, so wollte es der Allmächtige.

Gott hatte ihm und den Gläubigen den Weg gezeigt, durch Kampf zum Glaubenssieg und zu Reichtum zu gelangen. Dieser Weg sollte jetzt energisch weitergegangen werden. Medina begann sich in ein Heereslager zu verwandeln. Das Leben wurde militärisch organisiert. Auf den Straßen patrouillierten bewaffnete Krieger, beobachteten die Menge, lauschten heuchlerischen Gesprächen und schleppten jeden Verdächtigen, jeden Zweifler schnurstracks vor das hohe Gericht. Neue Gesetze wurden erlassen und mußten von den Gläubigen strikt eingehalten werden. Die Prätorianergarde des Propheten hörte alles, sah alles und berichtete alles. Man erzählt, daß ein Sohn, als er ketzerische Reden seines Vaters hörte, sagte: »Du bist mir der nächste Mensch auf Erden, Gott aber ist mir noch näher.« Darauf denunzierte er voll innerer Trauer seinen Vater beim Gesandten Gottes, und der Prophet lobte ihn dafür. Denn höher als die Familie, höher als Sippe und Wüstengesetze stand der Islam.

Der Staat Medina wurde zur theokratischen Despotie, in dem nur der Wille und die Milde des Propheten walteten. Seine Milde ergoß sich ausschließlich über die Frommen. Die Mitkämpfer des Propheten, die Helfer in den schweren Tagen der Not erhielten jetzt prunkvolle Titel und Würden, stiegen zur Aristokratie der Republik Gottes auf. Abū Bakr, der mehr für den Islam tat als alle anderen Gläubigen zusammen, erhielt den ehrenvollen Beinamen aṣ-Ṣidq, der Fromme, der gerechte ʿUmar bekam den Titel al-Fārūq, der Erlöser, und Ḥamza, der Edelste unter den Kriegern, erhielt den glänzenden Beinamen Asad Allāh, der Löwe Gottes. Diese und viele andere Titel taten bessere Wirkung als alle Worte der Frommen. Doch wußte der Prophet eins: jetzt durfte er nicht ruhen. Neue Kämpfe, Siege und Erfolge sollten den Triumph des Glaubens krönen. –

Zunächst mußten allerdings die Folgen des Sieges abgewartet werden. Es war unwahrscheinlich, daß die Mekkaner den Tod ihrer edelsten Bürger ungerächt hinnehmen würden. Die Rache Mekkas kam in der Tat, und sie war ebenso grotesk wie die meisten anderen Kriegsversuche der ›reichen Geldbäuche‹. Drei Monate nach dem Siege bei Badr, drei Monate, nachdem die Kaufleute für schweres Geld all ihre Stammesbrüder losgekauft hatten, erschien eines Nachts vor den Toren von Medina Abū Sufyān in Begleitung von zweihundert Kriegern. Er verwüstete einen Dattelhain, verbrannte zwei Häuser und erschlug zwei Männer. Als aber gegen Morgen Mohammed an der Spitze seines Heeres vor die Stadt zog, wartete Abū Sufyān sein Herannahen nicht ab. Er und seine Reiter ergriffen in solcher Eile die Flucht, daß sie nicht nur die kärgliche Beute, sondern auch ihren eigenen Proviant, den sie aus Mekka mitgenommen hatten, vergaßen.

Was die Rache betrifft, ließen die Mekkaner nichts mehr von sich hören. Nur einmal haben sie, einer Legende zufolge, einen Mordanschlag auf den Propheten unternommen. Eines Tages, als der Prophet bei Medina im Schatten einer Palme ausruhte, näherte sich ihm Durfur, ein Krieger aus Mekka. Der Klang der Schritte weckte den Propheten aus seinen Träumen. Er blickte empor und sah den Krieger Durfur mit gezücktem Säbel vor sich stehen. Ein Araber erschlägt aber seinen Gegner nicht, ohne ihm vorher seine Verachtung ausgedrückt zu haben. »O Mohammed«, rief auch Durfur, »wer kann dich jetzt vor mir, dem Krieger Durfur, retten?« Mohammed blickte ihn gelassen an und antwortete: »Gott.« Da stürzte sich der Krieger voll Wut auf den Propheten, in seiner Hast stolperte er aber über einen Stein, und der Säbel entglitt seiner Hand. Blitzschnell ergriff der Prophet den Säbel, schwang ihn über dem Kopf Durfurs und rief nun seinerseits: »O Durfur, wer kann dich jetzt retten?« Und der Krieger erwiderte voll Demut: »Mich kann niemand retten.« – »So lerne von mir gnädig zu sein«, sagte der Prophet und entließ den Krieger.

Es war Mohammeds Art, Vergehen, Beschimpfungen, ja sogar Anschläge, die sich gegen seine Person richteten, gnädig zu vergeben und womöglich zu übersehen. Unerbittlich, voll eiserner Brutalität war er aber gegen jeden, der sein Werk, seinen Koran und seinen Staat anzugreifen versuchte. Hier kannte er keine Milde, sondern verwandelte sich aus einem friedlichen Prediger in einen erbarmungslosen Rächer, in einen blutdürstigen Despoten, der sich jeder List und jedes erdenklichen Mittels bediente, um selbst den leisesten Spott über den Glauben zu ahnden. Allerdings verstand er auch hier zu warten, zu überlegen und den richtigen Augenblick auszunutzen. Dieser richtige Augenblick schien ihm jetzt, nach der Schlacht von Badr, gekommen. Hinter dem äußeren Bekenntnis zum Islam steckte bei den neuen Muslims noch sehr viel Unglauben. Auch wollten die Juden, die beinahe die Hälfte der Bevölkerung von Medina ausmachten, mit dem neuen Glauben nichts zu tun haben und fühlten sich dem Propheten bei weitem überlegen. Ihre Jugend hörte nicht auf, den Propheten in Spottgedichten und Versen boshaft aufzuziehen. Der Witz war der Fluch und die Stärke der Juden von Medina. Gegen Spottverse, gegen losen Witz und höhnische Reden war aber der Prophet empfindlicher als gegen offenen Kampf und Widerstand. Der Prophet hat aus privaten Gründen nicht viele Menschen verfolgen oder hinrichten lassen, die meisten davon waren aber Dichter und Witzbolde. »Die Satire des Dichters sticht schmerzlicher als die Lanze des Feindes«, sagte Mohammed aufrichtig, denn ihm fehlte der Sinn für Humor.

Gegen die Dichter, gegen die Spaßmacher, gegen die jüdischen Witzbolde, gegen die Heuchler und Verräter beschloß der Prophet jetzt ein uraltes, wirksames Mittel anzuwenden – den Terror, den rücksichtslosesten und brutalsten Kampf.

Wie immer ging der Prophet auch hier sehr vorsichtig ans Werk, wie immer war auch hier der Anfang bescheiden, und wie stets bei Mohammed folgte dem bescheidenen Anfang ein großer Erfolg.

Es lebte in der Stadt Medina eine jüdische Dichterin namens Asmāʾ. Ihre Gedichte verletzten den Propheten schwer. Gegen diese Dichterin sollte sich nun sein erster Schlag richten. Asmāʾ gehörte zu einem starken Stamm, und trotz all seiner Macht wagte der Prophet nicht, Blutfehde heraufzubeschwören. Da beschloß er etwas, was noch keinem Araber vor ihm eingefallen war, er beschloß, in aller Öffentlichkeit zu beweisen, daß die Bande des Islam stärker waren als die Bande des Blutes. Asmāʾ hatte einen einzigen Blutsverwandten, der sich zum neuen Staate bekannt hatte. Das war ein blinder Greis namens ʿUmair. Dieser Greis, der weder kämpfen noch reden konnte, sollte jetzt dem Propheten einen großen Dienst erweisen. Der Greis gehorchte dem Propheten. Er ging hin und erschlug seine Blutsverwandte Asmāʾ. Da aber die Ermordung eines Menschen durch einen Blutsverwandten im Orient keine Sühne verlangt, hatte Mohammed sein Ziel erreicht, er hatte die Blutsfehde vermieden und war von seiner Feindin befreit. Als der Prophet von dem nächtlichen Mord vernahm, sagte er kühl: »Es werden sich keine zwei Ziegen deshalb stoßen.«

Medina wurde zum Schauplatz des Terrors. Alle Blutsbande, alle Freundschaftsgelöbnisse wurden gebrochen. Es wurden Menschen umgebracht, ohne daß jemand es wagte, sie zu rächen. Niemand dachte daran, sich gegen den Terror aufzulehnen, denn jetzt baute der Prophet am Staate Gottes. Nie hat der Prophet wahllos gerichtet. Seine Schläge waren zwar brutal, doch trafen sie nur die Schuldigen.

Berühmt ist die Rache des Propheten an dem jüdischen Dichter Kaʿb ibn al-Ašraf. Kaʿb war aus einem edlen Geschlecht, von ungeheurem Wissen und großer Begabung. Diese Begabung stellte er in den Dienst des Unglaubens. Er fuhr nach Mekka, rezitierte dort Verse zu Ehren der gefallenen Heiden bei Badr, kehrte dann nach Medina zurück und verspottete die gefallenen Muslims. Von allen Verbrechern war Mohammed niemand so sehr verhaßt wie ein Jude, der für die Heiden gegen den Islam kämpft. »Ein Jude, der für die Heiden kämpft, ist schlimmer als ein Heide«, sagte er. Und er befahl einem mutigen Krieger, Kaʿb zu ermorden. Kaʿb war aber vorsichtig. Er saß in einer großen, starken, jüdischen Burg und lehnte es ab, sie zu verlassen. Da versuchte es der Krieger mit List. »Auch ich bin von nun ab ein Feind des Propheten«, erklärte er, »denn er hat mir ein Geschenk verweigert.« Und er schlug Kaʿb vor, Mohammed zu ermorden. In der Nacht kam er mit einigen Freunden zu Kaʿb, um die Verschwörung zu besprechen. Er trat ins Zimmer und sagte: »Ist es dein Haar, das so duftet?« – »Ja«, antwortete Kaʿb, »meine Frau hat mich eben gesalbt.« – »Laß es mich in der Nähe riechen«, sagte der Krieger. Und Kaʿb beugte sich vertrauensvoll dem Feind entgegen. In diesem Augenblick wurde ihm der Kopf abgeschlagen. Dies war die erste Strafe für Landesverrat, die im Staate Gottes verhängt wurde.

Es ist kein Zufall, daß die meisten Strafen, Morde und Terrorakte dieser Zeit sich gegen die Juden richteten. Langsam, aber unaufhörlich verschlechterten sich die Beziehungen zwischen dem Propheten und den drei jüdischen Stämmen Medinas. Es wurde immer klarer, daß in der Republik Gottes für die Juden kein Platz war. Die Juden gehörten von jeher zu Medina, ihre Namen standen unter der Verfassung Mohammeds, sie mußten Steuern zahlen und wurden dafür von den Gläubigen geschützt. Mohammed hatte stets gehofft, das erste Volk der Schrift, das mit seinem Glauben in Berührung kam, zu bekehren. Diese Hoffnung schwand von Tag zu Tag.

Die Juden waren zwar bereit, sich den neuen Verhältnissen zu unterwerfen, hielten aber an ihrem alten Glauben unerschütterlich fest. Mit Hochmut blickten sie auf den wilden Propheten der Heiden herab und widerlegten, in talmudischer Dialektik geübt, mühelos die Argumente des Propheten. Sie spotteten insgeheim über ihn, denn sie, die Träger der uralten Wahrheit, fühlten sich dem neuen Glauben, dem neuen Propheten, dem ganzen wilden Volke der Araber intellektuell turmhoch überlegen. Diesen Hochmut und Spott vermochte der Prophet nicht zu ertragen. Er sah auch voraus, daß die starken jüdischen Stämme im Falle eines Krieges für den neuen Staat zu einer bedrohlichen Gefahr werden konnten. Schon jetzt standen einzelne Juden in Verbindung mit dem Staatsfeinde Mekka, schon jetzt erklärten sie offen, Mohammed sei bestenfalls ein Prophet der Heiden.

Sie bewiesen sogar, daß sie nötigenfalls einen genauso ekstatischen Visionär aus ihren Reihen hervorbringen konnten wie die Araber. Eines Tages führten sie dem Propheten einen jüdischen Knaben namens Ibn Saǧād vor. Dieser Knabe wand sich in Zuckungen, erriet mit Leichtigkeit alle Gedanken des Propheten und forderte ihn auf, anzuerkennen, daß auch er, Ibn Saǧād, ein Bote Gottes sei. Mohammed erklärte den Knaben für einen Besessenen, für den Satan, erkannte aber gleichzeitig aus diesem Schachzuge der Juden, daß ihm durch sie auch von der geistigen Seite her für seine Lehre unerwartete Gefahren drohten. Er beschloß daher, den Terror gegen Einzelpersonen in einen allgemeinen zu verwandeln, mit dem Endziel, die drei jüdischen Stämme aus Medina vollständig zu entfernen.

Auch hier ging er sehr vorsichtig ans Werk. Zuerst mußte ein theoretisches Fundament geschaffen werden, um der künftigen Praxis einen gewissen Nachdruck zu verleihen. »Es ist das Schicksal der Juden«, erklärte einmal der Prophet, »sich gegen alle Propheten aufzulehnen, die ihnen von Gott gesandt werden« (5,74). Das war der erste sichtbare Trennungsstrich, den er zwischen den Arabern und den Juden zog.

Bald folgten andere, wichtigere Schritte. Der Prophet änderte seine jüdische Haartracht, er stellte die Diskussionen mit den klugen und gelehrten Rabbinern ein und verlegte das Fasten, das ursprünglich mit dem Fasten der Juden zusammenfiel, auf einen anderen Tag. Schließlich widerrief er die wichtigste Verordnung, die den Muslim bisher mit den Juden verbunden hatte. Er verlegte die Qibla, die Gebetsrichtung, die alle Gläubigen, wo immer sie lebten, beim Gebet in einer Richtung vereinen sollte. Bisher war die heilige Stadt Jerusalem die Qibla gewesen, von nun an wurde es Mekka. Dieser Schritt war über seine augenblickliche, praktisch-politische Bedeutung hinaus zugleich eine wichtige religionspsychologische Entwicklungsphase im Islam. Bisher hatte der Islam als eine jüdisch-christliche Sekte gelten können. Mit diesem Schritt machte er sich selbständig, löste sich radikal von seinen Vorbildern. Die Verlegung der Qibla, durch augenblickliche Erfordernisse der Tagespolitik hervorgerufen, wurde zu einer symbolischen Handlung voll tiefster Bedeutung. Ohne es zu wissen, ohne es zu wollen, gründete Mohammed damit eine neue, selbständige Weltreligion.

siehe Bildunterschrift

7. Die von ʿUṯmān Pascha erbaute Hauptwache in Mekka. Lithographie, 1889.

Erst nach diesen behutsamen, sich langsam auswirkenden Vorbereitungen begann der Prophet den offenen Kampf gegen ›das Volk, das alle Propheten verleugnet‹. Drei jüdische Stämme wohnten in Medina. Alle drei waren reich, stolz und, was das wichtigste war, miteinander verfeindet. Mohammed wußte, daß sie einander nicht unterstützen würden, und er beschloß, mit dem schwächsten, unbedeutendsten dieser Stämme zu beginnen, mit den Banū Qainuqāʿ.

Die Banū Qainuqāʿ waren nicht zahlreich. Sie vermochten höchstens siebenhundert Krieger ins Feld zu schicken. Sie waren in der Hauptsache Waffenschmiede, besaßen keine Felder, keine Dattelpalmen, waren aber reich an Waffen, Gold und anderen Metallen. Sie bewohnten mitten in der Stadt mehrere Burgen, die den Marktplatz umgaben.

Ein Grund für den Kampf war leicht gefunden. Eine muslimische Milchhändlerin besuchte eines Tages den Marktplatz und verkaufte dort ihre Milch. Da schlich sich ein jüdischer Juwelier an sie heran und befestigte unbemerkt, zum Schabernack, ihr Kleid an der Bank. Einige junge Männer umgaben das Mädchen und priesen ihre Schönheit. Das Mädchen schenkte ihnen jedoch kein Gehör. Sie saß ruhig auf dem Marktplatz und verkaufte ihre Milch. Als sie schließlich aufstehen wollte, löste sich, zur großen Belustigung des Basars, das Kleid von ihrem Körper. Späße dieser Art waren übrigens damals im rohen Arabien keine Seltenheit. Zufällig ging in diesem Augenblick gerade ein junger Muslim durch den Basar, sah die Schande, die seiner Glaubensgenossin angetan wurde, ergriff das Schwert und tötete den jüdischen Juwelier. Darauf erhob sich ein Riesentumult, in dessen Verlauf auch der junge Muslim getötet wurde.

Als sich die Nachricht von der Bluttat in der Stadt verbreitet hatte, befahl der Prophet den Banū Qainuqāʿ nicht, wie er selbst für solche Fälle bestimmt hatte, ein Blutgeld zu zahlen, sondern rief alle gläubigen Männer zu den Waffen. Auch die Banū Qainuqāʿ griffen zu den Waffen, da sie aber mehr Waffenschmiede als Waffenträger waren, zogen sie es vor, sich in ihren Burgen zu verschanzen. Inmitten der Stadt Medina begann nun eine Belagerung. Mohammed verlangte von den Qainuqāʿ den Übertritt zum Islam. Die Qainuqāʿ weigerten sich. Fünfzehn Tage dauerte die Belagerung, und die Qainuqāʿ, die keinen Proviant mehr besaßen, mußten sich dem Sieger auf Gnade oder Ungnade ergeben. Mohammed war aber entschlossen, die Ungnade Gottes über den Qainuqāʿ walten zu lassen. Deshalb sollte mit ihnen nach dem Gesetz des Krieges verfahren werden. Danach verfielen die Männer dem Tod, Frauen und Kinder aber der Sklaverei. Es bedurfte unendlicher Bitten Ibn ʾUbais, des mächtigen Führers der Munāfiqūn, und des Quraiš ʿAbd ad-Dīn, der mit den Qainuqāʿ befreundet war, um den Propheten zur Milde zu bewegen. Die Qainuqāʿ erhielten freies Geleit. Ihr Eigentum aber, das Gold und ihre kostbaren Waffen, verfielen dem Sieger. Die Beute wurde unter die Gläubigen verteilt. Das war das Ende der Banū Qainuqāʿ, für die sich keiner ihrer Stammesbrüder einsetzte, obgleich die Juden die Hälfte des Volkes von Medina ausmachten.

Die Beute, die unter die Muslims verteilt wurde, machte sie reich und eröffnete ihnen zugleich neue, ungeahnte Perspektiven. Es gab außer den Banū Qainuqāʿ noch mehr Juden in Medina. Das fesselte viele Munāfiqūn stärker als je an den Propheten.

Mohammed nahm sich Zeit. Die Beute, die er den Gläubigen versprach, sollte der Lohn für kriegerische Taten sein. Der Staat Gottes mußte im Kampf erprobt werden. Immer wieder schickte Mohammed seine Krieger in die Wüste. Kleine Kämpfe mit den Beduinen, freundschaftliche Verträge und Predigten bei den fremden Stämmen füllten die Zeit aus. Der Sinn eines kriegerischen Überfalls blieb aber immer die Beute, und beliebt waren nur die Plünderungen reicher Karawanen. Da nun die reichsten Karawanen der Wüste immer noch den Quraiš gehörten, war ein neuer Zusammenstoß zwischen Mekka und der Stadt des Propheten unvermeidbar.

Im November des Jahres 624 schickte Mohammed seinen Adoptivsohn Zaid mit hundert Kriegern in die Wüste, um eine Karawane zu überfallen und Beute zu machen. Zaid gelang diesmal ein großer Schlag. Bei Karada, unweit von Mekka, überfiel er die große Herbstkarawane der Quraiš. Die Kaufleute flohen, und die ganze Karawane fiel in die Hände der Muslims. Das war ein ungeheurer Erfolg. Gold- und Silberbarren im Werte von achthunderttausend Mark fielen in die Hände der Frommen und wurden, nachdem der Prophet ein Fünftel für die Staatskasse zurückbehalten hatte, unter die Gläubigen verteilt.

Das Ansehen des Propheten stieg daraufhin bei den Sippen der Wüste ins Unermeßliche. Zuerst fürchtete man, daß ganz Mekka rachedürstend vor den Toren Medinas erscheinen würde. Es verging aber ein Monat nach dem andern, und nichts regte sich aus der Richtung der Kaʿba. Anscheinend durfte man ungestraft die Karawanen der Mekkaner plündern.

Als fünf Monate nach dem Raub verstrichen waren, durchritt ein fremder Reiter die Straßen von Medina und bat, dem Propheten vorgeführt zu werden. Es war der Bote des Onkels ʿAbbās, des Führers der Hāšim. Der schlaue Bankier, der in Mekka an der Quelle saß, wollte sich für alle Fälle sichern und schickte dem allmählich zu Ansehen gelangten Neffen eine wichtige Botschaft:

Abū Sufyān befand sich mit dreitausend kampfentschlossenen Mekkanern auf dem Wege nach Medina. –

Dem großen Raub sollte eine große Rache folgen.


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