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Dritter Teil.
Der Staat Gottes

Hier endet die Lebensgeschichte des Propheten Mohammed und beginnt die Laufbahn des Staatsmannes.

Das Schwert ebnet den Weg für den Geist.

In der Wüste entsteht, durch die Kraft des Wortes, ein Staat. Der Weg dieses Staates ist der Weg des Islam.

Dieser Staat war Mohammed.


Die Stadt des Propheten

Der Glaube flüchtete sich nach Medina, wie die Schlange sich in ihr Loch flüchtet.

al-Buḫarī

Eine Stadt, ein Land, das an die Freiheit des Wüstendaseins gewöhnt ist, unterwirft sich plötzlich bedingungslos einem fremden, aus der Heimat vertriebenen Fanatiker, gibt ihr selbständiges Dasein auf, nimmt Feinde von gestern auf und kapituliert vor dem despotischen Willen des Eingewanderten.

Wie ist das möglich?

Elf Tagereisen nördlich von Mekka liegt inmitten einer kleinen Oase die Stadt Yaṯrib. Einst, in der Vorzeit, aus der keine Legende überliefert ist, war hier vulkanische Landschaft. Damals bebte die Erde, Lavaströme ergossen sich über das Land, Feuer schlug aus den Kratern, das Land brannte bis zum Ufer des großen Meeres. Dies alles geschah in grauer Vergangenheit, als es noch keine Menschen gab, die Legenden schufen, um die Vergangenheit festzuhalten.

Legenden berichteten, daß von Norden her das Volk der Amalekiter in dieses Land kam, daß sein Häuptling Yaṯrib dort einige bescheidene Wasserquellen entdeckte und einige Lehmhütten erbaute, denen er seinen Namen gab. Den sagenhaften Amalekitern folgten die Juden, die das Land bevölkerten, um in den wilden, kahlen Wüsten Handel zu treiben. Drei jüdische Stämme herrschten im Altertum über Yaṯrib, die Banū Naḍīr, die Banū Quraiẓa und die Banū Qainugā. Diese Stämme führten Krieg, rivalisierten miteinander und unterschieden sich nicht wesentlich von den heidnischen Stämmen des Landes.

Yaṯrib war nur eine kleine, ungeschützte Stadt. Der Handel wollte dort nicht recht gedeihen. Die Bewohner verbrachten die Hälfte ihrer Zeit mit Kriegen gegen die Nachbarn, Rivalen und berufsmäßigen Wüstenräuber.

Da geschah es, daß im vierten Jahrhundert nach Christi im Lande Jemen, im Süden Arabiens, ein großer Staudamm entzweibrach und daß dadurch plötzlich ein Stück fruchtbarer Landschaft zur Wüste wurde. Viele Stämme gerieten dadurch ins Elend, verließen das Land und wanderten auf der Suche nach neuem Glück und neuem Reichtum gen Norden. Unter den Auswanderern befanden sich auch zwei jeminitische Stämme, Ḫazraǧ und Aus. Die Stämme siedelten sich in Yaṯrib an. Die alten Herrscher der Stadt, die Juden, waren tüchtige Kaufleute, doch fehlte ihnen der staatsmännische Sinn. Sie ließen die beiden Stämme in die Stadt hinein, und eine Art Vertrag sollte die Beziehungen regeln. Die Eingewanderten sollten das Land beackern und den Feind bekriegen, die Juden sollten Handel treiben und ihre Ruhe haben. Beide Völker waren aber im Grunde genommen durch nichts gebändigte Wüstenvölker. Handel, Raub und Krieg bedeuteten für sie ein und dasselbe, und die Sippenzugehörigkeit stand ihnen viel höher als Religion, Verträge und politische Klugheit.

Die fünf Sippen hielten sich wenig an ihr Übereinkommen. Sie bekriegten einander ohne Unterschiede der Religion. Juden kämpften gegen Juden, Araber gegen Araber. Juden verbündeten sich mit Arabern, um Juden zu bekämpfen. Es herrschte in Yaṯrib ein Zustand allgemeiner Anarchie, der durch keinerlei staatsmännische Gedanken eingedämmt war. Doch waren die fünf einander bekämpfenden Sippen allesamt auf den gemeinsamen Ernährer, die fruchtbare Oase, angewiesen. Deshalb überschritt der Krieg aller gegen alle nie die Grenze des Zulässigen. Palmen, Felder und Brunnen blieben laut Gesetz von den Fehden der Sippen unberührt.

Die Oase war reich, fruchtbar und berühmt. Üppige Palmen wuchsen in der Oase, und Blumenduft durchströmte die Luft, die Datteln von Yaṯrib wurden in allen Wüsten geschätzt, und die jüdischen Handwerker waren als Goldschmiede in ganz Arabien bekannt. Fünf Stämme teilten also die Herrschaft über Yaṯrib, trieben Ackerbau oder Handel, stritten miteinander und wußten nur vom Hörensagen, daß es auch andere Formen von Staatsgemeinschaften geben sollte als die dauernden Fehden der Sippenrepublik Yaṯrib.

Doch war der Besitz der Stadt für alle fünf Sippen eine Quelle der Schwäche. Stadt und Oase waren ungeschützt. Niemand in ganz Yaṯrib wußte, wie man Festungsmauern um eine Stadt errichten sollte. Durch Ackerbau und Palmenzucht war man an die Stadt gebunden, mußte sie verteidigen und war auf diese Weise, dem freien Wüstendasein entfremdet, seßhaft geworden.

Durch die ganze arabische Welt geht die große Spaltung der Bevölkerung in Nomaden und Seßhafte. Merkwürdigerweise können die Nomaden ruhig Ansässige werden und gelten trotzdem weiter als Nomaden, und genauso werden die Seßhaften, wenn sie schon längst zu Wanderern geworden sind, immer noch als Seßhafte angesehen. Es kommt eben nicht auf die gegenwärtige Situation an, sondern auf die Vergangenheit. In jeder Lebenslage, gleich unter welchen Verhältnissen, lehrt man die ehemals Seßhaften und die einst Nomadisierenden, einander zu hassen und zu bekämpfen. Dieser Haß füllt die Geschichte Arabiens, die Geschichte des Kalifats bis in die Gegenwart aus.

Die vornehmen Kaufleute von Mekka, die seit Generationen in ihrer Stadt ansässig waren, galten als Nomaden, sie stammten von edlen, reinen Beduinen ab und blieben eigentlich auch als Kaufleute dem Charakter und der Art nach Beduinen reinsten Wassers. Die Ackerbau treibenden Leute von Yaṯrib, die aus Jemen zugewandert waren, die Aus und Ḫazraǧ, galten als Seßhafte, obwohl sie viel loser mit der Stadt verbunden waren als die vornehmen Mekkaner. Beide Städte hegten tiefen, eingewurzelten Haß gegeneinander. Die Mekkaner verachteten die von der Erde abhängigen Einwohner Yaṯribs, und diese blickten ihrerseits voll Neid auf die reichen Herren der Kaʿba, die unter dem Schutz ihrer dreiundsechzig Götter in allen Wüsten tonangebend waren.

Doch blieb Yaṯrib trotz seiner vierzehntausend Einwohner eine machtlose Stadt der Seßhaften. Eine Regierung hatte Yaṯrib nicht. Die Sippen waren nur durch einen nie ganz ernst genommenen Vertrag und durch gemeinsame Interessen lose miteinander verbunden. Die Familien lebten jede in ihrer Burg. Es gab wie in Mekka keine regierende Macht, keine gemeinsame Religion, keine Gesetze, keine Gefängnisse und keine Monarchen. Statt alledem gab es Blutfehden, uralte Wüstengesetze und den melancholischen, nie aufhörenden Neid gegen Mekka, die Königin der Städte.

In diese Republik, in diese Stadt, die keine war, kam nun Muṣʿab ibn ʿUmair, der Beauftragte Mohammeds, mit dem Ziel, dieses merkwürdige Gebilde dem Propheten hörig zu machen.

Wie gelang das nun?

Muṣʿab ibn ʿUmair war ein kluger Mensch, er verstand die Grundregeln der orientalischen Diplomatie: zu schweigen, zu versprechen, zu beobachten. – Das brachte ihm den Erfolg.

Der Kampf der Yaṯrib-Stämme gegeneinander hatte um jene Zeit bestimmte Formen angenommen. Die Judenstämme, die ursprünglichen Herren der Stadt, hatten bereits das Herrscherrecht über die Stadt an die beiden jemenitischen Stämme verloren. Die Folge davon war, daß die derzeitigen Sieger jetzt blutige Kämpfe gegeneinander austrugen, während die Juden in aller Stille (doch auch diese Stille war mit Fehden ausgefüllt) den Anbruch besserer Zeiten erwarteten. Alle Stämme waren jedoch von der gleichen Furcht beseelt, es könnte ein mächtiger Feind auftauchen, der sie alle, samt ihren diversen Fehden, von der reichen Oase vertreiben würde, und das Bewußtsein schreckte sie, daß sie nie so mächtig, reich und einig sein würden wie die stolzen Nachbarn von Mekka.

Die Leute in Yaṯrib wußten nicht viel vom neuen Propheten, auch war die Religion kein wichtiges Moment in ihrem Leben. Die Juden hatten ihre Rabbiner, die Heiden ihre bescheidenen Götzen, das genügte für ihre metaphysischen Bedürfnisse. Sie wußten, daß es Propheten gibt und daß ein Prophet, lebend oder in einem Mausoleum, einer Stadt von großem Nutzen sein kann. Auch verlangte Mohammed nicht viel, er bat lediglich um ein Asyl, also um etwas, was ein Araber keinem Fremden abschlägt. Daß mit diesem Asyl auch die Herrschaft über die Stadt verbunden sein sollte, ahnten die Yaṯribenser natürlich nicht. Man verpflichtete sich zuerst nur, Gastfreundschaft zu gewähren und den Gast, wie es das Gesetz verlangt, zu verteidigen. Für die Einladung des Propheten war aber etwas anderes entscheidend. Die Aus und Ḫazraǧ wußten genau, daß die Juden das Erscheinen eines großen Propheten erwarteten. Es war für diesen Fall gut, als Gegengewicht bei sich in der Stadt einen arabischen Propheten zu haben, der nicht viel verlangte, viel versprach und dessen Anerkennung mit keinerlei Opfern verbunden war. An ihren heidnischen Götzen lag den nüchternen Männern von Yaṯrib nicht viel. Sie hatten keine Kaʿba, keinen Jahrmarkt und keine Möglichkeiten, die Götzen nutzbringend zu verwenden. Im Gegenteil, man hatte Gründe, von ihrer Wirkung enttäuscht zu sein. Die neue Religion aber versprach viel, man konnte sie ruhig einmal ausprobieren. Ganz zu schweigen, daß man dadurch die verhaßten Quraiš tüchtig ärgern konnte, die Bedeutung der Kaʿba und der dortigen Götzen erschütterte und also doch noch eine Chance im Leben bekam. Das alles überlegte Muṣʿab, erklärte es jedem, der es hören wollte, worauf die Zahl der Bekehrten sichtlich stieg.

Auch die jüdischen Stämme, die nicht gesonnen waren, ihre Religion aufzugeben, waren dem neuen Propheten geneigt. Sie wußten, daß Mohammed an einen Gott glaubte und daß sein Gott auch der Gott der Juden war. Sie hörten ferner, daß der Prophet mit großer Ehrfurcht von den Völkern der Schrift sprach und daß er sie höher stellte als die heidnischen Araber. Es war also anzunehmen, daß der Prophet mit seinen Anhängern im Falle eines Streites auf die Seite der Juden treten würde. Sie hielten ihn für einen Ḥanīfen, der wohl geeignet ist, Blutfeinde zu versöhnen, Friede und Ordnung zu pflegen, worauf der Handel natürlich einen ungeahnten Aufschwung nehmen würde. Ḥanīfen, gottesfürchtige, götzenfeindliche Araber, waren ihnen bekannt, standen oft unter ihrem Schutz. Sie hatten deshalb nichts dagegen, einen neuen Frommen in ihre Gemeinschaft aufzunehmen.

Beide, die Juden und die Heiden, sollten sich arg verrechnen.

Verrechnet hatte sich aber auch der Prophet, dachte er doch, die Juden würden, die Einheit des wahren Glaubens anerkennend, zum Islam übertreten. Er irrte sich sehr. Ein harter Kampf stand ihm bevor, ein Kampf mit den Völkern der Schrift, die nichts von der Lehre des neuen Weisen wissen wollten.

Wie dem auch sei, Muṣʿab erwies sich als guter Diplomat. Seine Versprechungen, seine Lobsprüche und Andeutungen blieben auf die simplen Wüstensöhne nicht ohne Eindruck, und auch der Einfluß der aus Mekka geflohenen, vornehmen, großstädtischen Muslims war nicht unbedeutend. Man strömte der neuen, weltmännischen Religion zu und war bereit, die alten Götzen zu vernichten.

Als Mohammed mit Abū Bakr, von der Flucht erschöpft, in das Dorf Qubāʾ eintritt, war die Mehrzahl der Stämme Aus und Ḫazraǧ bereits dem neuen Glauben beigetreten. Im Staube der engen Gassen lagen die zerschmetterten hölzernen und steinernen Idole der alten Götter.

Von da ab heißt Yaṯrib – Madina an-Nabī, die Stadt des Propheten – Medina. Dies geschah am Freitag, dem 2. Juli des Jahres 622.


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