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Der Zug nach Mekka

Jeder muß sich selbst austrinken wie einen Kelch.

Morgenstern

Ein Schritt trennte Mohammed von der unumschränkten Macht über Arabien. Dieser Schritt hieß Mekka. Noch thronte die Stadt Mekka unbesiegt und ungebändigt über den Wüsten, noch gehörte ihr das Ohr der Wüsten. Noch standen im Hofe der Kaʿba die unzähligen steinernen Idole. Diese stolze, reiche und vornehme Stadt mußte Mohammed jetzt besiegen. Denn dem Herrscher Mekkas sind die Wüsten hörig. Lange dauerten die Vorbereitungen zum letzten entscheidenden Schlag. Wie eine reife Frucht sollte Mekka in die Hand des Propheten fallen.

Der erste Schritt zur Eroberung war die vertragsmäßige Pilgerfahrt zur Kaʿba. Ein Jahr nach dem Friedensschluß von Ḥudaibiya versammelte Mohammed die Gläubigen und zog mit einem großen, bewaffneten Heer gen Mekka. Als sich diese Kunde verbreitete, herrschten genau wie vor einem Jahr in Mekka Angst und Verwirrung. Niemand wußte, was das Ziel Mohammeds sei: Kampf oder Gebet. An der Grenze Mekkas befahl Mohammed alle Waffen abzulegen und zog in Büßerkleidung und mit geschorenem Haupte nach Mekka. Mit festem Schritt pilgerte er durch die Wüste, begleitet von allen Muhāǧirūn, von allen, die einst des Glaubens wegen aus der glänzenden Stadt Mekka geflohen waren.

In Medina, in der Verbannung, während der zahlreichen Feldzüge hörten sie nicht auf, ihrer Heimatstadt wehmutsvoll zu gedenken. Auf dem dunklen Wege aus der Verachtung zum Erfolg, aus der Armut zum Reichtum, aus dem Nichts zur Macht packte sie oft grenzenlose Sehnsucht nach der großen Stadt der Kaʿba, nach den würdigen Versammlungen der Quraiš, nach den Pilgerfahrten und Jahrmärkten, nach dem Glanz und Reichtum der wunderbaren Stadt Mekka.

Auch der Prophet sehnte sich nach Mekka. Einst, als er – ein armer Kaufmann – durch die Wüste ritt, hatte ihn aus der Ferne die unsichtbare Hand Mekkas beschirmt. Auf den Straßen und Plätzen Mekkas hatte der Prophet zum erstenmal den Islam gepredigt. In der Königin der Städte hatte er alles erlebt, was ein Mensch auf Erden erleben kann: Glück und Unglück, Armut und Reichtum, Kämpfe, Verfolgungen, Niederlagen und Siege. Dann zwang man ihn zur Flucht. In den langen Jahren seiner Verbannung sehnte sich der Prophet nach der Stadt seiner Heimat. Der Prophet war ein Araber, und im Herzen des Arabers wurzelt die Liebe zur heimatlichen Stätte, zur heimatlichen Sippe. Auch der Gesandte Gottes vermochte diese Liebe nicht aus seinem Herzen zu reißen. Gehetzt, verfolgt, bekämpft, vertrieben und bekriegt hatte ihn seine Heimatstadt Mekka – und doch liebte er die wunderbare Königin der Städte.

Jetzt nach vielen Jahren lag diese Stadt wieder vor ihm. Er sah den großen quadratischen Bau der Kaʿba, sah die Burgen der Umaiya und Maḫzum, sah das Haus Maḫzum und die Burg der Hāšim. Sein Herz schlug laut, seine Augen blickten hart und gerade, er schritt durch die Wüste. Nicht als reumütiger Sohn kehrte Mohammed seine Heimat zurück. Der Haß Mekkas hatte ihn nicht gebrochen. Aber auch als Sieger kam er nicht. Nur für drei Tage öffneten sich ihm die Tore der Stadt.

Diese drei Tage verstand er auszunutzen wie kein zweiter. Peinlich genau erfüllte er alle Zeremonien der Pilgerfahrt, umkreiste siebenmal die Kaʿba, küßte den heiligen schwarzen Stein und besuchte auch die Quelle Zamzam, das Erbgut der Hāšim. Denn die ganze Wüste sollte es wissen: Mohammed der Hāšim ist ein treuer Sohn der heiligen Stadt Mekka.

Dies war aber nicht der einzige Zweck, den Mohammed mit seiner Mekkafahrt verband. Er hatte noch eine zweite, eine sehr nüchterne politische Aufgabe zu erledigen. Nach den frommen Zeremonien warf Mohammed die Pilgerkleidung ab und begab sich zum Orte Ṣarīf bei Mekka. Dort fand noch eine Zeremonie statt. Mohammed vermählte sich mit der Quraiš Maimūna bint Ḥāriṯ. Die Braut war einundfünfzig Jahre alt und zweifellos die reizloseste unter den Frauen des Propheten. Sie brachte ihrem Mann weder Schönheit, noch Jugend, noch Reichtum in die Ehe. Die Vermählung mit ihr rückte jedoch die Macht über Mekka in greifbare Nähe.

Zwei Menschen gab es in der Stadt der Quraiš, die fähig sein konnten, dem Propheten wirkungsvoll entgegenzutreten. Beide waren geniale Kriegsführer, wovon sich der Prophet schon selbst überzeugt hatte. Es waren Ḫālid ibn al-Walīd und ʿAmr ibn al-ʿĀs. Beide wollte der Prophet für sich gewinnen. Der Weg zu den beiden führte über die Hand der alten Maimūna. Sie war die Lieblingstante von Ḫālid, und Ḫālid war der beste Freund des listigen ʿAmr. Beide waren zu klug, um nicht längst das erkannt zu haben, wogegen sich nur noch die alten starrköpfigen Quraiš sträubten, nämlich – daß die Zukunft des Landes dem Islam gehörte. Sie waren beide nicht abgeneigt, sich an der Seite des Stärkeren mit ihren Taten hervorzutun. Da aber Ḫālid sowie ʿAmr langjährige, prominente Gegner des Propheten waren, mußte der Prophet die alte Maimūna heiraten, um dem plötzlichen Gesinnungswechsel der beiden hervorragenden Krieger einen standesgemäßen Charakter zu verleihen. Es war für alle Quraiš verständlich, daß man gegen Verwandte nicht kämpfen konnte.

Ḫālid und ʿAmr verließen mit Mohammed zusammen die Stadt Mekka. Damit war das Schicksal Mekkas besiegelt. Für Mohammed aber bedeutete der Übertritt Ḫālids soviel wie der Gewinn von hunderttausend Kriegern. Noch im selben Jahr überschritt Ḫālid die Grenze Arabiens. Unter Führung Zaids zog er gegen eine kleine Provinz von Byzanz namens Muʾta. Im Kampfe fiel Zaid. Ḫālid übernahm die Führung der Armee und vernichtete mit einem einzigen wilden Ansturm seiner Kavallerie das vielfach überlegene Heer des Gegners. Dieses war die erste Begegnung zwischen dem Heer des Gesandten Gottes und der Streitmacht des Kaisers von Byzanz.

Allmählich aber, zuerst leise, dann immer lauter verbreitete sich in der Wüste die Nachricht: Mohammed der Gesandte Gottes plant die Eroberung Mekkas. – Ein Grund, um Verträge zu brechen, ist schnell gefunden. Irgendwo in der Wüste überfielen einige leichtsinnige Mekkaner ein paar Verbündete des Propheten. Nachdem mehrere Pfeile gewechselt worden waren, blieben einige Muslims verwundet zurück. Das Ganze war eine Lappalie, immerhin konnte man es als Vertragsbruch ansehen. Mohammed kündigte als Antwort einen Feldzug gegen Mekka an.

Für Mekka war die bevorstehende Gefahr kein Geheimnis. Man ahnte, daß Mohammed einen Feldzug plante, und wußte nicht, wie man sich zur Wehr setzen sollte.

Mohammeds Bedeutung hatte sich verändert. Er war nicht mehr wie in früheren Zeiten eine Bedrohung des Glaubens, des Reichtums und des Ruhmes von Mekka. Er war ja ein treuer Anhänger der Kaʿba, und die Beduinen glaubten an ihn. Der Handel Mekkas wurde durch den Islam nicht mehr gefährdet. Es bedurfte keiner großen Kombinationsgabe, um sich vorzustellen, daß an die Stelle der dreihundertsechzig Götzen der einzige Gott Allāh treten würde. Mit der obersten Macht des Propheten mußte man sich allerdings abfinden. – Dagegen bestand für die Mekkaner selbst, für das edle Geschlecht der Quraiš eine nicht zu unterschätzende Gefahr.

Es war anzunehmen, daß Mohammed, wenn er tatsächlich die Stadt besetzte, wenig Achtung vor den Führern der Quraiš zeigen würde. Die Geschlechter, die ihn bekämpft, gehetzt und verfolgt hatten, konnten mit Gewißheit auf seine Rache rechnen. Das beunruhigte die Häupter der Quraiš. Noch wußte man nichts Genaues über die Pläne des Propheten. Man glaubte durch geschickte Verhandlungen die Gefahr abwenden zu können und raffte sich zu einem großen Entschluß auf: Man entsandte Abū Sufyān zu Verhandlungen nach Medina. Es war für den Vornehmsten und Reichsten unter den Mekkanern bestimmt nicht leicht, sich gewissermaßen als Bittsteller in die Stadt zu begeben, deren Herrscher der ehemals armselige und verachtete Hāšim war. Ein Umaiya war noch nie als Bittsteller bei den Hāšim erschienen, insbesondere nicht bei dem armen, ausgestoßenen Parvenü Mohammed. Jetzt mußte Abū Sufyān diesen Canossagang auf sich nehmen. Allerdings dachte der reiche Bankier, daß allein sein friedliches Erscheinen in Medina genügen würde, um bei Mohammed und allen Flüchtlingen die angestammte Hochachtung vor dem Hause Umaiya neu zu erwecken. Ein Händedruck, ein verbindliches Lächeln, einige liebenswürdige Worte würden sicherlich genügen. Abū Sufyān fühlte sich wie ein edler Fürst, der sich in zufälliger Verlegenheit an einen kleinen Bauern wenden muß.

Doch sollte ihm wie seinerzeit Mohammed keine Demütigung erspart bleiben. Gott wollte seinem Propheten volle Genugtuung gewähren. In Medina angelangt, wurde Abū Sufyān nach einigen peinlichen Wartestunden Mohammed vorgeführt. Der Prophet saß im Hofe der Moschee. Er erwiderte den Gruß des vornehmen Umaiya kaum. Doch war dies vielleicht auf die Etikette von Medina zurückzuführen. Abū Sufyān hielt nun eine längere Rede, schlug vor, die Freundschaft zwischen Mekka und Medina auszubauen, entschuldigte sich im Namen der Stadt für den peinlichen kriegerischen Zwischenfall und erklärte sich bereit, den Vertrag von Ḥudaibīya zu revidieren, ja darüber hinaus sogar einige Forderungen des Propheten zu erfüllen. Das war viel. Das war mehr, als man von einem Umaiya, der jahrelang als mächtiger Führer gegen den Propheten gewirkt hatte, je hätte erwarten dürfen. Mohammed mußte aller menschlichen Berechnung nach einlenken. Das Eis mußte schmelzen.

Der Prophet musterte Abū Sufyān aufmerksam, erhob sich dann langsam und verließ, ohne ein Wort zu sagen, die Moschee. Das war eine glatte öffentliche Ohrfeige. Abū Sufyān begann es langsam zu dämmern, daß der Name Umaiya in Medina keinen guten Klang habe. Am liebsten hätte er sofort sein Kamel bestiegen, ewigen Krieg geschworen und wäre nach Mekka zurückgeritten. Die Zeiten aber, in denen man sich solches Benehmen gegen den Propheten leisten konnte, waren endgültig vorbei. Abū Sufyān beschloß deshalb schweren Herzens weiterzuarbeiten. Er hatte in Medina genug alte Freunde und sogar Blutsverwandte. Diese waren sicherlich ruhiger als der eigensinnige Prophet. Sie würden einem vernünftigen Wort wohl zugänglicher sein.

Wie ein kleiner, heruntergekommener Bankrotteur lief jetzt Abū Sufyān von einem Höfling zum andern, klopfte an alle Türen, erinnerte an alte Freundschaft und Blutsverwandtschaft und begegnete überall kühler Ablehnung. Seine eigene Tochter, die jetzt zum Harem des Propheten gehörte, wies ihm, ›dem unreinen Götzenanbeter‹, die Tür. Abū Bakr, sein ehemaliger Freund und Standesgenosse, hatte für ihn kein Wort übrig. ʿUmar aber erklärte kurz und offenherzig: »Bei Gott, selbst wenn ich nur über ein paar Ameisen zu gebieten hätte, ich würde nicht aufhören, dich zu bekriegen.« Auch ʿAlī, der sonst niemandem etwas abschlagen konnte, wies Abū Sufyān zurück: »Mohammed hat einen Beschluß gefaßt, gegen den wir nichts zu unternehmen vermögen«, sagte er. Abū Sufyān konnte über die Art dieses Beschlusses kaum im unklaren sein. Er sattelte sein Kamel und ritt nach Mekka. Als er, erschöpft von der Reise, in sein Haus zurückkehrte und seiner Frau Hind die Ergebnisse der Reise mitteilte, hörte ihn diese ruhig an. Als er sich aber neben sie legen wollte, stieß sie ihn mit den Füßen aus dem Bett und schrie: »Ich teile das Ehebett nicht mit einem Feigling!«

Angst und Verwirrung herrschte nach Abū Sufyāns Rückkehr in Mekka. Man war wie gelähmt und wußte keinen Ausweg.

Mohammed berief in aller Stille die Stämme, die zu ihm hielten, nach Medina, rüstete bedächtig und vorsorglich sein Heer, verkündete jedoch nicht, wohin die Expedition diesmal führen sollte. Das Ziel mußte geheimgehalten werden, denn trotz aller Treue der Wüstensippen schien es ihm doch nicht ganz sicher, ob sie an einem Feldzug gegen die Kaʿba teilnehmen würden. Auch sollten die Quraiš nicht vorzeitig erfahren, daß sich der große Feldzug gegen sie richtete.

Die Zeiten, in denen Mohammed mit dreihundert Kriegern ins Feld zog, waren vorbei. Ein Heer von zehntausend Mann folgte dem Propheten. Dieses Heer wurde von den besten Feldherrn Arabiens geführt, von ʿUmar, Ḫālid und ʿAmr. Die Vorbereitungen wurden im Kriegsrat besprochen. Das Heer war kein Haufen wilder Krieger mehr. Es bestand aus gepanzerten und gut bewaffneten Regimentern, die jedem Wort, jedem Befehl des Propheten Folge leisteten, soweit sie nicht wilde Nomaden waren. Das Schicksal Mekkas schien besiegelt. Der arme Flüchtling Mohammed war im Begriff, als Sieger in die Heimat zurückzukehren.

In Mekka herrschte Uneinigkeit und Furcht. Die Kaufherren zerfielen in mehrere Parteien. Man redete sich ein, Mohammed sei noch nicht soweit, er dächte nicht daran, gegen Mekka zu ziehen, er wage es vor allem nicht, die heilige Kaʿba anzugreifen. So überlegte und diskutierte man noch, als Mohammed bereits hinter den Bergen bei Mekka lagerte.


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