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Die himmlische Reise

Ehre sei demjenigen, der in einer Nacht seinen Sklaven aus dem heiligen Tempel in den fernen Tempel führte, dessen Umgebung wir gesegnet haben, um ihm unsere Wunder zu zeigen.

Koran Sure 17, Vers 1

Nacht lag über Arabien. Still ruhte im Tal die heilige Stadt Mekka. Auf den Basaren waren die Ausrufer verstummt. Schwarzer, heißer Wind wehte aus der Wüste. Von den Felsen, die die Stadt umgaben, kam trockene, schwere Luft. In Schweigen versunken, erschöpft von der Nacht, dem Himmel und der Wüste, lagen die Mekkaner auf ihren Dächern. Sie berechneten ihren Gewinn und schimpften auf Mohammed. Am nächsten Tag sollte, wie am Tage vorher, der Kampf fortgesetzt werden.

Im großen Hofe der Kaʿba standen die Götzen, blickten mit leeren, toten Augen auf den Palast der Umaiya und schwiegen. In den Palästen aber schwieg man nicht. Im Kreise der vornehmsten Mekkaner entwarf Abū Ǧahl immer neue Pläne, um den Propheten zu vernichten. Geschwächt, verlassen und gedemütigt war jetzt Mohammed. Es war im zehnten Jahr der Sendung. Nacht lag über Arabien, schwarze, undurchsichtige Nacht.

In seinem Hause, im Norden der Kaʿba, lag Mohammed wach. Die Nacht umgab ihn. Er war allein. Er grübelte über die Propheten der Alten, über die Steine, die nach ihnen geworfen wurden, und über den Glanz ihrer Opfersendung. Einsam lag das Gemach Mohammeds, trübe Gedanken erfüllten sein Herz. Drei schwere Schläge mußte er nacheinander erleiden, und die Zukunft war schwarz und voller Gefahren. In seiner großen Burg, von allen Hāšim umgeben, starb Abū Ṭālib, der Onkel Mohammeds. Jahrelang hatte seine feste Hand den Propheten geschützt, jahrelang konnte Mohammed ruhig und sicher leben. Jetzt hatten die Quraiš freie Hand. Drei Tage nach dem Tode Abū Ṭālibs starb Ḫadīǧa, die erste, die die Sendung erkannte, die in fünfzehnjähriger treuer Liebe dem Propheten fest zur Seite stand. Dieser Schlag war der schwerste. Mohammed hatte keine Frau mehr, und auch Söhne waren ihm nicht gegeben. Das Leben in Mekka, wo die Quraiš die Gläubigen und ihn jetzt ungestraft überfallen konnten, wurde für Mohammed zur Qual. So beschloß er, in der Stadt Ṭāʾif Hilfe und Obdach zu suchen. Mit dem Sklaven Zaid ritt er durch die Wüste, kam nachts in Ṭāʾif an und fand dort nichts als höhnisches Gelächter, Haß und Mißtrauen. Seine eigenen Verwandten in Ṭāʾif wandten sich von ihm ab. Mit Schimpf und Schande wurde er aus der Stadt gejagt. Kinder und Sklaven bewarfen ihn mit Steinen. Nur dem Mut Zaids verdankte er seine Rettung. Die Quraiš hatten gut vorgearbeitet. Mit blutbedecktem Gesicht kehrte der Prophet nach Mekka zurück. Aber auch die Tore seiner Heimatstadt wollten sich ihm nicht öffnen. Erst nach langem, demütigem Bitten durfte er die Stadt wieder betreten.

Nun lag er mit weitgeöffneten Augen auf seinem vereinsamten Lager, blickte in die Nacht, und sein Seelenschmerz steigerte sich ins Unermeßliche. Plötzlich sah er, wie ein Mann in goldbestickten Kleidern den Raum betrat. Mohammed erkannte ihn, weil er ihm in jeder Verkleidung kenntlich war. Es war Gabriel. Dieses Mal brachte er keine neue Offenbarung. Eine viel größere Ehre wurde dem Propheten zuteil. An der Hand führte Gabriel al-Burāq (den Blitz), das himmlische Roß. Dieses Roß hatte einen menschlichen Kopf, den Torso eines Pferdes, einen glänzenden Pfauenschwanz und weiße Flügel. »Fahre mit mir«, sagte Gabriel, »und Großes sollen deine Augen erblicken.«

Über Wüsten, Täler und Berge flog al-Burāq und landete, wie ihm Gott befahl, an der großen Mauer des Tempels von Jerusalem. In dieser Nacht vermochten die Diener des Tempels die Pforte nicht zu schließen. Sie mußte offenbleiben für den Gesandten Gottes. Sie wurde offengehalten von einer himmlischen Gewalt. Mohammed betrat den Tempel. Die Geister von Abraham, Moses und Christus begegneten ihm dort, und sie begrüßten ihn. Zusammen mit ihnen verrichtete Mohammed sein Gebet.

Plötzlich sah er einen Lichtstrahl, der vom Himmel kam und den Stein Jakobs, den Schakra des Tempels, beleuchtete. Mohammed näherte sich dem Lichtstrahl und entdeckte in seiner Mitte eine Treppe, die er mit Gabriel bestieg. Sie wanderten hinauf und klopften an die silbernen Türen des ersten Himmels. Adam öffnete ihnen und begrüßte den Größten unter den Propheten. Viele Wunder sah der Prophet im ersten Himmel, unter anderem einen Hahn, dessen Kamm bis zur Pforte des zweiten Himmels reichte. Die Entfernung von Himmel zu Himmel beträgt aber, wie jedermann weiß, fünfhundert Jahre.

Der Prophet betete und wanderte dann zum zweiten Himmel, der aus glänzendem Stahl bestand. Dort begrüßte ihn der heilige Noah. Im dritten Himmel, der aus Edelsteinen war, traf der Gesandte Gottes einen Engel, dessen Augen so weit voneinander entfernt waren, daß man siebzigtausend Tage benötigte, um von einem Auge zum andern zu gelangen. Im vierten Himmel bemerkte der Prophet einen Engel, dessen Größe einem Abstand von fünfhundert Tagen glich. Im goldenen, fünften Himmel begrüßte der Prophet den frommen Aaron, den Bruder des Moses. Im selben Himmel begegnete er dem Engel der Rache, dessen Gesicht aus rötlichem Messing war. Er trug in der Hand eine feurige Lanze, und aus seinen Augen schlugen Blitze. Er saß auf einem Thron, der von einem Feuerkranz umgeben war, und vor ihm lag ein Berg rotglühender Ketten.

Im sechsten Himmel, der aus leuchtenden Steinen bestand, wohnte ein Engel, dessen Körper Feuer war und Eis. Auch Moses wohnte in diesem Himmel, und sein Gesicht wurde traurig, als er den Propheten erblickte, denn er wußte, daß Mohammed mehr Menschen dem Paradies zuführen würde, als er selbst es je vermocht hatte.

Woraus der siebente Himmel bestand, weiß man nicht. An seiner Pforte traf aber der Prophet den Erzvater Abraham, den ersten unter den Gläubigen. In diesem Himmel sah der Prophet einen Engel mit siebzigtausend Köpfen. Jeder Kopf hatte siebzigtausend Münder, und in jedem Mund waren siebzigtausend Zungen. Jede Zunge aber sprach in siebzigtausend Sprachen. In all diesen Sprachen sang der Engel das Lob des Allmächtigen. Neben dem Engel stand der Baum Sidrath, dessen Zweige größer sind als die Entfernung zwischen Himmel und Erde. Jedes Blatt des Zweiges war von der Größe eines Elefantenohres. Unter dem Baum saßen Engel und glichen der Zahl der Sandkörner in der Wüste, Tausende von Vögeln saßen auf jedem Zweig, und jedes Samenkorn des Baumes umschloß eine Ḥūrī, eine himmlische Jungfrau. In der Mitte des siebenten Himmels stand ein Gebetshaus, ein Ebenbild der Kaʿba. Es stand direkt an der Stelle, die über der Kaʿba in Mekka lag. Siebzigtausend Engel besuchten täglich die Kaʿba, und auch Mohammed erfüllte den alten Brauch und umkreiste siebenmal das heilige Haus des Himmels.

Zu diesem siebenten Himmel hatte selbst Gabriel keinen Zutritt. Dorthin durfte Mohammed nur allein. Über dem siebenten Himmel war der Thron des Allmächtigen errichtet. Siebzig Schleier bedeckten sein Antlitz, damit ihn keiner sah, damit sich niemand ein Ebenbild von ihm machen konnte. Auch Mohammed durfte das Gesicht des Herrn nicht erschauen.

Seine rechte Hand legte der Herr der Welten auf die Schulter, seine linke auf die Brust des Propheten, und er sprach mit ihm lange und freundlich. Er belehrte ihn in den Fragen des Lebens, erklärte ihm den tieferen Sinn des Gebetes und erwies ihm alle Ehren. Im ganzen sagte der Herr der Welten seinem Propheten neunundneunzigtausend Worte, und jedes war von Wohlwollen erfüllt.

Auch wurden dem Gesandten Gottes, auf Befehl des Allmächtigen, die Strafen der Hölle offenbart. Er sah Malik, den Engel der Hölle. Er sah Männer, die verdammt waren, Feuer zu schlucken, weil sie das Gut der Weisen veruntreut hatten. Dann sah er Menschen mit aufgetriebenen Leibern, von Krokodilen gepeinigt, denn sie waren zu Lebzeiten Wucherer und Halsabschneider. Dann gab es Leute, die gutes, fettes Fleisch vor sich hatten und daneben schlechtes, stinkendes, und die von dem schlechten Fleisch aßen. Das waren diejenigen, die selten bei den Frauen schliefen, die ihnen Gott gab, die den Reichtum ihres Samens an fremde Weiber vergeudeten. Daneben sah er aber Frauen, die an ihren Brüsten hingen, weil sie ihren Männern fremde Kinder untergeschoben hatten. Endlich ging der Gesandte Gottes zurück und bestieg wieder das Roß al-Burāq, das ihn zu der irdischen Stadt der Kaʿba brachte.

So endete die Himmelsreise des Propheten. Sie war wohl kosmographisch anfechtbar, aber zeugte von kühner Poesie. Wie lange hatte wohl diese Reise gedauert? Als Mohammed sein Bett verließ, warf er in der Eile einen Kelch mit Wasser um, als er zurückkehrte, hatte der Rand des Kelches den Boden noch nicht berührt.

Am nächsten Tage erzählte Mohammed den Vorfall seiner alten Tante Um Ḥāfiẓ, die zu den ältesten der Gläubigen gehörte. Sie lauschte schweigend und fragte, was er nun anfangen wolle. »Ich werde zur Kaʿba gehen und allen Gläubigen und Ungläubigen von dem Wunder erzählen«, sprach Mohammed. Da faßte ihn die Greisin an seinem Gewand und flehte: »Tu das nicht, o Gesandter Gottes, du wirst bei den Ungläubigen kein Vertrauen finden, und die Gläubigen werden an dir zu zweifeln beginnen.« Mohammed gehorchte aber diesem Rate nicht. Er trat auf den großen Platz der Kaʿba, versammelte um sich die Gläubigen und Ungläubigen, die ihm zuhören wollten, und erzählte von seiner nächtlichen Reise.

Mit Heulen, Lachen und Pfeifen beantwortete das Volk die Vision des Propheten. »Braucht man denn noch bessere Beweise für deinen Wahnsinn?« sagten die Mekkaner. Die Gläubigen aber standen gesenkten Hauptes, schämten sich und waren bereit, den Islam zu verlassen. Denn noch nie hatte man in Mekka ähnliches vernommen.

Abū Bakr, der Vornehmste unter den Gläubigen, war nicht auf dem Platze der Kaʿba, als Mohammed seine Vision erzählte. Da eilten die Quraiš zu seinem Hause, um ihm von der Schande des Propheten zu berichten. »Was würdest du sagen«, begannen sie, »wenn ein Mensch dir erzählen würde, daß er in einer Nacht von Mekka nach Jerusalem gereist ist, von dort in den siebenten Himmel stieg, neunundneunzigtausend Worte mit Gott wechselte und in derselben Nacht nach Mekka zurückkehrte?«

»Ich würde den Mann für einen Lügner oder Wahnsinnigen halten«, antwortete Abū Bakr. »So wisse«, sprachen die Mekkaner, »daß der Mann, der solches behauptet, dein Freund Mohammed ist, der sich der Gesandte Gottes nennt.« – »Das kann nicht wahr sein«, rief Abū Bakr voll Zorn. »So geh auf den Platz und überzeuge dich selbst«, sagten die Mekkaner, und auch die Gläubigen bestätigten ihre Worte. »Dann«, sagte Abū Bakr feierlich, »ist jedes Wort von der Reise wahr, und ich glaube daran, wie ich an den Tag und die Nacht glaube.« Und da Abū Bakr reich, einflußvoll und mächtig war, wagte keiner ihn auszulachen. Die Gläubigen gewannen ihren Glauben an die Sendung wieder, die Ungläubigen hörten aber nicht auf, Mohammed zu verhöhnen. Sie brachten Leute, die in Jerusalem gewesen waren, und verlangten, der Prophet möge ihnen die Stadt genau beschreiben, sie sandten Boten in die Wüste, um den Propheten bei allen Stämmen lächerlich zu machen. Sie begleiteten ihn mit Lachen und Heulen, wenn er durch die Straßen ging, und peinigten seine Anhänger.

Als dann der Monat des Festes kam und die Stämme der Wüste in die Stadt strömten, sandten die Quraiš an die Grenzen Mekkas und an die Tore der Stadt Boten, die jedem Stamm sagten: »In unserer Stadt wohnt ein gefährlicher Irrer, er nennt sich Prophet und behauptet, er sei in einem Tag von Mekka nach Jerusalem und zurück gereist, wo ihr doch wißt, daß die schnellste Karawane dazu mindestens zwei Monate braucht. Wenn dieser Irre euch anspricht, so schenkt seinen Worten keinen Glauben.«

Als dann der Prophet versuchte, den Beduinen, die zum Fest kamen, den wahren Glauben zu erläutern, wandten sie sich von ihm ab und sagten: »Deine eigenen Leute, die dich doch gut kennen müssen, sagten uns schon, daß du ein Lügner bist, folglich können auch wir deinen Worten nicht glauben.«

Tiefe Trauer befiel nun das Herz Mohammeds. Viele Leute wandten sich vom Islam ab, der Beschützer war tot, Ḫadīǧa ebenfalls. Lachend, spottend und drohend lag um die heilige Kaʿba die Stadt Mekka, die nichts von dem Propheten wissen wollte, die tote Götzen anbetete, Reichtümer sammelte und alle Stämme der Wüste warnte: »Hört nicht auf ihn, denn er ist ein Irrer.«

Da beschloß der Prophet, die Stadt seiner Sendung zu verlassen und bei den einfachen Sippen der wilden Beduinen Schutz und Glauben zu suchen, den er im Hofe der Kaʿba nicht gefunden hatte.


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