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ʿĀʾiša und die Weltgeschichte

Bella gerant alii! tu, felix Austria, nube!

Im vierten Jahre der Hiǧra zog der Prophet Gottes mit seinen Kriegern in die Wüste, um den rebellischen Stamm Muraiziq zu bekämpfen. Groß ist die Wüste, und eintönig verging der Ritt. Der Feind war weit, man sah ihn nicht, und das Heer quälte sich ziellos unter der brennenden Wüstensonne. Langweilig und eintönig vergingen die Tage auf einem Kriegsritt in der Wüste. Deshalb pflegte der Prophet, wenn ein Feldzug keine besonderen Gefahren vermuten ließ, eine von seinen Frauen mitzunehmen. Dies hinderte ihn nicht daran, manchmal mit zwei Frauen aus dem Feldzug in die Heimat zurückzukehren. Dieses Mal traf seine Wahl die schöne ʿĀʾiša.

Während des Karawanenmarsches wurde ʿĀʾiša in einer verhüllten Sänfte getragen. Bei der Rast unterhielt sich der Prophet mit ihr, veranstaltete einen Wettlauf und vergnügte sich nach Herzenslust. Am Bestimmungsort angelangt, erfolgte der kurze Zusammenstoß mit der feindlichen Sippe. Nach kurzem Gefecht wurde der Sieg errungen. Sklavinnen wurden verteilt und die Beute eingeschätzt. Mohammed nahm aus diesem Feldzug, zum großen Ärger ʿĀʾišas, eine Frau mit heim.

Der Rückmarsch begann, und da dieser Feldzug ungefährlich erschien und große Beute versprach, hatten an ihm auch viele der Heuchler, der Munāfiqūn, teilgenommen. An ihrer Spitze stand ʿAbdallāh ibn ʾUbai, der immer noch hoffte, König von Medina zu werden. Als die Beute verteilt war, begannen Streitigkeiten unter den Heuchlern, denn sie kämpften nur der Beute und nicht des Glaubens wegen. Der Prophet in seiner Weisheit erkannte aber, daß die Munāfiq und ʿAbdallāh nicht des Rechtes wegen Streit suchten, sondern nur, um dem Propheten zu schaden. Deshalb ließ er das Heer bei Morgengrauen aufbrechen und ohne Rast bis zur Abendfinsternis marschieren. Denn er wußte: die Müden suchen keinen Streit.

Da sich Mohammed im Geist mit der Schlichtung des ausgebrochenen Streites beschäftigte und außerdem eine neue Frau mit sich führte, konnte er ʿĀʾiša auf dem Rückweg nur wenig Zeit widmen. Sie wurde in einer Sänfte getragen. Ihre Last war so leicht, daß sie die Träger kaum spürten. Bei der kärglichen Nahrung auf dem Kriegszuge war die junge ʿĀʾiša noch magerer und schlanker geworden, als sie überdies schon war.

Eines Tages, es war schon in der Nähe von Medina, und der Morgen dämmerte kaum, befahl der Prophet der Armee weiterzumarschieren. In der Dunkelheit wurden die Kamele geweckt und die Lasten aufgeladen. Die Krieger verrichteten dann das Morgengebet, woran auch ʿĀʾiša teilnahm. Danach begab sie sich in die Wüste, um ihre Notdurft zu verrichten. Als sie zurückkehrte und ihre Sänfte besteigen wollte, bemerkte sie plötzlich, daß sie ihr Halsband aus ẓafarischen Muscheln im Sande verloren hatte.

ʿĀʾiša war eine hübsche Frau und als solche eitel. Muschelhalsbänder gab es im Haushalt des Propheten nicht oft. Sie eilte daher rasch in die Wüste zurück, um das vermißte Schmuckstück zu suchen. Die rüstigen Männer, die ihre Sänfte auf das Kamel zu heben hatten, sahen nur, wie ʿĀʾiša ins Lager zurückkehrte. Sie wandten den Blick vorschriftsgemäß ab, um das Schamgefühl der Frau nicht zu verletzen. Nach einiger Zeit näherten sie sich der Sänfte und hoben in der Annahme, daß ʿĀʾiša längst darin Platz genommen habe, die Sänfte auf die Höcker des Kamels. Einen Gewichtsunterschied bemerkten die kräftigen Männer nicht, denn die Lieblingsfrau des Propheten war, wie schon erwähnt, schlank und mager. Die Karawane zog weiter. Als ʿĀʾiša, die in der Dunkelheit den Aufbruch nicht bemerkt hatte, zurückkam, fand sie einen leeren Lagerplatz und keine Sänfte, keine Kamele, keinen Propheten. Sie war allein, verlassen und schutzlos in der Wüste.

So begann für ʿĀʾiša und die Weltgeschichte das Halsbandabenteuer, das für den Islam, für den Propheten und für die Männer um ihn von unabsehbaren Folgen sein sollte.

Was in der Wüste geschah, was ʿĀʾiša in der Einsamkeit erlebte, ist nur aus ihren eigenen Worten bekannt. Sie blieb ihrer Erzählung nach auf dem Lagerplatz sitzen und erwartete, daß die Karawane, sobald man ihr Verschwinden bemerkt hätte, zurückkehren würde. Stunden vergingen, und ʿĀʾiša ermüdete in der Eintönigkeit der Wüste. Ihre Augenlider wurden schwer, und sie schlief ein. Plötzlich wurde sie von einer fremden Stimme geweckt. Sie öffnete die Augen und sah vor sich den jungen, hübschen Krieger Saufān ibn al-Muʿṭṭal aus der Sippe Sulaim. Auch er war in der Wüste zurückgeblieben und ritt jetzt der Karawane nach. Er erblickte in der Wüste eine Frauengestalt, näherte sich ihr und erkannte zu seiner Verwunderung die Lieblingsfrau des Propheten. Durch einen frommen Anruf weckte Saufān ʿĀʾiša, worauf diese sofort ihr Gesicht verhüllte. Saufān bot ʿĀʾiša sein Kamel an, und beide erreichten, ohne ein Wort zu wechseln, die Karawane des Propheten.

Soweit die Erzählung ʿĀʾišas. Die Armee, der Prophet und alle, die mit ihm waren, sahen nur, wie ʿĀʾiša, nachdem sie für einen Tag verschwunden war, in Begleitung eines hübschen Jünglings freudestrahlend die Karawane erreichte. Dies erregte allgemeines Aufsehen. Zwar erzählte ʿĀʾiša jedem, der ihr in den Weg kam, wie sie ihr Halsband verloren hatte und wie ritterlich sie von dem Krieger Saufān behandelt worden war. Je öfter sie es aber erzählte, desto verkniffener wurden die Augen der Zuhörer, desto listiger ihr Lächeln, desto freundlicher die Verbeugungen.

Als die Armee in Medina eintraf, war die Geschichte von dem Halsband ʿĀʾišas bereits zum Hauptereignis des Feldzuges geworden. Die Krieger, und vor allem die Munāfiqūn mit ʿAbdallāh ibn ʾUbai an der Spitze, liefen durch die Stadt und erzählten jedem, der es hören wollte, wie ʿĀʾiša allein in der Wüste zurückblieb, um nach längerem Umherirren mit einem hübschen Jüngling die Karawane wieder einzuholen. Was konnte das wohl bedeuten? Bald wußte ganz Medina, wie die fünfzehnjährige ʿĀʾiša den sechzigjährigen Propheten trotz all seiner Weisheit hintergangen hatte.

Auch der Prophet erfuhr es, und die erste Folge war, daß er seine nächtlichen Besuche bei ʿĀʾiša einstellte. Nur hin und wieder kam er am Tage in die Hütte ʿĀʾišas, streichelte sie flüchtig, erkundigte sich nach ihrem Befinden und eilte nach kurzer Zeit von dannen. Die verwöhnte Tochter Abū Bakrs, des mächtigsten Mannes im Islam, wollte sich solche Behandlung natürlich nicht gefallen lassen. Kurz entschlossen erklärte sie krank zu sein und bat den Propheten, zwecks besserer Pflege in das Haus ihrer Eltern übersiedeln zu dürfen. Der Prophet willigte ein.

Von ihren Eltern erfuhr nun ʿĀʾiša, daß sie der Gesprächsstoff von ganz Medina war. Im Hause ihrer Eltern besuchte sie der Prophet nicht. Täglich erwartete ʿĀʾiša den Scheidungsbrief. Auch rechnete sie mit der Verhängung der Todesstrafe, denn das war die Strafe, die damals der Prophet den Ehebrechern auferlegte.

Damit bekam der ganze Fall eine hochpolitische Bedeutung. Eine Lawine war ins Rollen geraten, und es war unbekannt, wen sie verschütten würde.

Politik und Frau sind im Orient schwer trennbar. Die Einheit ganzer Staaten beruht oft auf der Heiratspolitik eines weisen Herrschers. Ein Ehebruch kann eine Partei zum Sturz, eine andere an die Macht bringen. Eine Provinz kann rebellieren, wenn eine Frau, die ihr entstammt, aus dem Harem des Herrschers verstoßen wird. Feindliche Parteien werden zu glühenden Anhängern, wenn die Frau ihrer Feinde den Harem verlassen muß. Die Frau im Harem ist die Vertreterin ihres Stammes. Sie verkörpert die Partei ihres Vaters und eine ganz bestimmte politische Ideologie, die mit ihr steht und fallt. Der Harem ist eigentlich nichts anderes als ein seltsames orientalisches Parlament, in dem sämtliche Parteien des Landes vertreten sind und einander bekämpfen. Die Fäden der politischen Parteien laufen im Harem zusammen, und die Macht des Herrschers wird durch das Parlament der Frauen beaufsichtigt und begrenzt. Daher stammt die Bedeutung des Harems, und deshalb kann eine kleine Liebesgeschichte oft welthistorische Folgen nach sich ziehen.

Auch der Harem des Propheten machte keine Ausnahme. Liebe, Berechnung und Politik sind im Orient untrennbar. Mit europäischen Maßen ist diese Erscheinung natürlich nicht zu messen, obgleich der Unterschied zwischen dem orientalischen und europäischen Harem nicht allzu groß ist. Eine orientalische Liebesgeschichte muß vor allem als politische Tat gewertet werden. Sie zieht politische Folgen nach sich, denn jede Partei und ihre Vertreter verstehen sich leidenschaftlich zur Wehr zu setzen.

Auch ʿĀʾiša war nicht nur die Lieblingsfrau des Propheten, sondern die Repräsentantin einer bestimmten, mächtigen und einflußreichen Partei, die nicht gestürzt werden wollte. Sie verkörperte die Partei der ältesten und begabtesten Mitkämpfer des Propheten, die Partei Abū Bakrs und ʿUmars, der Säulen des neuen Glaubens. Die Partei war, in großen Zügen, die Hüterin und Vollenderin der Ideen der theokratischen islamischen Demokratie, des demokratischen Staates Gottes. Die Partei stammte aus Mekka, und ihr Einfluß fußte nicht auf der Blutsverwandtschaft mit dem Propheten. Deshalb war sie auch Gegnerin des Erbschaftsprinzips, Gegnerin der Ausartung der theokratischen Republik Gottes in eine erbliche, orientalische Monarchie.

Diese Theorie hatte jetzt, als der Prophet sechzig Jahre alt war, eine überaus praktische Bedeutung. Mohammed hatte keine direkten Nachkommen. Sein nächster Blutsverwandter war sein Vetter ʿAlī, der Mann seiner Lieblingstochter Fāṭima. ʿAlī zweifelte nicht daran, daß er einst das Erbe des Propheten antreten würde. War er doch der erste, der den Islam anerkannt hatte, hatte er doch zwei Söhne, Ḥusain und Ḥasan, die die Enkel des Propheten waren. Auch hatte ʿAlī nie vergessen, daß der Prophet vor vielen, vielen Jahren vor der ganzen Sippe der Hāšim erklärt hatte: »Hier ist ʿAlī, mein Statthalter.«

Das paßte weder Abū Bakr noch ʿUmar. Nicht dazu hatten sie in langjähriger, beschwerlicher Arbeit dem Propheten geholfen, einen Staat zu errichten. Nicht dazu hatten sie Feldzüge geführt, Länder erobert und das Wort des Propheten gepredigt, daß alle im Islam einander gleich seien und daß nur dem Tüchtigen der Vorrang gebühre. Sie waren tüchtig, sie wußten, wie ein Staat geleitet werden mußte. ʿAlī ging diese Weisheit ab. Er war nur tapfer. Er verstand wie kein anderer, an der Spitze seiner Truppen den Feind zu überfallen, vor seinem Säbel, vor der brutalen Kraft seiner Jugend zitterte der Feind.

Doch war das auch alles, was ʿAlī konnte. Wenn der Prophet als seine Hauptleidenschaften die Liebe zu Frauen, zu Wohlgerüchen und zum Gebet bekannte, so erklärte ʿAlī ebenso offenmütig, er liebe vor allem das Schlafen. Während Mohammed, Abū Bakr und ʿUmar die größte Autorität im Islam besaßen, so genügte der Einfluß ʿAlīs kaum, um seiner eigenen Frau Respekt einzuflößen. Sein Charakter war weich und sein Geist beschränkt. Er war faul, hatte ausdruckslose Augen, einen dicken Bauch und überlange Hände. So sahen ihn wenigstens seine Gegner. Und dieser verschlafene, faule Mensch, der nur furchterregend mit dem Säbel klirren konnte, beanspruchte nun die Erbschaft des Propheten.

Dieser verschlafene Held war sich aber der Gefahren voll bewußt, die die Partei der Mekkademokraten für ihn bedeutete. Er versuchte, ungeschickt und unbeholfen wie er war, wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Auch er hatte in der weiblichen Umgebung des Propheten eine Vertreterin, und sogar eine sehr hochgestellte, nämlich die Lieblingstochter des Propheten, Fāṭima, die nur auf die Gelegenheit wartete, einen Bruch zwischen dem Propheten und den Demokraten herbeizuführen. Die Geschichte mit dem Halsband kam ʿAlī höchst willkommen. Schon sah er den Feind vernichtet, sich selbst in Amt und Würden eingesetzt, schon fühlte er sich als Nachfolger des Propheten.

Obgleich Mohammed genau wußte, wie die Parteiverhältnisse um ihn lagen, traf er überhaupt keine Bestimmungen über seinen Nachfolger. Dies geschah vielleicht in der stillen Hoffnung, doch noch einen Leibeserben zu bekommen. Vielleicht veranlaßte ihn auch kluge Erwägung, die Leidenschaft der Parteien nicht unnötig früh zu entfesseln. Jetzt war aber der Streit nicht mehr zurückzuhalten, denn auch die Gegenpartei war nicht geneigt, demütig zu resignieren. Der Prophet stand zwischen zwei Feuern.

Es gab aber in Medina noch eine dritte Partei, die oft erwähnten Munāfiqūn, die Einheimischen, die im trüben Wasser der großen Politik manches für sich herauszufischen hofften. Ihr Führer, ʿAbdallāh ibn ʾUbai, den der Prophet bisher, seines hohen Ansehens wegen, nie anzurühren wagte, war jetzt der Meinung, daß durch die Spaltung der Gläubigen in zwei Parteien die dritte Partei, die Einheimischen, am leichtesten den Sieg davontragen könnte. Der Streit um ʿĀʾišas Treue war Wasser auf die Mühle der Munāfiqūn. Denn auch ʿAbdallāh hoffte noch zur Macht zu gelangen. Medina war jetzt, dank dem Propheten, zum Mittelpunkt Arabiens geworden. Reichtümer strömten der Stadt in Unmengen zu, und für ʿAbdallāh waren die Verdienste der altansässigen Medinenser um das Wohl ihrer Stadt ganz offensichtlich. Es war natürlich, daß er, als vornehmster Mann von Medina, daraus auch für sich Nutzen ziehen wollte. Er fühlte sich als der geeignetste Nachfolger und Erbe des Propheten, und da er die Religion nicht allzu ernst nahm, konnte er ruhig erwägen, durch irgendeinen Staatsstreich die Macht an sich zu reißen. Denn schließlich war ja Medina seine Stadt und nicht die eines hergelaufenen Propheten. Der Streit der Eingewanderten kam den Munāfiqūn hier zugute. Das Gebäude des neuen Staates schien sichtlich erschüttert.

Zu so unverhofften Folgen kann der Verlust eines Halsbandes in der Wüste bei Medina führen.

Während ʿĀʾiša im Hause ihrer Eltern trostlos weinte, auf den Scheidungsbrief und das Todesurteil wartete, tobte in Medina bereits der Kampf der Parteien. Die Gläubigen bildeten immer deutlicher zwei feindliche Fronten. Für oder gegen ʿĀʾiša, für ʿAlī oder für Abū Bakr waren die Schlagworte des Tages. Dazwischen standen die Munāfiqūn, hetzten alle gegen alle und bereiteten sich zum großen Schlag vor. Der ganze, so mühsam ausgelöschte Haß zwischen den Sippen, zwischen Hāšim, Quraiš, Ḫazraǧ und Aus, schien von neuem aufzuflammen. Der Hofdichter des Propheten namens Ḥasan schrieb bereits boshafte Verse über ʿĀʾiša und suchte Gnade vor den Augen ʿAbdallāhs. Das Haus ʿAbdallāhs war ständig von Kriegern und Freunden überfüllt. Sie fühlten sich bereits als die künftigen Herrscher von Medina und warteten nur auf den Ausbruch des Kampfes zwischen den Eingewanderten, um dann selbst entscheidend einzugreifen.

Inmitten dieses plötzlich ausgebrochenen Brandes stand Mohammed, dessen männliche Eitelkeit gekränkt war, der die kleine ʿĀʾiša liebte und um den der so mühsam errichtete Staat plötzlich zu zerfallen begann.

Da wandte sich der Prophet an ʿAlī, denn ʿAlīs Blut war sein Blut. »Was soll mit ʿĀʾiša geschehen?« fragte der Prophet. Und ʿAlī antwortete: »Laß das Gesetz über sie walten. Schicke ihr den Scheidungsbrief.« So lange und so eifrig redete ʿAlī dem Propheten zu, daß dieser nicht mehr wußte, wo die Wahrheit lag, denn Gott sprach nicht zu seinem Propheten.

Nicht nur ʿAlī und alle, die um ihn waren, beschuldigten ʿĀʾiša, auch die Munāfiqūn beschimpften die Frau des Propheten, da sie Mohammed selbst nicht zu beleidigen wagten. Da erkannte der Prophet, daß jetzt der beste Zeitpunkt gekommen war, die Macht der Munāfiqūn für immer zu brechen. Was Predigten, Feldzüge und Siege nicht vermocht hatten, sollte ein Halsband, das in der Wüste verlorenging, jetzt vollbringen. Zuerst hieß es aber im eigenen Lager zwischen den Anṣār und Muhāǧirūn Frieden stiften.

Eines Tages, früh am Morgen, erschien der Prophet im Hause Abū Bakrs und befahl, man solle ihm ʿĀʾiša vorführen. »Bist du schuldig oder unschuldig?« fragte der Prophet. Und ʿĀʾiša antwortete: »Du hast zu viel üble Verleumdungen über mich gehört. Wenn ich jetzt sage, daß ich unschuldig bin, wirst du mir nicht glauben, wenn ich aber meine angebliche Schuld bekenne, wirst du nicht an der Wahrheit meiner Worte zweifeln. Deshalb werde ich Geduld üben.« Sprach's und wandte dem Propheten den Rücken. Doch bevor sie noch das Zimmer verlassen konnte, ertönte ein lauter Aufschrei aus dem Munde des Propheten. Der Prophet fiel zu Boden, sein Körper zitterte an allen Gliedern, und Schweißtropfen traten auf seine Stirn.

Ehrfurchtsvoll umgaben nun Abū Bakr, seine Frau und ʿĀʾiša den bebenden Propheten. Sie wußten, daß Allāh selbst jetzt mit dem Propheten sprach. Sie ahnten wohl schon, was kommen würde. Langsam beruhigte sich der Körper, langsam hob der Prophet die Augenlider, ein Lächeln zeigte sich auf seinem Antlitz, und er sprach: »ʿĀʾiša, Gott erkannte deine Unschuld.« Dann richtete sich der Prophet auf und verkündete die Worte Gottes, Vers 11 der Sure 24 des Korans: »Diejenigen, welche Falsches verbreitet haben, werden das bekommen, was sie an Sünde erworben haben. Und derjenige, der den Hauptteil auf sich genommen hat, soll eine schwere Strafe erleiden.«

Damit war der Friede ausgesprochen. Niemand hatte ahnen können, daß die allerhöchste Instanz in die Liebesgeschichte eingreifen würde. Nur Mohammed erkannte die politische Tragweite des Geschehnisses. Die Auswanderer und die Helfer, ganz gleich ob sie Anhänger ʿAlīs oder Abū Bakrs waren, mußten sich dem Worte Gottes fügen, denn Gottes Wort war das Fundament des Staates. An ihm rütteln hieß den ganzen Staat Gottes in Frage stellen. Der Friede zwischen den beiden Parteien war also notdürftig wiederhergestellt.

Anders stand es bei den Munāfiqūn. Diesen lag wenig an der Macht des Gotteswortes, innerlich glaubten sie weder an Allāh noch an seinen Propheten. Sie wollten an die Macht, sie wollten von dem Reichtum profitieren, der sich plötzlich über die Stadt Medina ergossen hatte. Deshalb hörten sie nicht auf, die Halsbandgeschichte auszunutzen, und fuhren fort, die beiden Parteien gegeneinanderzuhetzen. Jetzt war aber Mohammed diese Taktik willkommen. Gott hatte verkündet, und der Prophet holte zum fürchterlichen Schlage aus. Er erklärte der Öffentlichkeit das Wort Gottes und nannte namentlich diejenigen, gegen die es sich richtete. Es handelte sich ausschließlich um Munāfiqūn, ihr Führer ʿAbdallāh ibn ʾUbai stand an der Spitze der Sündigen. »Schreckliche Strafen erwarten die, welche eine Frau verleumden, ohne den Beweis dafür zu haben« (24,23), verkündete der Prophet, »nur wer vier Zeugen des Ehebruchs hat, darf den Ehebruch bekanntgeben« (4,19).

Als diese Worte gesprochen waren, berief der Prophet die gefesselten Führer der Munāfiqūn auf den großen Platz der Moschee. Abū Bakrs Leute warfen sie zu Boden und verprügelten sie unbarmherzig; es wurde keine Milde geübt, denn mit der Ehre ʿĀʾišas verteidigte der Prophet die Einheit des Staates.

Legenden berichten, daß an den Folgen der Strafe zwei Führer der Munāfiqūn erblindeten und zwei gelähmt wurden. Nur ʿAbdallāh ibn ʾUbai blieb verschont. Unüberlegter Haß war dem Propheten fremd, deshalb vermied er es, den vornehmsten unter den Medinensern zu entehren. Dafür erkundigte er sich von der Kanzel der Moschee: »Wer wird mich schützen, wenn ich Rache an demjenigen nehme, der meine Ehre verletzt hat?« Natürlich erhoben sich daraufhin sofort alle anwesenden Krieger und schworen mit dem Säbel in der Hand, den Propheten vor jedem Leid zu schützen. Dieses öffentliche Schauspiel genügte. ʿAbdallāh verstand die Warnung; es ging jetzt um seinen Kopf. Die Partei der Munāfiqūn war aber durch den Gottesspruch völlig zerschlagen. ʿAbdallāh stand bald allein und mußte resignieren. Er erkannte nun, daß er nie die Krone von Medina tragen würde.

So endete die Geschichte mit dem Halsband – die pikanteste Geschichte des Islam. In den peinlichen Auseinandersetzungen, die ʿĀʾišas Leichtsinn zur Folge hatte, sind aber unschwer die politischen Kämpfe und Leidenschaften erkennbar, die fast den Staat Gottes, gleich unzähligen Staaten des Orients, dem Wüstenstaub gleichgemacht hätten.

Die Energie des Propheten rettete den Staat. Wieder unterdrückte er das Gefühl der persönlichen Eitelkeit, um den Staat zu sichern. Das Halsband war der Weg zur Vernichtung der Munāfiqūn.

Doch hatte die Geschichte mit dem Halsband noch eine andere schwerwiegende, wenn auch zuerst unsichtbare Folge. Sie legte den Grundstein zu unzähligen Kriegen, Kämpfen und Blutvergießen, die Jahrhunderte hindurch den Orient erschütterten. Der Ursprung dieser Erschütterung war ʿĀʾiša. Sie war zwar eine Frau und erst fünfzehn Jahre alt, als sich das Unglück ereignete. Sie hörte aber bis zu ihrem Tode nicht auf, ʿAlī, der sie von ihrem Manne trennen wollte, zu hassen. Dieser Haß führte zuletzt die große, schicksalsschwere Spaltung des Islam herbei. Die Spaltung in die Schiiten, die Anhänger ʿAlīs, und in die Sunniten, die auf dem Pfade des Propheten seinen Dienern Abū Bakr und ʿUmar folgten. Krieg, Kampf und Blutvergießen waren die Folgen dieser Spaltung.

So endete das kleine Abenteuer einer Fünfzehnjährigen, die in der Wüste bei Medina ihre Notdurft verrichten wollte und ihr Halsband in den Sand fallen ließ.


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