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Das Kalifat

Das Sterbliche wankt in seinen Grundfesten, aber das Unsterbliche fängt heller zu leuchten an und erkennt sich selbst.

Novalis

Trotz aller Wirrnisse des Bürgerkrieges dehnte sich der Staat der Gläubigen unaufhörlich aus. Die Umaiyaden verstanden in ihrer Hauptstadt Damaskus nicht nur Gelage zu feiern. Sie führten Kriege, eroberten neue Provinzen und verbreiteten das Wort Gottes. Auch die ʿAbbāsiden, die Nachkommen des Onkels ʿAbbās, die später die Umaiyaden ablösten, taten das gleiche. Der muslimische Staat wuchs, und mit ihm wuchs die Kraft des neuen Glaubens, der Reichtum des Landes und der Ruhm der glänzenden ʿAbbāsidenhauptstadt Bagdad.

In den Blütezeiten des Kalifats umfaßte der Staat Gottes Spanien, Nordafrika, Ägypten, Arabien, Kleinasien, Syrien, Mesopotamien, Palästina, Persien, den Kaukasus und Turkistan. Es schien, als wenn das alte Imperium Romanum, die Einheit der Völker unter einem Gesetz, plötzlich hier in der östlichen Welthälfte neu entstanden wäre.

Aber nicht nur äußerlich, nicht nur der ungeheuren Dimensionen wegen kann der islamische Staat mit dem römischen Weltreich verglichen werden. Der Islam unterwarf Länder, die einst von der griechisch-römischen Kultur befruchtet worden waren. Jetzt, unter den Einwirkungen der müden, alten Kulturvölker des Orients, lag der Hellenismus im Sterben. Der Islam, das jugendliche Volk der Araber, griff diese Kultur auf und setzte sie fort. Der Erbe Roms war im Mittelalter nicht das wilde, barbarische Europa, sondern das Reich des Kalifen. Die Pax Romana des Kaisers Hadrian wurde von den Arabern neu errichtet. Von den Pyrenäen bis zur Grenze Indiens schuf der Islam eine einheitliche Kultur, ein einheitliches Weltbild. Gesetz, Sprache, Religion, Wirtschaftsformen, alles, was den Menschen innerlich formt und sein Dasein bestimmt, war auf diesem Gebiet einheitlich. Der Islam nahm in sich die Träger der hellenistischen Kultur, die Griechen und Byzantiner auf. Das verkümmerte Seelengut des greisenhaften Römertums erwachte plötzlich zu neuem Leben. Die Straßen der arabischen Städte, die Trachten, die Daseinsformen erhielten langsam ein beinah antikes Gepräge. Der Geist der Antike wurde vom Islam schöpferisch fortgesetzt. Hauptsächlich auf diesem Umwege erhielt Europa die Kenntnisse von der alten Welt und damit den Anstoß zur Renaissance. Dieses welthistorische Verdienst der Araber darf nicht vergessen werden. Westeuropa verdankt seine spätere kulturelle Blüte in hohem Maße dem Islam.

Der demokratische Geist des Schöpfers spiegelte sich im Dasein des Volkes. Wirtschaftlich war das Reich des Kalifen ein Land des gesunden Kleinbauerntums. Die tolerante Juden – und Christengesetzgebung, der jahrhundertelange innere Friede brachten das kernige Bauerntum aller Konfessionen zu ungeheurem Aufschwung und schufen so den gesunden Boden für eine reiche Kulturblüte. Ganze Gebiete, bis dahin verfallen und verödet, wurden durch den islamischen Frieden der Landwirtschaft erschlossen. Das Reich des Kalifen glich einem riesigen Kornspeicher. Die zufriedene untere Schicht des Volkes, die Zusammengehörigkeit eines weitverzweigten Gebietes, das sich über drei Kontinente erstreckte, die mit beinah römischer Mustergültigkeit organisierte Verwaltung und eine tolerante lebensbejahende Gesetzgebung bildeten gemeinsam das Fundament für einen neuen Reichtum, der sich aus dem außerordentlichen Aufschwung des Handels entwickelte. Der Islam besetzte und beherrschte sämtliche Knotenpunkte des alten Welthandelsverkehrs. Alle Wege zwischen Osten und Westen, zwischen Indien und Europa gehörten jetzt dem Islam. Es war für die Welt des Mittelalters unmöglich, Handel in größerem Stil zu treiben, ohne eine islamische Zollstelle zu passieren. Ägypten, Mesopotamien, Turkistan, alle wohlvertrauten Handelswege nach Europa, China und Indien gehörten zum Reiche des Kalifen. Beinah über Nacht, in wenigen Jahrzehnten entstanden glänzende Handelsmetropolen, in denen der alte Geist der Quraiš nunmehr Welttriumphe feierte. Bagdad, Kairo, Basra und Buchara wurden zu Mittelpunkten des Welthandels. Dieser Welthandel war mit einer modern anmutenden Rationalisierung organisiert. Ein Netz von kapitalkräftigen Banken entstand, und man kannte damals, im zehnten, elften Jahrhundert, sogar schon eine Art Scheckverkehr. Die Handelswege waren in glänzendem Zustand, mit Wegweisern und Entfernungsbezeichnungen versehen. Man konnte gefahrlos durch die entferntesten Gegenden des Kalifats reisen. Denn Friede und Recht herrschten damals auf Erden wie in Rom zu den Tagen Hadrians.

Wenn das Volk satt und der Kaufmann reich ist, bleibt auch ein drittes nicht aus. Die Kultur beginnt reiche und üppige Früchte zu tragen. Der Islam war der Entwicklung des Geisteslebens wohl gesinnt. ›Suchet die Wissenschaft, auch wenn ihr bis nach China reisen müßtet‹, lautet ein bekannter Spruch des Propheten. Dieser Spruch wurde in der Welt des Islam hoch in Ehren gehalten. Der Primat des menschlichen Geistes, das ›Iǧtihād‹, wurde in allen Fragen der Religion, der Gesetzgebung, der Wissenschaft anerkannt. Jede Lehre, jede Richtung des Geisteslebens hatte Anspruch auf Tolerierung und wurde geduldet. Es gab nur wenige Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel. Nur die vereinzelten kommunistischen Strömungen, die späten Nachfolger des weisen Ketzers Mazdaq, diese halb religiösen, halb sozialistischen Bewegungen, die es immer im Orient gab, wurden mit rigoroser Hartnäckigkeit bekämpft.

In der Blüte seiner Entwicklung schuf der Islam als erster in der Welt einen neuen epochemachenden Begriff, den Begriff der universalen Bildung. In Kairo wurde die erste Universität der Welt gegründet, die erste Hochschule, in der verschiedene Wissenschaften als gleichwertige Disziplinen gelehrt wurden. Diese erste Universität der Welt, al-Azhar, existiert auch heute noch als eine Stätte der islamischen religiösen Bildung. Mathematik, Poesie, Philologie, Logik, Jurisprudenz, alle philosophischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen wurden an diesen Universitäten, am Hofe des Kalifen und in den Palästen der Reichen gepflegt, ja gezüchtet. Der Islam umfaßte eine Fülle von Rassen und Völkern. Jedes Volk verstand es, zu der allumfassenden Kultur des Islam seine spezifische Note beizusteuern. Der mathematisch nüchterne, nur auf das logische Denken gerichtete, trockene Sinn der Araber fand eine willkommene Ergänzung in der phantasievollen, mystisch verschwommenen, poetischen Art der arischen Perser. Griechen, Juden, Beduinen, Ägypter, ja sogar die wilden Berber brachten ihren Beitrag zum großen Bau der islamischen Kultur. Es ist heute mitunter schwer zu ergründen, was in dieser Kultur auf persische, arabische oder griechische Ursprünge zurückgeht.

In der Zeit, da Europa noch in einer höchst primitiven Daseinsform verharrte, verfügte das Reich des Kalifen über ein für damalige Zeiten ungeheueres Wissen. Dieses Wissen war in Büchern aufgespeichert. Bücher über sämtliche Wissensgebiete, über Geschichte, Medizin, Astronomie, kulinarische und geographische Schriften, mathematische und philosophische Abhandlungen erschienen in Massen. Den ersten Anstoß gaben die Übersetzungen. Schon gegen Ende des zweiten Jahrhunderts der Hiǧra wurden Aristoteles, Plutarch, Euklid, Galen, Hypsikeles, Theodorus und Häron von Alexandrien sowie eine Reihe anderer griechischer Werke ins Arabische übersetzt. Den Geist dieser Bücher hat der Islam schöpferisch fortgesetzt. Auch indische Einflüsse machten sich geltend. Die indischen Zahlen, von den Arabern übernommen, begründeten die Positionsarithmetik. Die Entwicklung der Architektur gab den Anlaß zu der Erfindung der gleichfalls auf Indien zurückgehenden Trigonometrie. Lehrbücher für Geometrie, Planimetrie, Algebra waren allgemein verbreitet.

Eine reichhaltige Bibliothek wurde zur Zierde eines jeden arabischen Hauses. Die Größe einzelner Bibliotheken ist auch für heutige Begriffe überraschend. So besaßen die umaiyadischen Kalifen von Cordoba eine Bibliothek von vierhunderttausend handgeschriebenen Bänden. Yaʿqūb al-Kindī, ein würdiger Philosoph und Schriftsteller, starb sogar aus Kummer, als ihm seine Bibliothek konfisziert wurde. Usāma ibn Munqiḏ, ein rauher arabischer Krieger, bezeichnet den Verlust seiner Bibliothek als das größte Unglück seines langen Lebens.

Das Verbot der Malerei lenkte die schöpferischen Kräfte auf die Architektur. Auf dem Boden der antiken römisch-griechischen Baukunst entwickelten sich die märchenhaften Bauten des Islam, die vielleicht schönsten Architekturdenkmäler der Welt. Der Tadj-Mahal in Indien, die Alhambra, die große Moschee von Cordoba zeugen von einem hier in Stein geformten, in sich geschlossenen und in sich vollendeten Lebensstil.

Dieser Lebensstil, dieses Weltbild, das hier nur gestreift werden kann, ist auf das benachbarte Europa natürlich nicht ohne Einfluß geblieben. Averroes, Avicenna, Alfraganus, die wissenschaftlichen Genies des Islam, begründeten auch das wissenschaftliche Erwachen Europas. Im frühen Mittelalter war die arabische Wissenschaft in der Welt tonangebend. Auch die äußeren Lebensformen, die Dichtungsart, den berühmten Minnesang übernahm Europa von den spanischen Muslims, die zuerst den ritterlichen Frauendienst entwickelten. Die Stellung des Islam in der damaligen Welt kann nur mit der Stellung Europas gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts verglichen werden. Nur daß die wilden Kolonialvölker, die die Gnadengeschenke fremder Geistesarbeit empfingen, damals die Europäer selbst waren.

Was bedeutete nun die Welt Europas dem Araber? Aus den Zeiten der intimsten Fühlungnahme zwischen Osten und Westen, aus den Zeiten der Kreuzzüge ist darüber ein merkwürdiges Dokument erhalten geblieben: ›Die Erinnerungen eines arabischen Generals‹, des oben erwähnten Usāma ibn Munqiḏ, ›an die Kreuzritter und Europäern Usāma kam viel mit den Europäern zusammen. Sein Bericht gibt ein anschauliches Bild von dem Urteil eines zivilisierten Arabers über die Leute des Westens. Jeder Mensch‹, meint Usāma, ›kann in den Franken (Europäern) nur Tiere sehen, die höchstens Kampfesmut besitzen, wie er auch den Tieren eigen ist. Andere menschliche Eigenschaften außer Mut besitzen sie nicht, und deshalb ist der Ritter, der Krieger bei ihnen der größte Mann. Andere Menschen dagegen gelten bei ihnen überhaupt nicht als Menschen. Die Franken, die eben erst aus ihren Ländern kamen, sind natürlich viel gröber und einfacher als die, welche längere Zeit unter uns weilten. Die Franken kennen weder Selbstachtung noch Eifersucht. Es kommt vor, daß ein Mann mit seiner Frau auf der Straße geht und dabei einen fremden Mann trifft. Wenn der Fremde mit der Frau zu sprechen beginnt, so läßt sie ihr Mann einfach stehen und geht weiter. Wenn ein Franke seinen Freund mit seiner Frau überrascht, so sagt er nur: »Wenn es noch einmal vorkommt, so werden wir uns ernstlich verzanken.«

Die Franken rasieren sich nicht am Körper. An manchen Stellen erreicht ihr Haarwuchs die Stärke eines zweiten Bartes. Wenn sie dann beim Baden die Muslims sehen, sind sie so entzückt, daß sie nicht nur sich selbst am Körper rasieren lassen, sondern auch ihre Frauen von muslimischen Barbieren am ganzen Körper enthaaren lassen.‹ In zahlreichen Beispielen schildert Usāma die primitive Rechtspflege, die barbarischen Lebensformen und Sitten der Kreuzritter, die sich im Orient noch nicht akklimatisiert haben. Sein Urteil gipfelt in dem Satz: ›Sie haben kein Ehrgefühl und sind trotzdem mutig, obwohl doch der Mut erst durch das Ehrgefühl und durch die Angst vor dem Ehrverlust erzeugt wird.‹ Das Urteil dieses Kriegers Usāma war das Urteil der islamischen Welt.

Jahrhundertelang dauerte die kulturelle Blüte des Islam. Der Sturz der Umaiyaden und die Thronbesteigung der ʿAbbāsiden im Jahre 750 hatte für diese Kultur keine nachteiligen Folgen. Auch die inneren Wirrnisse, die hin und wieder durch die Aufstände der ʿAlīden und durch Loslösung einzelner Provinzen entstanden, blieben zuerst ohne nachteilige Wirkung. Und doch ist diese gewaltige, aus dem Worte Mohammeds geborene Welt heute verschwunden, untergegangen, beinah vergessen. Fast nichts erinnert mehr in der Welt des heutigen Orients an die Blütezeit des Kalifats, an die Zeiten, als die Welt des Orients das gewaltige Experiment der Vereinigung der Menschheit unternahm.

Der Beginn des Niedergangs setzte unbemerkt ein.

Im Innern der zentralasiatischen Steppen entstand ein neues gieriges und junges Volk: die Türken. Langsam drangen türkische Sippen in das Reich des Kalifen vor. Zuerst folgsame Söldner der Kalifen, gewannen sie bald immer mehr an Macht. Türkische Stammesfürsten rissen die Herrschaft im Kalifat an sich. Das Land wurde plötzlich in politische Wirrnisse hineingerissen. Persische und arabische Gouverneure gründeten selbständige Fürstentümer. Der unermeßliche Ozean der islamischen Welt begann jetzt politische Schattierungen zu zeigen.

Doch war dies noch nicht der Untergang. Das Land der Kalifen war immer noch reich und mächtig, immer noch blühten die Universitäten, dichteten die Dichter, entfaltete sich der Handel.

Da erhob sich am östlichen Ende der Welt ein wilder Krieger mit brutalen, kleinen geschlitzten Augen. Dieser Krieger brachte eine Lawine ins Rollen, und die Lawine vernichtete das Kalifat. Der Name des Kriegers war Tschingis Khan, und die Lawine, die er ins Rollen brachte, die mongolische Invasion. Die Mongolen kamen wie eine Geißel Gottes, und wo sie ihre Pferde weideten, da wuchs kein Gras mehr. Hūlāgū, der mongolische Steppenwolf, eroberte Bagdad, riß dem Kalifen den Mantel des Propheten von den Schultern und zertrampelte das Heiligtum mit seinen Füßen. Der Kalif wurde getötet, Bagdad geplündert. Bis heute kann sich die Welt Asiens von dem Schrecken des Mongolensturms nicht erholen. Unter dem Schlage Tschingis Khans verödeten die Städte und Dörfer, Kanäle verfielen, Wüsten breiteten sich aus, und das Land verwelkte.

Dann kam ein zweiter, vielleicht noch heftigerer Schlag. Nur wenigen war seine Vehemenz ursprünglich fühlbar, und doch verursachte erst er den endgültigen Niedergang des Kalifenreiches. Der eigentliche Urheber dieses Unterganges wußte nicht, daß er gegen das Kalifat den vernichtenden Schlag führte, dachte selbst auch nicht im entferntesten an einen Kampf gegen das Land des Kalifen.

Eines Tages entdeckte Christoph Kolumbus Amerika. Niemand in der ganzen Welt ahnte, daß damit das letzte Wort über das Kalifat gesprochen war. Die Augen der Welt richteten sich auf den neuen Kontinent. Der Welthandel fand neue Richtungen, neue Wege. Im Reiche des Kalifen, in den großen Handelsmetropolen des Orients begann das, was man neuerdings Konjunktur- und Wirtschaftskrise nennt. Die Preise fielen, die Karawanen, die dem Lande Reichtum zuführten, blieben aus, die Zollstellen hatten wenig zu tun, die großen Handelsstraßen, nunmehr unbenutzt, begannen zu verfallen. Unruhe bemächtigte sich der Bevölkerung. Niemand wußte, woher die Krise kam, wann sie enden würde. Das Volk begann zu verarmen, das Land zu verwildern.

Gleichzeitig begann auch der Verfall des Geisteslebens. Der Anfang war die berühmte sogenannte Schließung des Bāb al-Iǧtihād‹, der Pforte der Erkenntnis. Die muslimischen Gelehrten stellten fest, daß sie den Gipfel des Erfaßbaren erreicht hatten, weiteres Forschen erschien ihnen überflüssig. Damit begann der rapide Verfall der Wissenschaften. Die Araberherrschaft war zu Ende. Wilde Völker, Berber im Westen, Türken im Osten, führten den Islam. Nur in Persien, das allmählich zum staatlichen Mittelpunkt des Schiitismus wurde, begann ein neues Geistesleben, jetzt allerdings auf einem national persischen Fundament.

Der Kalif, der Erbe des in Bagdad Erschlagenen, zog zu den Ufern des Nils. Dort, im Schutze der mameluckischen Sultane, fristete er ein Schattendasein, bis die neuaufgekommene islamische Macht, das osmanische Reich der Türken, das Kalifat übernahm. Noch einmal gelang es, große Gebiete des Islam unter der Herrschaft des Statthalters des Gesandten Gottes, des Kalifen aller Gläubigen, zu vereinen. Das osmanische Kalifat führte geistlich die Muslims der ganzen Welt, mit Ausnahme der Marokkaner und Schiiten. Politisch vereinte es unter der Macht des Sultan-Kalifen Teile Nordafrikas, Ägypten, Arabien, Syrien, Palästina, Mesopotamien, Kleinasien und den Balkan, also ungefähr die Gebiete des alten Byzanz. Doch auch dieses letzte Kalifat, des geistigen Fundaments beraubt, mußte nach einer kurzen Blüte verfallen. Das islamische Iǧtihād, die Pforte der Erkenntnis, das Hauptelement des geistigen Daseins, war anscheinend endgültig erschöpft. Das politische Kalifat der Türken zerfiel langsam, aber unaufhaltsam.

Noch einmal versuchte ʿAbd al-Ḥamid II., der letzte Kalif von historischem Format, der letzte, der Geist und Macht in seiner Person zu vereinen verstand, dem Worte des Propheten, der Stellvertretung des Gesandten Gottes neues Leben zu verleihen. Dieser Versuch, Panislamismus genannt, mißlang. Im Weltkrieg kämpften Muslims gegeneinander, Mohammedaner marschierten unter christlicher Führung gegen die Armee des Kalifen. Die Einheit des Islam, das Wort, das einst der Prophet predigte, war verschollen.

Der blonde türkische General Ġāzī Mustafa Kemal versetzte einer tödlich erkrankten, wesenlos dahinsiechenden Institution den Gnadenstoß.

Ist aber die Idee des Islam, ist das Wort des Propheten wirklich tot?

Die Idee lebt, der Prophet hat nicht umsonst gepredigt. Das Kalifat und der Glanz der islamischen Welt waren nicht die einzigen Ausdrucksmöglichkeiten des Islam. Die Idee erwies sich lebensfähiger als ihre Repräsentanten.

Der Mann, der die Idee des Propheten heute verkörpert, heißt ʿAbd al-Aziz ibn ʿAbd ar-Raḥmān ibn Faiṣal ibn Saʿūd, König von Naǧd, von ʿAsīr, von Ḥiǧaz, Imam der Wahhābiten.


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