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Der Dichter des Propheten

Ich ergreife ein Stück grauen, armseligen Lebens und schaffe aus ihm eine Legende, weil ich ein Dichter bin.

Ssologub

Es lebte in der Stadt des Propheten ein Mann von erschreckendem Äußeren namens Ḥasan. Sein Haar war nach vorn gekämmt, er trug einen schwarzen Backenbart und färbte seinen Schnurrbart rot. Auf die Frage, warum er sich so entstelle, antwortete er bescheiden: »Damit mein Gesicht an die blutüberströmte Fratze eines Löwen erinnert.« Von Beruf war Ḥasan ein Dichter, doch war sein Talent unbedeutend, seine Einbildung groß und sein Ehrgeiz unbefriedigt. Aus all diesen Gründen schimpfte Ḥasan auf jeden, und je schlechter seine Verse waren, desto mehr Beschimpfungen enthielten sie gegen seine Feinde.

Einst gab der Prophet den Befehl, Ḥasan seiner bösen Zunge wegen einige Stockhiebe zu verabreichen. Gegen körperliche Strafen war aber Ḥasan höchst empfindlich. Er liebte das friedliche Leben, zog nie mit in die Schlacht und blieb selbst dann zu Hause, wenn seine Vaterstadt von Feinden belagert war. Die Prügel des Propheten verärgerten ihn daher außerordentlich. Er war zu feige, um öffentlich gegen den Propheten aufzutreten, deshalb schrieb er insgeheim ein gemeines Pamphlet gegen ihn. Als er erfuhr, daß der Prophet davon Kunde erhalten hatte, floh er voll Schrecken nach der Stadt Furāk, wurde aber von einem Anhänger des Propheten auf seiner Flucht erreicht und leicht an der Wade verwundet. Darauf brach der zarte Lyriker in so heiße Tränen aus, daß seine gesamte Verwandtschaft in der Annahme, daß er in Todeskrämpfen liege, zu ihm eilte. Natürlich genas er bald und plagte nun die Leute von Medina mit unaufhörlichen Klagen über sein Mißgeschick und mit der Bitte um Schadenersatz.

Allmählich begriff auch der zarte Ḥasan, daß die Macht des Propheten groß sei. Das machte ihn zum Anhänger des Gesandten Gottes. Mehrmals erschien er, von einflußreichen Verwandten begleitet, vor dem Hause des Propheten und bat um Einlaß. Er wurde aber nicht vorgelassen.

Mohammed liebte die Dichter nicht. Sie sprachen ihm zu viel, und ihre Worte entsprachen selten der Wahrheit. »Sie sprechen, was sie nicht tun« (26,226), heißt es im Koran. Und Mohammed sagte einst: »Die Dichter schreiben Satiren, die schmerzlicher sind als Wunden. Unter allen Sterblichen hat der Dichter die größte Chance, in die Hölle zu kommen.« Aus all diesen Gründen wollte der Prophet nichts von dem feigen Ḥasan wissen. Da aber um die gleiche Zeit viele böse Schmählieder von Dichtern der Quraiš auf den Propheten verfaßt wurden, beschloß Mohammed zuletzt, Ḥasan zu empfangen. Stolz trat Ḥasan vor den Propheten und sagte: »Ich bin ein großer Dichter. Mein Name, meine Ehre und meine Lieder werden den Propheten am besten schützen, denn ich verehre den Gesandten Gottes.«

Da der Prophet die Art der Dichter kannte, maß er Ḥasans Worten keinerlei Gewicht bei. Er schenkte ihm vielmehr eine junge Sklavin und ein Gut, in der Annahme, daß er damit seine Treue am besten festigen würde. Darauf begab sich Ḥasan zu Abū Bakr und ließ sich von ihm über die Schwächen der Feinde des Propheten unterrichten. Dann ging er nach Hause und begann sich der Produktion zahlreicher Schmähgedichte zu widmen. Das machte dem Propheten und den Gläubigen viel Spaß. So wurde der Kampf zwischen Mekka und Medina zum Kampf der Dichter. Doch waren die Dichter von Mekka begabter und ihre Gedichte bissiger als die Werke des armseligen Ḥasan.

Da kamen die Gläubigen zum Propheten und baten ihn, den edlen ʿAlī zu beauftragen, ein Schmähgedicht gegen Mekka zu schreiben. »Nein«, antwortete der Prophet, »ʿAlī soll sich nicht mit so niederen Dingen befassen, er ist für größere Taten bestimmt.« Dann wandte er sich an Ḥasan und fragte: »Kannst du gegen die Sippe der Quraiš schreiben, ohne mich zu verletzen, da ich doch selbst ein Quraiš bin?« – »Das ist sehr einfach«, antwortete Ḥasan, »ich ziehe dich aus der Masse der Quraiš heraus, wie man ein Haar aus einer Teigmasse herauszieht.« – »Gut«, sprach der Prophet, »wenn du das versprichst, so strecke deine Zunge heraus.« Und als Ḥasan der Aufforderung nachkam, berührte der Prophet Ḥasans Zungenspitze mit seinem Stab und segnete sie. Dies tat Wunder. Die Zunge Ḥasans wurde von nun ab scharf und bissig, seine Gedichte wirkten auf die Mekkaner wie spitze Pfeile, und der Prophet konnte ihnen oft nächtelang zuhören.

Die reisenden Beduinen brachten diese Lieder zu sämtlichen Stämmen, und sie waren oft wirksamer als die weisesten Sprüche der Frommen. Einst kam zu Mohammed ein Stamm und erklärte: »Unser Dichter hat viele Schmähgedichte gegen dich geschrieben, in denen er beweist, daß du ein Betrüger bist. Wenn einer von deinen Leuten in schönen Versen das Gegenteil beweist, sind wir bereit, uns zum Islam zu bekennen.« Zuerst wollte Mohammed das große Werk der Bekehrung keinem so niederen Geschöpf wie einem Dichter überlassen. Endlich beauftragte er aber damit den Dichter Ḥasan. Und obwohl die Feinde sich große Mühe gaben, siegte die Wahrheit aus dem Munde Ḥasans. Der große Stamm erkannte, daß Ḥasans Verse besser waren als die Verse ihrer Dichter, und bekannte sich zum Islam.

So kam der elende Dichter Ḥasan, dank dem Segen des Propheten, zu großen Ehren. Als aber der Krieg zwischen den Arabern zu Ende war und Mekka den Islam annahm, verbot der Prophet alle Gedichte, die Feindschaft unter den Gläubigen hervorrufen konnten. Gerade jetzt, als der Friede geschlossen war, traf Ḥasan zum erstenmal die Dichter von Mekka, mit denen er jahrelang in dichterischem Kampf gelegen hatte. Da beschlossen Ḥasan und die Dichter, ganz privat, ohne Augenzeugen, einander ihre Schimpfgedichte vorzutragen. Da Ḥasan klug war, wollte er als letzter seine Gedichte rezitieren und bat die Mekkaner zu beginnen. Einer nach dem andern lasen die Dichter ihre Schimpfverse gegen Ḥasan vor. Ḥasan saß da und ärgerte sich so, daß ihm der Schweiß vom Gesicht rann. Doch wartete er ruhig ab, um als letzter seine Schimpfereien loszulassen. Als aber die Mekkaner zu Ende waren, bestiegen sie ihre Pferde und ritten davon, ohne Ḥasan Gelegenheit zum Vortragen seiner Gedichte zu geben.

Voll Wut ging Ḥasan zu ʿUmar, der damals bereits Kalif war, und erzählte ihm, in welch schmählicher Weise er beschimpft worden war. Und da ʿUmar die Herzen der Dichter kannte, beschloß er, Ḥasan eine große Freude zu bereiten. Er versammelte das Volk von Mekka, berief die Dichter und gestattete Ḥasan in Gegenwart des ganzen Volkes, gegen seine Feinde, die ihn betrogen hatten, so viel gereimte Schimpfworte auszusprechen, wie ihm nur einfielen. Auf diese Weise erleichterte Ḥasan sein Dichterherz.

Dann befahl der Kalif, der Gerechtigkeit wegen alle Gedichte, die des Ḥasan sowie die gegen Ḥasan, in einem großen Buch zu sammeln, so daß die Schmähgedichte friedlich nebeneinander standen. Wer das eine las, mußte unwillkürlich auch das andere lesen, und keiner der Dichter konnte sich ferner wegen ungerechter Behandlung beklagen.

So regierte man im Lande des Gesandten Gottes das Volk der Dichter, deren Worte selten Sinn haben, deren Zungen scharf sind wie Waffen und die unter allen Sterblichen die größte Aussicht haben, die Pforten der Hölle zu durchschreiten.

Im lichten Paradies aber, wo das Leben froh sein wird, wo es weder Qual noch Ärger geben wird, wird man das Wort der Dichter nicht brauchen. Dort wird es keine Dichter geben.


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