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Mohammeds Glück

Ich bin nur ein Mensch wie ihr.

Mohammed (Koran, Sure 41/5)

Durch die Ehe mit Ḫadīǧa wurde Mohammed Mitglied der obersten Schicht von Mekka. Sein Ansehen wuchs. Er war glücklich. Ruhig betrieb er seine Geschäfte, besuchte hin und wieder den großen Hof der Kaʿba und führte das Leben eines gutsituierten, glücklich verheirateten Kaufmannes. Ḫadīǧa hatte, wie schon gesagt, ihre Wahl nicht zu bereuen. Mohammed war, während der vierundzwanzig Jahre ihrer Ehe, das Muster eines guten Mannes. Ruhig und ereignislos verstrich die Zeit. Man rühmte in der Stadt das gepflegte Aussehen, das heitere Wesen, die biedere Gerechtigkeit und die fromme Gottesfurcht Mohammeds. »Wohlgerüche, Frauen und vor allem Gebete sind mir die schönsten Dinge auf Erden«, sagte er einst.

Unbezähmbare Manneskraft war damals wie später der Stolz Mohammeds. Diese Manneskraft machte ihn dereinst beliebt bei den Sippen des Landes. ›Gott gab ihm den Samen von dreißig Männern‹, berichten mit Ehrfurcht die frommen arabischen Weisen. Für die Völker des Orients ist das der stärkste Beweis der Gnade des Allmächtigen. Später hatte Mohammed oft Gelegenheit, seine Manneskraft zu beweisen. Um so bemerkenswerter ist es, daß dieser männlichste unter den Arabern seiner um vieles älteren Frau bis zu ihrem Tode unerschütterliche Treue bewahrte.

Rein, unbefleckt und gerade war der Weg Mohammeds, niemand konnte ihm auch nur das geringste nachsagen, und gerade aus seinem engsten Freundeskreis, aus den Menschen, die um sein intimstes Leben wissen mußten, stammen die glühendsten, treuesten Anhänger seiner späteren Sendung.

Wohlgerüche waren die Lust Mohammeds. Alle Düfte des Orients, Ambra, Moschus, Pomaden, Salben und Haarpflegemittel waren in seinem ständigen Gebrauch. Nachts bestrich Mohammed seine Augen mit einer Salbe zur Erhaltung der Sehkraft und zur Erhöhung ihres Glanzes. Sein schwarzes, pomadisiertes Haar hing bis über seine Schultern herab und war in zwei Flechten gebunden. Auf dem Kopf trug er, elegant eingeknickt, einen seidenen Turban. Er wusch sich mehrmals täglich, kaute ständig eine Masse, um die Zähne schneeweiß zu erhalten, trug einen Vollbart, hatte scharfe Gesichtszüge, einen gelblich-braunen Teint und war sehr empfindlich gegen Gerüche aller Art. Es genügte, Knoblauch oder Zwiebel in seiner Gegenwart zu essen, um seine Mißgunst zu erregen. So war Mohammed vor seiner Sendung, und darin blieb er sich gleich bis an sein Lebensende. Die Freude am eigenen Körper, an der eigenen Kraft und Schönheit wurde auch ein wesentlicher Zug des Islam. Tief verhaßt, unverständlich, wie Gestalten aus einer anderen Welt, waren für Mohammed die Asketen und Büßer der Christen, die das Fleisch und die Freude des Fleisches verdammten.

Und doch war dieser elegante, gepflegte, wohlduftende reiche Herr, der sich augenscheinlich so gern den Freuden des Daseins hingab, ein ernster, strenger Mann. Kein Zufall, daß er neben Wohlgerüchen und Frauen das Gebet als seine größte Freude bezeichnet.

Mit vierzig Jahren begann Mohammed das Parlament von Mekka, die Versammlungen in der Kaʿba zu besuchen. Dort galt er als ein zuverlässiger, gerechter, wenn auch ein wenig wortkarger Mann. Die Gabe der freien Rede, des geschliffenen Ausdrucks, der bei den Arabern so geschätzten Kunst des Dichtens, war diesem ernsten Menschen anscheinend nicht gegeben. Dafür konnte man sich ruhig auf seine Gerechtigkeit verlassen. Wenn unter den Kaufleuten ein Streit ausbrach, wenn sich jemand betrogen oder benachteiligt fühlte, so ging er zu Mohammed. Ernst und sachlich entschied dieser die Frage und fällte sein Urteil.

Ein frommer Anbeter der Götter der Kaʿba war Mohammed nicht, doch wurde das von einem mekkanischen Kaufmann auch nicht erwartet. Er tat, was alle taten, erschien bei den üblichen Zeremonien und sprach die üblichen Gebete. Doch zog er es vor, hin und wieder durch die kahlen Gefilde um Mekka zu wandern, einsam, in Gedanken versunken, vielleicht betend. Das kam vor. Niemand konnte dem angesehenen Mann daraus einen Vorwurf machen. In diesen Fragen war Mekka äußerst tolerant.

Eine Antipathie hatte Mohammed aber schon um diese Zeit. Er haßte die Wahrsager, die Magier und Zauberer, die ständig im Hofe der Kaʿba umherstolzierten. Doch war auch das schließlich seine Privatsache, denn niemand ist verpflichtet, an käufliche Zauberei zu glauben. Das tat auch im aufgeklärten Mekka höchstens der abergläubische, wilde Beduine.

Zu seinen Mitmenschen war Mohammed stets freundlich und wohlgesinnt. Wer ihm je einen Dienst erwies, konnte immer mit seiner Dankbarkeit rechnen. Als sein Onkel Abū Ṭālib zeitweilig Not litt, adoptierte Mohammed seinen Sohn ʿAlī, der für immer in seinem Hause blieb. ʿAlī war ein schöner Junge, etwas einfältig, aber mutig, edel und enthusiastisch. Ihm stand eine große Zukunft bevor, er wurde der vierte Kalif des Islam.

Im Sommer, wenn die Hitze in Mekka unerträglich wurde, zog Mohammed gleich andern vornehmen Mekkanern nach Ṭāʾif, oder er schlug sein Zelt in der Nähe des Berges Hirāʾ auf, in dessen Schluchten immer Kühle herrschte. Mohammed liebte diesen kahlen Berg in der Nähe Mekkas, von dessen Gipfel man die wilde, rauhe Landschaft und ganz in der Ferne die Gärten von Ṭāʾif sehen konnte. Auch wenn seine Familie nach Mekka zurückkehrte, pflegte er hin und wieder die Höhlen Hirāʾs zu besuchen.

So lebte Mohammed bis zur Sendung. Friedlich, unauffällig, ruhig verlief sein Leben, bieder, redlich, unauffällig waren seine Taten. Er war ein Mensch wie die andern. Bis zu seinem Tode hörte er nicht auf, das hervorzuheben.

Den Gedanken der Unsterblichkeit kannte der Araber nicht. Er ersetzte die Unsterblichkeit durch die irdische Fortpflanzung, durch die Schaffung eines neuen Zweiges am Baume seines Stammes. Auch Mohammed wünschte sich Kinder, und Ḫadīǧa gebar sie ihm. Drei Söhne und drei Töchter brachte Ḫadīǧa zur Welt. Der letzte Tropfen Glück war somit Mohammed gegeben. Große Gaben brachte Mohammed den Göttern dar. Al-Qāsim, ʿAbd Manāf und Attahīr waren die Namen der Söhne. Das zeigt am besten, wie fern Mohammed damals jeder Religionsgrübelei stand. Denn ʿAbd Manāf bedeutet der Sklave des Manāf, und Manāf war ein großes angesehenes Idol der Kaʿba. Sich selbst nannte er aber nach der arabischen Sitte Abū Qāsim, was der Vater des Qāsim bedeutet.

Schmutz liegt auf den Straßen Mekkas. Böse Geister umgeben dort den Menschen. In den engen dunklen Gassen nisten Krankheit und Tod. Viele Kinder starben in Mekka jahraus, jahrein, und unter den Toten befanden sich eines Tages alle drei Söhne des Propheten. Wieder wurde Mohammed ›ein Mensch ohne Schwanz‹, ein Mensch ohne Unsterblichkeit, ohne Anspruch auf das Weiterleben im andern. Standhaft ertrug er seinen Verlust. Doch war das vielleicht der größte Schmerz seines Lebens, vielleicht auch der erste Anstoß zu seiner tiefen inneren Wandlung.

Allmählich, zuerst fast unmerklich, veränderte sich das Leben Mohammeds. Seine ständige Heiterkeit hatte ihn verlassen. Immer seltener erschien er auf dem großen Hof der Kaʿba, immer seltener brachte er den Göttern die üblichen Opfer dar. Doch war all dies noch keineswegs auffällig. Für das Auge eines fremden Beschauers war Abū Qāsim, Mohammed al-Amīn, der Hāšim, immer noch ein glücklicher Bürger. Zwar waren ihm seine Söhne gestorben, doch hatte er den Sohn seines Onkels adoptiert. Seine älteste Tochter war bereits mit einem tüchtigen Mann verheiratet, die zweite verlobt. Auch der Reichtum wuchs ständig. Es lag also für den fremden Beschauer kein Grund vor anzunehmen, daß Mohammed dem Trübsinn verfallen könnte.

Und doch ging in Mohammed eine sichtbare Veränderung vor. Dieser ruhige, tüchtige Kaufmann tat plötzlich etwas, was nie, weder vor noch nach ihm, ein Mekkaner getan hat: er begann sein Geschäft zu vernachlässigen. Er hörte auf zu verdienen. Anstatt auf den Basaren zu erscheinen, über die Preise zu verhandeln, Karawanen auszurüsten, irrte er in der Umgebung von Mekka herum, vernachlässigte seine Standesgenossen und schien einer inneren Unrast verfallen zu sein. Oft sah man ihn mit eingefallenen Wangen und fiebernden Augen ziellos im Lande umherirren. In seinem palastartigen Haus, am nördlichen Ende der Kaʿba, war er nunmehr ein seltener Gast. Es ging etwas in ihm vor, doch konnte er niemandem den Grund seiner Wandlung mitteilen. Vielleicht wußte er ihn selbst nicht. Eins wußte er aber: das inhaltslose Leben in Mekka, die Geldgier und der Glaube seiner Mitmenschen befriedigten ihn nicht mehr. Er suchte ein höheres Lebensziel, den seelischen Frieden. Das wurde von den Mekkanern respektiert. Auch Ḫadīǧa, für die die Wandlung Mohammeds völlig unerwartet kam, hielt sich nicht für berechtigt, nach so viel Jahren des Glücks ihrem Mann im Weg zu stehen. Sie ließ ihm sein Treiben, vielleicht in der Hoffnung, daß er eines Tages von selbst zurückfinden würde. Denn der Drang zur Einsamkeit, zur religiösen Einkehr war für Mekka nichts Neues. Man kannte dieses Gefühl der inneren Leere, der Unruhe, der religiösen Unrast, dieses Gefühl, das hin und wieder die besten Köpfe der Stadt befiel. Man nannte die Zeit, die der Mensch dann in Einsamkeit verbrachte, ›Monate der Buße‹ und machte sich keine weiteren Gedanken über das Phänomen der Seele. Auch Ḫadīǧa sah darin vorerst keinen Grund zur Sorge.

Am häufigsten traf man Mohammed auf dem Berg Hirāʾ im Osten der Stadt. Von dort hatte man einen freien Ausblick auf Mekka, die steinige Wüste und die unendliche Steppe. Tiefe Höhlen bildete der Berg, und am Eingang dieser Höhlen saß regungslos, in sich versunken, tage- und nächtelang, der einsame Grübler Mohammed. Seine Töchter brachten ihm das Essen, er beachtete sie kaum. Er blickte in die Ferne, auf die steinige Steppe, in den großen stahlblauen Himmel. Der Schatten des Berges Hirāʾ deckte ihn.

Hin und wieder gingen am Berge die Kaufherren Mekkas vorbei. Sie blickten gleichgültig auf die hockende, verschleierte Gestalt und machten die indifferente Feststellung: »Unser Mohammed ging unter die Ḥanīfen.«


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