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Die trockene Trunkenheit

Es gibt in der Welt einen einzigen Weg, welchen niemand gehen kann außer Dir; wohin er führt frage nicht, gehe ihn.

Nietzsche

Der Glaube, den Mohammed in traumhaften Visionen empfing, der Glaube, den er der Menschheit predigte und mit der er die Menschheit bezwang, heißt Islam. Viele haben versucht, das Wort Islam zu übersetzen. Keinem ist es gelungen. Man sagt: ›Islam heißt: Hingebung an Gott‹, und man verkennt damit philologisch und inhaltlich das Wesen des Wortes. Islam kommt von dem Verbum salm oder salama, was Ruhe, Entspannung nach erfüllter Pflicht, friedliches Dasein bedeutet. Das Verbalsubstantivum Islam bedeutet Friede, Schutz, Rettung. Im Munde Mohammeds hatte es die Bedeutung des Strebens zum höheren Frieden, zur göttlichen Frömmigkeit. Soweit die Philologie. Was ist aber der Islam?

Der Glaube, den Mohammed verkündete, ist trocken und überwältigend wie der Sand der Wüste. Es gibt keinen klareren Glauben auf Erden, es gibt aber auch keinen, der in gleicher Weise Religion, Weltanschauung und Recht in sich vereint. Denn der Islam ist allumfassend.

In zahllosen traumhaften Meditationen am Berge Hirāʾ fand Mohammed ein einziges Dogma, und das erschütterte ihn. Er entdeckte, daß alle Völker der Welt seit Anbeginn aller Zeiten nur eine Wahrheit besaßen, stets ein und dieselbe Wahrheit von Gott empfingen, sie jedoch im armseligen, irdischen Dasein vergaßen, vernachlässigten und mit Unwahrheiten vermischten. Die Erforschung der ursprünglichen, reinen und einzigen Wahrheit heißt Islam. Mohammed war kein Religionsstifter, er wollte keine neue Wahrheit entdecken, er wollte nur die alte in neuem Glanz auferstehen lassen. Er war Reformator, und der Islam, den er predigte, war für ihn nur die Auferstehung des Urglaubens der Welt.

Durch Jahrtausende, durch Jahrmillionen gibt es in der Welt nur eine Wahrheit. Gott der Unfaßbare, der Unerkennbare, sandte sie der Menschheit. Durch das ganze Dasein der Welt, durch alle Völker und Kulturen, durch alle Zeiten und Reiche zieht sich die unendliche Reihe der Propheten, der Frommen, denen Gott befahl, der Menschheit die Urwahrheit zu verkünden. Der Prophet ist kein Heiliger, kein Wundertäter, kein Besessener, er ist nur ein Mensch, durch dessen Mund Gott zur Menschheit spricht.

Unendlich ist die Reihenfolge der Propheten, sie verkündeten in allen Sprachen und bei allen Völkern. Ihre Botschaft war aber stets, zu allen Zeiten, die gleiche, es war das einzige, unveränderliche Wort Gottes. Nicht um ein Haar unterschieden sich die Offenbarungen der Propheten voneinander. Nur selten wollte aber die Menschheit den Worten des Propheten Folge leisten. Die meisten Propheten wurden verkannt, bekämpft, verleumdet und verbannt. Nur selten beugte sich die Menschheit vor dem Wort des Propheten, nur selten empfing sie gläubig durch seinen Mund die Worte Gottes. Wenn aber der Prophet starb, so vergaß die Menschheit das Entscheidende seiner Lehre, vergaß das Wort Gottes. Es blieb ein Glaube bestehen, doch nur wie kleine Goldsplitter in einem Heuhaufen lagen in dem Glauben die Splitter der ursprünglichen, inzwischen vergessenen und verwischten Lehre verstreut. So waren die Unterschiede der Religionen entstanden. Denn jede Religion geht zwar auf die Worte ihres eigenen Propheten zurück, doch verkündeten alle dasselbe: Gottes Wort.

Der Glaube an die Propheten ist der Grundstein des Islam, das Grunddogma, aus dem sich das ganze Gebäude der Lehre entwickelt.

Unter den Propheten, die der Welt erschienen, sind die bedeutendsten Abraham, Moses und Jesus. Ihre Worte behielten die Völker.

Die Völker der Welt zerfallen für Mohammed in zwei Teile, in die Völker der Schrift und in die Völker, die keine Schrift empfingen. Die Völker der Schrift sind die Juden und Christen. Durch das Wort Mosis und Christi empfingen sie die Wahrheit, die ihnen Gott in seiner Gnade sandte. Da aber die Worte der Propheten nicht sofort fixiert wurden, entstanden aus der ursprünglichen Einheit Sekten und Richtungen, von denen jede einen Teil der Wahrheit besitzt, die ganze Wahrheit aber verleugnet. An und für sich sind aber für Mohammed Judentum, Christentum und Islam identisch.

Da alle Worte vergessen und falsch gedeutet wurden, sandte Gott zum letztenmal der Menschheit einen Propheten, der nun noch einmal alles wiederholen sollte, was die Propheten des Altertums verkündet hatten, der alle Religionen zu ihrer ursprünglichen Einheit und Reinheit zurückführen würde, um damit das einheitliche Reich Gottes auf Erden zu hinterlassen. Dieser Letzte in der langen Reihe der Propheten, dieses Schlußsiegel des Prophetentums ist Mohammed, der Gesandte Gottes. Deshalb enthält seine Lehre auch nichts, was der alten Welt, den alten Religionen unbekannt ist. Deshalb unterstreicht der Islam alles, was in seinem Dogma sich mit der Welt des Christen- und Judentums deckt. Predigten doch Moses und Christus nichts anderes als den reinen Glauben.

Wie Kolumbus nicht wußte, daß er einen neuen Erdteil entdeckt hatte, wußte auch Mohammed nicht, daß er eine neue Religion ins Leben rief. Bis zu seinem Tode wiederholte er, daß der Islam der Menschheit nichts Neues bringen wolle.

Wie entstand nun das wunderbare, nüchterne, positivistische Gebäude des Islam? Am Berge Hirāʾ empfing der Prophet den Befehl Gottes, die Wahrheit zu verkünden. Dreiundzwanzig Jahre lang erschien ihm regelmäßig der Erzengel Gabriel, der ihm nach und nach die ganze himmlische Wahrheit, den ganzen Koran beibrachte. Dieser Koran ist also das endgültige Wort Gottes, das, da es sofort fixiert wurde, nicht vergessen und nicht mißdeutet werden kann.

Das Wunder des Korans wird der Welt des skeptischen Denkens immer ein Rätsel bleiben. Ein einfacher, ungelehrter Mann, der nie einen Vers gedichtet hatte, der nie die Gabe der freien Rede besaß, verkündete hier, ganz abgesehen von dem Inhalt, ein sprachliches, ein ästhetisches Wunderwerk. Der Koran ist bis zum heutigen Tag der, rein äußerlich, unübertroffene Höhepunkt der arabischen Sprache. Die berauschende Schönheit seiner Verse ist für alle Araber und war auch für Mohammed der einleuchtende Beweis seines göttlichen Ursprungs.

Die Araber waren ein Volk der Dichter, der literarischen Sachverständigen. Sie lebten in der Welt der Verse, und alle Freunde und Feinde mußten die sinnesberauschende Schönheit der Koranverse anerkennen. Das ganze Buch, das auch architektonisch ein Wunderwerk des logischen Aufbaus ist, enthält hundertvierzehn Kapitel, Suren genannt. Die Verse dieser Kapitel sind die Welt, in der sich noch heute das Leben von dreihundert Millionen Menschen abspielt.

Zahlreich waren schon zu Mohammeds Zeiten die Versuche, den Koran nachzuahmen. Doch alle mußten erbärmlich scheitern. Dichterisch hat der Koran keine Vorläufer und keine Nachkommen. Es ist auch für die arabische Welt charakteristisch, daß der Islam zuerst zum ästhetischen Beweis seines göttlichen Ursprungs greifen mußte. Nur wer das rhythmische Wort meistert, kann in den Wüsten herrschen, und die Kraft und Ausbreitung des neuen Glaubens ist nicht zuletzt auf die sinnverwirrende Schönheit des Korans zurückzuführen. Die Kraft des Ausdruckes, die Magie des Wortes, der stählerne Rhythmus dieser Verse kann in keiner anderen Sprache wiedergegeben werden. Wenn aber der Prophet inmitten des dichtenden arabischen Volkes die Verse rezitierte, ging von ihm ein magischer Zauber aus, denn die Magie des Wortes war im Volke der Araber lebendig. Mohammed war sich der magischen Kraft, die der Koran enthält, voll bewußt. Doch wußte er auch, daß dieser Koran kein Werk seiner Kunst war. Nicht Mohammed spricht im Koran zur Menschheit, sondern Gott. ›Ich‹ ist im Koran stets Gott und ›Du‹ Mohammed. Nach und nach, im Laufe von dreiundzwanzig Jahren, wurde der Koran dem Propheten offenbar. Jede Sure wurde aber anläßlich eines bestimmten Ereignisses, einer bestimmten Frage mitgeteilt und enthält Antworten auf Fragen, die den Propheten peinigten.

Wie geschah aber die Offenbarung des Korans? Der Vermittler zwischen Gott und seinem Propheten war der Erzengel Gabriel. Plötzlich, ohne Ankündigungen, erschien er dem Propheten. Manchmal als fremder Wanderer, manchmal als Jüngling, manchmal nur als Stimme, die einzig dem Propheten verständlich war. Wenn der Engel dem Propheten als Stimme erschien, wenn Mohammed als erster den berauschenden Versen lauschte, war die Erregung, die von dem Propheten Besitz ergriff, erschütternd. Sein Gesicht wurde blaß, seine Stirn bedeckte sich mit Schweißtropfen. Wilde, unzusammenhängende Laute kamen von seinen Lippen. Sein Gesicht war dann wie der Himmelsblitz, niemand wagte ihn anzusehen. Manchmal sank er zu Boden, sein Körper zitterte, Schaum trat vor seine Lippen, manchmal schrie er auf wie ein junges Kamel. Dann beruhigte er sich langsam, schlief manchmal ein, erwachte und verkündete der Welt einen neuen hinreißenden Vers. Nie erschien aber Gabriel dem Propheten in seiner wahren Gestalt. Denn Mohammed war nur ein Mensch, und er konnte den Anblick eines Engels nicht ertragen. Nur einmal bat der Prophet, der Erzengel möge ihm seine wahre Gestalt zeigen. Gabriel erfüllte die Bitte, und wie vom Blitz getroffen sank Mohammed in tiefe Ohnmacht. Schrecklich und unerträglich ist für einen Sterblichen der Anblick eines Engels.

Dreiundzwanzig Jahre lebte Mohammed in trunkener Ekstase; von Visionen umgeben, verkündete er Verse und berauschte sich selbst an ihrer überirdischen Schönheit. Man sollte denken, daß seine Lehre phantastisch und exaltiert wäre wie die Visionen, die ihn umgaben. Der arabische Prophet verkörperte aber den Urzustand des Landes, dem er entstammte. Die phantastische Fata Morgana der Wüste war hier mit der klaren, trockenen Luft gepaart. Phantastische Visionen schufen ein trockenes, klares, nüchternes Gebilde, das Islam heißt.

Der Islam kennt keine Phantastik, ist logisch aufgebaut und übersichtlich wie das Kontobuch eines Kaufmanns. Er kennt nur wenige Grundsätze, doch diese regeln alle Beziehungen zwischen Mensch und Gott und den Menschen untereinander, denn Islam ist nicht nur Religion, sondern auch soziale Lehre. In phantastischen, traumhaften Visionen empfing Mohammed eine nüchterne, rationelle und dennoch in ihrer exakten, rationalistischen Einfachheit überwältigende Lehre. ›Man muß an den einzigen Gott glauben, gut zu den Menschen sein, seine Leidenschaften beherrschen, die Feinde des Glaubens bekämpfen und an die Vergeltung seiner Taten nach dem Tode glauben.‹ In diesem einzigen Satz ist die ganze Lehre enthalten.

Gott, der alleinige, allgegenwärtige Allāh, ist für Mohammed ein Wesen, das nicht beschrieben und nicht geschildert werden kann. Es ist schon eine Sünde, Gott beschreiben oder erklären zu wollen. Ewig verdammt sind aber diejenigen, die sich anmaßen, Gott darzustellen in Bild, in Stein oder im Wort. Gott ist wie das Licht, wie die Flamme, wie das Meer, ewig veränderlich, nie faßbar; wer Gott erfassen, Gott darstellen will, zeigt damit seinen Mangel an Glauben. Auch der leiseste Versuch, Gott in irgendeiner Form zu zeigen, muß bekämpft werden. Alle Propheten verboten die Darstellung Gottes, doch stark ist der Trieb im Menschen, Gott zu erfassen. Der Mensch zeichnet einen Menschen oder ein Tier, andere Menschen beten diese Zeichnung an und denken, es sei Gott. Deshalb verbietet der Islam für ewige Zeiten die Darstellung lebender Wesen in Bild und Stein, damit der Mensch nicht der Versuchung verfällt, Bilder und Idole zu vergöttern. ›Gott ist unfaßbar, er gleicht nicht den Menschen, verdammt seien diejenigen, die ihm Menschliches zuschreiben, denn das Hauptmerkmal Gottes ist übermenschlich: sprich: Gott ist einer, ein ewig reiner, hat nie gezeugt, und ihn gezeugt hat keinen (112,1-4). Dieses Merkmal ist auch die große Scheidewand, mit der sich der Prophet bewußt von dem damaligen Christentum trennte. Jesus ist ein gottbegnadeter Prophet, vielleicht sogar ein sündloser Prophet, verdammt seien aber diejenigen, die ihn als den Sohn Gottes ansprechen, die dem Alleinigen einen Sohn beigeben wollen. Jesus ist ein Prophet, und die islamische Legende erzählt sogar, daß dieser Prophet, der sündloser war als Mohammed, nicht gekreuzigt wurde, sondern, vom Kreuz errettet, in den Himmel emporstieg. Gekreuzigt wurde ein Phantom. Doch war Jesus ein Mensch wie die andern, wie Mohammed, wie Moses, ein Mensch, der Göttliches verkündete, dessen Worte aber von den hilflosen Menschen verdorben, mißverstanden, vergessen wurden. Mohammed wollte sie der Menschheit in Erinnerung bringen.

Mohammeds Lehre hat wenig rituelle Bestimmungen, und auch sie dienen lediglich zur Aufrechterhaltung der Disziplin unter den Gläubigen. Auch kennt der Islam keine Hierarchie, kein Mönchstum, keine Priesterschaft. Der Mensch braucht keinen Vermittler, wenn er zu Gott spricht. Tempel und Gebetsversammlungen sind überflüssig. Überall, zu Haus, auf Reisen, allein oder in Gesellschaft anderer kann der Mensch zu seinem Gott beten. Jeder kann auch, wenn viele beten, der Vorbeter, der Imam sein. So gibt es im Islam auch keine Weihe, keine Scheidung der Menschen in Priester und Laien. Jeder ist sein eigener Priester. Nur das Gebet ist vorgeschrieben als Zeichen der Einheit, der Gemeinschaft der Gläubigen. Die Gemeinschaft der Muslims ist aber keine religiöse Gemeinde schlechthin. Sie ist, und das unterscheidet den Islam von anderen Weltreligionen, vor allem der Kern eines Staates. Die Zugehörigkeit zur Gemeinde ist in erster Linie soziale Pflicht. ›Bete zu Gott, sei gut zu den Sklaven, Waisen und Armen und verteile Almosen‹, heißt die sechsundsiebzigste Sure des Korans. ›Willst du den steilen Pfad des Glaubens besteigen?‹ heißt es an einer andern berühmten Stelle, ›so erlöse die Gefangenen, ernähre die Hungrigen, sei mitleidig und hilfsbereit. Verdammt seien die Frommen, die keine Almosen geben, die Wohltäter, die die Empfänger ihrer Gaben heimlich beschimpfen, oder die, welche Geld ausgeben und auch Almosen verteilen, damit andere sie beneiden sollen. Sie sind wie harte Felsen, auf denen nichts wachsen kann.‹ (Vgl. 90,11-20)

Der Islam erhob die Wohltätigkeit zu einer klar festgesetzten, genau umgrenzten religiösen Pflicht. Jeder Muslim, der mehr als zwanzig Kamele besitzt, muß alljährlich zweieinhalb Prozent seines Einkommens zur Verteilung bringen oder bei einer Stelle einzahlen, die das Geld von sich aus verteilt. Die Empfänger dieser Steuer wurden genau bezeichnet. Es waren die Armen, die Notleidenden, die Sklaven, die sich loskaufen wollten, die Schuldner, die ihre Schulden nicht bezahlen konnten, sowie Reisende und Ausländer, die in der Stadt fremd waren. Die Bedeutung dieses religiös fundierten, sozialen Gebotes für die Welt des Ostens kann heute rückwirkend kaum mehr erfaßt werden. Es war im Grunde genommen der erste Versuch einer Sozialversorgung der gesamten religiös und weltanschaulich geeinten Welt.

Überhaupt sind die sozialen Gebote im Islam überwiegend. Denn Prophet sein war in alten Zeiten mit den Aufgaben des sozialen Reformators und des zielbewußten Parteiführers identisch. Auch heute noch ist der Islam vor allem ein soziales System, das notwendigerweise auf dem göttlichen Gebote fußt. Die soziale Umwälzung, die der Islam verkündete, war für Arabien ungeheuer. Der Islam wollte die jahrtausendealte Gemeinschaft des Sippendaseins sprengen. ›O Gläubige‹, heißt es in Sure 4, Vers 134, ›haltet euch an die Wahrheit und an die Gerechtigkeit, selbst wenn die Wahrheit gegen eure Verwandten ausfällt. Gott ist euch näher als alle Menschen.‹

Wenn aber der Koran die Blutsbande der Verwandtschaft löst, so errichtet er eine neue Verwandtschaft des Menschen mit der Natur. Im Gegensatz zu vielen anderen religiösen Systemen erkennt der Koran die Seele des Tieres an und erhebt die Milde zu allem Lebenden zu einem religiösen Gebot. ›Ihr werdet belohnt, wenn ihr Tiere gut behandelt, füttert und ihren Durst stillt, denn es gibt kein Tier auf Erden und in der Luft, das nicht zu Gott zurückkehren würde.‹

Der hohe Idealismus ist im Islam mit überaus praktischem Sinn gepaart. Mohammed war ein exaltierter Praktiker, eine seltene, aber stets fruchtbare Erscheinung. Er wollte die Menschheit ethisch heben und wußte sich hierzu äußerst praktischer Wege zu bedienen. Denn, das muß immer wieder betont werden, der Islam, die jüngste Weltreligion, wurde von einem Kaufmann gegründet und noch dazu von einem arabischen Kaufmann. Die angeborene Nüchternheit der arabischen Rasse, gepaart mit dem praktischen Sinn eines Kaufmanns, mit der Fähigkeit, die realen Möglichkeiten zu sehen und auszunutzen, schuf hier eine Religion, die in ihrer sachlichen Klarheit, in ihrer Verleugnung jeglicher Mystik alles andere weit übertrifft.

Und doch war gerade die ethische Bedeutung des Islam für die arabische Welt unabschätzbar. Erst Mohammed schuf in Arabien den Begriff der Sünde, den Arabien vor ihm nicht gekannt hatte. Der arabische Mensch wußte, was Schaden ist, und verstand es meisterhaft, Schadenersatz zu verlangen. Daß es darüber hinaus noch eine Sünde gab, erfuhr er erst durch Mohammed. Die Forderungen, mit denen Mohammed auftrat, waren gering. Gebet, Fasten und Almosen waren die drei äußeren Merkmale des Islam. Das Gebet war in erster Linie eine Form und Übung der Disziplin.

In dieser ersten Periode des Islam fühlte sich Mohammed noch einig mit dem Juden- und Christentum. Deshalb mußte sich der Gläubige beim Gebet mit dem Gesicht zur heiligen Stadt Jerusalem, zur Heimat zweier großer Religionen wenden.

Das Fasten im Monat Ramaḍān war ein weiteres Mittel zur Disziplin. Einen Monat lang darf der Mensch vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung keine Speise berühren. Denn der Drang zum Essen, zum maßlosen Vertilgen großer Speisemengen, ist nach dem Geschlechtstrieb die größte Lust des primitiven Menschen. Diese Lust mußte der Mensch zum Zeichen der inneren Disziplin einmal im Jahr Gott opfern.

Auch die Erfüllung aller sonstigen Riten des Islam ist im Grunde genommen unwesentlich, religiös nebensächlich. ›Gott vergibt alles, nur nicht, daß man ein anderes Wesen neben ihn stellt‹ (4,51), heißt es im Koran. Unerbittlich verlangt der Islam nur den Glauben an den einzigen Gott, an seine Propheten, die das Wort Gottes verkünden, und an das Leben nach dem Tode, an die Vergeltung der irdischen Taten. Aus diesen wenigen Dogmen schuf Mohammed eine Welt, eine ethische Weltanschauung, die, wie die Geschichte des Islam gezeigt hat, gleichermaßen geeignet ist, einen primitiven Neger und einen sensiblen Philosophen zu befriedigen.

Die ganze islamische Lehre ist in einer einzigen großartigen Vision am Berge Hirāʾ verkörpert. Was hinzukam, war Weiterentwicklung des ursprünglichen Grundgedankens. Dies ist aber auch das größte Wunderwerk Mohammeds. Mit den einfachsten, primitivsten Mitteln wurde hier aus einem religiösen Nichts eine in sich geschlossene, ethische und soziale Lehre geschaffen, die sich als fähig erwies, Jahrhunderte hindurch das Leben eines großen Teils der Menschheit positiv zu gestalten. Der ursprüngliche Islam war, und das ist das wichtigste an ihm, nicht nur Religion, sondern soziale Lebensform. Er schuf neue, nie dagewesene soziale Formen, bildete Rechts- und Staatstheorien, die bis heute ihre Anziehungskraft nicht verloren haben, und setzte an Stelle des sozialen, religiösen und politischen Wirrwarrs, der um das Jahr 600 im Orient herrschte, ein Weltreich, das zum Kulturzentrum der damaligen Welt wurde.

»Suchet die Weisheit, auch wenn ihr bis nach China vordringen müßtet«, sagte einst Mohammed, denn in ihm lebte die weltmännische Toleranz des Kaufmanns. Aber auch die Strenge des vornehmen Kaufherrn lag ihm nicht fern. Er wußte, daß ihm ein steiler Weg bevorstand, und er wollte alles von diesem Weg entfernen, ›womit der Mensch an der Erde klebt‹. Luxus und Rauschmittel verbot er, aber gleichzeitig auch Tanz und Musik, denn er, der vom Worte berauscht war, kannte die magische Kraft des Tanzes, des Tons, der Bewegung, kannte die heidnische Macht, die dämonische Ekstase, in die der Mensch durch sie versetzt wird. Er, Mohammed, brauchte keinen künstlichen Rausch, keine künstliche Ekstase, er kannte den steilen Weg. Seine Lehre war klar und überwältigend, nüchtern und gleichsam berauschend wie der Sand, wie die Luft der Wüste.

Im Jahre 4 der Sendung trat er, der ungelehrte Kaufmann, vor das Volk zu Mekka. Er verkündete nüchtern und doch vor innerer Ekstase fiebernd, kühl, berechnend und dennoch von seinen eigenen Worten hingerissen den einzigen, weltumstürzenden Satz:

» Es gibt keinen Gott außer Allāh, und Mohammed ist sein Prophet!«


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