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Ein Graben und sehr viele Juden

Wen der Herr liebhat, den züchtigt er.

Hebr 12,6

Als der Prophet das Volk der Banū Naḍīr aus der Stadt seiner Macht vertrieb, zogen sie in die Wüste, um bei fernen Sippen Schutz und Zuflucht zu finden. Wenige Tagereisen von Medina liegt die blühende Wüstenkolonie Ḫaibar, ein Kranz von Oasen. In den Wüsten war Ḫaibar reich und gefürchtet. Die edlen und mutigen Krieger, die dort im Schatten der Palmen wohnten, waren Juden. Mutig und vornehm war das Kriegsvolk von Ḫaibar, es war aber nicht so edel wie das Volk der Banū Naḍīr. Bei den Judensippen Arabiens galten die Banū Naḍīr als die Blüte der Menschheit, denn sie stammten, Sagen zufolge, direkt von dem Propheten Aaron, von dem Hohepriester der Juden. Deshalb empfing das Volk von Ḫaibar die Banū Naḍīr ehrerbietig. Man gab ihnen Land und Palmen, baute ihnen Häuser und versprach, sie mit der Macht der Waffen zu schützen. Denn in Ḫaibar lebten fromme Juden, die den Samen Aarons ehrten. Je mehr aber das Volk von Ḫaibar das Ansehen Aarons ehrte, desto größer war sein Groll gegen den falschen Propheten, der die edelste Sippe der Wüste gedemütigt hatte.

In alle Windrichtungen sandten jetzt die Bewohner von Ḫaibar ihre Boten zu allen Judensippen, zu allen freundschaftlich gesinnten Stämmen der Wüste. Sie verbreiteten die Nachricht von dem verräterischen Beherrscher Medinas, der als Gast in die Stadt kam, um Schutz und Obdach bat und dann seine Gastgeber vertrieb, ihr Eigentum raubte und alle Schwüre brach, die er selbst den Juden vorgeschlagen hatte. Die Beduinen, Juden und Araber, hörten den Worten andächtig zu, schüttelten den Kopf und tadelten das Verhalten des Propheten. Wenn aber die Boten von Rache und Krieg zu sprechen begannen, zuckten sie bedenklich mit den Schultern und sagten: »Wir sind arme, einfache Beduinen, was geht uns euer Streit an? Wenn wir unser Leben, unsere Kamele und Pferde riskieren sollen, so versprecht uns einen Teil der Beute und zahlt uns einen Teil dieses Teils im voraus.« Der Haß der frommen Leute aus Ḫaibar war aber so groß, daß sie ihre Dattelernte verpfändeten und ihr Geld opferten, um die Völker der Wüste zum Kampf zu begeistern.

Zahlreich sind die Sippen der Wüste, und gierig sind ihre Scheichs. Das Gold von Ḫaibar genügte ihnen nicht. Da erhob sich der fromme Jude Ḫuwai und mit ihm Kināna ibn Ḫuzaima, Hanǧāʾ ibn Qais und der Ḥanīfe Abū ʿĀmir. Diese vier ritten nach Mekka. In Mekka war Gold, und in Mekka glühte der Haß gegen Mohammed am heißesten. In Mekka begaben sie sich zu Abū Sufyān und sprachen: »O Abū Sufyān, dein Glaube ist besser als der Glaube Mohammeds, und dein Schwert ist stärker als sein Schwert. Wir wollen zusammen gegen Mohammed kämpfen, denn wir hassen ihn wie du!« Da schloß Abū Sufyān ein Bündnis mit den Juden.

Von nun ab floß Gold durch die Wüste. Die Stämme erhoben sich und schwuren bei allen alten Göttern, den Wüstenräuber Mohammed zu vernichten. Abū Sufyān und das Volk der Juden konnten des Sieges sicher sein. Doch war Abū Sufyān Kaufmann, und das Geschäft war ihm wichtiger als der Krieg. Er wartete daher auf das Ende der Pilgermonate, auf das Ende der großen Messe. Erst dann versammelte er die Sippen zum Kampf.

Eine ungeheure Armee zog jetzt gegen Medina. Zehntausend Mann führte Abū Sufyān. In einem Lande, in dem eine Schlacht von dreizehnhundert Mann bereits ein Ereignis war, hatte man ein Heer von zehntausend Mann bisher noch nie gesehen. Mit Siegesgesängen zog das Heer durch die Wüste. Jeder Scheich, jeder Anführer, ob Araber oder Jude, berechnete im voraus, wie groß sein Anteil an der Beute sein würde. An der Spitze des Heeres ritt aber der vornehmste aller Araber, Abū Sufyān, und neben ihm ritten die Kriegstüchtigsten der Mekkaner, Ḫālid ibn al-Walīd und ʿAmr ibn al-ʿĀṣ. Diese drei Führer des großen Heeres zogen gegen Medina, um den Propheten zu vernichten. Keiner ahnte, wie eng das Schicksal aller drei einst mit dem Namen Mohammed verknüpft sein sollte. Denn der Sohn Abū Sufyāns, der Sohn Hinds, die die Leber des Ḥamza fraß, war Muʿawiya, der fünfte Kalif des Islam, der Gründer der Dynastie der Umaiyaden, der glänzenden Dynastie des Kalifats. Ḫālid ibn al-Walīd, dem edlen Reiter, und ʿAmr ibn al-ʿĀṣ, dem listigen Hetärensohn, Diplomaten und Dichter, verdankt der Islam die großen Siege über Asien und Afrika, über Byzanz und Persien. Die Siege, welche allein erst die Weltmacht des Propheten, die Weltmacht der Kalifen begründeten. Jetzt zogen sie alle an der Spitze von zehntausend Mann durch die Wüste, um den Propheten und die Stadt Medina zu vernichten.

Durch seine geheimen, in der Wüste verstreuten Anhänger erfuhr Mohammed von dem Herannahen des großen Heeres. Der Schrecken, den diese Nachricht in Medina verbreitete, war ungeheuer. Man vergaß die schönen Sklavinnen, man kümmerte sich nicht mehr um die gestatteten und verbotenen Freuden des Daseins. Man dachte nur an das große Heer, das größer war als sämtliche bisher dagewesenen Armeen ganz Arabiens. Erfahrene Krieger, große Raubritter, ja sogar Mohammed selbst waren ratlos. Zwar wußte Mohammed, daß die Stadt Gottes nicht untergehen konnte, doch entsann er sich wohl seines eigenen Spruches: ›Zuerst binde das Kamel fest an den Baum, erst dann vertraue es dem Schutze Gottes an.‹ Wo aber dieser Baum war, an den man das Kamel jetzt binden sollte, das wußte Mohammed nicht. Alle Kriegsmittel, alle Verteidigungsarten, die die Araber kannten, waren gegen das Riesenheer machtlos. Man konnte dem Feind nicht im offenen Kampf entgegentreten. Man konnte wohl in den engen Straßen kämpfen und sich in die Burgen zurückziehen, doch schien nichts von all diesen Möglichkeiten Rettung zu verheißen. Wenn man aber von den Burgen absah, so war die Stadt Medina völlig ungeschützt. Festungsmauern hatte sie nicht; man konnte sich nur auf den natürlichen Schutz der Hügel, Felsen und Abgründe verlassen. Drei Seiten der Stadt Medina waren auf diese Weise geschützt, die vierte Seite lag aber breit, eben und kahl vor dem Feinde. Hier konnte das Heer ungehindert in die Stadt eindringen. Niemand wußte, wie man sich gegen das ungeheure Heer verteidigen sollte. Angst, Furcht und Verzweiflung herrschten in Medina. Die Krieger des Propheten waren an primitive Kriegsführung gewöhnt, keiner war in den höheren Kriegslisten erfahren, und niemand von den Arabern hatte je ein Heer von zehntausend Mann gesehen.

Doch war der Islam nicht nur der Glaube der Araber. Der Islam wandte sich an alle Völker der Welt, und viele Völker waren in der Stadt des Propheten vertreten. Einst, als der Prophet nach der großen Flucht erschöpft das Dorf Qubāʾ erreicht hatte, war zu ihm bekanntlich ein fremdländischer Sklave, der Perser Salmān, gekommen. Er bekannte sich zum Islam und wurde als gleichberechtigtes und freies Mitglied in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen. Dieser Perser sollte jetzt den Staat Gottes retten. Salmān war ein vielgereister und erfahrener Mann. Durch Persien und Byzanz, durch die kriegerischen Kulturstaaten der alten Welt hatte sein Weg geführt. Er hatte dort nicht nur die Klöster besucht, nicht nur weise Grübler und Prediger gesehen, sondern auch beobachtet, wie durch die Felder des Iran das Heer des Kaisers von Byzanz zog, wie Krieger des heiligen Feuers die Festungen des Römerreiches belagerten. Er hatte viel gehört von mutigen Feldzügen und Kriegslisten. Dies alles bewahrte er in seinem klugen persischen Kopf. Jetzt sollte ihm das zugute kommen. Er begab sich zum Propheten und erteilte ihm einen weisen Ratschlag. Durch das ganze breite Feld, das den Weg nach Medina freigab, sollte von einem Berg zum andern ein breiter Graben gezogen werden. Hinter diesem Graben sollte das Heer des Propheten den Feind erwarten. Dieser Graben mußte die Eroberung Medinas verhindern. Das war eine primitive Idee. Ein Feldherr der großen Herrscher von Byzanz oder Iran hätte mitleidig darüber gelächelt. Dem Propheten gefiel der Vorschlag. Sofort begann er mit der Arbeit. Tag und Nacht grub man voll Eifer. Salmān, der Ingenieur des Propheten, leitete die Arbeit, und der Prophet selbst half als einfacher Arbeiter mit. Endlich war der große Graben fertig. Er trennte Medina von der Welt der Wüsten und Steppen. Hinter ihm lagerte das kleine Heer und harrte gespannt des Gegners.

Langsam und siegesbewußt näherte sich das Heer der Zehntausend. Bald sah es von weitem die Burgen von Medina, ahnte den Sieg und zitterte vor Beutegier. Voran ritt Abū Sufyān und hielt Ausschau. Plötzlich entdeckte er von weitem etwas Merkwürdiges und Verwirrendes. Beim Näherkommen erblickte er den breiten Graben. Abū Sufyān war ein guter Kaufmann, klug und kriegstüchtig war er aber nicht. Das unerwartete Hindernis verwirrte seine Sinne. So etwas hatte er noch nie gesehen. Er stand wie gelähmt vor dem Graben und starrte fassungslos auf die andere Seite. Er war von der List des Gegners sichtlich erschüttert. Hinter ihm stand das Heer der Zehntausend, starrte gleichfalls auf den Graben und war genauso überrascht wie sein Führer. Wie sollte man über diesen Graben kommen? Man war auf einen harten Kampf gefaßt, auf eine edle Verteidigung mutiger Ritter. Aber ein Graben? Das überstieg das Begriffsvermögen der simplen Wüstenkinder. Betroffen blickte man einander an, schüttelte die Köpfe und war ratlos. Ein Graben war in der arabischen Kriegskunst nicht vorgesehen. Man wußte nicht, was man mit ihm anfangen sollte. Wie ein Huhn an einem Kreidestreifen, blieb das Heer wie hypnotisiert an dem Graben stehen. Zunächst mußte die Erschütterung innerlich verarbeitet werden. Später konnte man an weitere Maßnahmen denken.

Es ist eine Groteske, die für die einfache Art der Beduinen bezeichnend ist. Der unerwartete Graben hielt den siegreichen Feldzug der Zehntausend tatsächlich auf. Man schlug, immer noch fassungslos, die Zelte auf und begann, da nichts anderes übrigblieb, mit der Belagerung. Denn was sollten in der Tat zehntausend Beduinen gegen einen Graben unternehmen? Krieg bedeutete für sie offenen Kampf im Felde. Wo der aufhörte, hörte auch ihr Verstand auf. Hinter dem Graben wachte das Heer des Propheten, freute sich des unerwarteten Erfolges und wartet, was nun kommen würde.

Das nun Folgende erinnert nur wenig an einen Heldenkampf altarabischer Recken. Tagtäglich erschienen am Rande des Grabens Mekkaner, Juden und Beduinen. Sie beschimpften das Heer der Frommen aus Leibeskräften und in allen Tonarten. »Was seid ihr für Krieger«, donnerten sie, »wenn ihr euch hinter einem Graben versteckt? Ist das ein Krieg, der des Arabers würdig wäre? Haben unsere Väter oder Großväter so gekämpft? Feige Hunde seid ihr und keine Araber! Kommt herüber und zeigt, was ihr könnt!«

Naturgemäß ließ sich das wackere Prophetenheer nicht aus der Fassung bringen. Es saß gut und sicher hinter dem breiten Graben und ließ sich durch das Geschrei der Heiden nicht weiter anfechten. Hin und wieder versuchte ein kühner Heide über den Graben zu klettern. Man ließ ihn auch herüberkommen, um ihn dann feierlich und voll Stolz zu erschlagen. So verging mit Beschimpfungen und gelegentlichen Pfeilschüssen ein Tag nach dem andern. Die Stimmung bei dem Riesenheer begann sich sichtlich zu verschlechtern. Das hatte seine guten Gründe. In der Hoffnung auf einen raschen und entscheidenden Sieg hatte sich Abū Sufyān mit dem Feldzug Zeit gelassen. Er wartete, bis die Pilger der Festmonate Mekka verlassen hatten, und brach erst auf, als die Ernte von den Feldern bei Medina schon eingebracht war. Jetzt, als die Belagerung begann, stellte sich heraus, daß die Ernte unerreichbar und wohlbehütet in Medina lagerte. Das Heer der Zehntausend, das aber auf diese Ernte spekuliert hatte, war nun ohne Nahrung. Die Beduinen, die nicht ohne beträchtlichen Vorschuß und in der Hoffnung auf leichte und große Beute in den Krieg gezogen waren, mußten jetzt zusehen, wie ihre Kamele abmagerten und ihre Zeit nutzlos verstrich. Ihre Kriegsbegeisterung flaute sichtlich ab.

In dieser Situation entschloß sich Abū Sufyān, einen allgemeinen, großen Sturm zu wagen. Da aber seine Hoffnung auf Sieg nicht groß war, beschloß er, mit dem letzten Judenstamm von Medina, den Banū Quraiẓa, die außerhalb der Stadt in einer großen Burg hausten, in Verbindung zu treten. Die Banū Quraiẓa, die ja Untertanen des Propheten waren, willigten ein, ihren Schwur zu brechen, da auch der Prophet seinen Schwur gegen die beiden andern Judenstämme Medinas gebrochen hatte, und sie versprachen, dem Heere Mohammeds in den Rücken zu fallen. Daraufhin erteilte Abū Sufyān den Befehl, den großen Sturm vorzubereiten. Tagelang dauerten die Maßnahmen. Als es endlich soweit war, stellte sich plötzlich heraus, daß der Tag des Sturmes gerade auf einen Sonnabend fiel. Da erklärten die Banū Quraiẓa und mit ihnen alle Judenstämme des Heeres, daß sie unter keinen Umständen bereit wären, die heiligsten Gebote ihrer Väter zu brechen und an einem Sabbat die Last des Kampfes auf sich zu laden. Als aber Abū Sufyān die Juden doch zum Kampf bewegen wollte, erklärten die Juden aus Ḫaibar klipp und klar, daß sie das ganze Unternehmen für verfehlt hielten und durch ihre weitere Teilnahme am Kampf nicht noch die Rache des Propheten auf ihre Glaubensbrüder in Medina heraufbeschwören wollten. Auch andere Sippen, durch geheime Propagandisten Mohammeds beeinflußt, schienen keine große Lust mehr zum Kampf zu haben. Noch einige Tage hielt man aus, noch einige Scharmützel fanden statt, dann hatten die Beduinen die Sache endgültig satt.

Eines Tages bedeckte sich der Himmel mit Wolken, ein Wolkenbruch stürzte herab, tosender Orkan drang aus der Wüste und warf die Zelte der Nomaden um. Darauf erklärten die Beduinen das Ganze für ein Zauberwerk Mohammeds. Gegen eine Zauberei und noch dazu gegen die eines Feiglings konnten und wollten sie aber nicht kämpfen. Abū Sufyān blieb nichts anderes übrig, als das Gesicht zu wahren. Er schrieb an Mohammed einen Brief, beschuldigte ihn der Feigheit und des Verrats an allen guten arabischen Kriegssitten und schwor, bei Gelegenheit blutige Rache zu nehmen; dann bestieg er sein Kamel und erteilte den Befehl zum Rückzug.

Die Koalition gegen Mohammed zerfiel in heilloses Durcheinander. Der Prophet und der Staat Gottes waren gerettet. Das Heer der frommen Anṣār und Muhāǧirūn kehrte unbesiegt nach Medina heim. Dies geschah am 15. April des Jahres 627.

Jetzt war die Stunde der letzten Judensippe von Medina, der Banū Quraiẓa, gekommen. Mohammed wußte von den Verhandlungen, die sie mit dem Heer der Quraiš geführt hatten, und beschloß, mit ihnen abzurechnen. Am Tage, als Abū Sufyān die Belagerung Medinas aufgab, zog Mohammed mit seinen Kriegern vor die Burgen der Banū Quraiẓa. Wieder begann eine Belagerung.

Die Juden konnten sich zu keinem bewaffneten Widerstand aufraffen. Sie hatten sich in ihre Burg zurückgezogen und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Nach fünfundzwanzig Tagen ergaben sie sich dem Propheten auf Gnade und Ungnade. Sie hofften wohl, daß sie gleich ihren Stammesbrüdern freies Geleit aus der Stadt erhalten würden. Der Prophet war aber nicht mehr geneigt, Gnade walten zu lassen. Nur auf Fürsprache der Aus, die seit alters her Freunde der Banū Quraiẓa waren, entschloß er sich, die Entscheidung einem Schiedsrichter zu übergeben. Zum Schiedsrichter ernannte er einen frommen Krieger aus dem Stamme Aus. Dieser Krieger hieß Saʿd ibn Muʿāḏ.

Saʿd ibn Muʿāḏ war ein dicker, vollblütiger Mann, der zu Wutausbrüchen geneigt war. Er galt als ein Freund der Juden. In einem Scharmützel hinter dem Graben war er schwer verletzt worden und lag jetzt in hoffnungslosem Zustand darnieder. Die Wunde schmerzte sehr, Saʿd wußte, daß seine Tage gezählt waren. Er hielt die Juden wegen ihres Bündnisses mit den Quraiš für die einzigen belangbaren Urheber seines Todes. Mit Mühe wurde der schwere, tödlich verwundete Mann aus dem Zelte getragen, auf einen Esel gesetzt, mit Kissen umgeben und von allen Seiten gestützt. So führte man ihn zum Orte des Gerichts. Dort angelangt, forderte er von allen Anwesenden, daß sein Urteil bedingungslos erfüllt würde. Als erste schwuren die Juden. Sie taten es gern. Denn Saʿd war ihr alter Freund, auf seinen Spruch konnte man sich verlassen.

Darauf richtete sich der Sterbende im Sattel auf und verkündete: »Alle Männer der Banū Quraiẓa sollen hingerichtet, die Frauen und Kinder aber in die Sklaverei verkauft werden.« Mohammed protestierte nicht gegen das Urteil. Es entsprach genau seinen Wünschen. Allerdings versprach er diejenigen zu begnadigen, die sich zum Islam bekennen würden.

Am Morgen des nächsten Tages schaufelte man auf dem breiten Marktplatz tiefe Gruben. Inmitten der Stadt Medina sollte sich jetzt der alte grausame Orient an Blut berauschen. Der Islam zeigte seine Krallen. Gefesselt, der Reihe nach, wurden die Juden auf den Marktplatz geführt. Man brachte sie bis zum Rande der Gruben und schlug ihnen den Kopf ab. Der Kopf fiel hinab, der Körper folgte ihm. – Die Juden von Medina hatten nicht verstanden, heldenhaft zu leben, sie verstanden dafür, heldenhaft zu sterben. Kein einziger aus dem ganzen Stamm der Banū Quraiẓa verriet seinen Glauben, um das Leben zu retten. Sie starben schweigend und heldenmütig. Sie sahen, wie zahllose Männer vor ihnen hingerichtet wurden, und wußten, daß ihr Kopf den Köpfen ihrer Stammesbrüder folgen würde.

Bald waren die Gruben voll. Blut floß über den Marktplatz. Abseits standen der Prophet und die Führer des Islam. Sie blickten der Hinrichtung zu und schwiegen. Denn in Blut werden die Welten geboren. Der Tag ging zu Ende; immer noch brachte man gefesselte Juden zum Richtplatz. Bald brach die Nacht herein, und der Prophet befahl, große Fackeln anzuzünden, damit das Volk der Gläubigen sehen könnte, wie auf dem Marktplatz von Medina das Blut der Feinde vergossen wurde. Von Fackelschein erhellt, inmitten der blutigen, besudelten Stadt, leuchtete in rötlichem Glanz das unbewegliche Gesicht des Herrschers Mohammed, des Gesandten Gottes.

siehe Bildunterschrift

8. Ansicht von Mekka über die nordwestliche (rechts) und südwestliche Seite (links) der Moschee hinaus. Historisches Foto, 1889.

Unter den Quraiẓa gab es einen Juden namens Zubair. Dieser Jude hatte einst das Leben des großen muslimischen Kriegers Ṯābit gerettet. Jetzt erkannte ihn Ṯābit in der Schar der Verurteilten. »Du bist mein Wohltäter und Retter, o Zubair«, sagte Ṯābit zu dem Juden, »ich will dir jetzt das vergelten, was du einst Gutes an mir getan hast.« Er ging zum Propheten und bat für das Leben Zubairs, für das Leben seiner Familie und für den Reichtum, den der Jude besaß. Und da Ṯābit aus dem Stamme Aus ein großer Krieger und frommer Muslim war, gewährte ihm der Prophet die Bitte. Freudestrahlend lief der Krieger zu Zubair und überbrachte ihm die Nachricht. Der Jude aber sagte: »Führe mich auf den Richtplatz, denn ich möchte meinen Brüdern folgen, die dort starben und sterben werden. Ich möchte mein Leben nicht aus den Händen des blutdürstigen Mannes empfangen, der alle um mich töten ließ. Denn der Eimer meines Lebens ist ausgeflossen, und ich warte mit Ungeduld, daß ich mit meinen Freunden wieder vereint werde.« Nach diesen Worten ging der greise Jude zur Richtstätte und wurde von ʿAlī enthauptet, denn der Vetter und Schwiegersohn des Propheten übte an jenem blutigen Tage das Amt des Scharfrichters aus. Der Jude Zubair wurde von den späteren Generationen nicht vergessen. Seine Handlung galt bei dem Volke der Araber, bei allen Gläubigen als das Musterbeispiel eines Heldentodes. Bis heute wird sein Andenken bei den Völkern der Wüste geehrt, denn der Islam war der erste Glaube, in dem Theologen und Kirchenväter Ehrfurcht und Bewunderung vor dem Heldentum Andersgläubiger aussprechen durften.

So endeten die Juden von Medina. Ihre Vergehen waren nicht zahlreich. Sie schützten sich, wie sie konnten, suchten Frieden und fürchteten sich vor der Macht des Feindes. Doch erfanden sie bissige Witze über den Propheten, sangen freche Lieder, hörten sein Wort nur, um ihm zu widersprechen, dachten dort, wo Gehorchen am Platz war, und klammerten sich fest an den uralten, aus ferner Heimat mitgebrachten Glauben, an die kecke, übermütige Art ihres Wesens. Das wurde ihnen zum Verhängnis. Der Prophet konnte sie nicht mehr in dem Staate dulden, in dem allein das Wort Allāhs und seines Propheten regieren sollte. Die Banū Quraiẓa verstanden heldenmütig zu sterben. Manche Feigheit im Leben wird durch das Heldentum ihres Todes aufgewogen.

Medina, die Stadt des Propheten, wurde jetzt zu dem einheitlichen Staat der Gläubigen, in dem der Prophet, dem frechen Spott Andersdenkender unerreichbar, über die große Gemeinde der Muslims herrschen konnte.


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