Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Die verstummte Laute

              Sie mochte gern an seiner Schulter lehnen
In einem weichen Abenddämmerlicht,
Sie barg vor ihm das Rieseln ihrer Tränen,
Den halbenthüllten Reiz der Seele nicht:
»Freund, einzger Freund auf diesem düstern Eiland,
Ich welke! Chastelard, auch du bist bleich!
Schlag deine Laute! Singe mir von weiland!
Von meinem ersten Königreich!«

Er stürmte durch die Saiten: »Jener Tage
Ins Meer gesunkne Sonnen sind verblasst!
Maria Stuart! Ich erhebe Klage,
Dass du geschluchzt an meinem Herzen hast!
Mit deinen Tränen bade hier dem reinen,
Entseelten Gott die Marmorfüsse bleich –
Weib, sündlich ists vor einem Menschen weinen
Mit diesen Augen warm und weich!

Was war ich dir? Der nichtige Vertraute!
Ein Echo, das von deinen Seufzern scholl!
Ein Spiegel, drin sie eitel sich beschaute,
Die Zähre, die dir an der Wimper quoll!
War dir die Laute nur, darauf zu breiten
Die Fingerspitzen, und ich hallte schön –
Ich hasse dich!« Er riss entzwei die Saiten
Mit einem gellen Missgetön.

Er floh davon, hinaus in Wald und Wildnis,
Doch wo er lechzend schlürft' aus einem Quell,
Sah er im Brunnen ein geliebtes Bildnis
Aus naher Tiefe schimmern dunkelhell,
Sah er ein blasses Angesicht in Zähren,
Es schwand und blickte wiederum empor,
Von Sehnen und Erfüllen und Gewähren
Rauschts um den Born in Schilf und Rohr.

»Maria!« so beginnt in ihrer Kammer
Am Lager kniend sie das Nachtgebet.
»Maria!« wiederholt voll Glut und Jammer
Ein Mund, der neben ihr im Dunkel fleht.
Sie schreit. Man kommt. Von Fackelglut gerötet
Bebt sie vor Zorn: »Ein Mörder! Fesselt ihn!«
Er lächelt: »Ist sie schön! Auch wenn sie tötet!«
Und gibt den Schergen sich dahin.

Er schreitet seinem Blutgerüst entgegen
In einem klaren kühlen Morgenrot,
Mit hohlen Blicken flüstert angelegen
Als hagrer Pater der vermummte Tod:
»Freund du bekommst es gut! Du wirst entlastet!
Ich absolviere dich von Lust und Pein!
Von keiner weichen, weissen Hand betastet,
Wirst du die stumme Laute sein!«

 


 


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