Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Das Gemälde

            Trüb brennt der Schenke Kerzenlicht,
Der Wirtin junges Angesicht,
Ermüdet, schlummertrunken,
Nickt auf die Brust gesunken,
Denn schon ist Mitternacht vorbei.
Am Schiefertische spielen zwei,
Die weissen Würfel schallen,
Schlecht ist der Wurf gefallen –
Ein junges wildes Augenpaar
Droht aus verworrnem Lockenhaar:
»Das war mein letztes Silberstück!
Doch wenden muss sich jetzt das Glück!
Du, Alter, musst mir borgen!
Wir spielen bis zum Morgen!«
Mit grünen Katzenaugen blitzt
Der andre, der im Dunkel sitzt:
»Lass dich zu Bette legen,
Die Mutter spricht den Segen!«
Des Jungen Faust zerdrückt das Glas
Mit einem Fluch – »Kind, weisst du was?
›Ein Schlösslein steht auf grünem Plan‹,
So fängt ein altes Märchen an.
Ich meine das im Walde,
Hier oben an der Halde.
Verschlossen sind die Fenster,
Drin hausen nur Gespenster
Für den, der an Gespenster glaubt –
Sobald das Jahr den Wald entlaubt,
Macht sich der Herr von hinnen
Von diesen luftgen Zinnen –
Schwelgt in der Stadt im Marmorsaal
Und spielt bei lustgem Kerzenstrahl.
Kling, kling! Ich hör es klingen,
Wie goldne Füchse springen ...
Dein Vater – ward mir recht gesagt? –
War Pächter und ist ausgejagt ...
Da weisst du droben ein und aus,
Du kennst den Hund, du kennst das Haus –
Ich borge mir mein Spielgeld frisch
Von dieses reichen Mannes Tisch!
Nimm, was da liegt, nimm was da steht,
Ein Prunkgeschirr ein Goldgerät,
Mir darfst dus gleich verhandeln,
Ich kanns in Münze wandeln.
Von selber öffnet sich der Schrein,
Du müsstest nicht ein Schlosser sein ...«
Der Bursche lauscht mit dumpfem Hirn
Dem höllischen Gemunkel,
Ein Schatten steht auf seiner Stirn,
Ein Schatten tief und dunkel:
Und wieder leis und lüstern
Beginnt das grimme Flüstern:
»Kurt, sieh den Lauf der Welt dir an!
Was wohl gelingt, ist wohl getan!
Betrachte dir die Taten
Der grossen Diplomaten,
Die klugen Herrn verstehn den Pfiff,
Ein leiser Schritt, ein sichrer Griff!
Dann spielt man hübsch Verstecken
Und lässt sich nicht entdecken –
Du blickst so wild, als wolltst du mich
Erstechen, Kurt, besinne dich!
Wo suchst du deine Schlüssel, Kurt?
Du trägst den ganzen Bund am Gurt!« ...
Er stürzt hinaus, empört, betört,
Die Wirtin, die ihn schreiten hört,
Lallt halb im Traum, sie weiss nicht wie:
»Wie gehts der Mutter? Grüsse sie!«
Er taumelt in die Nacht hinaus,
Um seine Stirn fliegt ein Gebraus
Betrunkener Gedanken
Und seine Schritte wanken.
Er stürmt empor die Strecke
Zum Schloss auf Schnees Decke,
Das Gitter übersteigt er leis,
Und knisternd bricht das Tannenreis,
Er schleicht und nach der Leiter langt
Er, die am Dach der Scheune hangt,
Er steht am Herrenhause schon,
Er klettert über den Balkon,
Sein Herz, er hört es pochen ...
Und hat die Tür erbrochen.
Rasch ist ein Wachslicht angebrannt,
Laut kracht es in der Täfelwand,
Ihm steigt das Haar, hin starrt er wild
Und sieht ein farbenlieblich Bild,
Von lichtem Reif umgeben,
Sich aus dem Düster heben.
Den Schlummer eines Knaben sieht
Er, neben dem die Mutter kniet,
Die blauen Augen strahlen licht
Von einer guten Zuversicht.
Nicht kann den Blick er wenden
Von diesen flehnden Händen ...
Da muss mit Tränenbächen
Die harte Rinde brechen –
Dumpf klirrend fällt der Schlüsselbund.
Die Mutter dankt mit frohem Mund.
Er flüchtet über den Balkon,
Die Leiter trägt er schnell davon,
Als wandelt er auf Gluten –
Und wendet sich zum Guten.

 


 


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