Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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La Blanche Nef

        »Herr König, ich bin Steffens Kind,
Der den Erobrer einst geführt!
Es ist ein Lehn, Dass mein Gesind
Mein Schiff allein den König führt!

Voraus den schnellsten Seglern fliegt
Mein Boot, La Blanche Nef genannt,
Es weiss, wo sichre Tiefe liegt,
Es furcht das Meer, es kennt den Strand!«

»Nicht mich, doch meinen besten Hort,
Vier Königskinder, führest du
– Sie knospen, weil mein Leben dorrt –
Die junge Normandie dazu!

Gelobe mir dein himmlisch Teil,
Gelobe mir dein männlich Wort:
Du bringst an Leib und Seele heil
Die Kinder mir nach England dort!«

»Ich schwöre dir mein himmlisch Teil,
Ich schwöre dir mein männlich Wort:
An Leib und Seele bring ich heil
Die Kinder dir nach England dort!«

Des Schiffers geller Pfiff erscholl,
In See das Boot des Königs stach –
Ein Korb von frischen Blumen voll
Glitt Blanche Nef, la Belle, nach.

So leichtbeschwingt wie nie zuvor
Durchfurchte Blanche Nef die See
Mit ihrem kräftgen Knabenflor
Und Mägdlein schlank wie Hirsch und Reh.

Die Königskinder hell und zart
Erhöht inmitten sassen sie,
Ringsum gepaart in Zucht und Art
Das Edelblut der Normandie.

Vier Stimmen sangen frisch und schön
Und hundertstimmig scholl der Chor,
Es zog das junge Lustgetön
Die Nixen aus der Flut empor.

– »Ich warne junge Herrlichkeit
Und dich, normännisch Edelblut,
Das Singen schafft der Nixe Leid,
Dem freudelosen Kind der Flut!«

– »Und schaffen dem Gezücht wir Leid
Und quälen wir das Halbgeschlecht
Und reizen wir der Nixe Neid,
Das, Steffen, ist uns eben recht!«

Gemach verlosch das Abendrot,
Des Tages Gluten schliefen ein,
Ausbreitet über Meer und Boot
Der Mond den bleichen Geisterschein.

Die See ist wunderlich erregt.
Was wandert um des Kieles Lauf?
Von Armen wird die Flut bewegt,
Beglänzte Nacken tauchen auf.

Der Steffen ernst am Steuer stand:
»Das Meer ist klar ... doch droht Gefahr ...«
Er deutet mit gestreckter Hand:
»Da naht sie schon, die Nixenschar!«

Umklammert hält den schrägen Mast
Ein blanker Leib als Schiffsfigur
Dass Blanche Nef, von Graun erfasst
In wilder Flucht von dannen fuhr.

– »Ich warne junge Herrlichkeit,
Vergesst die Nachtgebete nicht!«
– »Ei, Steffen, Kind der alten Zeit,
Süss herzt es sich im Mondenlicht ...«

Es klimmt und überklimmt das Bord,
Es lässt sich nieder aus den Taun,
Es kichert wie ein freches Wort,
Es schaudert wie ein lüstern Graun ...

Es reizt, es quält, es schlüpft, es schmiegt
Sich zwischen Edelknecht und Maid,
Bis sich das Paar in Armen liegt
Zu früher Lust, zu Tod und Leid ...

Dem Steffen steigt das Haar. Er starrt
Auf ein gespenstig Bacchanal:
Die Königskinder, hell und zart,
Verblühen all im Mondenstrahl.

»Verloren geht mein himmlisch Teil,
Gebrochen ist mein männlich Wort:
Nicht bring an Leib und Seele heil
Die Kinder ich nach England dort!

Stirb, Blanche Nef! Bevor es tagt!
Im Wasser weiss ich hier ein Riff ...«
Er dreht das Steuer stracks und jagt
Der Klippe zu das Sündenschiff.

Der König lauscht zurück: »Das scholl
Wie Sterbeschrei!« Klar ist der Sund.
Ein Korb von welken Blumen voll,
Sinkt Blanche Nef zum Meeresgrund.

 


 


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