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Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Thörichte Kinder.

Es war ein Trost in aller dieser Not, daß Tom Faggus, stolz und glücklich, von London zurückkehrte. Er brachte den königlichen Gnadenbrief mit, der allgemein bewundert wurde, um so mehr, als kein Mensch ein Wort davon lesen konnte. Faggus selbst meinte lachend, ihm wäre es leichter, fünfzig Börsen zu rauben, als eine einzige Zeile zu entziffern.

Was für einen tollen Streich Tom auf dem Heimweg verübte, teilte er uns wohlweislich nicht mit, denn er hätte ihn Annchen zu Liebe füglich unterlassen sollen. Wir erfuhren die Geschichte erst durch Jakob, den Mutter gerade an jenem Morgen nach Exeford geschickt hatte, um ein Kalb zu kaufen. Als er den Hügel hinabritt, sah er eine Menge Volks auf der Straße stehen: Weiber, Kinder und wohl an sechzig Bewaffnete zu Fuß und zu Pferde; einige trugen brennende Lunten, andere Schwerter und Schießgewehre. »Was soll's denn hier geben?« fragte Jakob den Hufschmied Bill, den er kannte.

»Weißt du das nicht? Tom Faggus wollen wir fangen und totschießen,« lautete die Antwort.

»So ohne alles weitere – ohne Haftbefehl, Verhör und Urteilsspruch? Das ist verboten, Bill, der Friedensrichter hat's noch neulich gesagt.«

»Darum sei ohne Sorge. Wir haben Haftbefehle genug, auch ein paar Friedensrichter sind zur Stelle und wenigstens ein Dutzend Gemeinderäte. Tom Faggus wird jedenfalls totgeschossen.«

»O, der blutgierige Hufschmied,« rief Annchen, die in atemloser Spannung zuhörte.

»Der Brodneid sprach wohl aus ihm,« meinte Jakob: »er fürchtet für seine Kundschaft, wenn Herr Faggus das Geschäft wieder aufnimmt. – Die Schützen hatten sich am Fluß aufgestellt, der dort zwar breit und steinicht ist, aber kaum knietief,« fuhr Jakob in seiner Erzählung fort. »›Du mußt hier warten,‹ sagte Bill zu mir, ›niemand darf durch die Furt, bevor Faggus gefangen ist.‹

»›Schon recht,‹ versetzte ich, ›es eilt mir nicht.‹ Dabei wünschte ich im stillen, Herr Faggus möchte gar nicht des Weges kommen.

»›Diesmal soll er uns nicht entgehen,‹ rief Tim Potter, der Ochsenwirt. ›Eigentlich thut er mir leid, aber mit den Gesetzen darf man nicht spaßen. Darum muß der arme Faggus am höchsten Galgen baumeln.‹

»›Fangt ihn nur erst; dann könnt ihr abmessen wie lang der Strick sein muß,‹ meinte ich.

»›Hurrah, da kommt noch einer, der uns helfen wird,‹ schrie jetzt der Hufschmied. ›Was für ein würdiger Herr! Seht nur sein langes ernstes Gesicht, er sieht drein, als wolle er uns eine Predigt halten. Der ist zum mindesten Friedensrichter.‹

»Ein Reiter auf seinem Schecken kam langsam dahergetrabt; aus seiner Rocktasche schaute ein großmächtiges weißes Papier hervor. Mitten im Wasser hielt das Pferd still um zu trinken, und er sprach ihm freundlich zu; dann ritt er geradeswegs auf uns los.

»›Der ist Ratsherr, wie mir scheint,‹ rief ein Schütze, ›Obersteuereinnehmer,‹ ein anderer. ›Nein, königlicher Kommissär,‹ meinte der Hufschmied.

»Der Herr grüßte jetzt mit ausgesuchter Höflichkeit. ›Wohnt nicht ein Friedensrichter in der Nähe, Ihr guten Leute?‹ fragte er.

»›Sechs oder sieben sind hier unter uns, Euer Gnaden,‹ versetzte Bill, den Hut ziehend, ›Landjunker Maunder ist der älteste.‹

»Mit großem Anstand ritt der Fremde auf Herrn Maunder zu. ›Euer Gestrengen,‹ sagte er, den Hut zierlich lüftend, ›ich komme, um bei Euch Rat und Hilfe im Dienste der Gerechtigkeit zu suchen. Seine Majestät hat mich mit der Verhaftung eines berüchtigten Schurken, Namens Tom Faggus, beauftragt.‹

»Er hielt Herrn Maunder sein großes Schriftstück hin, der aber konnte es nicht lesen; nun steckten auch die andern Gemeinderäte die Köpfe zusammen, und als sie das königliche Siegel sahen, verbeugten sie sich alle unterthänig und versicherten, sie seien zu jedem Dienst bereit, der Herr Abgesandte möge nur befehlen.

»›Ihr habt Eure Schützen sehr gut verteilt,‹ sagte der Fremde, und verneigte sich dankend; ›gegen so viele tapfere Männer wird der Spitzbube nichts ausrichten können. – Aber halt, was sehe ich – Eure Zündpfanne ist ja verrostet, guter Freund. Da wird das Gewehr schwerlich losgehen. Auch an der Flinte dort sehe ich Rost, und an jener gleichfalls. Meiner Treu, ich fürchte, der freche Schurke reitet mitten durch die Schar seiner Verfolger und lacht uns alle aus. Was wird Seine Majestät sagen, wenn wir ihn entwischen lassen?‹

»›So ratet uns doch, was wir thun sollen,‹ rief Maunder, ›wir haben kein Öl bei uns.‹

»›Versucht einmal die Gewehre abzuschießen und schüttet dann wieder frisches Pulver auf. Der Morgennebel hat die Ladung verdorben. Rasch, damit Ihr fertig seid, bis der Faggus in Sicht kommt.‹

»›Ein vortrefflicher Einfall,‹ rief Maunder, ›daran hätte ich nie gedacht. Geht zu den Leuten, Bill, und sagt ihnen: wenn ich ›Feuer‹ rufe, sollen sie alle in die Luft schießen.‹

»›Zu Befehl,‹ erwiderte Bill und grüßte militärisch. Als er zurückkam zählte Maunder: ›Eins, zwei, drei!‹ Eine volle Salve ertönte und hallte in den Bergen wieder.

»Bevor sich der Pulverdampf noch verzogen hatte, ging plötzlich mit dem Fremden auf dem Schecken eine Veränderung vor. Sein Gesicht ward ebenso breit als es vorhin lang war, er zog zwei Pistolen aus dem Sattelgurt und hielt Maunder die eine, Sir Richard Blewitt die andere vor. ›Gebt Euer Geld heraus, und die Haftbefehle,‹ rief er mit Donnerstimme, ›und dann fangt den Tom Faggus, wenn Ihr könnt.‹

»Fluchend zogen sie ihre Börsen. ›Dem ersten, der sein Gewehr ladet, gebe ich die Kugel dazu,‹ rief Faggus, denn er und kein anderer war der fremde Reiter. Er nahm sämtlichen Herren ihr Geld ab, ließ sie dann die Haftbefehle vorzeigen und steckte sie sich an den Hut.

»›Jetzt empfehle ich mich bestens,‹ rief er, sich höflich verbeugend, ›und wünsche Euch allen fröhliche Weihnachten! Das ist ein Fest für Reiche und Arme; besten Dank für Eure Gaben; man muß das Wohlthun nicht vergessen, ich will sie gleich hier verteilen.‹

»Er warf das Geld mit vollen Händen unter die Umstehenden. ›Nun ladet nur Eure Gewehre wieder, aber zu folgen braucht mir keiner. Hier meine erdbeerfarbene Stute, die ich nur mit ein wenig Rahm übergossen und zum Schecken gemacht habe, sie spart Euch die Mühe.‹

»Ehe wir's uns versahen, war er schon über alle Berge.«

So erzählte Jakob zu meinem Aerger und Verdruß. Es war leider ein neuer Beweis, daß Tom Faggus keiner Versuchung widerstehen konnte, die sich ihm bot. Statt den Friedensrichtern einfach seinen Gnadenbrief zu zeigen und sich mit ihnen zu freuen, trieb er die alten Schelmenstreiche weiter. Er hätte jetzt ein ruhiges, ehrbares Leben führen und die allgemeine Achtung seiner Mitbürger erwerben können; statt dessen scheute er sich nicht, des Königs Gnade auf so leichtsinnige Weise zu verscherzen.

Annchen wollte mich besänftigen und stellte mir weinend vor, Tom habe doch außer den ohnehin ungültigen Haftbefehlen nichts mit sich fortgenommen. Aber ich blieb bei meiner Behauptung, daß es unrecht sei, mit geraubtem Geld Wohlthaten zu erweisen, auch wäre Tom in der Rücksichtslosigkeit gegen seine Verlobte entschieden zu weit gegangen.

Bald schlug ich mir jedoch das alles aus dem Sinn und dachte nur noch an Lorna. Als ich eines Morgens die Anhöhe bestiegen hatte und nach den Rabennestern blickte, war das oberste verschwunden – ich zählte nur noch sechs. Kein Zweifel, der Geliebten drohte Gefahr, sie brauchte meine Hülfe.

Mich bei hellem Tage ins Doonethal wagen, hieß in den sichern Tod gehen; damit hätte ich Lorna wenig genützt. Aber fern von ihr konnte ich auch nicht bleiben. Ich eilte über die Berge, nach einer mir wohlbekannten Stelle, von der aus man das Thal überblickt, und wartete dort Stunde auf Stunde mit der größten Ungeduld.

Nichts regte sich drunten, nur der Fluß wälzte sich langsam fort und einige geraubte Kühe schritten mit gesenktem Kopf traurig über das dürre Laub, das den Boden bedeckte, als wüßten sie, daß sie von Rechts wegen dort nichts zu suchen hätten. Endlich begann es zu dunkeln und ich schickte mich gerade an ins Thal hinabzusteigen, da sah ich links von meinem Versteck eine kleine kugelrunde Gestalt in der Schlucht auftauchen – Lornas Dienerin, Gwenny Carfax, wie ich zu meinem Entzücken erkannte.

Sie war zwar überrascht, als sie mich gewahrte, fürchtete sich aber durchaus nicht, sondern reichte mir vertrauensvoll beide Hände.

»Junger Mann,« sagte sie, »du mußt mit mir kommen. Eben wollte ich den weiten Weg machen, um dich zu holen. Der Alte will nicht sterben bevor er dich gesehen hat.«

»Sir Ensor – mich? Hat deine Herrin ihm denn gesagt –«

»All dein Thun und Treiben, ja, als sie wußte, daß es mit ihm zu Ende gehe. Er ergrimmte so über deine niedrige Herkunft, daß ich schon glaubte, er würde wieder lebendig, um dich totzuschlagen. Was er dir anthun wird weiß ich nicht. Ich habe schon rasenden Zorn gesehen, welcher flammt und sprüht und zündet, aber nie solche eiskalte Wut, vor der einem graut.«

Auch mir wurde bald heiß, bald kalt, bei dem Gedanken, daß mir keine Wahl bleibe, als vor dem schrecklichen Sir Ensor zu erscheinen oder Lorna ein für allemal aufzugeben und mit Recht von ihr verachtet zu werden. Mir wollte fast dünken, es wäre besser gewesen, den alten Mann in der Todesstunde nicht noch mit solchen Dingen zu behelligen, aber vielleicht hatte es mein Lieb nicht übers Herz gebracht den Sterbenden zu täuschen.

Voll Zweifel und banger Sorge folgte ich daher Gwenny die Schlucht hinunter, über knorrige Wurzeln und epheubewachsenes Gestein in ein dunkles Tannendickicht. Bald kamen wir an eine hohe schmale Thür, die von weitem einem Baumstamm glich; Gwenny öffnete sie und ich zwängte mich mühsam durch einen dunkeln Gang, der unmittelbar in das Doonethal führte. Es sah mir, bei der Stimmung, in der ich mich befand, keineswegs einladend aus.

Als wir nach dem Hause des Hauptmanns hinübergingen, trafen wir auf mehrere große Doones, die am Flußufer herumlungerten. Sie starrten mich verwundert an, ließen mich aber ungehindert durch, nachdem Gwenny ihnen einige Worte zugeflüstert hatte. Wie klopfte mir das Herz vor Hoffnung und banger Furcht, als ich Sir Ensors Schwelle betrat!

Schon im nächsten Augenblick lag Lorna schluchzend in meinen Armen, und ich nahm mich zusammen, um ihr Mut zu machen. Ich versicherte ihr, ich fürchte mich nicht vor ihres Großvaters Zorn, solange seine Enkelin mich liebe; beinahe glaubte ich dies selbst, aber ganz wollte es mir nicht gelingen. Lorna ließ mich nun eine Weile allein, und als sie wiederkam sah sie bleich aus wie die Wand.

»Habe Geduld mit ihm,« bat sie; »laß ihn sagen was er will und widersprich ihm nicht. Sieh ihm nur ruhig und fest ins Auge und zeige ihm womöglich deine Ehrerbietung, aber um alles in der Welt kein Mitleid, das bringt ihn in Wut. Nun komm' und tritt recht leise auf.«

In dem unwohnlichen, alten Gemach, das wir betraten, verbreiteten nur zwei Kerzen einen düstern Schein. Ein schöner alter Mann, in dessen finstern Zügen der Tod deutlich geschrieben stand, saß aufrecht auf einem Stuhl. Sein schneeweißes Haar fiel lang herab über den losen roten Mantel, der ihn umhüllte und auf dem seine wachsfarbenen Hände starr und regungslos ruhten. Nur in den großen schwarzen Augen, die er mir voll zuwandte, glühte noch ein unheimliches Feuer. Mir graute vor dem Totenantlitz und ich vermochte den Blick nicht zu ertragen. Um meine Furcht zu verbergen, verbeugte ich mich tief.

»Ha,« sagte der Greis mit hohler Stimme, sobald Lorna uns verlassen hatte, »du bist wohl der große John Ridd?«

»John Ridd ist mein Name,« antwortete ich. »Ich hoffe, es geht Euer Gnaden jetzt besser.«

»Sage mir, Knabe, hast du wohl Einsicht genug, um zu begreifen was du gethan hast?«

»Gewiß, ich weiß nur zu gut, daß ich den Blick weit über meinen Rang erhoben habe.«

»Dir ist nicht bekannt, daß Lorna Doone aus einer der ältesten Familien Europas stammt?«

»Nein, Euer Gnaden; ich wußte nur von ihrer hohen Abkunft aus dem Hause der Doones von Bagworthy.«

Der Alte sah mich mit durchbohrenden Blicken an, er glaubte vielleicht ich wolle scherzen. Als ich jedoch keine Miene verzog, zuckte ein bitteres Lächeln um seinen Mund.

»Und deine eigene niedere Herkunft von den Ridds aus Oare kennst du auch?«

Eine solche Redeweise war mir neu.

»Die Ridds von Oare,« erwiderte ich kühn, »sind schon zweimal so lange rechtschaffene Leute, als die Doones Schurken sind.«

»Das möchte ich nicht behaupten, John,« sagte Sir Ensor ruhig, statt in Wut zu geraten, wie ich erwartete. »Dann wäre deine Familie wohl die älteste in Europa. Ob du nun aber ein plumper Bauer bist, ein Bube, oder ein ehrlicher Narr – höre jetzt die Worte eines Greises, dessen Stunden auf Erden gezählt sind: diese Welt besitzt nichts, was der Furcht, der Hoffnung, des Vertrauens oder der Verehrung wert ist, und besonders nichts, was es sich verlohnte zu lieben.«

»Ich hoffe, dem ist nicht so, Euer Gnaden,« wagte ich ihm zu entgegnen, »sonst wäre es weit besser nie geboren zu werden.«

»Deshalb« fuhr er fort, ohne meinen Einwurf zu beachten, »raube ich dir nichts, ja, ich fördere sogar deine Wohlfahrt und dein Glück, wenn ich dir verbiete, das thörichte Mädchen je wieder zu sehen, sollte dich auch der Verlust des Spielzeugs ein paar Wochen lang schmerzen. Jede Heirat ist ein elendes Possenspiel, auch wenn Mann und Weib an Rang, an Geistesgaben und Sinnesart einander gleich sind. Ist dies nicht der Fall, so wird der Ehebund zum Trauerspiel, voll eitel Klagen und Jammer. So, jetzt habe ich dir genug Vernunftgründe vorgehalten – das ist sonst nicht meine Gewohnheit. Du wirst in Lornas Gegenwart geloben, auf immer von ihr zu lassen. Rufe sie jetzt, ich bin müde. Auf Mannesehre traue ich wenig; mehr noch auf des Weibes Stolz.«

Er schien sich an meiner Bestürzung zu weiden, ein Lächeln zuckte um seine welken Lippen und mit verächtlicher Miene hob er die Hand und deutete nach der Thür. Gern hätte ich mich dem Befehl widersetzt, aber ich bezwang mein empörtes Herz, verbeugte mich tief und verließ das Gemach.

Lorna saß leise weinend am Fenster; ich legte den Arm um sie und blickte ihr tief in die Augen. Wir schwiegen beide, doch verstanden wir einander auch ohne Worte in der stummen Sprache der Liebe.

Ich hielt sie umschlungen, sie schmiegte sich dicht an mich und so traten wir unverzagt vor Sir Ensor hin, denn nichts konnte uns erschrecken, solange wir beisammen waren.

Der Greis erstaunte als er uns sah. Vierzig Jahre lang hatte ihm jedermann mit Furcht und Zittern gehorcht; auch ich wagte ihm nicht zu trotzen, bis mir Lornas Nähe neuen Mut verlieh. Ich liebte sie so innig, und es galt sie zu schützen.

»Thörichte Kinder,« sagte Sir Ensor endlich mit dem Ausdruck tiefster Verachtung; »thörichte Kinder!«

»Euer Gnaden,« entgegnete ich leise und ehrerbietig; »unsere Einfalt ist vielleicht so groß nicht als sie Euch erscheint; doch sind wir es beide wohl zufrieden, thöricht zu bleiben unser Leben lang, wenn wir dabei nur vereint sein dürfen.«

Des Alten Augen funkelten wie belustigt. »Ei, John,« sagte er, »du bist vielleicht nicht einmal der ungeschliffene Bauer, für den ich dich hielt?«

»Gewiß nicht, Großvater,« rief jetzt Lorna voll Eifer. »John Ridd ist nur zu bescheiden, er prahlt nicht mit seinen Verdiensten. Außer mir kennt ihn niemand.« Sie hob sich auf die Fußspitzen und küßte mich, während ich mich halb beschämt und doch stolz und glücklich zu ihr niederbeugte.

»Ich habe manches in der Welt gesehen, aber so etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Euer Thun paßt besser für die heiße Zone als für die Nebel von Exmoor.«

»Es paßt überall hin, Euer Gnaden, wo zwei Herzen sich finden,« sagte ich tief errötend; »wem das begegnet, für den gibt es keine Wahl.«

Sir Ensor hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt, er seufzte schwer. Erinnerte er sich bei unserm Anblick vielleicht an die eigene stolze Jugend? Sehnte sich sein Herz noch am Rande des Grabes wieder neu belebt zu werden durch Liebe und Hoffnung?

»Thörichte Kinder, thörichte Kinder,« wiederholte der Greis, nachdem er lange geschwiegen; »bleibt bei Eurer harmlosen Einfalt bis Ihr Enkel habt.« Er wandte den Blick von uns ab, das müde Haupt sank ihm auf die Brust und sein weißes Haar umhüllte ihn wie ein Leichentuch. –

Daß Sir Ensor mit klaren Worten in unsere Verbindung gewilligt habe, will ich nicht behaupten, aber er hätte uns vielleicht doch noch seinen Segen erteilt (was Lornas großer Wunsch war), wäre er nicht schon am nächsten Tage gestorben. Er hatte in seinem Leben viel Böses gethan, aber auch großes Unrecht erlitten. Vielleicht war sein Herz nicht einmal schlecht; manche Menschen thun ja Böses, obgleich ihnen nichts als Gutes widerfährt.

Während der letzten Stunden wich ich nicht von seinem Sterbebette; ich war nur rasch nach Hause gegangen, um Mutter zu beruhigen und nach unserer Wirtschaft zu sehen. Als ich in kurzer Frist zurückkehrte, lag Sir Ensor friedlich auf seinem Lager; er schien gefaßt und unbesorgt den dunkeln Weg zu gehen, der keinem von uns erspart bleibt.

Lorna saß an der einen Seite seines Bettes, ich an der andern; er ließ es ruhig geschehen und deshalb hielten die Leute, die bisweilen ab- und zugingen, mich für berechtigt dort zu sein. Carver und sein Vater zeigten sich nicht; sie mußten vielleicht unterdessen die nötigen Schritte thun, um sich die Herrschaft zu sichern.

Kurz vor seinem Hinscheiden – wir waren gerade bei ihm allein – machte er eine unruhige Geberde mit der Hand und sah uns an als wolle er reden.

»Er sucht etwas im Bett, auf deiner Seite,« flüsterte mir Lorna zu.

Da faßte ich unter die Kissen und zog einen harten Gegenstand hervor, der strahlte und funkelte in hellem Glanz durch das düstere Gemach. Auf Sir Ensors Wink händigte ich ihn Lorna ein.

»Das ist ja mein schönes glitzerndes Halsband,« rief sie überrascht. »Großvater hat es für mich aufbewahrt, dein alter Ring hing früher daran, John. Darf ich es jetzt behalten, lieber Großvater?«

Der Sterbende nickte schwach; auch schien er es wohl zufrieden als Lorna mir, der Sicherheit wegen, den Schmuck übergab, den ich in meine Tasche gleiten ließ.

Es war ein bitterkalter Tag, an dem Sir Ensor auf dem kleinen Friedhof begraben wurde, wo auch Lornas Tante Sabine ruhte. Ich konnte es mir nicht versagen der Leiche zu folgen; doch hielt ich mich etwas abseits, da ich von Gwenny wußte, daß Carver und der Rat Doone mir furchtbare Rache geschworen hatten. Trotzdem war ich überzeugt, sie würden nicht wagen mich anzugreifen, bevor ihr großer Häuptling seine letzte Ruhestätte gefunden hatte, und auch Lorna durfte hoffen, in der ersten Trauerzeit von ihnen verschont zu bleiben.

Für mich war es ein ergreifender Anblick, alle die gewaltigen finstern Männer, die niemals weder nach göttlichen noch menschlichen Gesetzen gefragt hatten, mit gesenktem Haupt und gefalteten Händen hinter dem Sarg ihres gemeinsamen Ahnherrn herschreiten zu sehen. Doch nur meine Lorna sah ich weinen, sonst floß keine Thräne um ihn. Der starke und stolze Mann, sagte ich mir, dem man im Leben nur aus Furcht, nicht aus Liebe gehorchte, wird im Tode kurze Zeit betrauert werden und bald von allen vergessen sein, nur nicht von dem ewigen Richter.


(Schluß des I. Bandes.)

 


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