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Alle kamen herbeigelaufen, als ich mich schwankend vom Boden erhob, beschmutzt und etwas kleinlaut zwar, aber doch mit heilen Gliedern. Ich war auf meinen Kopf gefallen und der ist aus hartem Stoff. Jakob wollte sich ausschütten vor Lachen – ich hätte ihn dafür prügeln können.
»Bravo, mein Junge,« rief Faggus gutmütig, »du hast deine Sache gar nicht schlecht gemacht; mit der Zeit wird man dir das Reiten schon noch beibringen können; ich hätte nicht gedacht, daß du so lange oben bleiben würdest.«
»Ich wäre weit länger sitzen geblieben, aber die Flanken des Pferdes waren so glatt von der Nässe.«
»Eine gute Ausrede, ha, ha! – Nein, nimm mir's nicht übel, John, daß ich lache. Siehst du, sie ist mein Herzensschatz, der beste, den ich je gehabt. Wärst du Sieger gewesen, ich hätte's nie verwunden. Keiner kann meine Winnie reiten, als ich allein.«
»Um so schändlicher von dir, Tom Faggus,« rief jetzt meine Mutter, die unbemerkt herbeigekommen war, in hellem Zorn, »das Leben meines Jungen, meines einzigen Sohnes, aufs Spiel zu setzen, als wäre es so wertlos wie dein eigenes. Sein Vater war ein rechtschaffener, braver Mann, kein abscheulicher Säufer und Räuber. Ist ihm auch nur ein Haar auf dem Haupte gekrümmt', so sollst du's büßen. – O mein John, mein John, was wäre ich ohne dich!«
Während Mutter so heftig schalt und schmählte, wie es noch nie jemand aus ihrem Munde gehört hatte, und mich dabei vom Schmutz reinigte und meine Knochen befühlte, gab Faggus sich alle Mühe, recht beschämt auszusehen, denn er wußte, was Frauenart war.
»Sieh nur seine Jacke an,« rief Annchen, »und hier das Loch in der Hose!«
»Was scheren mich jetzt die Kleider! Sorge nur, daß deine ganz bleiben, du Gelbschnabel!« Dabei gab Mutter Annchen einen derben Klapps, daß sie fast hingefallen wäre, aber Faggus umfing sie mit seinen Armen, küßte sie und sprach ihr tröstend zu; sie sah dankbar zu ihm auf, während ihr große Thränen in den blauen Augen standen.
Mutter that es leid, daß sie Annchen geschlagen hatte, und das brachte sie noch mehr in Harnisch. »Pfui, schäme dich, Tom Faggus,« rief sie; »zum Dank für alles, was wir gethan haben, um deinen elenden Kopf zu retten, setzest du das Leben meines Sohnes aufs Spiel! Kein Pferd von dir soll jemals wieder in meinen Stall kommen, wenn du so unsere Wohlthaten vergiltst. Und du, Fry, und Ihr andern Memmen, Ihr sorgt mir schön für den Sohn Eures Herrn! Ihr selbst fürchtet euch vor dem unbändigen Tier und laßt den halbwüchsigen Jungen aufsitzen!«
»Er wollte eben reiten,« begann Jakob, »und ließ sich nicht davon abbringen, nicht wahr, John? Was sollten wir da –«
»Mein Sohn ist nicht John für dich, sondern ›der junge Herr‹, das bitte ich mir aus. – Nun mach', daß du fortkommst, Tom Faggus! Heute kannst du von Glück sagen; läßt sich aber dein Pferd noch einmal bei uns auf dem Hof sehen, so schneid' ich ihm mit eigener Hand die Flechsen entzwei, wenn sich's sonst keiner getraut.«
Als meine Mutter so sprach, schauten alle verwundert drein, denn sie war sonst immer ruhig und leicht zu beschwichtigen. Die Leute entfernten sich stillschweigend mit ihren Hacken, und selbst Winnie schien es unbehaglich zu werden, daß man so viel mit Fingern auf sie wies. Sie kam zitternd zu mir und neigte den Kopf, als wollte sie mich um Verzeihung bitten, falls sie sich zu ungeberdig benommen hätte.
»Winnie soll über Nacht bei uns bleiben!« rief ich jetzt, da Tom Faggus noch immer schwieg und sich anschickte, ihr den Sattel aufzuschnallen. »Hörst du, Mutter, Winnie bleibt hier, sonst gehe ich selber mit fort. Jetzt weiß ich erst, was es heißt, ein Pferd zu reiten, bei dem es der Mühe wert ist.«
»Du bist der wackerste Reiter in ganz Exmoor, John,« sagte Tom Faggus, zu mir gewandt, »deine Mutter darf stolz auf dich sein. Sie hat sich ganz unnütze Sorge gemacht, denn ich, der Vetter deines Vaters, auf den ich so große Stücke hielt, hätte dich nun und nimmermehr die Stute besteigen lassen – was mancher Prinz und Herzog schon vergebens erbeten hat – wenn du nicht deinem Vater so ähnlich sähest und dir nicht der Mut aus den Augen blitzte. Ich merkte dir's gleich an, daß du zu reiten verstehst, und du hast dich brav gehalten. Doch die Frauen beurteilen uns immer falsch. Lebe wohl, John, du bist ein tüchtiger Bursche, und ich wollte dir eine Freude machen. Auch hätte ich Euch allerlei gruselige Geschichten erzählen können, daß Euch die Haare zu Berge gestanden wären. – Gestern um diese Zeit habe ich den letzten Bissen Brot über die Lippen gebracht und mein Fleisch einer armen Witwe gegeben, aber ich will viel lieber auf dem Moor verhungern, als das köstlichste Mahl an einem Ort verspeisen, wo man mich ganz vergessen hat.«
Er seufzte aus tiefster Brust, als gelte es Vaters Andenken, stieg trübselig auf Winnies Rücken und nahm den Hut vor meiner Mutter ab. Zu mir aber sagte er: »Bitte, John, mach' das Thor auf; sie kann nicht hinüberspringen, das arme Ding, du hast sie zu sehr abgehetzt.«
Noch war er indessen nicht aus dem Hof hinaus, da kam ihm Mutter leise nachgegangen; sie reichte ihm die Hand hin und trocknete sich die Augen mit dem Zipfel ihrer besten Schürze. Faggus aber that, als sähe er sie nicht.
»Warte doch, Vetter Tom,« rief Mutter, »ich habe dir noch ein Wort zu sagen!«
In seinem Gesicht ging eine merkwürdige Verwandlung vor; er sah aus wie ein ganz anderer Mensch.
»Ist's möglich!« rief er verwundert, »ist das meine Base Sara! Ich dachte schon, jedermann schämte sich meiner und ich würde nirgends mehr ein Obdach finden, seit ich John Ridd verloren habe, meinen besten Vetter. Ja, das war ein Mann – zu dem durfte ich kommen in allen meinen Nöten. ›Meine Frau wird für dich sorgen,‹ sagte er, ›das hat sie deiner Mutter versprochen.‹ Aber seit dem Tage seines Todes ist es aus mit meinem Glück, kein Mensch denkt mehr an mich und auch die Base Sara hat mich vergessen.«
Mutter brach in Thränen aus. »O Tom, auch ich weiß von keinem Glück seit dem schweren Verlust. Du solltest mehr Rücksicht nehmen auf meine Gefühle, Tom – aber das thut niemand.«
»Doch, doch,« rief Faggus, vom Pferde springend, »ich kann dir's nachfühlen, Base! Bin ich auch selbst ziemlich schlecht, so weiß ich den Wert eines guten Mannes wohl zu schätzen. Du brauchtest mir nur den Auftrag zu geben, und bei Gott, ich würde –« Er schüttelte drohend die Faust gegen den Bagworthy-Wald, der sich schwarz vom Abendhimmel abhob.
»Still, Tom, still, um des Himmels willen!«
Mutter war meinetwegen so erschrocken, das begriff ich wohl. Sie hatte mir alle Rachegelüste von jeher auszureden gesucht, selbst den Wunsch nach einem schnellen Strafgericht Gottes. Der Herr wird schon selber Zeit und Stunde wissen, meinte sie, und ich gab ihr recht, denn ich war sanftmütig von Natur.
Tom Faggus blieb zum Abendessen bei uns und ließ es sich vortrefflich schmecken. Er zog trockene Kleider von Jakob an, der später nicht wenig stolz darauf war, daß der hochberühmte Mann einmal in seinem Sonntagsanzug gesteckt hatte. Von seinem eigentlichen Gewerbe erfuhr ich zur Zeit nicht viel, ich merkte nur, daß Mutter sehr ängstlich war und ihm dann und wann zuflüsterte, er möge dies oder jenes nicht sagen, weil die Kinder es nicht hören sollten; dann nickte er jedesmal verständnisvoll und goß sich ein Gläschen Schnaps ein.
Als die Mahlzeit beendigt war, gingen wir zu Winnie in den Stall, wo sie frei herumspazierte und uns entgegenlief wie ein Kind. »Sie läßt mir kein Leid geschehen,« sagte Faggus, »schlage mich einmal, – was sie dann thut.«
Kaum hatte ich die Hand gegen ihn geballt, als sie mich am Gurt packte und in die Luft hob. Sie hätte mich zu Boden geworfen und mit den Hufen zertreten, aber er wehrte ihr schnell. »Wäre ich in Gefahr,« fuhr Faggus fort, »und sie hörte meinen Notpfiff, so würde sie jede Stallthür durchbrechen, um zu mir zu eilen – weder Schloß noch Riegel hielten sie zurück. – Ja, ja, Winnie, mein Hexchen, wir sterben einmal zusammen.«
Sie fraß ihrem Herrn den Hafer aus der Hand und er bereitete ihr selbst ein Lager von Stroh auf ganz besondere Weise, dann wünschten wir ihr gute Nacht.
Nun saßen wir miteinander um den großen Kamin herum. Tom Faggus war in der heitersten Laune. Er lehrte uns allerlei Spiele und rauchte dabei, aber keine Pfeife, sondern kleine, fingerlange Stücke aus zusammengerollten Tabaksblättern, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Dann fing er an, uns Geschichten zu erzählen, ganz verwunderliche, nur nichts von seinen eigenen Thaten; es war, als sprächen wohl zwanzig Personen mit verschiedenen Stimmen und jede an einem andern Platz, so daß Annchen und Lieschen umhersprangen und bald im Leinenschrank, bald in der Wanduhr nach ihnen suchten. Dazu wechselte der Ausdruck seines Gesichtes auf so komische Weise und mit so drolligem Geberdenspiel, daß, während er selbst ganz ernsthaft blieb, sogar Mutter sich die Seiten halten mußte; wir Kinder aber wälzten uns auf dem Boden herum, und Betty lachte aus vollem Halse am Spülkübel.
Wiewohl nun Tom Faggus so lustig und unterhaltend sein konnte, er auch höchst großmütig und berühmt war, wußten wir doch oft nicht recht, ob wir stolz sein sollten auf dies Glied der Familie, oder uns seiner schämen. Meinen Altersgenossen gegenüber prahlte ich gern mit der Verwandtschaft; war aber ein reicher Pfarrer aus der Nachbarschaft bei uns zu Gaste oder einer der Herren vom Bezirksgericht, der seine Rundreise machte, vielleicht auch nur ein vermöglicher Handelsmann aus Porlock, – kurz irgend jemand, der viel zu verlieren hatte – so schwiegen wir diesen Leuten gegenüber weislich still davon, daß der edle Ritter unser Vetter war.
Als ich später seine Geschichte erfuhr und sah, wie übel die Welt ihm mitgespielt hatte, kam mir bisweilen der Gedanke, daß man ihn weit eher bemitleiden solle, statt ihn hart zu verurteilen – obgleich ich seine Räuberei und Unredlichkeit durchaus nicht entschuldigen will.
Er war früher ein Grobschmied in Northmolton gewesen, einer kleinen Stadt am Ende von Exmoor, wo er als angesessener Bürger lebte. Seine Eltern waren früh gestorben und hatten ihm ein gutes Stück Land hinterlassen, auch Weidegerechtigkeit für zweihundert Schafe und hundert Stück Rindvieh. Er konnte lesen und schreiben und war in seinem Handwerk sehr geschickt; weit und breit verstand niemand, ein Pferd so gut zu beschlagen wie er, so daß er bald die beste Kundschaft bekam, was viel Eifersucht erregte. Weil nun das Geschäft so gut ging, gedachte er seine geliebte Braut heimzuführen, eine Gerberstochter aus Southmolton Namens Betsy Paramore. Der Vater hatte die Einwilligung gegeben, Betsys Aussteuer war fertig, und in Toms Hause saß ein Schneider aus Exeter und arbeitete an dem Hochzeitswams. Da traf ihn ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel – er erhielt eine gerichtliche Vorladung.
Dies war der Anfang seines Prozesses mit Sir Robert Bamfylde, einem Gutsbesitzer der Nachbarschaft, der ihm das Weiderecht streitig machen wollte und sein Vieh von der Wiese trieb. Durch diesen Rechtshandel wurde Tom ganz zu Grunde gerichtet, denn Sir Robert war reich und bezahlte viele falsche Zeugen; Toms Hab und Gut ward verkauft, man nahm ihm auch die Schmiede und er sah sogar seine Freiheit bedroht. Bevor sie ihn aber fangen konnten, war er zu Pferde gestiegen und ritt wie ein Wahnwitziger nach dem Hause seiner Braut. Dort fand er jedoch schlechten Trost; Herr Paramore war ein kluger Mann und Gemeinderat, der ihm die Thür wies, weil er nun zu arm sei für seine Tochter. Man sagt, er habe sogar verlangt, Tom solle ihm die Auslagen für den Hochzeitsstaat ersetzen. Das war jedoch nicht nötig, denn Betsy nahm schon im nächsten Monat einen andern Mann, da kamen die Sachen gleich zur Verwendung.
Daß Tom über sein Unglück ganz außer sich geriet, ist nicht zu verwundern. »Hat mich die Welt geplündert und mir mein Eigentum geraubt,« sagte er, »so will ich jetzt mit Gottes Hilfe der Wolf sein, der auf Beute ausgeht.«
Es schien auch wirklich, als ob die Vorsehung ihn begünstige. Er ließ sich ein hohes Wegegeld auf der Landstraße zahlen und erwarb bald einen weit und breit gefürchteten Namen. Bei Tag und Nacht betrieb er das Geschäft mit drei Pferden in strengem Dienst, bis sein Ruf fest begründet war. Als er nun hatte, so viel er brauchte, schaffte er zwei Pferde ab, konnte mehr der Ruhe pflegen und auch seinen Mitmenschen Gutes thun. Er ging gern mit hohen Herren um und ließ ihnen vom Besten auftischen, was das Gasthaus zu bieten hatte. Die Wirte an der Landstraße stritten sich darum, bei welchem er einkehren sollte, denn er bezahlte pünktlich und war kein Knauser. Hieß es in einem Ort, Herr Faggus sitze beim Wein in der Schenke, so liefen die Männer herbei, um ohne Entgelt auf seine Gesundheit zu trinken, und die Frauen, um ihn anzustaunen; die Kinder aber mußten am Kreuzweg acht geben, ob sich auch kein Fahnder blicken lasse.
Gleich zu Anfang seiner Laufbahn hatte er eine Begegnung mit Sir Robert Bamfylde, der, nur von einem einzigen Diener begleitet, dahergeritten kam. Sobald Faggus ihm die Pistole auf die Brust setzte, gab der Baron seine Börse heraus, auch die Uhr und den Fingerring. Tom nahm ihm alles ab, händigte es ihm aber sofort wieder ein, »denn,« sagte er mit einer tiefen Verbeugung, »einen Räuber zu berauben ist gegen meine Gewohnheit.« Den ungetreuen Diener aber, der sich verkrochen hatte, strafte er tüchtig ab und plünderte ihn rein aus.
Arme Leute ließ Faggus ruhig ihres Weges ziehen, und gegen Frauen war er stets ritterlich; er hatte auch noch kein Blut vergossen, weil das bloße Knacken seiner Pistole ihm schon Gehorsam verschaffte. Die Doones in ihrer stolzen Absonderung waren überall verhaßt; aber von Herrn Faggus sprachen die Leute – die er nicht beraubt hatte – nur Gutes. Manche arme kranke Witwe flehte Segen auf ihn herab, und von den Stalljungen und Pferdeknechten wurde er bis in den Himmel erhoben.
Nun habe ich wohl genug von unserem Vetter erzählt, um seinen Charakter ins rechte Licht zu setzen und für seinen guten Namen einzutreten.
Als es Frühling wurde, machte er uns wieder einen Besuch und brachte mir ein neues schönes Gewehr mit. Mutter wollte mich das Geschenk nicht annehmen lassen, aber er gab ihr sein Ehrenwort, daß er es redlich bezahlt habe. Das war gewiß der Fall, doch, wer weiß, wo das Geld herstammte! Er lehrte mich auch, wie ich Winnie reiten sollte, die inzwischen tüchtig gewachsen war, sich aber meiner noch freundlich erinnerte. Mit Annchen, die eine große Vorliebe für ihn gefaßt hatte, gab er sich am meisten ab und behauptete steif und fest, er habe bei ihrer Taufe Gevatter gestanden; aber das sollte wohl nur ein Spaß sein. Er blieb nur kurze Zeit, sprang dann wieder auf Winnies Rücken, und die Stute trabte mit ihm davon, daß die Funken flogen.