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Fünftes Kapitel.
Die Ansiedelung der Geächteten.

Vor allem will ich jetzt erklären, wie es kam, daß die Räuber sich in der Gegend festsetzten und solche Übermacht gewannen, ganz ohne unsern Willen und unser Zuthun, denn Gott weiß, wir wünschten sie weit weg.

Um das Jahr 1640, kurz ehe die schweren Unruhen über England hereinbrachen, waren mehrere große Landgüter im Norden ohne jede gerechte Ursache von Staats wegen eingezogen und ihre bisherigen Besitzer verjagt worden. Man sagt, sie hatten mächtige Feinde bei Hofe. Die Güter gehörten dem Grafen von Lorne und Dykemont und seinem um einige Jahre jüngeren Vetter Sir Ensor Doone. Letzterer, ein heißblütiger Mann, der überdies des Grafen Tochter zur Frau hatte, glaubte, daß sein Verwandter schuld an dem ganzen Unglück sei. Er setzte Himmel und Erde in Bewegung, um zu seinem Recht zu gelangen, und soll im Zorn sogar einen Höfling erschlagen haben und dem König selbst unehrerbietig begegnet sein. Wie dem auch sei, so viel ist gewiß, daß Sir Ensor aller seiner Habe für verlustig erklärt und die Acht über ihn ausgesprochen wurde.

In den Tagen des Glücks hatte er viele Freunde gehabt und sich allen großmütig erwiesen, die ihn um Hilfe angingen. Nun er aber selbst in der Not steckte, erhielt er zwar guten Rat von vielen Seiten, aber es regte sich keine Hand, um ihm beizustehen.

Verbitterten Herzens und der Verzweiflung nahe, beschloß er endlich, mit seiner Frau und seinen Söhnen von dannen zu ziehen und sich in irgend einem entlegenen Winkel zu verbergen, wo ihn keine Menschenseele kannte. So kam er in einer Unglücksstunde zu uns nach dem Westen Englands. Unsere Gegend galt für rauh, öde und wenig angebaut, ob mit Recht, weiß ich nicht, es hat mir noch nirgends in der Welt besser gefallen. Sir Ensor entdeckte einen Platz, der ganz für ihn geschaffen schien, abseits vom Menschenverkehr und durch die Natur selbst befestigt und schwer zugänglich. Zuerst brachten ihm die umwohnenden Landleute allerlei kleine Gaben: eine Speckseite, ein Fäßchen mit Apfelwein, eine Hammelkeule oder ein Stück Rehrücken, so daß es eine Weile ganz ehrlich und ordentlich zuging. Allmählich verlor sich jedoch der Reiz der Neuheit; unserem wackeren Landvolk stieg der Gedanke auf, daß die Fremden entweder zahlen oder arbeiten sollten und wenn sie zehnmal Edelleute wären. Aber sie pflügten das Feld nicht und streuten keinen Samen in dem schönen, fruchtbaren Thal, das sie in Besitz genommen; auch machten sie sich durch ihr stolzes, hochfahrendes Wesen bei den Pächtern der Gegend mehr und mehr verhaßt.

Als die jungen Doones heranwuchsen, begannen sie sich alles einfach anzueignen, um was sie nicht bitten mochten. Sie zählten mit Einschluß mehrerer Anhänger, die Sir Ensor treu geblieben waren, anfänglich kaum ein Dutzend, aber trug nun die kräftige Luft auf dem Marschland die Schuld, oder das Wild und die Hämmel von Exmoor – sie vermehrten sich auf ganz erstaunliche Weise und gediehen zusehends.

Einige Frauen waren ihnen in die Verbannung gefolgt; als sie aber im Lauf der Zeit neuen Zuwachs brauchten, zogen sie auf Raub aus. Manche brave Pächterstochter entführten sie mit Gewalt aus dem Elternhaus; das gab zuerst großes Herzeleid, doch es währte nicht lange, so fühlten sich die jungen Frauen zufrieden in der neuen Heimat mit Mann und Kind.

Mir scheint, das Weib zieht den starken Mann stets einem Schwächling vor, vielleicht in dem Gefühl, daß es einer Stütze bedarf, an die es sich halten kann. Nun sind wir zwar ein handfestes Geschlecht in unserer Gegend, mit breiter Brust und tüchtigen Knochen, aber an Mannesschönheit, Kraft und Adel der Gestalt kann sich kaum einer unter hunderten mit den Doones vergleichen, das muß man ihnen lassen. Ich selbst freilich, John Ridd, und der eine oder andere meiner Bekannten – aber davon schweige ich lieber, obgleich jetzt, in meinem Alter, nicht mehr viel darauf ankommt.

Hätten sich alle rechtschaffenen Leute sofort zusammengethan, als die Doones sich aufs Plündern legten, es wäre ihnen wohl gelungen, die Felsenburg zu erstürmen und die Räuber aus ihrer Höhle zu vertreiben. Aber man empfand zu viel Ehrfurcht vor ihrem hohen Stande und Teilnahme für ihr Unglück; hielten es doch einige sogar für des Himmels Fügung, daß die Beraubten zu Räubern geworden waren. Die Landjunker, Pächter und Schäfer murrten zuerst nur leise, und einer lachte wohl gar über des andern Schaden. Bald aber verging ihnen der Spaß; die Räuber befleckten ihre Hände mit Blut; Mord und Gewaltthat waren an der Tagesordnung. Bei dem Namen Doone zitterte jede Mutter für ihres Kindes Leben und die Wangen beherzter Männer wurden bleich.

Sir Ensors Söhne und Enkel waren an zügellose Frechheit gewöhnt, trugen Haß und Hochmut im Sinn und verachteten göttliche und menschliche Gesetze. Ihre einzige Tugend – wenn man überhaupt davon reden darf – war, daß sie für einander einstanden wie ein Mann und ihrem wilden Adlerhorst die Treue bewahrten. Wer seine Hand gegen einen Doone erhob, den traf die fürchterlichste Rache; man erzählte grauenhafte Beispiele davon.

Sie hatten sich jetzt so fest verschanzt und ihre Zahl war so groß, daß man sie mit Heeresmacht hätte überziehen müssen. Jeder einzelne von ihnen war im Zielen und Schießen mit der langen Flinte wohl geübt und besaß solche Muskelkraft, daß er vier Zentner und mehr zu heben vermochte. Wer nicht mit zwanzig Jahren, unter Sir Ensors Hausthür stehend, dieselbe in der Höhe und Breite, vom Kopf bis zu den nackten Sohlen und von einer Schulter zur andern vollkommen ausfüllte, den führte man bis an das Ende des steilen Pfades, der das Thal so unzugänglich machte, und stieß ihn mit Schmach und Schande von der Höhe hinab – sodaß er sein Leben fernerhin auf redliche Weise fristen mußte. Die Thüröffnung, das muß ich noch hinzusetzen, ist sechs Fuß und einen Zoll hoch und zwei Fuß weniger zwei Zoll breit; doch soll es nur zweimal vorgekommen sein, daß ein Abkömmling des alten Ensor die Probe nicht bestanden hat, den Rat Doone ausgenommen, der um seiner Weisheit willen unter ihnen verblieb.

Die Durchschnittsgröße unserer jungen Leute übertraf dieser Maßstab freilich um vieles, aber mir persönlich will er nicht so gar gewaltig erscheinen. Hätte man mich mit zwanzig Jahren unter jene Thür gestellt, ich würde das ganze Holzwerk auf den Schultern davongetragen haben, und doch war ich dazumal noch nicht völlig ausgewachsen.

Nach dem bisher Gesagten kann man sich leicht eine Vorstellung davon machen, wie groß die Furcht vor den Doones war, und niemand wird sich mehr wundern, daß unsere wackeren Gerichtsbehörden so wenig Aufsehen wie möglich von meines lieben Vaters Tode machten, auch keine öffentliche Untersuchung des Falles vornahmen. Es hätte ja ein jeder aus der Versammlung bei Nacht wieder heimreiten müssen, und wer weiß, was ihm da zugestoßen wäre. Nein, nein, gut ist gut, aber besser ist besser.

So begruben wir denn meinen Vater in aller Stille, nur meiner Mutter Jammer ward laut. Vater ruht auf dem kleinen, hochgelegenen Friedhof zu Oare, wo sich höchstens alle drei Jahre eine neue Gruft öffnet, denn zu dem Kirchsprengel gehören viele Wälder und Moorland, aber nur wenige Wohnplätze.

Annchen mußten wir bei der Leichenfeier zu Hause lassen, sie weinte so herzbrechend, doch sah sie alles vom Fenster aus, das arme kleine Ding. Elise nahmen wir mit; sie ging an Mutters einer Seite, ich an der andern; sie vergoß keine Thräne und betrachtete nur mit großen Augen das fremde, ungewohnte Gepränge. Was es heißt, einen Vater zu verlieren, ahnte sie nicht, und doch war sie ein sehr kluges Kind – ja die einzige Gescheite in der Familie, Gott sei Dank.


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