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Sechzehntes Kapitel.
Lorna erzählt ihre Geschichte.

»Euch von meinem einsamen Sinnen und Denken zu berichten, vermag ich nicht,« sagte Lorna, mich gütig anblickend. »Vieles ist für mich selbst in Dunkelheit gehüllt und ich weiß die Lösung des Rätsels nicht zu finden. Bitte ich aber jemand aus meiner Umgebung, mich zu unterrichten und aufzuklären, so bekomme ich nur zornige oder spöttische Worte als Erwiderung.

»Mein Großvater, Sir Ensor Doone, ist ein sehr alter, strenger Mann, doch gegen mich nie unfreundlich. Von ihm hätte ich wohl manches erfahren können, aber er mag mir nicht Rede stehen. Am angesehensten nach ihm ist der Rat Doone; so nennt man ihn wegen seiner Weisheit. Er ist schlau und spitzfindig, auch nie um eine Ausrede verlegen. Meine Fragen behandelt er jedoch nur als Spaß und würdigt mich keiner ernsthaften Antwort.

»Unter den Frauen habe ich keine, gegen die ich mich aussprechen könnte, seitdem meine Tante Sabine tot ist, von der ich alles gelernt habe, was ich weiß. Sie war eine hochedle, würdige Dame, die sich im tiefsten Herzen kümmerte und grämte über alle die Rohheit, Gewaltthat und Unwissenheit um sie her. Sie ward nicht müde, das Ehrgefühl der jungen Leute zu wecken und ihnen vorzuhalten, was sie ihrer hohen Geburt schuldig wären, aber sie erntete nichts als Hohn und Undank dafür. Oft versicherte sie mir, ich sei ihr einziger Trost, und als sie starb, trauerte ich um sie, wie um eine Mutter.

»An meine Eltern erinnere ich mich nicht mehr. Mein Vater soll Sir Ensors ältester Sohn gewesen sein, man sagt, auch der beste und tapferste von allen. Deshalb betrachten mich die Geächteten als ihre Erbin und nennen mich wohl auch die Fürstin oder Königin ihres Raubstaats – ein trauriger Scherz!

»Ich könnte wohl zufrieden und glücklich leben in diesem schönen Thal, dem die Natur so viele Reize verleiht; auch werde ich nie müde, mich an Gras und Blumen und Vögeln zu freuen, so lange der sonnige Tag dauert. Nur wenn die Abendschatten sinken, überfällt mich ein Gefühl der Trauer und Einsamkeit. In meinem Herzen ist es nicht still und friedlich, wenn die Ruhe der Nacht sich über die Schöpfung breitet, ich sehne mich nach den Dingen der Außenwelt, die für mich unerreichbar sind, und hunderterlei Fragen, auf die ich keine Antwort weiß, bestürmen mein Gemüt.

»Die Menschen um mich her kennen nichts als Gewaltthat und Raub, rohes Ergötzen und wilde Leidenschaft, bis der Tod ihr ruchloses Leben endet. Mit ihnen kann ich nichts gemein haben, meine Seele ringt nach etwas Höherem und Besserem, aber niemand weist mir den rechten Weg, niemand lehrt mich, was tugendhaft ist und gut; auf meiner Jugend ruht ein Fluch, der nimmermehr weichen will.«

Hier versagte Lorna die Stimme und sie begann bitterlich zu schluchzen. Da ich nicht wußte wie ich sie trösten sollte, sah ich sie nur sehr liebreich und hoffnungsvoll an; auch versuchte ich ihr die Augen zu trocknen, wiewohl ich nicht wußte, ob ich mir das erlauben dürfe. Nach einer Weile fuhr sie ruhiger fort:

»Es schafft mir Scham und Verdruß, daß ich mich vor Euch so schwach und kindisch zeige. Ihr besitzt eine Mutter, die große Stücke auf Euch hält, wie Ihr sagt, und Schwestern und eine friedliche Heimat, da könnt Ihr nicht wissen, wie es einem einsamen Menschenkinde zu Mute ist, das bald vor Himmelslust aufjauchzen möchte, bald in hoffnungslose Verzweiflung versinken.

»Im Traum umgaukeln mich oft Bilder aus meinen dunkeln Kindertagen, die ich zu fassen und zu halten trachte, aber wie scheue Vögel entfliehen sie vor mir, sobald ich die Hand nach ihnen ausstrecke. Es ist ein seltsames Geschick, daß ich hier so verlassen und hilflos unter den rohen Gesellen wohnen muß. Sie rühmen sich zwar ihrer Schandthaten nicht in meinem Beisein, doch heimlich kommen sie, um mir glänzenden Schmuck und Zierrate anzubieten, Ringe, Ketten, und Juwelen, die erst kürzlich den Eigentümer gewechselt haben.

»Daß wir beide jetzt hier in Ruhe und Sicherheit beisammen sein können, hat seinen guten Grund. Ich habe mir diese Felsengegend, wo das Thal am engsten und unzugänglichsten ist, als mein Eigentum erbeten und man stört mich selten hier. Außer der Wache kommt nur mein Großvater zuweilen vorüber oder mein Onkel, der Rat, und sein Sohn Carver.

»Ich sehe es Euch am Gesicht an, Herr Ridd, daß Ihr schon von Carver Doone gehört habt. Er gilt für den stärksten, mutigsten und verwegensten unter den Männern; sein kluger Vater aber, der mein Vermögen verwaltet, sagt, daß mir unweigerlich der höchste Rang gebührt, und deshalb hat er mich ihm zum Weibe bestimmt.

»Der Großvater, das weiß ich, wird mich schützen; er ist der einzige, den ich hier liebe und ehre. Mir ist auch niemand von Herzen zugethan, außer einem kleinen Mädchen aus Cornwallis, das ich vom Hungertode errettet habe. Sie heißt Gwenny Carfax und ist das Kind eines Bergmanns, der sie nach ihrer Mutter Tode mit sich nach Exmoor brachte, wohin er als Führer eines Trupps von Bergleuten kam. Eines Tages setzte er sie mitten in der Wildnis auf das Torfmoor, gab ihr seinen Hut in die Hand, legte Brot und Käse neben sie und befahl ihr, da zu warten bis er sie abholen würde. Gwenny sah ihn noch auf einer Leiter in ein tiefes Loch hinabsteigen, aber er kam nicht wieder zu ihr herauf. Drei Tage harrte sie dort auf seine Rückkehr; während sie schlief hatte man die Öffnung des Loches zugedeckt, so daß sie es nicht mehr finden konnte. Endlich trieb sie der Hunger fort und sie wanderte viele Meilen in der Irre umher, ihren Vater zu suchen.

»An jenem Tage kehrte ich gerade von dem Totenbette meiner Tante Sabine zurück. Man hatte sie auf ihren Wunsch in eine einsame Waldhütte geschafft, da sie nicht im Doonethal sterben wollte, wohin, wie sie sagte, kein Engel kommen würde, um ihre Seele gen Himmel zu tragen. Als ich in tiefer Trauer meines Weges ging, sah ich plötzlich die kleine Gwenny wie leblos im Grase liegen. Ich versuchte sie aufzuheben, allein sie war zu schwer. Nun flößte ich ihr stärkenden Wein ein; ich hatte allerlei Erfrischungen bei mir, die ich der Tante bringen wollte. Gwenny erholte sich bald und aß heißhungrig meinen ganzen Vorrat auf.

»Sie hielt mich für einen Engel, der zu ihrer Rettung gesandt sei, und folgte mir blindlings, wohin ich sie führte. Sobald sie wieder bei Kräften war übernahm sie es ohne alles weitere, mich ganz allein zu bedienen. Sie trieb die anderen Mädchen, die mir sonst aufgewartet hatten, mit Schlägen zurück, bis sie sich nicht mehr in die Nähe des Hauses wagten, das ich mit dem Großvater bewohne. Vor den rohen Männern fürchtet sie sich nicht und meint, wenn sie rauben, trinken und lärmen wollten, so sei das ihre eigene Sache und gehe sie nichts an. Gwenny ist unansehnlich von Gestalt, so daß keiner mit ihr schön thun mag; das dürfte aber auch niemand bei ihr versuchen, der nicht aus Cornwallis stammt. Trotzdem sind ihr alle wohlgesinnt; sie darf kommen und gehen, wie es ihr beliebt und wird weniger überwacht als die andern Bewohner des Doonethals. Oft schweift sie in mondhellen Nächten weit ins Moor hinaus, damit, wie sie sagt, ihr Vater Gelegenheit hat sie wiederzufinden. Bei ihrer Rückkehr ist sie aber nicht etwa bedrückt und niedergeschlagen, sie meint, er warte eben nur ab, bis es an der Zeit sei.

»Wäre ich nur auch so geduldig und zufrieden wie sie! Doch mich ergreift oft ein wilder Grimm, wenn ich so manche Schändlichkeit mit ansehen muß, ohne sie hindern zu können. Längst wäre ich schon aus diesem schrecklichen Thal in die Welt hinaus geflohen und hätte allen Gefahren getrotzt, hielte mich nicht die Sorge um meinen Großvater zurück. Der Gedanke aber, er könne sterben, ohne daß ich ihm tröstend und pflegend zur Seite stehe, würde mir nirgends Ruhe lassen.

»Ich weiß, es gibt Orte, wo die Menschen friedlich und freundlich bei einander wohnen und ein stilles, arbeitsames Leben führen. Es muß ein Himmel auf Erden sein, den ich schwerlich je kennen lernen werde. Einmal zwar hat mich ein Blutsverwandter hier aufgesucht, der mir zur Flucht verhelfen wollte und zu Rang und Ehren draußen in der lustigen Welt; aber ich traute seinen Worten nicht recht, so verführerisch sie klangen. Auch nahm das alles ein so schreckliches, grauenhaftes Ende, daß ich nur mit Schaudern daran zurückdenken kann. Selbst die harmlose Freude an der Natur ist mir seit jenem Tag genommen; ich sehe um mich her nichts als Tod und Verderben. Erlaßt es mir, Euch davon zu erzählen, Herr Ridd, es würde Euch nur die Nachtruhe rauben.«

Mich aber verlangte sehr zu hören, was sich denn so Furchtbares zugetragen hätte, und endlich gab die arme Lorna meinen Bitten nach.

»Es ist noch kein Jahr her,« fuhr sie in ihrem Bericht fort, »und scheint mir doch eine Ewigkeit. Damals war ich noch ein Kind, und ahnte nur dunkel, welches ruchlose Leben wir hier führen, den Gesetzen zum Hohn und unsern Nebenmenschen zum Leid. Auf Befehl meines Großvaters verbarg man die Unthaten sorgfältig vor mir und alle benahmen sich in meiner Gegenwart anständig, rücksichtsvoll und freundlich. Daheim raubt und plündert kein Doone und zu Zank und Schlägen kommt es unter ihnen nur beim Kartenspiel. Vor Sir Ensor aber fürchten sich alle, obgleich er jetzt schon alt und schwach wird. Seinem Blick vermag keiner zu widerstehen, noch dem seltsamen Lächeln, das ihm oft um die Lippen spielt; ihm bleibt nichts verborgen und er weiß seinen Willen durchzusetzen, selbst gegen die gewaltigsten unserer Haudegen. Keiner von ihnen kann mir schaden, so lange ich unter seinem Schutze stehe.

»Der fünfzehnte Juli im vergangenen Jahr, jener Unglückstag, von dem ich sprach, war sehr heiß und schwül gewesen; kurz vor Sonnenuntergang war ich zur Kühlung hier ins untere Thal an den Bach gegangen und ergötzte mich damit, eine zierliche Krone aus den Blüten der Waldrebe und grünem Heidekraut zu flechten, mit der ich mich bei der Abendmahlzeit schmücken wollte, wie es der Großvater liebt. Ich setzte mir das Kränzchen auf und nahm, um es nicht zu zerdrücken, meinen Hut in die Hand. Zum Heimweg wählte ich einen Pfad, der selten betreten wird, denn ich wollte rasch nach Hause eilen, weil ich wußte, wie sehr es den Großvater erzürnt, wenn ich nicht pünktlich zum Essen da bin. Er macht seinem Verdruß zwar nie in Scheltworten Luft, aber das ist um so schlimmer.

»Ihr seht den Weg dort oben vom Klippenrand wie einen grauen Streifen mitten durchs Thal ziehen; er führt in ein düsteres Eschenwäldchen, wo noch das Herbstlaub den Boden deckte und kein Sonnenstrahl mehr Eingang fand durch das dichte Blätterdach. Mir ward bange unter den dunkeln Bäumen; wenn ein Hase über den Weg sprang, oder auch nur eine Feldmaus im Laube raschelte, fuhr ich erschrocken zusammen und beschleunigte meinen Schritt, um wieder ins Freie zu kommen.

»Bei einer Biegung des schmalen Pfades kam plötzlich zu meinem Entsetzen ein Mann hinter einem Baume hervorgesprungen; er vertrat mir den Weg und hielt mich fest. Ich versuchte zu schreien, vermochte aber keinen Laut hervorzubringen.

»›Werte Base Lorna,‹ redete mich der Fremde in ruhigem, verbindlichem Tone an, ›erhebt Eure holde Stimme nicht, ich bitte Euch; sonst ist es vielleicht auf immer um Euern getreuen Vetter und Vormund, Alan Brandir von Loch Awe, geschehen.‹

»Trotz meiner Bestürzung mußte ich lächeln: ›Ihr wollt mein Vormund sein?‹ entgegnete ich, ›das ist wohl Euer Scherz, denn Ihr seid kaum so alt wie ich.‹

»›Bitte, wenigstens drei Jahre älter,‹ erwiderte er ernsthaft, ›und wenn Ihr wirklich meine Base Lorna seid, wie ich vermute, so dürft Ihr mir vertrauen.‹

»›Mein Name ist Lorna Doone; aber weshalb nennt Ihr Euch meinen Vormund?‹

»›Lord Brandir, mein Vater, ist Euer Oheim, der Bruder Eurer Mutter, und Ihr seid sein Mündel. Seit der Lord aber taub geworden ist, habe ich die Pflicht der Vormundschaft auf mich genommen und bin hier, Euch dies zu sagen, schöne Base.‹

»Er reichte mir ritterlich die Hand und führte mich an eine offene Stelle des Waldes, wo das Tageslicht zu uns hereinströmte. Im Dunkeln hatte er mich erschreckt, aber jetzt sah ich mit Verwunderung die schlanke, zierliche Gestalt des hübschen Jünglings, der einen grünen Tressenrock mit Schnüren und roten Aufschlägen trug und einen kleinen Degen an der Seite. Ich hatte Mühe ernsthaft zu bleiben, so possierlich kam er mir vor in diesem Aufzug.

»›Wie findet Ihr mich, schöne Base?‹ fragte er selbstgefällig; ›ist nicht unsere Bewunderung gegenseitig?‹

»›Das weiß ich nicht, aber Ihr scheint mir gutartig und könntet leicht zu Schaden kommen.‹

»›Oho,‹ rief er und rasselte mit seinem Schwert, ›an Kühnheit fehlt es mir nicht. Und wenn der größte Räuber käme, um die Hand nach Euerm Blumenkrönlein auszustrecken, so sollte ihm mein wackerer Degen den Schädel spalten, bevor er noch um Erbarmen flehen oder die Flucht ergreifen könnte.‹

»›Nicht so laut, wenn Ihr Leib und Leben behalten wollt,‹ rief ich, denn er vergaß in seiner Tapferkeit ganz wo er war und mit wem er sprach. Mich aber überkam ein Schauder, wenn ich mir vorstellte, daß der schwächliche Knabe, der aus einem hohen, vornehmen Hause zu sein schien und so leichtsinnig prahlte, einem Doone in die Hände fallen könnte.

»›Zürnt mir nicht,‹ fuhr er in leiserem Tone fort, ›ich bin von weit hergekommen, um Euch zu sehen, Base Lorna. Auch weiß ich wohl, daß ich in Gefahr bin, aber ich fürchte mich nicht, denn im flüchtigen Lauf holt mich so leicht niemand ein und daheim in Schottland habe ich andere Berge gesehen als diese Maulwurfshügel, deshalb –‹

»›Hochedler Vetter,‹ unterbrach ich ihn; ›ich habe nicht Zeit hier müßig bei Euch zu weilen. Sagt mir kurz und bündig, was Euch herführt und dann laßt mich meines Weges gehen.‹

»›Das ist nicht so schnell abgethan,‹ entgegnete er, ›und wenn Ihr gestattet, mache ich mirs dabei behaglich.‹ Er lehnte sich an einen Baumstamm, nahm aus einer goldenen Schachtel ein fingerlanges braunes Röllchen heraus, schlug Feuer mit Stein, Stahl und Schwamm, zündete die Spitze der kleinen Stange an und begann blaue, wohlriechende Dampfwölkchen in die Luft zu blasen, wie ich's nie zuvor gesehen.

»›Fürchtet nichts, Base,‹ fuhr er fort, ›man wird mich für einen Glühwurm halten, der nach einer schönen Blume fliegt. – Ihr müßt wissen, daß mein Vater einer der ersten Lords am Hofe König Karls des Zweiten ist. Ich sollte auf sein Geheiß die Rechte studieren, aber das war nicht nach meinem Sinn. Ich sehnte mich nur nach Abenteuern, Gefahr und Kampf. Da ich aber gleichwohl täglich ein paar Stunden am Schreibpult zubringen mußte, begann ich zur Unterhaltung allerlei Wappen und Adelsbriefe zu untersuchen und nach ihrem Ursprung zu forschen. Da kam ich auch auf unsern Stammbaum und fand zu meiner Verwunderung, daß selbst wir, die Lords von Loch Awe, einen Geächteten in der nächsten Verwandtschaft haben, was mir völlig verborgen war.‹

»›Ihr meint Sir Ensor Doone, meinen Großvater,‹ erwiderte ich; ›wollt Ihr, so führe ich Euch zu ihm, er wird Euch ruhig anhören und es soll Euer Schaden nicht sein.‹

»›Nein, nein, ich will den Löwen nicht in seiner Höhle aufsuchen. Aber einem Edelfräulein wie Euch ziemt es nicht länger an diesem Orte zu wohnen und Zeugin der wilden Thaten zu sein, die hier geschehen. Folgt Euerm getreuen Vormund. Ich gebe Euch mein Ehrenwort, Euch sicher nach London zu geleiten.‹

»›Es ziemt sich auch nicht für ein Edelfräulein, mit einem jungen Herrn ins Weite zu gehen – das werdet Ihr wohl wissen, Vetter Alan?‹

»›Ich bringe Euch zu meiner Mutter, Eurer Tante, die sich sehnt, Euch aufzunehmen, wiewohl sie nichts von meinem Besuch hier weiß. Schon nach wenigen Monden werdet Ihr bei den Festen des königlichen Hofes glänzen und den Ton angeben, statt Eure Jugend in diesem Thal zu vertrauern.‹

»Als er von seiner Mutter sprach, war ich nachdenklich geworden. Er selbst schien mir zwar, nach seinem Wesen und Anzug zu urteilen, ein leichtsinniger junger Fant, doch konnte ich nicht zweifeln, daß er es redlich meinte und im Grunde ein kühnes, tapferes Herz besaß. Auch fiel mir Tante Sabine ein, deren heißes Gebet es stets gewesen war, es möchten sich Mittel und Wege zeigen, mich aus dem Doonethal zu befreien. Aber heimlich zu entfliehen und meinen Großvater zu verlassen, daran konnte ich nicht denken. Während ich noch unschlüssig dastand, zuckten plötzlich grelle Blitze über den Himmel und dunkle Wolken ballten sich zusammen; ein Gewitter kam über das Thal heraufgezogen, schon vernahm man das ferne Grollen des Donners, ich durfte nicht länger verweilen.

»›Ich kann nicht mit Euch gehen, Alan Brandir,‹ sagte ich schnell. ›Ohne meines Großvaters Erlaubnis verlasse ich das Thal nicht. Nehmt meinen Dank, daß Ihr gekommen seid, und entfernt Euch so rasch Ihr könnt. Ich begreife nicht, wie Ihr überhaupt den Weg zu mir gefunden habt.‹

»›Vom Felsen bin ich heruntergeklettert und muß mir jetzt den Rückweg über die Klippen suchen. Ich fürchte Ihr bereut Euern Entschluß, schöne Base, wenn es zu spät ist. Wäre nur meine Mutter hier, sie würde Euch leicht überreden. Aber bei einem Besuch, wie ich ihn Euch heute gemacht habe und bald wieder zu machen hoffe, konnte ich Lady Brandir unmöglich mitbringen. Gehabt Euch wohl, Base Lorna, ich bin stolz darauf, daß Ihr mein Mündel seid. Hier diese Blume gebt mir zum Angedenken. Lebt wohl, – ich sehe, Ihr habt es heute eilig – aber traut auf mich, ich kehre bald wieder zu Euch zurück.‹

»›Das sollst du nun und nimmermehr,‹ brüllte jetzt eine furchtbare Donnerstimme. Carver Doone hatte Alan Brandir erfaßt, wie die Spinne eine Fliege fängt. Der Knabe wehrte sich tapfer und strengte alle Kraft an, um seinen Arm zu befreien, damit er das Schwert ergreifen könne, aber es war ein vergebliches Bemühen. Wie mit eisernen Banden hielt der schreckliche Mann den schlanken Jüngling umklammert, und ich sah beim Schein der zuckenden Blitze das grimmige Hohnlachen in seinen Mienen, da er ihn jetzt wie ein Kind vom Boden hob und mit ihm im Dunkel verschwand.

»Ich war damals jung und unerfahren; mir scheint, ich bin seitdem um zehn Jahre älter geworden. Wenn ich die Unthat heute noch einmal erlebte, würde ich mich vielleicht auf den Mörder stürzen und ihn mit meinen schwachen Händen zu halten suchen, bis auch mich der Todesstoß träfe. Aber in jener Schreckensstunde lähmte mich das Entsetzen. Über mir krachte der Donner, ich sah noch den letzten, verzweiflungsvollen Blick des armen Opfers, und horchte mit stockendem Atem in die Finsternis hinaus, wo ich fernes Waffengeklirr zu vernehmen meinte. Aber kein unmännliches Angstgeschrei, kein Flehen um Erbarmen schlug an mein Ohr. – Lange kauerte ich in ohnmächtiger Angst am Boden; ich konnte keinen Laut von mir geben, und die Füße versagten mir den Dienst. Was in jener Nacht Grauenvolles geschehen ist, weiß Carver Doone allein.«

Weiter konnte Lorna nicht sprechen, sie brach in herzergreifendes Weinen aus. Nur in abgerissenen Worten flüsterte sie noch, sie habe wenige Tage später den schrecklichen Carver eine der kleinen braunen Rollen rauchen sehen, die ihrem armen Vetter gehört hätten. Die schreckliche Begebenheit war ihr in der Erinnerung wieder so lebendig geworden, daß sie sich vor Angst kaum zu fassen wußte. Ihr einziger Gedanke war, wie ich ohne Unfall, so schnell wie möglich in Sicherheit gelangen könne, als hätte auch ich von Carver Doone einen ähnlichen Streich zu fürchten. Ich versuchte sie zwar zu beruhigen, so gut ich konnte, aber mir war selber unheimlich geworden an dem ruchlosen Ort, und da die Dämmerung bereits hereinbrach, trennte ich mich schweren Herzens von Lorna und begab mich auf den Heimweg.


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