Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.
Lorna wird gefährlich.

Tags darauf kehrte Herr Huckaback wieder heim nach seiner lieben Stadt Dulverton und ließ mir viele Versprechungen von goldenen Bergen zurück. In meinem Innern kochte und brauste es vor Unruhe und Unternehmungsdrang – wo war aber ein Abenteuer, das meinen Thatendurst besser zu stillen vermochte, als ein Ausflug nach dem Thal der Doones auf dem schwierigen Wasserwege, den ich als Knabe entdeckt hatte? Ich brauchte nur noch zu warten, bis der Schneider in Porlock meinen neuen Anzug fertig hatte, denn ich wollte mich im besten Lichte zeigen. Endlich kam er und er saß wie angegossen. Nun machte ich mich sofort auf den Weg und vergaß in meiner Thorheit ganz, daß ich die Hosen im Wasser verderben würde.

Dem saumseligen Schneider und meiner eigenen Unentschlossenheit hatte ich's zu danken, daß der Valentinstag inzwischen herangekommen war, der Tag, an dem die Mädchen bei uns nichts als Liebesgedanken im Kopf haben und die Burschen die einfältigsten Gesichter machen. Keiner übertraf mich jedoch an Blödigkeit; vor Männern fürchtete ich mich mit meinen einundzwanzig Jahren zwar nicht im mindesten, aber vor jedem hübschen Mädchen war mir bange. Meine Körpergröße und Stärke machte mich in Gegenwart des schwächern Geschlechts so befangen, daß ich nicht einmal einen Holzklotz ins Kaminfeuer tragen mochte, sondern mich lieber von Annchen schelten ließ und zusah, wie sie selbst mit ihren kleinen Händchen ein paar Scheiter aufhob und auf das brennende Reisholz legte. Oft wünschte ich, daß ich nicht größer wäre als Jakob, den ich jetzt, wenn er unverschämt wurde, mit der linken Hand am Gürtel aufheben und in der Luft zappeln lassen konnte, bis er um Schonung bat, weil er ein Familienvater sei.

Daß ich, gerade wie vor sieben Jahren, am Valentinstag auszog, schien mir eine gute Vorbedeutung. Nachdem ich den Knechten ihre Arbeit angewiesen hatte, suchte ich mir einen tüchtigen Eschenstock, befestigte wie damals eine Fanggabel daran und ging zur Hinterthür hinaus, durch unsern Obstgarten und am schäumenden Lynn hinunter. Statt aber seinen Windungen zu folgen, bahnte ich mir einen Richtweg durch das Dickicht und erreichte den Bagworthy nicht weit von dem Wasserfall. Der schwarze See lag noch gerade so unheimlich da, flößte mir aber keine Furcht mehr ein. Mit Verwunderung bemerkte ich dagegen, wie seicht der Bach mir jetzt vorkam; das Wasser, in dem ich damals bis über die Kniee watete, ging mir nur bis an die Knöchel; aber es war noch ebenso dunkel in der Felsenschlucht, und den großen nassen Rutschberg hinauf kletterte sichs nicht leicht. Endlich, nach tüchtiger Anstrengung, stand ich oben, ich hielt erst nach allen Seiten Umschau, ehe ich mich ans helle Tageslicht wagen wollte.

Nach dem milden Winter hatte der Frühling sich vorzeitig eingestellt, man spürte seinen Hauch an Baum und Busch. Das geschützte sonnige Thal, in das ich hineinblickte, prangte bereits in jungem Grün, die Kätzchen der Weidenbüsche hingen tief hinunter, als angelten die Zweige mit goldenen und silbernen Ködern in dem Fluß, dessen klare frühlingsblaue Wellen lustig einhergetanzt kamen. Auf der Wiese aber, an beiden Ufern, hatten sich im lauen Wind schon viele Knospen von Maßliebchen und Schöllkraut geöffnet und hier und da guckte eine liebliche Primel aus dem Grase hervor.

Ich vergaß Furcht und Sorgen über all der Frühlingsherrlichkeit und horchte frohgemut auf die Stimmen der Natur. Da schallte plötzlich das Thal entlang eine süßere Melodie als Drossel und Amsel je zu flöten vermochten. Ja selbst in unserer Kirche zu Oare hatte ich solchen Gesang noch nie gehört. Atemlos lauschte ich den reichen vollen Tönen und dem Zauber der Worte:

»Wer mich treu will minnen
Flieh' den Heuchelschein,
Denn mich kann gewinnen
Liebe nur allein.

Goldner Glanz und Schimmer,
Schmuck und Edelstein,
Lockt mein Herze nimmer,
Liebe nur allein.

Liebe, süßes Leben,
Komm, ich harre dein,
Will mich nur ergeben
Liebe, dir allein!«

Das kleine Lied bewegte mich im Innersten. Erst als die Sängerin schwieg, spähte ich hinter einem Busch hervor, denn ich fürchtete sie zu erschrecken. Da sah ich ein so entzückendes Bild, daß ich hätte anbetend niederknieen mögen, selbst im kältesten Wasser.

Am Ufer des Baches kam sie dahergewandelt durch die blumige Wiese und jede Primel im Grase glänzte goldiger, so lange ihr Auge darauf ruhte. Das Herz pochte mir gewaltig; ich wagte nicht, ihr ins Antlitz zu schauen, ich sah nur, wie ihr schönes Haar unter einem Kranz weißer Veilchen herabfloß und wie der Abendsonnenschein ihre anmutige Gestalt umleuchtete. Selbst jetzt, in meinen alten Tagen, sehe ich niemals die Sonne im Westen sinken, ohne daß ich ihrer gedenke. Ach, giebt es denn überhaupt etwas am Himmel und auf Erden, wobei sie mir nicht in den Sinn kommt? –

Jetzt hemmte sie ihren Schritt und sah umher, als sollten die Vögel ihr Antwort geben. Mich überwältigte der Anblick ihrer Schönheit; wie niedrig und unwürdig kam ich mir dagegen vor. Statt aber vor Scham in den Boden zu sinken, trat ich, von ihrer Zaubermacht angezogen, aus dem Dunkel hervor und stand mit gesenkten Blicken da. Sie wollte die Flucht ergreifen, denn sie erkannte mich nicht und meine gewaltige Größe mochte sie wohl erschrecken; da warf ich mich vor ihr ins Gras, wie vor sieben Jahren, und rief nur: »Lorna Doone!«

Nun sah sie gleich wer ich sei und ein Lächeln verklärte ihre ängstliche Miene, wie wenn ein Sonnenstrahl durch Espenlaub fällt. Das kluge Mädchen wußte auch sofort, daß sie mich nicht zu fürchten brauche; zwar stellte sie sich zornig, weil sie sich ihrer Zaghaftigkeit schämte, aber innerlich lachte sie gewiß und war froh.

»Oho, was erkühnt Ihr Euch,« rief sie. »Wer seid Ihr und woher kennt Ihr meinen Namen?«

»Ich bin John Ridd,« entgegnete ich, »der Knabe, der Euch heute vor sieben Jahren die schönen Fische brachte. Damals ward Ihr noch ein kleines Ding.«

»Ach, der arme Junge, der so schreckliche Angst hatte und im Wasser liegen mußte, um sich zu verbergen!«

»Jawohl, und gegen den Ihr so gütig waret. Eure Klugheit und Schnelligkeit rettete mir das Leben. Ihr thatet als hättet Ihr mich nie gesehen, als der große Mann Euch auf seiner Schulter davontrug und gucktet doch nach mir zurück durch die Weidenbüsche.«

»O ja, ich habe es nicht vergessen, weil ich so selten jemand sehe, außer – ich meine, weil ich ein gutes Gedächtnis habe. Aber Ihr erinnert Euch wohl gar nicht mehr, wie gefahrvoll dieser Ort ist.«

Während sie sprach, ruhte der Blick ihrer großen dunkeln Augen auf mir, so sanft, so feurig und so voll Hoheit, daß ich wußte, ich müsse sie ewig lieben und mich doch ewig ihrer unwert fühlen. Es verwirrte mir Kopf und Herz, so daß ich kein Wort zu erwidern vermochte. Sie anzusehen wagte ich auch nicht mehr, ich lauschte nur, ob ich den Wohllaut wieder vernehmen würde, der mir wie Gesang im Ohre tönte, den Wohllaut ihrer süßen Stimme. Sie aber ahnte nicht, was in mir vorging, so wenig als ich es selber wußte.

»Ihr kennt offenbar weder die Gefahren dieses Ortes, noch die Natur seiner Bewohner,« sagte sie und schlug die Augen nieder.

»Doch, ich weiß genug davon und fürchte mich entsetzlich, sobald ich Euch nicht anschaue.«

Sie war noch zu jung, um mir hierauf zu antworten, wie es manches Mädchen gethan haben würde – ich meine auf ›kokette Manier‹, so nennt man es jetzt mit einem Fremdwort. Auch zitterte sie wirklich vor einer Gewaltthat, denn leicht konnten sich eiserne Fäuste meiner bemächtigen und mir ein jämmerliches Ende bereiten. Ihre Angst blieb nicht ohne Wirkung auf mich; es bangte mir jetzt selber vor Unheil, das ja den Menschen häufiger trifft als ein günstiges Geschick.

So schien es mir denn am geratensten, mich schleunig wieder zu entfernen. Ich durfte ihr nicht einmal gestehen, daß ich sie liebe, und hätte es doch von Herzen gern gethan. Wenn ich jetzt in aller Bescheidenheit fortging und was ich noch zu sagen hatte auf meinen nächsten Besuch verschob, würde sie vielleicht an mich denken und nach mir ausschauen, statt mich lästig zu finden mit meinem ungelenken Wesen. Daß ich im Vergleich zu der schönen vornehmen Jungfrau nur ein grober Bauer war, wußte ich wohl, aber, bis ich zu ihr zurückkehrte, wollte ich versuchen mir mehr Bildung zu erwerben; auch ein Instrument spielen zu lernen nahm ich mir fest vor.

»Ihr sollt meinetwegen nicht in Sorge sein, liebwertes Fräulein,« begann ich. »Vermutlich würde es Euch Kummer bereiten, schösse mich irgend ein Bösewicht tot. Und meiner Mutter ginge es ans Leben. Sie glaubt, es gibt auf Erden keinen zweiten Sohn wie mich. Aber wollt Ihr nicht meiner dann und wann gedenken? Ich will Euch auch schöne frische Eier bringen, denn unsere blaue Henne fängt jetzt an zu legen.«

»Vielen Dank,« sagte Lorna, »aber deshalb braucht Ihr nicht hier ins Thal zu kommen. Legt sie nur in meine Felsgrotte, wo ich beinahe immer zu finden bin – das heißt, ich halte mich dort täglich auf, wenn ich lesen möchte und nicht in der Nähe – der andern sein.«

»O zeigt mir den Ort. Dann will ich dreimal täglich kommen und bleiben –«

»Behüte, das darf nicht sein; denkt nur an die drohende Gefahr. Aber freilich, Ihr habt ja den Weg schon gefunden.«

Sie sprach die letzten Worte mit so holdem Lächeln, daß ich hätte laut rufen mögen, sie solle mir nur den Weg zu ihrem Herzen zeigen, dann würde ich mein Lebtag keinen andern suchen. Aber ich bezwang mich wie ein Mann und nahm nur schüchtern ihre weiße Hand, die sie mir zum Abschied reichte. Als ich sie dabei leise seufzen hörte – wenigstens schien es mir so – ward ich tief gerührt und beschloß, ihr alles zu geben was ich besaß, wenn sie sich nur herablassen wollte es anzunehmen. Der Gedanke beschäftigte mich auf dem ganzen Heimweg, und bei der bloßen Vorstellung, daß ein anderer Mann um ihren Besitz werben könne, ergriff mich eine unsinnige Wut.


 << zurück weiter >>