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Lornas Geschichte hatte mich tief traurig gestimmt. Die Sorge um ihre Sicherheit und die Furcht sie zu verlieren bedrückten mich gleichermaßen. War doch jetzt kein Zweifel mehr, daß sie, als nahe Anverwandte einer altadligen Familie Schottlands, viel zu hoch über dem Sohn des Freisassen stand, dessen Kinder auch nur Freisassen werden konnten. Der arme junge Lord that mir zwar leid; aber was brauchte so ein zierliches Püppchen auch auf fremdem Grund und Boden herumzuschleichen, um Lorna zu entführen?
Mehr als alles andere verdroß mich jedoch meine eigene Unentschlossenheit. Ich hätte, noch ehe Lorna zu erzählen begann, meine einfältige Zaghaftigkeit überwinden und ihr sagen sollen, wie sehr ich sie liebe und daß ich um ihre Gegenliebe ringen oder sterben müsse. Bei ihrer wunderbaren Schönheit ließ sich ja jeden Augenblick erwarten, daß ein Bewerber von höherer Geburt, Bildung und Begabung mir zuvorkommen und mich bei ihr in den Schatten stellen würde. Der bloße Gedanke machte mich rasend und unwillkürlich ballten sich meine starken Fäuste.
Das Schlimmste aber war, daß ich vor lauter Angst und Schrecken über Lornas Thränen gelobt hatte, mich wenigstens einen Monat lang nicht mehr in der Umgegend des Doonethals blicken zu lassen, außer wenn etwas geschehen sollte, um ihre jetzige Lage zu verschlimmern und sie in besondere Unruhe zu versetzen. In diesem Falle versprach sie einen gewissen Stein am Eingang ihrer Grotte mit einem dunkeln Tuch zu verhüllen. Wer im Thale stand, konnte den Stein nicht sehen, aber von dem Gipfel aus, den ich damals mit Onkel Ruben erklettert hatte, war er deutlich zu bemerken.
Ich suchte mich unterwegs damit zu trösten, daß wahre Liebe nicht Rang noch Stand kennt und doch am Ende triumphiert. Müde und niedergeschlagen kam ich wieder nach Hause, aber gerade zur rechten Zeit, um einer Unverschämtheit zu steuern, über die ich in furchtbaren Zorn geriet.
Es hatte sich nämlich zugetragen, daß Junker Marwood de Wichehalse, des Barons einziger Sohn, von der Jagd heimkommend, den kürzeren Richtweg über unsern Hof einschlug. Er war durstig geworden und bat um einen Trunk. Als nun unser Annchen ihm das große Trinkhorn reichte, aus dem wir die Gäste laben, hielt er sie fest, sah ihr ins Gesicht und zog dabei höflich den Hut. Vermutlich hatte er von ihrer Schönheit gehört und wollte sich durch den Augenschein überzeugen. Annchen machte ihm ihren besten Knix, der hübsche, schwarzäugige Junker, der sie so freundlich ansah, mochte ihr wohlgefallen. Er leerte das Trinkhorn sehr langsam, sagte Annchen allerlei Schmeicheleien, sprach von unserer Kameradschaft in der Schule, als ob wir die besten Freunde gewesen wären, und trank auf das Wohl der ganzen Familie. Als er noch immer nicht fortritt, fürchtete Annchen, Mutter möchte sie schelten, oder Elise ans Fenster kommen. Sie stand noch unentschlossen da, als plötzlich aus dem Erdboden heraus jenes hohle, geheimnisvolle Klagegestöhn erscholl, von dem ich im Winter gesprochen habe. Der Junker fuhr im Sattel in die Höhe, ließ das Trinkhorn fallen und schaute sich erschrocken nach allen Seiten um; Annchen aber ward geisterbleich und zitterte heftig. Und kein Wunder, denn der Pfarrer hatte uns ja selbst gesagt, daß es nichts anderes als Teufelsspuk sei.
Der junge Marwood faßte sich schnell, es war doch eine günstige Gelegenheit, das schöne Annchen zu trösten; er sprang vom Pferde und umfing sie mit seinen schützenden Armen. Ob er auch versuchte, ihr einen Kuß zu rauben, haben wir nie erfahren, sie war viel zu schüchtern und sittsam, um davon zu reden, es wäre ja auch eines Edelmanns ganz unwürdig gewesen.
Gerade in diesem Augenblick kam ich nach Hause und war schon ärgerlich, als ich die Jagdhunde im Hofe sah, denn es scheint mir grausam, die Vögel zur Brutzeit zu stören. Wer beschreibt aber mein Erstaunen, als ich die beiden zusammen traf und hörte, wie Annchen, von Purpurglut übergossen, den Junker bat, sie loszulassen. Gott verzeih' mir, wenn ich ihm unrecht that; ich gab ihm mit der flachen Hand einen Schlag auf den Kopf, daß er der Länge lang mitten unter die Milcheimer fiel und der Rahm über ihn hinfloß; hätte ich die Faust gebraucht, er wäre wohl nimmer wieder aufgestanden. Als ich darauf Annchen ins Haus führte, machte sie ein ängstliches Gesicht und schien mir nicht gerade sehr dankbar gesinnt.
Ich fühlte jedoch, daß ich meine Pflicht gethan hatte und war bereit, die Folgen zu tragen. Es kam aber ganz anders, als ich erwartete. Nicht lange nachher schickte mir nämlich Marwood de Wichehalse durch einen Stallknecht einen schönen Brief, in dem er mich wegen seiner Unhöflichkeit gegen meine Schwester um Entschuldigung bat. Sie wären beide über den unheimlichen Lärm erschrocken und er habe sie nur beruhigen wollen. Er hoffe, ich werde ihm verzeihen und es nicht ungern sehen, wenn er mich einmal besuche, zum Beweis, daß wir einander nichts nachtrügen, als gute, alte Schulkameraden.
Diese Art, einen Streit beizulegen, war für mich ganz neu, aber ich bin leicht zu versöhnen und nicht argwöhnischer Natur. Der junge Marwood besuchte uns also wie seinesgleichen und als wäre nichts zwischen uns vorgefallen. Das war natürlich sehr herablassend von ihm, da er doch aus einer so guten, alten Familie stammte, die nur leider in ihren Vermögensverhältnissen immer mehr herunter kam. Annchen sah er nicht wieder, dafür trug ich schon Sorge; sie sehnte sich auch zum Glück durchaus nicht nach ihm.
In Feld und Wiese gab es jetzt für uns Arbeit genug; denn als die liebe Sonne nach einer kurzen Regenzeit wieder zum Vorschein kam, hatte der Frühling in voller Herrlichkeit Einzug bei uns gehalten. So schön war er mir noch nie erschienen, vielleicht weil damals in meinem Herzen die Liebe aufging und mir die ganze Welt verklärte.
Die jungen Lämmer sprangen im Klee, die frischen Triebe der Eichen und Buchen stießen die vorjährigen dürren Blätter ab; Haselbüsche, Weiden und Erlengesträuch hatten ihre Kätzchen herausgehängt und alle Hecken prangten im jungen Grün.
An solchen Frühlingstagen die trägen Knechte zum Fleiß anzuhalten, war für mich keine Kleinigkeit; und doch wuchs das Unkraut so üppig in den Weizen- und Haferbreiten, daß Hacke und Spaten nicht feiern durften. Wenn die Leute nach dem Abendessen heimgegangen waren, saßen wir meist noch beisammen am Kamin, obgleich kein Feuer mehr darin brannte. Mutter und Elise hätten dann gern gewußt, woran ich eigentlich dachte, aber Annchen quälte mich nie mit zudringlichen Fragen, wie Elise häufig that. Sie sah mich nur oft verständnisvoll an, als hätten wir beide den gleichen Kummer, und sie wisse wie mir zu Mute sei. Merkwürdigerweise ahnte Mutter nicht, was in Annchens Herzen vorging; sie war stets brav und tüchtig in Küche und Haus, sorgte für den Leinenschrank und that still was ihr geheißen ward, so daß alle Welt meinte, sie würde nie nach einem Manne umschauen, außer auf Mutters Wunsch. Ich aber war anderer Ansicht, denn ich fürchtete schon längst, sie sei Tom Faggus zugethan. Gern hätte ich sie vor ihm gewarnt, aber ich wollte meine Schwester nicht kränken und sie mir vielleicht gar entfremden. Auch wußte ich, daß, wenn sie einmal ihr Herz an ihn gehängt hatte, meine Worte nur in den Wind geredet wären. ›Der Kessel schilt den Ofentopf‹ lautet bei uns ein Sprichwort, und wer weiß, ob Annchen nicht thöricht genug sein könnte zu behaupten, sie thue weniger unrecht an Tom Faggus zu denken, als ich, mein schuldloses Mädchen zu lieben. Vetter Tom – das muß man anerkennen – führte damals ein geordnetes, gottesfürchtiges Leben. Er hatte sein gutes Auskommen, war allgemein geachtet und betrieb sein Geschäft nur noch, wenn er eine Zerstreuung brauchte, oder die Hüter des Gesetzes ihm in die Quere kamen.
Der Monat kroch so langsam weiter, als wolle er ewig dauern. Daß ich in der Woche täglich einmal und des Sonntags zweimal nach einem Zeichen von Lorna ausschaute, brauche ich wohl nicht erst zu sagen. Weder die Sorge für Acker und Vieh, weder Rücksicht gegen meine Mutter, noch Angst um meine Schwester hielten mich davon ab. Die Sehnsucht meines Herzens ließ sich nicht stillen. Wanderte ich durch das blühende Thal oder am kristallklaren Bach entlang, zählte ich die Lämmer in der Hürde oder sah die jungen Kühe am Abhang grasen, schaffte ich im Morgentau auf dem Felde, wenn die Sonne über dem goldumsäumten Bergrücken auftauchte, oder lüftete ich abends den Hut von der heißen Stirn – ob es Tag oder Nacht war, bei der Arbeit und im Schlaf – stets lag es mir wie ein Alp auf der Brust und die Furcht wollte nicht weichen.
Glückliche Menschen freuten sich an der Frühlingspracht, an dem Wachstum des Kornes und der Saaten; mir aber glänzte kein Hoffnungsstrahl und ein giftiger Mehltau fiel auf meine Blüten.
Zu Mutters großem Leidwesen schwand damals meine Eßlust zusehends, so daß ich nie mehr als eine tüchtige Mahlzeit am Tage verzehren konnte. Man sprach schon davon, den Arzt zu Rate zu ziehen, der wöchentlich zweimal nach Porlock kam; Annchen mußte ihre ganze Kochkunst aufbieten, und selbst Lieschen, die eine wohlklingende Stimme hatte, sang mir Lieder vor, um mich zu zerstreuen. Die alte Betty aber mochte wohl recht haben, wenn sie brummte: ›Hunger macht rohe Bohnen süß und Überfluß bringt Überdruß! Laßt ihn nur ein Weilchen fasten, das schadet keinem Menschen 'was.‹
Mutter war aber anderer Meinung. Sie lud sogar Nachbar Snowe und seine drei Töchter zum Abend ein, so daß ich zu Hause bleiben mußte, statt nach Lornas Zeichen zu spähen. Aus Ärger hierüber vergaß ich die Höflichkeit so sehr, daß ich den Nachbar fragte, warum er das Holzgitter an unserer Wasserscheide noch nicht ausgebessert hätte, wie es seine Pflicht und Schuldigkeit sei. Snowe aber sah mich von oben herab an und sagte: »Von Geschäften reden wir ein andermal, junger Mann.«
Ich hatte aber auch sonst mit dem Nachbar Niklas ein Hühnchen zu pflücken, denn mir war ein Gerücht zu Ohren gekommen, als liebäugle er mit meiner Mutter; auch schien mir die Art, wie er über unsere Bienenstöcke sprach, und die Entenzucht, und das kranke Knie unseres Leitochsen, höchst verdächtig. Wenn er solche Absichten hegte und sie ausführen konnte, dann wäre das Gitter entbehrlich gewesen, und mit dem Abdämmen des Flusses, wovon immer die Rede war, würde es gute Wege haben. Aber so hatten wir nicht gewettet. Als ich den drei jungen Damen, wie sie sich nannten, mit der Stalllaterne nach Hause geleuchtet hatte und der Nachbar sich auch von mir verabschieden wollte, bat ich ihn noch um einen Augenblick Gehör, denn mit Mutter mochte ich über die Sache nicht reden.
»Mit Vergnügen, mein Sohn!« sagte er höchst bereitwillig. Vielleicht glaubte er, ich wollte um Sally anhalten.
»Aber Nachbar, Ihr müßt mirs nicht übel nehmen,« begann ich etwas zaghaft.
»Bewahre, mein Junge; da sei ohne Sorge. Dein Vater war ja mein bester Freund, immer offen und aufrichtig – sprach frisch von der Leber weg, Gott hab' ihn selig. Den Wert eines Düngerhaufens zu schätzen verstand doch keiner wie er.«
»Mich freut, daß Ihr so denkt, Nachbar. So will ich denn auch, wie mein Vater, frisch von der Leber weg reden.«
»Ja, ja, recht so. Wir brauchen keine weiteren Einleitungen.«
»Ich wollte Euch nur sagen, Nachbar – daß ich es nicht dulde, wenn Ihr meiner Mutter den Hof macht.«
»Wie – was – hat man je dergleichen gehört! Die Jugend nimmt sich wirklich alle Tage mehr heraus. Ich dächte, darüber hätte doch deine Mutter selbst zu entscheiden. Nein, danke, ich brauche dein Licht nicht; den Weg in mein Haus kann ich schon allein finden.«
Damit schlug er mir die Thür vor der Nase zu und forderte mich nicht einmal auf, noch bei ihm einzutreten.