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Statt sich den Neujahrspudding schmecken zu lassen, erging sich Herr Huckaback noch weiter in Klagen und Beschwerden; besonders bejammerte er auch den Verlust der kostbaren Geschenke, die er für sämtliche Familienglieder mitgebracht hatte. Selbst als Mutter ihm versicherte, ihre Kinder wären mit allem versorgt und begehrten weder Gold noch Silber, wollte er sich nicht beruhigen.
Um ihn zu zerstreuen, hatten wir zum Abend den Nachbar Niklas Snowe eingeladen. Er erschien auch pünktlich mit seinen drei Töchtern, die gehörig aufgeputzt hinter ihm drein marschierten. Es waren brave, stattliche Mädchen, wohl bewandert in Küche und Milchkammer, wie Mutter nie verfehlte zu bemerken, wenn die Rede auf sie kam. Sie sagte das eigentlich nur zu meinem Besten, aber ich achtete nicht darauf, seit Jakob überall die dumme Geschichte erzählte, ich hätte ein Auge des Wohlgefallens auf eine von den dreien geworfen, doch wisse ich selbst nicht auf welche. Onkel Ruben, der gern mit jungen hübschen Mädchen schäkerte, ward bald ganz vertraut mit ihnen, und sie trieben allerlei lustige Possen, was Mutter um Annchens willen, die immer schüchtern und zurückhaltend war, verdroß. Nachdem wir den Punsch getrunken hatten, wurden die Mädchen ins Besuchszimmer geschickt, wir andern aber nahmen am Kamin Platz, Mutter auf dem Ehrensitz, Nachbar Snowe in der Ecke mit seiner Pfeife und Onkel Ruben auf einem dreibeinigen Schemel, als sei ihm sonst nichts geblieben auf dieser Welt.
»Mein Onkel wünscht, daß wir zusammen beraten, Nachbar,« begann Mutter, »wegen des Mißgeschickes, das ihn auf der Reise von Dulverton zu uns betroffen hat. Er meint –«
»Eine verfluchte Geschichte,« schrie Onkel Ruben in hellem Zorn. »Es ist eine Schande für England, eine Schande für diesen Kirchsprengel. Ganz Oare ist nichts als ein abscheuliches Räubernest und Ihr allesamt ein nichtswürdiges Pack von Dieben und Betrügern, Ihr Freisassen und Landwirte, so viel Eurer sind. Hier, auf Euerm Grund und Boden, bin ich ausgeplündert worden und der Sprengel muß mir Entschädigung leisten, und sollt Ihr alle darüber zu Bettlern werden, wenn Ihr's nicht schon seid.«
Als Onkel so unsinnig schalt in seinem Grimm, sahen wir einander an; der alte Mann that uns leid. Er aber hielt unser Schweigen für Furcht.
»Ja, ja, glaub' es nur, Neffe,« fuhr er heftig zu mir gewendet fort, »ein Bauerntölpel bist du, ein plumper Lümmel, zu nichts gut, als mir die Stiefel zu wichsen. Von meinem Geld sollst du nichts haben als das leere Nachsehen, verlaß dich darauf.«
»Schon gut, Onkel,« entgegnete ich einfältiglich, »solange du unser Gast bist, will ich dir gern die Stiefel wichsen.« Die Antwort hat mir später noch etwas eingebracht, worauf ich nicht rechnete. Jetzt geriet aber Mutter in Harnisch. »Wer verlangt nach deinem Geld,« rief sie, »mein John gewiß nicht. Mancher andere an seiner Stelle hätte dich neulich in der Not stecken lassen – und das ist nun der Dank dafür!«
Mutter zog ihr Taschentuch; ich aber flüsterte ihr zu, sie solle sich's nur nicht zu Herzen nehmen und wenn Onkel auch zehntausendmal zehntausend Pfund Sterling besäße.
Zuletzt warf sich auch Nachbar Snowe in die Brust. »Nichts für ungut, Herr Huckaback,« sagte er, und erhob das lange Pfeifenrohr gegen ihn, »aber in Anbetracht dessen, was Ihr Euch erlaubt habt über unsern Kirchsprengel zu äußern, erkläre ich hiermit, daß Ihr ein großer Lügner seid.«
Das war eine schwere Beleidigung für einen Mann, der als Gast an unserm Herde saß, wenigstens sahen wir mit unsern einfachen Sitten das so an. Onkel Ruben aber schien im Handel und Wandel schon Ähnliches erlebt zu haben.
»So beweist es doch,« rief er, »und helft mir zu meinem Recht. Von den geraubten Gütern will ich gar nicht mehr reden, wiewohl sie von großem Wert waren, ich verlange nur, daß die Schurken ihre Strafe erleiden!«
»Still, still,« warnte Snowe, »es könnte uns übel bekommen, wenn wir so von den Doones reden – der Bagworthy-Wald ist nicht weit.«
»Ihr feiges Pack!« schrie Onkel, »das also nennt man Mut und Tapferkeit hier in Exmoor. Da kann ich lange warten, Ihr Memmen, bis Ihr mir Genugthuung verschafft. Kein Wort mehr; ich sage mich los von Euch. Nichts will ich länger mit Euch gemein haben. Ich schüttle den Staub von den Füßen!«
Wir sahen ein, daß es vergeblich war, mit ihm zu streiten und ließen ihn seinem Ärger Luft machen. Als dann aber der Glühwein kam, den die Mädchen uns kredenzten, und Annchen Onkels Glas immer wieder voll schenkte, schwand sein Groll ein wenig. Ehe wir uns zur Nacht trennten, hielt er uns noch eine Ansprache: »Ich bin vorhin wohl etwas widerwärtig gewesen,« sagte er, »und habe gegen Anstand und gute Sitte verstoßen; zwar nehme ich kein Wort von meiner Rede zurück – das thue ich nie – aber eins muß ich zugeben: Ihr seid zwar keine Helden in Exmoor, wo es gilt in den Kampf zu ziehen, aber tapfer im Essen und Trinken seid Ihr und bereit dem Gaste aufzutischen wie an keinem Ort der Welt!« Dann leerte er noch einmal sein Glas auf unser aller Wohl und gutes Einvernehmen und begab sich zur Ruhe.
Am nächsten Morgen bat Onkel mit geheimnisvoller Miene, Mutter möge ihm einen Geleitsmann mitgeben, da er Geschäfte in einer nicht ganz ungefährlichen Gegend habe. Als Mutter ihm darauf bereitwillig Jakob zur Verfügung stellte, meinte er lachend, der sei ihm nicht groß genug; er müsse einen andern haben, den man nicht so leicht wegschleppen könne oder nach dem, wenn dies doch geschehen sollte, alle Welt mit vereinten Kräften suchen würde, bis er wieder da sei.
Er meinte mich. Mutter aber wollte davon durchaus nichts hören, während ich auf der Stelle bereit war, denn es schmeichelte meinem Selbstgefühl, der Hüter eines so reichen Mannes zu sein. Es ward mir auch nicht schwer, Mutter, die den Kopf an meine Schulter gelehnt hatte, zu überreden, mich in Gottes Namen ziehen zu lassen. Desto größer war meine Enttäuschung, als ich erfuhr, daß Onkel Ruben nur vorhatte, den königlichen Friedensrichter, Baron de Wichehalse, aufzusuchen, um seine Beschwerde vorzubringen und sich einen Haftbefehl gegen die Doones auszuwirken.
Den Baron de Wichehalse hatte ich schon früher gesehen und fürchtete ihn durchaus nicht – ich war ja mit seinem Sohn in die Schule gegangen – daß Onkel aber von ihm keinen Haftbefehl gegen die Doones bekommen würde, hätte ich ihm zum voraus sagen können. Doch schwieg ich wohlweislich still, teils aus Bescheidenheit, teils weil mich die Neugier plagte, etwas zu sehen und zu erleben.
Die Familie de Wichehalse stammte aus Holland, von wo ihr Ahnherr unter der spanischen Herrschaft um seines Glaubens willen mit Sack und Pack nach England entflohen war. Hier kaufte er sich große Güter in Devonshire und seine nächsten Nachkommen vermehrten das Besitztum noch durch reiche Heiraten. In den letzten fünfzig Jahren aber hatte die Familie viel von ihrem Reichtum und Ansehen verloren, denn was die Väter erworben hatten, verstanden die Söhne auszugeben.
Alle Vorsichtsmaßregeln, die Onkel Ruben für den Ritt getroffen hatte, erwiesen sich als unnütz. Das Wetter war klar und wir erreichten unbehelligt unser Reiseziel. Im Schloß empfing man uns höflich; wir wurden in der großen Halle mit Speise und Trank bewirtet und darauf in den Gerichtssaal geführt. Hier fanden wir den Baron Hugo de Wichehalse und seinen Beisitzer, Oberst Harding. Der Baron, ein schöner weißhaariger Mann mit edler Haltung, freundlichen blauen Augen und großer Adlernase, erhob sich bei unserm Eintritt, worauf Onkel Ruben einen tiefen Kratzfuß machte und vor den Gerichtstisch trat. Er war den beiden Herren natürlich nicht unbekannt, ja Oberst Harding hatte sogar, wie ich später erfuhr, eine große Summe Geldes von ihm entlehnt, gegen gute Sicherheit. Onkel beachtete ihn gar nicht, sondern trug sofort dem Baron seine Sache vor.
Der hörte ihm lächelnd zu und bemerkte dann mit großer Ruhe:
»Einen Haftbefehl gegen die Doones wünscht Ihr, Herr Huckaback? Welche Doones, wenn ich bitten darf; wie sind die Taufnamen?«
»Die Taufnamen, Herr Baron? Vielleicht haben sie überhaupt keinen Pathen gehabt. Aber Sir Ensors Name ist wohlbekannt – das wäre also abgemacht!«
»Sir Ensor und seine Söhne, sagt Ihr. Wie viele Söhne, und wie heißt jeder einzelne?«
»Wie soll ich das wissen? Aber es waren ihrer sieben – also, das wäre abgemacht.«
»Ganz recht, Herr Huckaback. Der Haftbefehl wird demnach ausgestellt auf Sir Ensor Doone und seine sieben Söhne – Taufnamen unbekannt, falls überhaupt vorhanden. Sir Ensor ist natürlich selbst dabeigewesen, wie sich nach Eurer Aussage schließen läßt.«
»Das habe ich nicht gesagt, Herr Baron, ich meinte nur – –«
»Wenn er Beweise bringt, daß er nicht dabei war, kann man Euch wegen falschen Zeugnisses verklagen. Aber, wie steht es mit den sieben Söhnen? Vermutlich könnt Ihr schwören, daß es wirklich seine Söhne waren, nicht etwa seine Neffen, seine Enkel, oder vielleicht gar keine Doones.«
»Daß es Doones waren, will ich beschwören; übrigens komme ich für jeden Mißgriff mit meinem Geldbeutel auf – daran soll's nicht fehlen.«
»O ja, zahlen kann er,« fiel hier Oberst Harding ein.
»Das höre ich mit Vergnügen,« bemerkte der Baron mit verbindlichem Lächeln. »Es beweist, daß Ihr durch die Beraubung – falls eine solche wirklich stattgefunden – nicht ganz zu Grunde gerichtet seid. Man bildet sich nämlich zuweilen ein, man sei bestohlen worden und freut sich hinterher doppelt seines Besitzes. Seid Ihr denn auch ganz sicher, werter Herr, daß jene Männer – falls sie wirklich da waren – Euch etwas abgenommen, geraubt oder auch nur abgeborgt haben?«
»Glaubt der Herr Baron etwa, ich sei betrunken gewesen?«
»Durchaus nicht, werter Herr, wiewohl es sich in dieser Festzeit entschuldigen ließe. Aber woher wißt Ihr überhaupt, daß die Leute, die Euch begegnet sind, gerade zu jener Familie gehörten?«
»Weil es niemand anders sein konnte. Weil ich trotz des Nebels – –«
»Nebel!« rief Oberst Harding schnell.
»Nebel!« wiederholte der Baron nachdrücklich. »Das erklärt die Angelegenheit auf einmal. Man konnte ja bei der Dunkelheit kaum den Kopf seines eigenen Pferdes sehen. Die Doones – falls diese Familie überhaupt noch lebt – würden sich nun und nimmermehr hinausgewagt haben. Um Euretwillen, Herr Huckaback, freut es mich aufrichtig, daß die Anklage hinfällig ist. Die ganze Sache ist mir jetzt völlig klar; der Nebel war schuld an allem.«
»Kehrt nur wieder um, mein Lieber,« sagte Oberst Harding, »ist das Wetter hell genug, so findet Ihr sicher Euer Eigentum wieder, wo Ihr es verlassen habt. Ich habe selbst erfahren, was es heißt, in Exmoor vom Nebel überrascht zu werden.«
Onkel Ruben war jetzt so außer sich, daß er nicht mehr wußte, was er sprach.
»Nennt Ihr das Gerechtigkeit!« rief er. »Das ist himmelschreiend! Der König soll erfahren, wie man hier in seinem Namen Recht spricht, und müßte ich eigens deshalb nach London gehen! Seine Unterthanen werden ausgeplündert und hinterdrein beweisen die Richter, daß sie auch noch gehangen zu werden verdienen. Hier in seiner Grafschaft Somerset –«
»Halt, bester Herr,« fiel der Baron ein, »das war es, was ich eben bemerken wollte; die Übelthat hat – wenn überhaupt – in Somerset stattgefunden; wir beiden Diener seiner Majestät sind jedoch nur befugt und eingesetzt, um in Devonshire Recht zu sprechen, weshalb wir Euern Fall nicht einmal behandeln dürfen.«
»Und warum in aller Welt habt Ihr denn das nicht gleich gesagt?« schrie jetzt Onkel Ruben in voller Wut. »Da hätte ich mich doch nicht umsonst herumgeärgert und meine Zeit verloren. Aber Ihr steckt alle unter einer Decke, Ihr adligen Herren. Wenn ein wackrer Handelsmann ausgeplündert und fast umgebracht wird, so darf kein Hahn darnach krähen, weil der Schurke, der sich den Spaß gemacht hat, von vornehmer Geburt ist. Aber einen armen Schafdieb, der seine Kinder vom Hungertod erretten will, den laßt Ihr ohne Barmherzigkeit am nächsten Galgen aufknüpfen. Als ob hohe Geburt und schlechte Sitten –«
Weiter kam der arme Onkel nicht, sein Zorn überwältigte ihn. Ich erschrak ordentlich, daß er es wagte, die Edelleute so abzutrumpfen, auch weiß ich bis zum heutigen Tage nicht mehr, was geschah bis wir wieder draußen waren.
Auf dem ganzen Heimweg verhielt sich Onkel sehr schweigsam, denn er war ärgerlich über sich selbst und alle Welt. Vor dem Schlafengehen aber rief er mich noch zu sich. »Neffe,« sagte er, »du hast dich nicht so schlecht gegen mich benommen wie alle übrigen, und da du nicht gerade ein Maulheld bist, kann ich dir vertrauen. Der schändliche Streich soll ihnen nicht so hingehen, verlaß dich drauf. Meine letzte Karte ist noch nicht ausgespielt.«
»Du willst wohl noch bei den Richtern unserer Grafschaft Klage führen, Onkel?«
»Fällt mir nicht ein, auch denen zum Gespött zu dienen. Nein, ich wende mich an den König selbst, oder vielmehr an einen Mann, der größere Macht hat als der König und bei dem ich mit Leichtigkeit Gehör finde. Du brauchst seinen Namen jetzt nicht zu wissen, aber wenn du je vor ihm erscheinen mußt, so vergissest du es dein Lebtag nicht wieder.«
Er meinte den Lord Oberrichter Jeffreys, aber das erfuhr ich erst später. »Wann denkst du ihn denn aufzusuchen, Onkel?«
»Sobald ich nach London komme; vielleicht führen mich die Geschäfte schon im Frühling hin, vielleicht erst im Sommer. Läßt der Mann dich einmal rufen, John, so schaue ihm gerade ins Gesicht und rede die Wahrheit, das merke dir. Er wird Euern windigen Junkern schon die Wege weisen. – Nun ists aber für mich Zeit zur Heimkehr; ich habe wegen jener Gewaltthat viel länger in Euerm einsamen Nest stecken müssen, als ich anfänglich wollte. Nur unter einer Bedingung würde ich noch einen Tag zugeben.«
»Es thut mir leid, daß dir die Zeit lang geworden ist, Onkel. Wir möchten dir gerne mehr bieten, aber – –«
»Meine Bedingung ist die, daß du mir morgen in aller Frühe und ohne ein Wort davon verlauten zu lassen, eine Stelle zeigst, von der aus man den Schlupfwinkel dieser schurkischen Doones überblicken kann. Ich will wissen, wie man sie am besten überrumpelt, wenn es an der Zeit ist. Kannst du das thun, Neffe? Du sollst auch den Weg bezahlt bekommen.«
Ich stellte mich ihm bereitwillig zur Verfügung, wies aber natürlich sein Geld zurück. Nachdem ich alle nötigen Vorkehrungen getroffen hatte, um die Sache geheim zu halten, brachen wir am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück auf. Onkel ritt meine alte Peggy und ich ging zu Fuß nebenher, die Flinte über der Schulter. Das Wetter war wunderschön, aber der alte Mann blieb still und mißvergnügt, als ob ihm bei dem ganzen Unternehmen nicht recht geheuer sei.
»Onkel,« sagte ich endlich, um ihn zu beruhigen, »habe nur keine Furcht! Ich kenne hier jeden Zoll des Bodens, uns droht nicht die geringste Gefahr.«
»Furcht, Junge? Was fällt dir ein! Davon ist bei mir keine Rede. Sieh' 'mal, wie hübsch die Primeln da blühen.«
Sogleich kam mir Lorna in den Sinn, das kleine Mädchen, von dem ich vor sieben Jahren so ganz bezaubert gewesen war. Hatte sie wohl je wieder an mich gedacht, oder den einfältigen Jungen völlig vergessen, der weiter nichts konnte als Fische fangen? Kein anderes Gesicht, das ich seither gesehen, ließ sich dem Liebreiz des ihrigen vergleichen. Und dann diese Lebendigkeit, dieser sprühende Eifer, dies Verlangen, zu wissen was in des Andern Herzen vorging und ihr eigenes zu offenbaren! Wie berückend war sie, wenn sie die feurigen Augen niederschlug, wie rührend ihre Sehnsucht nach Liebe für irgend jemand, irgend ein Geschöpf oder Ding, das unbefleckt war von Laster und Bosheit. –
Weiter kam ich nicht in meinen Erinnerungen; Onkel Ruben brach das Schweigen, denn es war ihm unheimlich in dem Dunkel des einsamen Bagworthy-Waldes, den wir jetzt erreicht hatten. Ich mußte mich dicht neben Peggy halten, die bei jedem Geräusch die Ohren spitzte. Noch ließ sich nichts sehen, ausgenommen ein paar alte Eulen oder Habichte und eine Elster, die ganz allein auf einem Aste saß. Am Fuß des Berges, der zu steil für Peggy war, mußte Onkel absteigen, was er sehr ungern that. Wir banden das Pony fest, damit es nicht das Weite suche, und begannen nun die bewaldete Anhöhe zu erklimmen, die das Thal der Doones auf der einen Seite wie ein Wall umschloß.
Es war ein mühsamer Aufstieg; Onkel hatte zwar seinen Stock als Stütze und ich das Gewehr, doch mußten wir unsere Lungen gehörig anstrengen. Von einem Pfad war weit und breit nichts zu sehen, was uns wenigstens die Beruhigung gab, daß wir kein Zusammentreffen mit den Räubern zu fürchten hatten. Große, erdige Wurzelknorren ragten hier und da über unseren Häuptern; Felsblöcke versperrten uns den Weg; oft blieben wir am Dorngestrüpp hängen; ich mußte sogar meine Flinte zurücklassen, denn ich brauchte eine Hand um mich hinaufzuziehen und die andere um Onkel Ruben zu helfen. Endlich hatten wir die Höhe erreicht, wo der Wald aufhörte und der kahle Felsboden zum Vorschein kam. Wir standen am Rande einer Klippe, die jäh ins Thal abstürzte, wohl dreihundert Ellen tief. Mit Staunen und Verwunderung sah ich von hier aus zum erstenmal die feste Burg der Doones und gewann einen Einblick in ihren wunderbaren Bau. Denn, als ich vor fast sieben Jahren drunten im Thal gewesen war, aus dem ich auf dem Felsenpfad entfloh, trachtete ich nach Knabenart nur meinen augenblicklichen Zweck zu erreichen und gab auf alles andere wenig acht.
Die Bergkette, auf deren Kamm wir standen, zog sich in fast gleichmäßiger Höhe rechts und links von uns im Halbkreis dahin. Etwa eine halbe Meile entfernt und doch scheinbar so nahe, daß wir meinten ein Steinwurf könne hinüberreichen, bildete, uns gerade gegenüber, eine ganz ähnlich geformte Kette den zweiten Halbkreis, der sich jedoch nicht dicht an den unsrigen schloß, weil zwei enge Felsschluchten dazwischen lagen, von denen wir nur den äußern Rand sehen konnten. Eine dieser Schluchten war das Thor der Doones, über dem die Felsklippen oben wie ein Fallgatter hingen; die andere war jene Kluft, durch welche ich mir zuerst Eingang verschafft hatte. Zwischen beiden aber, von einem Kranz schwarzer Felswände umgeben, lag in Form eines Eirunds das grüne lachende Thal, durch das der Bach sich schlängelte. Sicherlich konnte kein Frost, kein rauher Wind hier jemals eindringen, doch die Sonnenstrahlen fanden ihren Weg hinein, sobald sich die Wolken zerstreuten und das matte Blau des Himmels durchblicken ließen. Es sah aus als herrsche ein ewiger Frühling darin, voller Freude und Hoffnung.
Auf Onkel Ruben machte das alles wenig Eindruck, er warf nur einen Blick auf die Berge hinüber und starrte mir dann ins Gesicht.
»Nun, das muß ich sagen,« rief er, »so ein Narrenpack – sieht nicht einmal, daß das ganze große Thal der Doones in einer halben Stunde eingenommen werden kann.«
»Wer zweifelt daran, Onkel, falls nämlich die Doones Lust haben, es aufzugeben.«
»Drei Feldschlangen drüben auf der Anhöhe und drei hier auf unserm Berge, dann hätten wir sie in der Falle. Ich habe den Krieg mitgemacht, Junge, und wenn es nach mir gegangen wäre – –«
Aber ich hörte ihm nicht länger zu, denn ich hatte am jenseitigen Felsen die kleine Öffnung erspäht, durch die ich damals geflüchtet war. Von unserm Standort aus gesehen, schien sie ein kaum handgroßes Loch, aber es fesselte meine Aufmerksamkeit mehr als die ganze übrige Landschaft. In Gedanken versunken blickte ich unverwandt hinüber, als ich plötzlich eine kleine weiße Gestalt gewahrte, die sich näherte, still hielt und gleich darauf in der Felsenspalte verschwand. Die Lichterscheinung, so zierlich, so schlank und vornehm, war wie ein flüchtiger Hauch vorüber geschwebt, und doch klopfte mein Herz in der Brust wie ein Hammer, alles Blut strömte mir in die Schläfen und die widersprechendsten Gefühle, Stolz und Kleinmut, Eitelkeit und Scham stritten in meinem Innern. Die sieben Jahre hatten den Knaben zum Manne gereift, er war wohl längst vergessen, selbst meine eigene Erinnerung halb verblaßt; trotzdem fühlte ich in jenem Augenblick mit unumstößlicher Gewißheit, daß ich meinem Schicksal gegenüberstand. Mochte es Wohl oder Wehe bedeuten, es hieß – Lorna Doone.
Herr Huckaback hatte jetzt die feindliche Stellung genügend betrachtet und wir traten den Rückweg an. Mein zerstreutes Wesen war ihm nicht entgangen, auch glaubte er bemerkt zu haben, daß ich etwas im Thal beobachtete, was sich seinem scharfen Auge entzog. Er bestürmte mich daher mit Fragen und obgleich ich ihm die Hauptsache beharrlich verschwieg, brachte er doch wenigstens heraus, daß ich vor mehreren Jahren einmal im Thal der Doones gewesen war. Im übrigen aber geriet er auf eine ganz falsche Fährte, denn da er in seinem allzugroßen Scharfsinn alles, was ich von meinem Abenteuer erzählte, für halb erfunden hielt, blieb er über den wahren Sachverhalt völlig im Dunkeln.
Zuletzt begnügte er sich damit, mir das Versprechen abzunehmen, daß ich, sobald sich die Gelegenheit böte, den Ort noch einmal besuchen wollte, ohne jemand ein Wort davon zu verraten.