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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Ein waghalsiges Unternehmen.

Inzwischen war der November ins Land gezogen und als wir gerade mit der Wintersaat begannen, stellte sich wieder ein Gast bei uns ein. Es war Jeremias Stickles, der sich damals in London meiner angenommen und uns zum größten Danke verpflichtet hatte. Den Dank wollte er sich jetzt holen wie mir schien, denn er schlug bei uns sein Hauptquartier auf und der ganze Haushalt mußte sich nach ihm richten. Knechte und Mägde, Pferde und Mundvorrat sollten auf seinen Wink stets bereit sein. Er ging abends fort und kam erst morgens wieder, wann es ihm beliebte. Daß es sich dabei um dienstliche Angelegenheiten handelte, wußten wir, denn viele Reiter und Boten, die an verschiedenen Orten postiert waren, standen unter seinem Befehl. Er selbst ging nie unbewaffnet aus und sogar nachts lagen Säbel und Pistolen neben seinem Bette. Auch war er im Besitz einer großen Vollmacht mit königlichem Siegel, durch welche alle guten Unterthanen, Friedensrichter und Beamten jeden Ranges aufgefordert wurden, sich ihm mit Leib und Leben, Habe und Gut zur Verfügung zu stellen oder strenger Strafe gewärtig zu sein.

Was sein Auftrag eigentlich sei, verheimlichte Herr Stickles zuerst vor jedermann. Nach und nach kam er zu der Ueberzeugung, daß er sich auf mich verlassen könne. Eines Abends, als ich von der Arbeit heimkam, nahm er mich beiseite und vertraute mir weit mehr von seinem Vorhaben an, als mir lieb war oder in meinen Kopf hinein wollte. Dabei mußte ich ihm noch geloben, das alles, bis auf weiteres, geheim zu halten. Ich verstand nur soviel, daß der Zweck seiner Sendung war, einer Verschwörung auf die Spur zu kommen, die nicht sowohl gegen den König als gegen die rechtmäßige Thronfolge angezettelt werde. Zuletzt fragte er mich noch, ob ich schon etwas von dem Herzog von Monmouth gehört hätte.

»Versteht sich,« erwiderte ich, »er soll ein sehr schöner und wackerer Herr sein und viele Leute, die den Herzog von York, unseres Königs Bruder, nicht leiden können, wünschen seine Rückkehr aus der Verbannung. Aber mich gehen Parteigezänke und Politik nichts an und ich mische mich nie in solche Sachen.«

»Da thust du recht, John, man verbrennt sich leicht die Finger dabei. Aber die Unzufriedenheit wächst zusehends und über kurz oder lang wird es zum Dreinschlagen kommen. Ein paar Fäuste, wie du sie hast, dürfen dann nicht feiern. Nur rate ich dir, weil ichs gut mit dir meine und den Ausgang schon im voraus sehe: bleibe du auf der Seite des Siegers und habe mit der Gegenpartei nichts zu schaffen.«

»Gewiß würde ich das thun,« rief ich in heftiger Erregung, »wüßte ich nur, welche Partei siegen wird. Es ist mein größter Wunsch, schon um Lorna's willen – das heißt, damit Mutter, die Schwestern und das Gut nicht zu Schaden kommen.«

Jeremias sah wie meine Wangen glühten. »Lorna, sagst du? Wer ist Lorna? Ist sie dein Liebchen oder sonst eine schöne Jungfer?«

»Das geht Euch nichts an,« rief ich voll Zorn. »Kümmert Euch um Eure Angelegenheiten; spioniert herum soviel Ihr wollt und benutzt meinetwegen unser Haus für Eure Zwecke, ohne erst um Erlaubnis zu fragen. Finde ich aber, daß Ihr mir ins Gehege kommt, so sollen Euch Eure Dragoner wenig nützen. Ich brauche nicht einmal die Hand gegen Euch aufzuheben, ein einziger Finger genügt.«

Ich war so aufgebracht wegen Stickles' frecher Äußerung über Lorna und sprach mit solcher Donnerstimme, daß er zusammenfuhr und vor Furcht ganz bleich wurde. Später that mir jedoch meine Heftigkeit leid und ich bat ihn, sie mir zu verzeihen, weil ich mich seiner früheren Güte erinnerte und nicht undankbar erscheinen mochte. Es entstand aber seitdem eine gewisse Entfremdung zwischen uns, die mich im Grunde nicht sehr verdroß, denn sein ganzes Thun und Treiben mißfiel mir und ich mochte ihm nicht dabei behilflich sein.

Ueberdies nahmen mich meine eigenen Sorgen damals ganz in Anspruch und beunruhigten mich aufs Aeußerste. Lorna's Signale, die ich bisher täglich mit Wonne beobachtet hatte, hörten nämlich ganz plötzlich und unerwartet auf. Als ich wie gewöhnlich auf dem Bergkamm stand und die Zeichen des vorigen Tages zum erstenmal nicht gewechselt sah, traute ich meinen Augen kaum. Anfänglich glaubte ich noch an ein Mißverständnis, aber da Tag für Tag keine Veränderung eintrat, wurde meine Angst bald unerträglich.

Ich wagte mich öfters weit in das Doonethal hinaus, wo die Bäume jetzt entblättert standen und der Fluß, vom Regen angeschwollen, seine braunen Fluten tosend dahinwälzte. Vom Morgen bis zum späten Abend wartete ich, aber kein leichter Fußtritt ließ sich vernehmen, keine holde Stimme traf mein Ohr. Alles schien so traurig, so öde und verlassen, als wäre mein Lieb gestorben und der Herbstwind sänge ihr das Totenlied. Einmal folgte ich im Abendnebel dem Lauf des Flusses bis über das Gehölz hinaus, wo Lornas armer junger Vetter ein so frühzeitiges Ende gefunden hatte. Ehe ich michs versah, lag vor mir, kaum einen Steinwurf entfernt, das erste Haus der Ansiedelung, ein düsterer niedriger Bau, aus Holz und Steinen roh zusammengefügt. Daß dies Carvers Behausung war, wußte ich aus Lornas Beschreibung. Ich schlich mich, vom Dunkel der Nacht begünstigt, vorsichtig näher. Die Rückseite des Gebäudes stieß an den Fluß; ich entdeckte ein Astloch, das groß genug war, um einen Flintenlauf durchzustecken, und konnte ins Innere sehen. Nichts regte sich; wie lange ich auch lauschte, ich vernahm kein Geräusch. Das war mir eine große Beruhigung, denn ich hatte gefürchtet, Lorna dort zu finden. Ich prägte mir nun die Umgegend des Hauses sowie die Lage von Thür und Fenster desselben genau ein und hätte auch gern noch die andern Wohnungen des Thales besichtigt, allein ein heller roter Lichtstreifen, der in geringer Entfernung von dem zweiten Hause her gerade über den Fluß fiel, zwang mich still zu stehen. Stimmengewirr und lautes Gelächter klang mir entgegen, denn die Geächteten waren dort versammelt und schmausten und zechten nach Herzenslust.

Als ich an jenem Abend heimkam und sah, wie glücklich Mutter war, mich wieder in Sicherheit zu wissen, stand mein Entschluß bereits fest. Ich wollte vom oberen Ende in das Doonethal eindringen und mir gewisse Kunde verschaffen, wie es um Lorna stehe. Die schändlichen Bösewichte, die sie in ihrer Gewalt hatten, sollten nicht nach Willkür mit ihr verfahren dürfen. Was war denn meine Liebe und Treue wert, wenn sie mir nicht den Mut gab, die einzig Geliebte in Not und Gefahr mit starkem Arm zu schützen?

Zu viel war in letzter Zeit auf mich eingestürmt und man schreckte mich von allen Seiten. Jeremias Stickles lauerte den Leuten im Dunkeln auf, Onkel Ruben zettelte Verschwörungen an, gegen wen wußte Satan allein; auf dem Moor stieg der Mann mit der Zipfelmütze leibhaftig aus dem Grabe, Annchen, meine Lieblingsschwester, wollte einen Straßenräuber heiraten, Mutter hatte nichts als Sorge und Kummer und meine Lorna war verschwunden, vielleicht elend und gefangen. Da galt es, sich nicht lange zu bedenken oder das Für und Wider hin und her zu wägen. Die Zeit zum Handeln war gekommen und gleich am nächsten Tage brachte ich meinen Vorsatz zur Ausführung.

Der Weg um die südlichen Hügel herum bis zum Eingangsthor ins Doonethal war viel weiter als mein Kletterpfad am Wasserfall, doch legte ich ihn zu Fuß zurück, um möglichst unbemerkt zu bleiben, und spähte scharf umher, ob sich irgendwo ein lebendes Wesen zeige. Die Straße, die zur Burg der Räuber führte, wand sich in einer Schlucht zwischen den Hügelketten dahin; die letzte Strecke bis zum Eingang war dicht von Felswänden eingeschlossen, die an beiden Seiten schroff und steil emporragten. Kein Baum, kein Busch bot hier Schutz vor einer feindlichen Kugel, und der Modergeruch, der aus dem Boden aufstieg, benahm mir fast den Atem. Es dämmerte bereits stark als ich den Doonepfad erreichte, doch erst als es völlig dunkel geworden war, wagte ich mich in die Nähe des Eingangs. Da ging plötzlich zu meinem Schrecken hinter der östlichen Hügelkette der Mond auf und ergoß sein ungewisses Licht über Berg und Thal. Bisher war der Mond stets mein Freund gewesen, jetzt schien es als wolle er mit meinen Feinden gemeinsame Sache machen.

Rasch trat ich in den Schatten auf der rechten Seite der Straße und wandte den Blick nach dem Felsenthor, das sich in drei mächtigen Bogen vor mir aufthat. Quer darüber lag in der Höhe ein starker schwerer Eichenstamm, der, wenn es not that, herabgewälzt werden konnte, so daß er Dutzende von Menschen erschlug und den Eingang gegen jeden Eindringling verrammelte, mochte er zu Fuß oder zu Pferd herankommen. Oberhalb des Thores, hinter dem Stamm, war auf einer mit Unterholz bewachsenen Felsplatte, von Balken und Brettern eine Art Wall errichtet, auf dem wohl dreißig Bewaffnete im Hinterhalt liegen konnten, um auf die Feinde zu feuern. Ihre Stellung war uneinnehmbar, denn die Felswand fiel nach unten steil ab und über ihnen stieg der Berg wohl dreihundert Fuß in die Höhe und hing soweit vor, daß man die Leute auf dem Wall auch mit keinem Wurfgeschoß von oben treffen konnte.

Zu allen diesen Gefahren des Doonethales kam noch der Umstand, daß jeder der drei Thorbogen eine besondere Pforte bildete und niemand wußte, welches die richtige sei. Ja man munkelte sogar, daß, wenn die Doones einen Angriff fürchteten, der Eingang täglich gewechselt würde und im Boden, über dunkeln Schlünden und Abgründen, Fallthüren angebracht seien, die man nach Belieben öffnen und schließen könne.

Da stand ich nun vor den drei dunkeln gähnenden Pforten, von denen nur eine ins Thal, die beiden andern in Tod und Verderben führten. Fast bereute ich es, mich auf ein so verzweifeltes Wagestück eingelassen zu haben, aber umkehren wollte ich nicht, und je länger ich zögerte, um so grausiger erschien mir die Wahl.

Da fiel mir ein alter Reim ein, welcher lautet: ›Mittelweg, ein sichrer Steg‹, und rasch entschlossen trat ich unter die mittlere Wölbung, hielt zum Schutz meinen langen Stock vor und tastete mich an der Mauer entlang in der dichten Finsternis. Plötzlich stolperte ich über einen harten kalten Gegenstand, fiel zu Boden und that mir so wehe, daß ich nur mit Mühe einen Aufschrei des Schmerzes unterdrücken konnte. Was mir im Wege gestanden hatte, war eine eiserne Feldschlange, davon überzeugte ich mich bald. Ich raffte mich auf und zweifelte nicht länger, daß ich im richtigen Eingang sei, zu dessen Verteidigung man die Kanone dort aufgepflanzt hatte. Mein Sturz machte mich doppelt vorsichtig, und das war gut; ich wäre sonst vielleicht der Wache unmittelbar in die Arme gelaufen. Als ich verstohlen um die Ecke lugte, sah ich zwei kräftige Männer kaum einen Schritt von mir in einer Felsennische sitzen; ihre Flinten lehnten neben ihnen. Es konnten nur Doones sein, doch hätte ich es mit beiden aufgenommen, wären sie unbewaffnet gewesen. Sie hatten ihre Laterne auf einen Felsvorsprung gestellt, sprachen der Flasche fleißig zu, rauchten lange Tonpfeifen und versuchten dabei ihr Glück im Würfelspiel. Der eine hatte die Ellenbogen auf die Kniee gestützt und drehte mir den Rücken zu, der andere saß nachlässig zurückgelehnt da und beim Schein der Laterne konnte ich ihm voll ins Gesicht sehen. Schönere und kühnere Züge sind mir selten vorgekommen; der Gedanke, diesen Mann in Lornas Nähe zu wissen, machte mich ganz unglücklich.

»Sechs und drei – Fünf und zwei –« klang es und dazu klapperten die Würfel.

»Zum Henker, Phelps, schon wieder ein Pasch –«

»Verdammt! Zeig' her Charlie –«

Aber Charleworth Doone streckte die Hand nach dem Einsatz aus und schwor, er habe das Geld gewonnen. Phelps schlug ihm den Arm zurück, worauf Charlie jenem den gefüllten Becher ins Gesicht schleuderte. Statt des Gefährten traf er jedoch die Laterne, deren Licht hoch aufflammte und dann zischend erlosch.

Während der eine noch fluchte und der andere lachte, war ich, den Augenblick benutzend, rasch an ihnen vorbei und um die Felsecke gehuscht; dabei plagte mich jedoch der Übermut, sie zu erschrecken, und ich ließ den Eulenruf hören, den Jakob mich gelehrt hatte. Er hallte so schaurig durch die Wölbung wieder, daß der eine Wächter vor Furcht sein Feuerzeug fallen ließ und der andere nach der Flinte griff. Zum Glück schoß er nicht, sonst hätte es mir die ganze Bande auf den Hals gezogen.

»Zum Teufel, Charlie, was war das – ich bin ordentlich zusammengefahren. Ich kann meinen Stahl nicht wiederfinden; laß mich den Schwefelfaden an deiner Pfeife anstecken.«

»Die brennt schon lange nicht mehr, Phelps. Gib die Laterne und bleibe hier. Ich werde mich doch nicht vor einer verdammten Eule fürchten.«

»Gut, dann geh' nur gleich zu Carver, der wird dir Licht geben; die andern schnarchen doch längst alle, da heute nichts Besonderes los ist. Aber mach', daß du wiederkommst und trödle nicht erst unter des Hauptmanns Fenster. Die Königin will doch nichts von dir wissen, und Carver schlägt dir die Knochen entzwei, wenn er's merkt.«

»Haha, das geht nicht so schnell, er soll es wohl bleiben lassen.«

So ging das Zwiegespräch noch eine Weile fort unter fluchen und lachen. Dann hörte ich Charlie mit unsichern Tritten auf mich zu schwanken. Er streifte dicht an mir vorbei und ich stand mit geballten Fäusten da – er wäre des Todes gewesen hätte er sich umgewendet, aber daß er betrunken war rettete ihm das Leben.

Er stolperte vorwärts und diente mir zum Führer, denn ich dachte mir wohl, daß er unter Lornas Fenster Halt machen werde. Deshalb folgte ich ihm in einiger Entfernung, erst einen gewundenen steilen Pfad hinunter und dann den Wiesengrund hinauf, bis ich im Mondlicht die Hütten des Dorfes aus dem Buschwerk auftauchen sah.

Vor dem ersten Hause stand Charlie einen Augenblick still, sah nach einem Fenster hin, aus dem ein schwacher Lichtschein fiel, und pfiff auf dem Finger eine seltsame Melodie, die mir so fremdartig in den Ohren klang, daß ich sie leise für mich wiederholte. Ich wußte, dies war Sir Ensors Wohnung und mein Herz klopfte laut und freudig, denn solange Lorna noch unter dem Schutze ihres Großvaters stand, war ja alles gut und der schurkische Carver hatte keine Macht über sie.

Charleworth Doone hatte inzwischen das letzte Haus erreicht; ich trat hinter einen Baum und konnte sehen wie die Thür aufging und Carver barhaupt und nur halb angekleidet mit einer Lampe auf der Schwelle erschien.

»Wer treibt sich hier noch zur Nachtzeit herum?« murrte er mit rauher Stimme; »ist es ein junger Fant, der den Mädchen nachstellt, so prügle ich ihn windelweich.«

»Die schönen Mädchen willst du wohl alle für dich behalten, Carver?« entgegnete Charlie lachend. »Für uns sind die alten Schachteln gut, und was fein und jung ist möchtest du gern haben.«

»Ich werd's auch bekommen, und in nicht gar zu langer Zeit, verlaß' dich drauf,« brummte der Unhold zornig. »Und, daß du's weißt, Charlie: treffe ich dein Milchgesicht noch einmal dort, so fliegst du kopfüber in den Fluß.«

»Das wollen wir erst abwarten, Carver; aber mir scheint, du bist in keiner angenehmen Laune. Laß mich meine Laterne anzünden und gieb mir ein Glas Schnaps, dann geh' ich wieder.«

»Was hast du mit deinem Licht gemacht? Ein Glück für dich, daß ich nicht die Runde habe.«

»Eine Eule flog zwischen mich und Phelps, als wir bei der Kanone Wache hielten, und schlug mit ihren Flügeln das Licht aus.«

»Das mache du einem andern weiß. Jetzt fort mit dir! Da, nimm deine Laterne, meine Geduld ist zu Ende.«

»Und mein Schnaps?«

»Den bekommst du nicht. Du hast schon viel zu viel getrunken.«

Carver schlug dem jungen Mann ohne Umstände die Thür vor der Nase zu und Charlie schwankte verdrießlich wieder auf seinen Wachtposten. Als er vor mir vorbeikam, hörte ich ihn zwischen den Zähnen brummen:

»Wenn der greuliche alte Kater erst Hauptmann ist, können wir uns gratulieren. Unwirsch und ungastlich ist er, kein freundliches Wort bekommt man von ihm zu hören, nicht einmal einen herzhaften Fluch. Am liebsten kehrte ich der ganzen Wirtschaft den Rücken, aber die Mädchen haben mirs angethan.«

Ich zauderte nun nicht länger und stand bald im Schatten unter Lornas Fenster, leise ihren Namen flüsternd, aber sie ließ sich nicht blicken. In dem einstöckigen Hause waren auf der Westseite nur zwei Fenster; die Doones hatten ihre Räuberstadt selber gebaut, damit kein Fremder etwas davon wissen sollte, und die Fenster zu den plumpen Häusern hatten sie meist aus der Umgegend gestohlen. Eben wollte ich meine Stimme von neuem erheben, als mich ein lauter Zuruf erschreckte. Der Posten auf der westlichen Klippe hatte mich erspäht.

»Wer geht da?« rief er, dicht an den Rand des Felsens tretend. »Antwort, oder ich schieße. Eins – zwei – drei.«

Das Mondlicht glitzerte auf dem Flintenlauf; in einer Entfernung von kaum fünfzig Schritt sah ich die Mündung auf mich gerichtet. Jetzt fing der Mann an zu zählen und ich wußte mir in meiner Verzweiflung nicht mehr zu helfen. Unwillkürlich begann ich die Melodie zu pfeifen, die ich von Charlie gehört hatte und nicht wieder aus dem Kopf bringen konnte. Da geschah ein Wunder – die Schildwache setzte das Gewehr ab, grüßte dienstmäßig und zog sich zurück. Mein Pfeifen hatte mir das Leben gerettet. Jene Melodie war Carver Doones Losung, wie ich später erfuhr, und Charlie hatte damit Lorna ans Fenster locken wollen. Der Wächter aber hielt mich für den elenden Carver, und es mochte ihm wohl gefährlich scheinen den Nachtschwärmer, bei seinem Thun zu belauschen, denn er zog sich ganz von der Klippe zurück. Ich war ihm um so dankbarer, als ich erkannte, daß er mir den besten Dienst erwiesen hatte. Denn durch seinen Zuruf erschreckt, war Lorna ans Fenster getreten, sie hob zaghaft den Vorhang, und als alles still blieb öffnete sie auch den Gitterladen, blickte ins Freie hinaus und seufzte.

»O Lorna, kennst du mich nicht,« flüsterte ich aus der Dunkelheit. Bei dem unerwarteten Laut wollte sie das Fenster wieder schließen, doch ich trat rasch vor und gab es nicht zu.

»John,« rief sie leise aber entsetzt. »Du hier – hast du den Verstand verloren?«

»Beinahe, aus Sorge um dich. Weil jede Nachricht ausblieb, mußt ich wohl selber kommen – das hast du auch gewiß erwartet.«

»Ja, aber – ich konnte nicht – siehst du die Eisenstäbe hier vor dem Fenster?«

»Freilich – würde ich mich sonst damit begnügen deine liebe Hand in der meinen zu halten? Gib mir die andere auch. O Lorna, was ist denn geschehen?«

Sie weinte bitterlich. »Es ist alles umsonst, John; wir können einander doch nicht angehören, es steht zuviel im Wege. Ich brächte nur Unglück über dich. Versprich mir, daß du nicht mehr an mich denken willst.«

»Und willst du mir das auch versprechen, Lorna?«

»Ja, wenn du es forderst; dann wollen wir beide versuchen, ob wir das Versprechen halten können.«

Wie traurig ihre Stimme klang, als sie das sagte.

»Bewahre mein Lieb,« rief ich aus vollstem Herzen, »wir versuchen nichts dergleichen; laß uns im Gegenteil nur eifriger trachten mit einander vereint zu werden. Bleiben wir beide uns treu, so kann nur Gott uns scheiden. – Aber sage mir doch, weshalb hat man dich hier eingekerkert? Warum gabst du mir kein Zeichen? Beschützt dich dein Großvater nicht mehr? Bist du in Gefahr?«

»Mein armer Großvater ist schwer krank; ich fürchte, daß seine Tage gezählt sind. Der Rat Doone und sein Sohn haben hier jetzt alle Gewalt und ich wage mich nicht hinaus aus Furcht vor ihnen. Als ich neulich ging, um dir das Zeichen zu geben, wollte mich Carver fangen, doch es glückte mir, ihm zu entkommen. Auch Gwenny darf das Thal nicht mehr verlassen, deshalb konnte ich dir keine Botschaft senden. Der Gedanke, du möchtest mich für treulos halten, hat mich schwer bekümmert. Wenn Großvater stirbt, werden die Schändlichen vor keiner Unthat zurückschrecken, dann bin ich ganz in ihren Händen. Aber, was rede ich von mir, statt an den armen alten Mann zu denken, dem in der Todesnot kein Sohn zur Seite steht, dem keine Tochter eine Thräne nachweinen wird.«

»Aber er hat doch so viele Söhne, weshalb bekümmern sie sich denn nicht um ihn?«

»Ich weiß es nicht. Großvater ist nicht leicht zu verstehen; man hat ihn stets mehr gefürchtet als geliebt. Noch heute geriet er in den grimmigsten Zorn über den Rat Doone und es gab einen schrecklichen Auftritt. Aber John, du darfst nicht länger hier bleiben, du bist viel zu tollkühn, und es ist selbstsüchtig von mir dich zu halten. – Was war das für ein Schatten, der eben vorbeihuschte?«

»Nur eine Fledermaus, mein Lieb, die ihr Schätzchen sucht. – Wie kann ich von dir gehen, Lorna, wenn du so zitterst?«

»Du mußt, du mußt; ich sterbe, wenn sie dir ein Leid anthun. Still, ich höre ein Geräusch. Es wird die alte Wärterin sein, gewiß schickt Großvater nach mir – schnell, verbirg dich!«

Es war jedoch nur Gwenny Carfax, Lornas kleine Dienerin. Sie erschien am Fenster und wurde mir vorgestellt.

»Sieh ihn dir nur an, Gwenny,« rief Lorna, »das ist mein ›junger Mann‹, wie du ihn nennst; ich wollte Euch schon längst gern mit einander bekannt machen.«

Gwenny reckte und streckte sich um hinauszusehen: »Du meine Güte,« rief sie verwundert, »was für ein Riese – so groß ist ja nicht einmal ein Doone. Seid ohne Sorge, den kenne ich wieder, wenn er mir begegnet. Ich will jetzt draußen vor der Thür Wache halten, daß Euch niemand stört.«

»Sie ist ein gutes Ding und treu wie Gold,« sagte Lorna, als sich Gwenny zurückgezogen hatte. Für mich geht sie durchs Feuer, und du kannst dich fest auf sie verlassen, selbst wenn der Schein gegen sie sprechen sollte. – Aber gehe jetzt, John, geh', ich bitte dich – wenn du mich lieb hast.«

»Nicht eher als bis wir verabredet haben, was nun geschehen soll. Wie willst du mich benachrichtigen, wenn die Gefahr hereinbricht? Schnell, sage es mir, dann ängstige ich dich nicht länger.«

»Ich habe schon an ein Auskunftsmittel gedacht,« sagte Lorna fest und entschieden. »Siehst du jenen Baum mit den sieben Rabennestern, der sich scharf von der Felswand abhebt? Weißt du einen Ort, von wo aus du sie zählen kannst?«

»Gewiß, der läßt sich finden.«

»Gwenny klettert wie eine Katze. Sie hat im Sommer die Jungen dort oben täglich beobachtet, bis sie ausgeflogen sind. Zählst du eines Tages nur sechs Nester auf dem Baum, so bin ich in Not und brauche deine Hilfe. Zählst du nur fünf, so bin ich in Carvers Gewalt.«

»Großer Gott!« rief ich und erbleichte bei dem bloßen Gedanken.

»Sei ohne Furcht, John,« sagte sie traurig aber entschlossen. »Ich kann mich seiner erwehren und weiß ein Mittel, ihn wenigstens hinzuhalten. Kommst du mir innerhalb vierundzwanzig Stunden zu Hilfe, so findest du mich unversehrt. Später würdest du mich, je nach den Umständen, lebend finden oder – tot. Jedenfalls sollst du über mich nicht zu erröten brauchen.«

Selbst im Halbdunkel konnte ich den stolzen Ausdruck erkennen, den ihr liebes Gesicht bei diesen Worten trug.

»Gott segne dich, du einzig Geliebte,« flüsterte ich. Auch Lorna flehte des Himmels Schutz auf mich herab; dann nahmen wir betrübt von einander Abschied.

Der Rückweg führte mich nicht bei Lornas Grotte vorbei, auch nicht den schlüpfrigen Wasserfall hinunter, sondern auf einem neu von mir entdeckten Pfad über die Berge, den ich nicht näher zu beschreiben brauche.

Wie vieles mich auch noch bedrückte, mir war eine schwere Sorgenlast von der Seele genommen, seit ich wußte, daß, wenn Lorna nicht mein eigen werden dürfe, sie doch nimmermehr einem andern Manne angehören würde. Mutter, mit der ich mich noch bis tief in die Nacht hinein darüber besprach, meinte auch, das wäre ein großer Trost für mich.


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