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Vierzehntes Kapitel.
Ist John behext?

Freude und Schmerz meines langen Lebens müßte ich aus dem Gedächtnis tilgen, müßte mich aus dem ruhigen nüchternen Alter in die strotzende Kraft und die Gefühle der heißblütigen Jugend zurückversetzen können, wenn ich auch nur annähernd schildern sollte, wie innig ich meine Lorna liebte. Die Sprache hat keinen Ausdruck dafür und ich vermag mir kaum vorzustellen, daß ich es war, der mitten in jener Wunderwelt lebte. – Doch trage ich sie fort und fort in Gedanken, bei allem meinem Thun und Lassen. Ob ich Ferkel zum Verkauf aussuche oder die Wolle für den Fabrikanten, jedesmal frage ich mich: »Was würde Lorna wählen?« Ich nehme zwar meinen Kopf tüchtig zusammen, wenn es sich um Geschäfte handelt, aber mein Herz ist und bleibt stets bei ihr.

In jener Woche wanderte ich wie im Traum umher und versuchte vergebens, bald auf diese bald auf jene Weise, mein verlorenes Ich wiederzufinden. Was die andern von mir dachten, kümmerte mich nicht; redete mich aber jemand an, so wurde ich rot; ich aß und trank nur zum Schein, denn alle Eßlust war mir vergangen. Da ich jetzt oberster Freisasse war, unser Gut selbst bewirtschaftete und von den Knechten ›Herr‹ genannt wurde, verdroß es mich höchlich, wenn man mich übervorteilte, doch that das jeder, sobald man zu munkeln begann, ich sei halb närrisch geworden. So faßten die Leute nämlich mein verändertes Wesen auf, was mich gar nicht Wunder nahm. Wer einen Menschen nicht versteht, hält es ja oft für das klügste über ihn zu lachen. Ich strafte sie meist mit stummer Verachtung, denn sie schienen mir Geschöpfe niederer Art, unfähig die Größe und Hoheit meiner Gefühle zu begreifen – sie kannten ja Lorna nicht. Als aber Jakob überall die Lüge verbreitete, ich sei von einem tollen Hunde gebissen worden, geriet ich doch in Harnisch. Daß man aus Lorna einen tollen Hund machen und mein erhöhtes Seelenleben, samt den wundersamen Bildern die mich umgaukelten, für Rasereien der Tollwut halten könne, brachte mich ganz außer mir. In meiner Entrüstung verabreichte ich Jakob eine Tracht Prügel, als gelte es die reifen Ähren auf der Tenne auszudreschen. Es war jedenfalls ein guter Denkzettel für ihn und er schrieb sich's hinter die Ohren.


Unser Klima hier zu Lande ist so beschaffen, daß man stets auf einen Umschlag des Wetters gefaßt sein muß, und es sich schon von selbst verbietet, die Hände müßig in den Schoß zu legen. Für den Südländer thut der Himmel alles, er braucht nur in der Sonne zu sitzen und zu warten bis Korn und Obst reif werden. Die Erde ist ihm eine liebende Mutter, uns aber nur eine gute Stiefmutter, welche weiß, daß allzugroße Nachsicht schädlich ist und die Strenge mit der Güte abwechseln muß zum wahren Gedeihen.

War der Frühling diesmal vor der Zeit gekommen, so ward jetzt seinem Sprossen und Grünen urplötzlich Einhalt gethan. Anfang März erhob sich ein scharfer, trockener Ostwind, der einem bei der Arbeit im Freien an Händen und Gesicht förmlich die Haut zerriß. Flieder und Geißblatt hatten schon ihre Blütenbüschel herausgestreckt, die nun jämmerlich einschrumpften und braun wurden. An den Hecken konnte man das Unheil am besten beobachten. Da hätten die jungen Ulmen ihre rotbraunen Blüten gern wieder in den Hülsen verborgen, doch das ging nicht an und sie sahen bald schwarz und mißfarbig aus. Die Kätzchen der Haselnuß vertrockneten und fielen von den Zweigen, als wären sie mit dem Messer abgeschnitten. Ohne Saft und Kraft standen die Pflanzen im Garten; auf unsern herrlichen Obstbäumen gelangte die Blütenpracht nicht zur Entfaltung und das umgegrabene Erdreich war wie ausgedörrt. Die Sonne hatte noch keine Gewalt und der eisige Wind zerstörte alles Wachstum.

Mir ging die vereitelte Frühlingshoffnung besonders deshalb so nahe, weil sie mir als ein Bild meiner eigenen Lebensfreude erschien, die gleichfalls in der Knospe zu verdorren drohte. Ich fühlte mich zu ewiger Herzenseinsamkeit verurteilt und schwelgte förmlich in schwermütigen Gedanken. Wie groß aber auch mein Trübsinn war, er hinderte mich nicht, auf Mutters Zureden, manche tüchtige Mahlzeit zu verzehren, einem trägen Arbeiter gelegentlich ein paar Püffe zu versetzen, mit der Pflugschar regelrechte Furchen zu ziehen und nachts in traumlosen Schlaf zu sinken.

Mutters Sorge um mich wollte gar kein Ende nehmen; zwar quälte sie mich nicht mit Fragen, aber ich merkte wohl, daß sie mich heimlich beobachtete. Dabei schwebte sie in fortwährender Angst, das Gerücht von dem Hundebiß möchte doch nicht unbegründet sein; von Zeit zu Zeit sah ich wie sie, scheinbar ganz zufällig, ein Gefäß mit Wasser in meine Nähe setzte oder meine Kleider bespritzte, um sich Gewißheit zu verschaffen.

Am meisten ärgerte es mich aber, wenn Betty, die keine Angst hatte, daß ich wasserscheu werden könne, einen dummen Spaß aus der Geschichte machen wollte. Sie kam oft mit einem Heidenlärm in die Küche gelaufen, bellte wie ein Hund und schrie, ich hätte sie gebissen und sie würde mich verklagen. Zu meinem Ärger that sie es immer wenn ich mich eben erst behaglich in die Kaminecke gesetzt hatte, um ungestört an Lorna denken zu können.

Den einzigen Trost für meine Seelennot fand ich in der Arbeit. Stundenlang besserte ich Zäune aus und zog Gräben, mochte das Wetter noch so kalt, der Wind noch so schneidend sein. Es freute mich, seinem Sausen die Stirn zu bieten, meine wachsende Kraft zu fühlen und mich zu fragen, ob sie wohl stolz darauf sein würde. Was ich aber auch that und trieb, nie verließ mich der Gedanke, wann es wohl Zeit sein würde, im Doonethal wieder einen Besuch abzustatten. Ich konnte darüber durchaus nicht mit mir ins Reine kommen. Schon die ganze Heimlichkeit war mir zuwider; bei dem schleichen, kriechen und verstecken, wenn auch vor Mordgesellen, kam ich mir vor wie ein elender Späher. Zudem wußte ich nicht wie Lorna eigentlich die Sache ansah. Würde sie es als Anmaßung betrachten oder einen Verstoß gegen Brauch und Anstand darin sehen, wenn ich mich zu früh wieder hinwagte, ohne besondere Aufforderung? Dazu kam noch, daß der Wind mich arg zugerichtet hatte und ich fürchtete, der Anblick meiner rauhen, rissigen Haut möchte Lorna ein für allemal abschrecken. Aber, waren nicht vielleicht ihre kleinen Hände auch aufgesprungen, wenn sie überhaupt an die Luft kam? Sie würde mir die Risse sicherlich zeigen wollen und wir könnten uns gegenseitig unsere Not klagen.

Zu Hause durfte ich mit niemand über meine Zweifel reden. Ich sann lange nach, wen ich wohl um Rat fragen könne, bis mir ›Mutter Melldrum‹ einfiel, eine weise Frau, die in ganz Exmoor hochberühmt war wegen ihrer Heilkraft und Wahrsagerkünste. Jakob hatte sie kürzlich aufgesucht, um seinem Sohn, dem kleinen John, die Warzen besprechen zu lassen, auch waren einige Schafe vom Bösen besessen und er selbst hatte das Gliederweh. Von ihm erfuhr ich, daß die weise Frau um diese Jahreszeit in einem kleinen Bergthal westlich von Linton zu finden sei. Man hört da das Meer brausen und genießt von dem Gipfel eines Felsens, der das ›Schloß‹ genannt wird, einen weiten Ausblick auf den Kanal. Dem ›Schloß‹ gerade gegenüber, nach der Landseite hin, erhebt sich eine seltsam geformte Felsgruppe, die im Volksmund ›des Teufels Käsemesser‹ heißt. Niemand wagt es, den Ort, der für unheilig gilt, nach Dunkelwerden zu betreten, und daß Mutter Melldrum dort wohnte, trug viel dazu bei, ihren Ruf zu verbreiten. Sie fand Schutz vor Regen und Sturm in einer unterirdischen Höhle, deren verborgenen Felseneingang sie allein kannte; gegen Abend aber sah man sie meist am Klippenrande, wo sie Reisholz sammelte und dabei unaufhörlich mit sich selber sprach.

Hier nun suchte ich sie an einem Sonntag in der Fastenzeit auf, nachdem ich das Vieh zur Nacht versorgt hatte. Mir war ängstlich zu Mute, denn am Morgen hatte unser Pastor in der Kirche, gerade als thäte er es mit Absicht, über die Hexe von Endor gepredigt und uns eindringlich vor den Gefahren gewarnt, welche allen drohen, die sich fürwitzig mit den unsichtbaren Mächten einlassen. Zum Schutz steckte ich Mutters Bibel in die Tasche, auch hielt ich es für klüger, den Weg zu Fuß zu machen, damit es meinem Pferde nicht ergehe wie Nachbar Snowes Rindern, die ihm eine weise Frau im Zorn verhext hatte.

Die Entfernung betrug etwa sieben Meilen, und die Sonne sank schon hinter den Berggipfeln als ich das Thal erreichte. Dichte Schatten lagerten ringsumher, die Brombeersträucher winkten mit ihren langen Zweigen und das dürre braune Farnkraut raschelte im Winde. Unter den Klippen weideten wilde Ziegen, die, als sie meiner ansichtig wurden, den Kopf in die Höhe warfen und dann flüchtig von Fels zu Fels sprangen oder auf mich herabstarrten. Dazu brauste die See so unheimlich; ich fühlte mich entsetzlich einsam – nicht einmal meinen Hund hatte ich bei mir, auch keinen Stock. War es nicht wirklich besser, rasch umzukehren und zu geeigneterer Zeit wiederzukommen? – Als sich nun noch drüben im Felsenschatten eine hohe graue Gestalt undeutlich hin und herbewegte, erschrak ich so heftig, daß mir der Daumen aus der Bibel fuhr und ich ihn nicht gleich wieder hineinstecken konnte. »Das geschieht mir schon recht,« dachte ich; »warum habe ich nicht auf den Pastor gehört und mich mit dem Bösen eingelassen.«

Ich ging nun dem Ausgang des Thales zu, um unverrichteter Sache den Heimweg anzutreten, obwohl ich wußte, ich würde mich hinterdrein ärgern über meinen Mangel an Mut. Doch kaum hatte ich ein paar Schritte gethan, als ich die Frau erblickte, die von fern ihren Stab gegen mich erhob.

Zuerst blieb ich wie angewurzelt auf der Stelle stehen, denn an ein Entrinnen war nicht mehr zu denken. Ich warf alle Feigheit hinter mich und hoffte, die Bibel werde mich schützen, trotz meines Ungehorsams gegen ihr Gebot. Als aber das schreckliche Weib immer näher kam, bebten mir die Kniee, so daß ich mich auf einen Felsen setzen mußte. Mir vergingen fast die Sinne vor Angst und ich konnte nur noch Gott bitten, er möge mich nicht verlassen.

Jetzt stand sie dicht vor mir, aber als ich ihr in das runzlige Gesicht schaute, machte sie mir gar keinen abschreckenden Eindruck. Langes weißes Haar fiel ihr vorn bis auf die Brust herab und ein paar helle Augen glänzten daraus hervor. Sie sah aus, als hätte sie selbst viel Kummer erlebt und doch ein warmes Herz für die Leiden anderer behalten. Ich war so überrascht und verwundert, daß ich kein Wort über die Lippen brachte und hätte doch so gern das drückende Schweigen gebrochen.

Ihr Blick ruhte auf mir und sie schien mich zu durchschauen als wäre ich von Glas. »Du kommst nicht zu mir um den Kugelsegen zu holen oder meine Mundsalbe,« sagte sie. »Reiche mir deine Hand, John Ridd, und laß mich wissen was dich herführt.«

Woher sie nur meinen Namen kannte? Ich getraute mich nicht ihr die Hand zu geben und die Zunge klebte mir am Gaumen.

»Fürchte dich nicht, mein Sohn,« fuhr sie fort, »ich thue dir kein Leid an. Wenn du klug bist, so errate einmal, weshalb ich dir wohl will.«

»Raten ist nicht meine Sache,« entgegnete ich, ohne mich lange zu besinnen; »so viel ich weiß, habe ich Euch noch nie mit Augen gesehen.«

»Und doch kenne ich dich gut. Erinnerst du dich an das Kind, das du aus dem Sumpf zogst bei der großen Eiche am Exefluß? Es wäre elendig umgekommen, wenn du nicht so ein starkes, mutiges und freundliches Herz gehabt hättest. Das war meine Enkelin, John, die mein ein und alles auf Erden ist.«

Als sie von dem Erlebnis sprach, sah ich die Kleine wieder deutlich vor mir, die im vergangenen Sommer beim Blaubeersuchen in das schwarze Loch gefallen war und sicherlich ertrunken wäre, hätte ihr Hündchen nicht so laut gebellt. Ich zog das Kind damals heraus und trug es zu meiner Mutter. Wir gaben ihm trockene Kleider und dann brachte ich es wohin es verlangte, ohne es weiter auszufragen. Das kleine Mädchen sagte uns nur, daß es acht Jahre alt sei und gern Kartoffeln esse.

Als Mutter Melldrum mich so dankbar anblickte, verschwand alle meine Furcht; auch mußte ich unwillkürlich denken, daß sie meine Hilfe schwerlich gebraucht haben würde, um ihr Enkelkind vom Ertrinken zu retten, wenn sie eine so große Zauberin wäre.

Ich stand rasch von meinem Sitz auf und sagte: »Es war mir leid, gute Mutter, daß ihr einer Schuh im Schlamm stecken blieb und wir ihr nur ein Paar von Schwester Lieschen geben konnten.«

»Glaubst du, mich kümmerte das? O welche Einfalt! Nun sage mir – denn lügen kannst du nicht – was führt dich her?«

Ich ward rot vor Scham, und von allen Fragen, die ich an sie hatte stellen wollen, kam mir nur eine in den Sinn.

»Ich möchte wissen,« rief ich, die Augen abwendend, »wann ich Lorna Doone wieder aufsuchen darf?«

»Von wem sprichst du, John Ridd?« fragte sie zornig und doch voll Trauer. »Ist sie nicht eine Tochter der Leute, die deinen Vater erschlagen haben?«

»Das weiß ich nicht,« entgegnete ich jetzt trotzig, denn ich fühlte mich in Lornas Seele gekränkt, »aber was geht Euch das an?«

»Ich denke an den Kummer deiner Mutter, John Ridd, und welches Unheil es für dich selber wäre. Dir könnte gar nichts Schlimmeres geschehen. – Willst du nicht Schaden an Leib und Seele nehmen, so beschwöre ich dich, um deiner Mutter, um deines Vaters willen – habe du nichts zu schaffen mit einer, die den Namen Doone trägt.«

Sie sprach so traurig und in so feierlichem Ton, und als sie zuletzt die Stimme laut erhob, hallte das Wort Doone wie mit Glockenklang von den Bergen zurück. Einen Augenblick schien mir das Herz in der Brust still zu stehen; ich hoffte, wenn es Gottes Wille sei, mich auf ewig von Lorna zu trennen, so werde er mir jetzt ein sichtbares Zeichen geben. Es regte sich jedoch nichts und ich trat kühn auf das Weib zu – wäre sie doch ein Mann gewesen!

»Ihr armes Geschöpf,« rief ich, »Ihr mögt räudige Schafe kurieren und Pferde die von der Staupe befallen sind, auch Warzen besprechen können und Frostbeulen oder Brandwunden, – aber was wißt Ihr von dem Geschick einer edlen Maid wie Lorna! Ihr wollt mich zum Narren halten, Mutter Melldrum.«

»Ja, leider bist du ein Narr, John Ridd. – Aber laß dich noch warnen. Schau dorthin und sieh, was das Ende sein wird.«

Sie deutete auf einen schmalen Felsvorsprung, wo eben ein erbitterter Kampf ausgefochten wurde. Ein gutes fettes Schaf war dort hinaufgeklettert und weidete das saftige Gras ab, als ein schwarzer Ziegenbock von einer höher gelegenen Klippe mit vorgestreckten Hörnern schnaubend und wütend herabgesprungen kam. Der harmlose Widder wäre dem Streit gern ausgewichen, sah sich aber vergebens nach Rettung um. Ihm blieb nichts übrig als sich zur Wehre zu setzen, wenn ihn nicht sein Gegner fünfhundert Fuß tief hinabschleudern sollte ins Meer.

»Leg' dich, leg' dich!« schrie ich gebieterisch, wie man einem Hunde zuruft; denn die einzige Rettung für den Widder bestand in seiner Schwere, gegen die der Ziegenbock machtlos war.

»Leg' dich, leg' dich, John Ridd,« äffte mir Mutter Melldrum nach, aber sie lächelte nicht dabei.

Als das arme Tier meine Stimme hörte, sah es mich so jammervoll an, daß ich, von Mitleid bewegt, rasch den Felsen hinaufsprang, um ihm beizustehen. Ich kam jedoch zu spät; der Bock senkte eben die Hörner, nahm einen gewaltigen Anlauf und schleuderte den Widder rücklings hinunter in die furchtbare Tiefe. Atemlos und außer mir vor Zorn, überlegte ich nicht lange, sondern ergriff den Bock am rechten Hinterbein, ehe er sich noch seines Sieges freuen konnte, und sandte ihn kopfüber dem Widder nach, damit ihm sein Recht geschähe.


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