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Die Gelegenheit, meine Absicht auszuführen, zeigte sich jedoch nicht so bald, denn am nächsten Morgen fand ich Tom Faggus bei uns am Frühstückstisch sitzen. Er fühlte sich offenbar unbehaglich und war weit weniger heiter und gut gelaunt als sonst. Nur verstohlen warf er von Zeit zu Zeit zärtliche Blicke auf Annchen, die unruhig auf und ab ging und keinem frei ins Gesicht sehen konnte. Ich dachte mir schon was nun kommen werde und Mutter that mir von Herzen leid.
Nach dem Frühstück bat ich Tom, mich auf das Gerstenfeld zu begleiten, wo gerade gepflügt werden sollte, allein er schlug es mir ab, ich wußte wohl warum. Daß ein Mann von so zweifelhaftem Ruf in unsere rechtschaffene Familie heiraten sollte, war mir keineswegs angenehm; ich beschloß jedoch, ihm völlig freie Hand zu lassen und blieb den ganzen Tag über draußen auf dem Felde.
Als ich heimkam war Faggus schon weggeritten. Das schien mir kein gutes Zeichen. Wäre Mutter mit seiner Werbung einverstanden gewesen, so hätte sie ihn sicher dabehalten, um die Verlobung festlich zu begehen. Beim Holzschuppen kam mir Lieschen entgegengelaufen und nahm mir den letzten Zweifel.
»O John, das ist eine schöne Geschichte! Mutter ist ganz außer sich und Annchen zerfließt in Thränen. Ich wette, du kannst nicht raten, was es gegeben hat, und ich hatte doch schon längst eine Ahnung, daß es so kommen würde.«
»Was ich weiß, brauche ich nicht erst zu raten«, sagte ich in verächtlichem Ton, denn es verdroß mich, daß sie sich so wichtig vorkam. »Jedenfalls hast du dir die Augen nicht rot geweint über den Kummer deiner Schwester.«
»Weshalb sollte ich weinen? Ich habe nichts gegen Tom Faggus einzuwenden. Von allen Männern, die ich kenne, hat keiner wirklichen Mut außer ihm.«
Das war natürlich auf mich gemünzt. Faggus hatte sich Lieschens Gunst dadurch erworben, daß er bei jeder Gelegenheit seinem Haß gegen die Doones Luft machte und versicherte, er würde ihre feste Burg mit Leichtigkeit brechen, fände er nur ein halbes Dutzend beherzte Gefährten. Ich widersprach Lieschen nicht, denn das war ihr empfindlicher als alle Scheltworte, und in einem Wortstreit mit ihr zog ich doch immer den kürzeren. Schweigend gingen wir zusammen ins Haus und ich war gerade bemüht das weinende Annchen zu trösten, als Mutter mich rufen ließ.
»Nicht wahr, John, du legst ein gutes Wort für mich ein?« bat Annchen, die Augen voll Thränen.
»Nicht eins, liebes Schwesterlein, sondern hundert,« rief ich, sie zärtlich umarmend; »fürchte nichts, deine Sache wird Mutter bald in hellstem Lichte erscheinen, im Vergleich zu der meinigen; sie wird dich ihr bestes, gehorsamstes Kind nennen, wird den Vetter Tom bis in den Himmel erheben und ihn durch einen reitenden Boten schleunig zurückrufen lassen.«
»O John, du wirst doch Mutter heute nichts von Lorna sagen!«
»Doch, gerade heute, auf der Stelle, ich muß es vom Herzen haben.«
»Aber Mutter hat sich noch nicht von dem ersten Schrecken erholt, sie hält es nicht aus.«
»Im Gegenteil, sie wird es besser vertragen können. Ein Uebel vertreibt das andere. Glaube nur, ich kenne Mutter durch und durch. Zuerst wird sie zürnen und schelten, bald auf dich, bald auf mich, bald auf uns beide. Wenn sie uns dann so schlecht gemacht hat, wie nur möglich, wird sie in ihrem Herzen nach Entschuldigungsgründen für uns suchen und bald zu der Ueberzeugung gelangen, daß sie zu heftig gewesen ist. Wir thun gut daran uns etwas in der Ferne zu halten, bis sie sich erinnert, wie liebevoll wir immer zu ihr gewesen sind und wie wir unserm Vater gleichen. Dabei denkt sie an die Zeit ihrer eigentlichen Jugendliebe, sie seufzt viel und weint auch ein paar Thränen. Dann läßt sie uns beide rufen, bittet, wir sollen ihr verzeihen und nennt uns ihre Herzenskinder.«
»Aber John, wie in aller Welt kannst du das so genau wissen?« rief Annchen und trocknete sich die Augen. »Was du da sagst, klingt wirklich nicht so unwahrscheinlich.«
Es kam auch alles so ziemlich wie ich es prophezeit hatte, deshalb kann ich mir den genauen Bericht sparen. Ich möchte überdies nicht gern niederschreiben, was Mutter in der ersten Ueberraschung und Aufregung von Lorna sagte, es war geradezu ungerecht und kränkte mich tief. Mir scheint aber, wer seine übereilten Worte bereut, dem sollte man sie nicht nachtragen. Solche Reden zu buchen ist der Engel Geschäft, wie man glaubt, aber sie betreiben es schwerlich sehr eifrig, sonst müßten sie ihre himmlische Natur dabei einbüßen.
Noch vor Sonnenuntergang am selben Tage saß Mutter zwischen uns beiden auf der Gartenbank. Ihr Kopf ruhte an meiner Brust und mit dem Arm hielt sie Annchen umschlungen. Sie war voller Zärtlichkeit und Mitleid für ihre geliebten Kinder, und wenn sie Tom und Lorna auch noch nicht verzeihen konnte, sie beurteilte sie doch schon milder. Eine bessere und liebevollere Mutter gab es nicht auf der Welt; nie dachte sie an sich selbst, sondern war nur für unser Wohl besorgt. So ließen wir sie denn gern bei dem Glauben, daß sie uns nach ihrem Willen lenke, denn wir wußten, zuletzt behielten wir doch die Oberhand.
»Mein armer John,« sagte Mutter, »du steckst in einer schönen Klemme. Ich kann mir wohl denken wie alles gekommen ist. Ein junges, schwärmerisches Mädchen – Gott gebe, daß sie nichts Schlimmeres ist – trifft mitten in Not und Gefahr mit einem ebenso unerfahrenen Jüngling zusammen, der bereitwillig sein Leben für sie auf's Spiel setzt. Natürlich schenkt sie ihm ihre Zuneigung, blickt zu ihm auf wie zu einem höheren Wesen und –«
»Sähest du Lorna nur einmal, Mutter, du würdest anders reden. Ich bin nicht wert ihr die Schuhriemen zu lösen.«
»Du nicht, John und auch sonst kein Mensch auf Erden; das denkst du natürlich. Wie gesagt, dieser verkannte Engel beschließt, sich meines Sohnes, der ihr Lebensretter ist, zu erbarmen, überredet ihn aus purem Mitleid, sie zu heiraten und seine arme Mutter zu verlassen. Und das Traurige dabei ist noch – –«
»Daß meine Mutter die Wahrheit durchaus nicht begreifen will.«
»Im Gegenteil, ich suche mir ja gerade klar zu machen, wie sich alles verhält. Ja, küsse mich nur, John, das ist ganz in der Ordnung, aber noch besser wäre es, wenn du Lorna einmal am Nachmittag herbringen wolltest, damit sie sieht, ob ich ihr gefalle. Wir haben noch einen schönen Hammelrücken, auch gute Bratwürste vom letzten Schweineschlachten.«
Es klang so natürlich als Mutter Lornas Namen nannte, daß ich hätte aufjubeln mögen vor Freude, doch erwiderte ich in wegwerfendem Tone: »Als ob Lorna Bratwürste essen würde!«
»Warum denn nicht?« fragte Mutter lächelnd. »Wenn sie eines Landwirts Frau werden will, muß sie auch nehmen, was es in der Wirtschaft gibt. Habe ich nicht recht, Annchen?«
»Sie wird alles essen, was John schmeckt, sollte ich meinen.«
»O, könnte ich sie doch auf die Probe stellen,« rief ich. »Wäre es nur möglich sie herzubringen, du ließest sie nie wieder von dir, Mutter; sie würde dich auch von ganzem Herzen lieben, sie ist so sanft und gut.«
»Das ist ja ein rechtes Glück für mich,« sagte Mutter und trocknete sich die Augen, was sie schon mehrmals heimlich gethan hatte. »Sie würde mich sonst wohl bald von Haus und Hof vertreiben, denn du bist ja wie Wachs in ihren Händen. Meine Zeit ist aus, das sehe ich schon. Wir können nun bald unser Bündel schnüren, Lieschen und ich.«
»Aber Mutter,« rief ich, »sprich doch nicht so thörichtes Zeug. Alles gehört ja nur dir allein, weiter niemand. Du aber gehörst deinen Kindern, das hast du uns tausendmal bewiesen. Nun sieh nur, wie du Annchen zum Weinen bringst.«
Mutter gab sich noch lange nicht zufrieden; ich glaube sie fand einen Trost darin, dieselben Klagen immer von neuem vorzubringen und wir ließen sie gewähren. Zuletzt schalt sie sich eine alte Närrin und Annchen, die an ihrem Halse hing, zog ihr lachend das erste weiße Haar aus.
Für Annchens und Toms Verbindung war das größte Hindernis beseitigt, nachdem Mutter einmal ihre Einwilligung gegeben hatte, wenn auch mit Widerstreben. Lorna und ich aber hatten – ausgenommen mehr Seelenruhe und ein gutes Gewissen – wenig Gewinn davon. Mutter wollte mir sogar das Versprechen abnehmen, daß ich es ihr immer im voraus mitteilen würde, wenn ich einen Besuch im Doonethal zu machen gedächte; ich versprach aber statt dessen, ihr jedesmal bei meiner Rückkehr ausführlichen Bericht über meine Erlebnisse zu geben. Sofort begann sie nun allerlei Pläne zu machen, damit ich jeder Gefahr ledig sein könne und sie von ihrer Angst befreit. Lorna sollte auf irgend eine wunderbare Art aus der Gewalt der Doones entkommen und mindestens ein Jahr lang bei uns bleiben, um in der Hauswirtschaft und Milchkammer alles zu lernen, was Mutter und Annchen selbst verstanden. Leider war das nur völlig unausführbar. Zwar das Wagestück, die Geliebte aus dem Doonethal zu rauben, wäre mir nicht zu kühn gewesen; aber würde sie mir auch folgen wollen und ihren alten Großvater ohne Pflege lassen? Und gesetzt auch, daß sie aus Angst vor dem schrecklichen Carver in die Flucht willigte, wie hätten wir sie schützen sollen? Würden nicht die Doones das ganze Land nach ihr durchstreifen und, sobald sie gefunden war, uns alle umbringen, das Haus in Brand stecken und ihre Königin im Triumph davonführen?
Mutter sah das seufzend ein und gab zu, daß mir nichts übrig bleibe, als auf bessere Zeiten zu hoffen. »Gott allein weiß was uns frommt,« sagte sie, »dem Schicksal kann niemand gebieten, so wenig wie der Neigung des Herzens. Mich freut nur, daß Onkel Rubens' Lieblingswunsch vereitelt wird; denn das hat er verdient, weil er dich einen Feigling genannt hat, als du auf seinen hirnverrückten Angriffsplan gegen das Thal, in dem deine Geliebte wohnt, nicht eingehen wolltest. Ein schöner Feigling, der sein Leben täglich aufs Spiel setzte, ohne daß ein Mensch darum wußte! Es ist nur gut, daß du die zwerghafte Enkelin des unverschämten Geizhalses nicht um ihres elenden Geldes willen heiraten mochtest.«
Bei diesen Worten wandte sich Mutter um und ward blutrot, denn neben ihr stand bleich und traurig die arme Ruth Huckaback und sah sie mit unverwandten Blicken an.
»Es ist nicht meine Schuld, wenn ich ein kleines zwerghaftes Ding bin, der liebe Gott hat mich so geschaffen,« sagte sie mit fester Stimme; »daß Ihr mich deswegen so sehr verachtet, wußte ich nicht; Ihr habt auch in meinem Beisein Großvater noch nie ins Gesicht gesagt, daß er ein alter Geizhals ist. Wenn ich morgen nach Dulverton zurückgehe – heute ist es leider schon zu spät – werde ich mich wohl hüten ihm das mitzuteilen, damit Eure Absichten auf sein Eigentum nicht etwa in den Brunnen fallen. Für alles Gute, was Ihr mir gethan habt, danke ich Euch vielmals; ein zwerghaftes Geschöpf wie ich hätte um seiner selbst willen nicht so große Freundlichkeit verdient. Übrigens ist es noch gar nicht bestimmt, daß mir Großvater auch nur einen Pfennig von seinem Gelde hinterläßt. Ich wünsche oft er möchte mich enterben; das elende Geld hat schon zu viel Kummer über mich gebracht.« Sie lief laut schluchzend davon; wir drei aber sahen einander verdutzt an und schwiegen lange.
»Der unverschämte Knirps,« sagte Mutter endlich. »Du kannst Gott danken, John, daß du sie los bist. Was für ein Leben hätte sie dir bereitet.«
»Daß in dem winzigen Ding eine solche Wut stecken könnte, würde man gar nicht glauben,« rief Annchen, Mutter zärtlich umarmend, »und wie schlau sie sich bis jetzt verstellt hat, man hielt sie wirklich für einen Engel an Sanftmut.«
»Ich, für meine Person, habe Ruth Huckaback noch nie halb so sehr bewundert wie in diesem Augenblick,« rief ich lachend. »Die ist von echtem Schrot und Korn. Hätte ich Lorna nicht gesehen, ich heiratete Ruth gleich morgen.«
»Da muß ich ja der lieben Lorna großen Dank sagen, daß sie mich davor bewahrt. Hast du wohl bemerkt, wie ihre Augen funkelten und Feuer sprühten?«
»Freilich, und es sah wunderschön aus. Neun Mädchen unter zehn würden, mit Gift und Galle im Herzen, gethan haben als hätten sie kein Wort gehört. Du auch, Annchen, nicht wahr? Gestehe es einmal ehrlich.«
»Ich weiß nicht, John, aber mir scheint, ich hätte mich geschämt ein Gespräch belauscht zu haben, das nicht für mich bestimmt war, und hätte mich am meisten über mich selbst geärgert.«
»Statt auf andere zu schmähen und zu schelten; natürlich, sonst wärst du gar nicht meine Tochter. Mir thut es leid, daß ich das arme Ding durch meine Äußerungen so zum Zorn gereizt habe; ich werde ihr sagen, daß ich sie nicht habe kränken wollen und hoffe, sie wird mich um Verzeihung bitten.«
Ruth bestand indessen auf ihrem Entschluß, uns am andern Morgen zu verlassen, wir konnten sie nicht zum Bleiben bewegen. Meiner Schwester Elise schwor sie beim Abschied ewige Freundschaft, aber mit Annchen grollte sie ein wenig, wir wußten nicht recht warum. Ich begleitete die Kleine bis über Exeford hinaus, wo das Moor aufhört und der Weg nicht mehr gefährlich ist, dann ritt sie in Jakobs Schutze weiter. Ich mochte ihr nicht zu große Aufmerksamkeit erweisen, nachdem so viel von ihrem Geld die Rede gewesen war. Als sie mir Lebewohl sagte, hatte sie Thränen in den Augen; sie schickte auch Mutter noch einen freundlichen Gruß und versprach Weihnachten wiederzukommen, wenn sie die Erlaubnis erhielte.
Für jemand, dessen Eigenliebe so tief verletzt worden war, benahm sie sich eigentlich ungewöhnlich gut. Sie zeigte Mut und Ehrgefühl und zugleich den Wunsch zu vergeben und zu vergessen, was den Frauen in solchem Fall stets am schwersten wird.
Im nächsten Monat geschah wenig Bemerkenswertes. Daß ich gleich, nachdem die Unterredung mit Mutter stattgefunden, Lorna aufsuchte, versteht sich ganz von selbst. Mein Lieb gab mir einen herzlichen Kuß und einen zweiten beim Abschied für unsere Mutter. Was wir alles mit einander redeten, behalte ich am liebsten für mich, es hat auch für andere wenig Interesse; eines muß ich aber doch erwähnen:
»Ich kann es kaum glauben, liebster John,« sagte Lorna, »daß nach alle den Missethaten, die meine ruchlosen Verwandten begangen haben, es mir beschieden sein sollte, Ruhe und Behagen in einem friedlichen Haushalte zu finden. Ein eigen Heim wäre ein Paradies für mich, selbst bei dem stillsten einförmigsten Leben. Aber wenn mir auch Gott dies Glück bescheren wollte, statt meines unseligen Erbteils, so würden es doch die Doones nun und nimmer zugeben.«
Als ich ihr darauf gestand, wie wir alle – Mutter, Annchen und ich – uns danach sehnten, sie in Plover Barrows zu haben und mit allen Obliegenheiten unserer Wirtschaft bekannt zu machen, schüttelte sie traurig den Kopf. Solange ihr Großvater lebe, sagte sie, könne sie ihn nicht verlassen; auch brächte sie gewiß nur Unheil über ein Haus, das sie gegen den Willen ihrer gewaltthätigen Familie gastlich aufnehmen würde. Das ließ sich nicht leugnen und wir mußten uns eben für jetzt zufrieden geben. Sie sprach mir Mut zu und fragte, wie lange ich auf sie warten wolle.
»Nicht einen Tag, wenn es auf mich ankommt,« rief ich leidenschaftlich, »aber mein ganzes Leben lang, sollte mir ein so grausames Geschick beschieden sein. Und du Lorna, wie lange willst du auf mich warten?«
»Bis du mein eigen wirst,« rief sie mit strahlendem Lächeln. »Und nun, John, möchte ich dir für den reizenden Verlobungsring, den ich von dir habe – er ruht auf meinem Herzen, am Finger tragen darf ich ihn leider nicht – auch ein Liebespfand geben, ein ganz häßliches und einfaches, das mir aber von Rechts wegen gehört. Sieh nur den seltsamen alten Ring hier mit den wunderlichen Zeichen darauf; gleichen sie nicht einer Katze, die auf einem Baum sitzt? Er muß einem Riesen angehört haben, deshalb paßt er dir vielleicht, John, bei deiner Riesengröße. Früher hing er an meinem schönen glitzernden Halsband, das Großvater schon lange für mich in Verwahrung hat, weil man es mir einmal fortnehmen wollte; den Ring aber gab er mir wieder und sagte, ich könne stolz sein auf dies Kleinod. Ich trug ihn seither an einer Schnur auf der Brust, wo jetzt dein liebes Ringlein hängt. Aber, warum schaust du so verwundert drein, John, was hältst du von dem Ringe?«
»Er ist wohl fünfzigmal so viel wert als mein kleines Andenken, und viel zu kostbar für einen niedern Freisassen, ich darf ihn dir nicht fortnehmen.«
»Wenn der Freisasse mich selber haben will, muß er auch mein Liebespfand annehmen.«
Sie sah mich so zürnend und doch glückstrahlend an, daß ich ihr schnell den Willen that und den schweren Goldreif an meinen kleinen Finger steckte, wo er sich prächtig ausnahm; dann sagte ich mit großem Ernst:
»Dies ist nicht der Ring eines Riesen, meine Lorna, sondern ein echter Daumenring, wie man ihn vor langen Zeiten trug. Als mein Vater noch lebte, fand man einmal einen beim Pflügen auf unserm Felde. Die gelehrten Doktoren, denen wir ihn sandten, wußten mancherlei darüber zu berichten, den Ring aber behielten sie für ihre Mühe. Ich werde dein Kleinod treu bewahren, meine einzig Geliebte, es heilig halten und dereinst mit mir ins Grab nehmen.«
Ich erwähne dies alles so ausführlich, weil der Ring eine wichtige Rolle im Leben meiner Lorna spielt. Als ich ihn Mutter daheim zeigte, sah sie ihn voller Bewunderung an und meinte, er müsse ohne Zweifel von einem sehr alten und vornehmen Geschlechte stammen. Meinen Einwand, daß es dann doch eine Entwürdigung sei, wenn ein einfacher Landmann das Kleinod am Finger trage, ließ sie aber nicht gelten. Hätte der Landmann das Herz des edlen Fräuleins aus dem alten Geschlecht gewonnen, sagte sie, so wären alle Ringe und Juwelen der Welt nichts wert, im Vergleich zu diesem lebendigen Edelstein.
So trug ich denn den Ring in stetem Gedenken an die Herrin meines Herzens und nahm ihn nur ab, wenn ich pflügte oder sonst schwere Arbeit that, damit er nicht zu Schaden käme.