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Jakobs Abenteuer beunruhigte mich mehr als ich mir selbst eingestehen mochte; es rief mir die Warnung des Oberrichters Jeffreys ins Gedächtnis zurück und manchen Wink, den ich von Jeremias Stickles erhalten hatte. Als ich damals versicherte, ich wisse nichts davon, daß etwas gegen die Regierung im Werke sei, hatte ich die volle Wahrheit gesprochen; aber jetzt vernahm man mancherlei, was verdächtig erschien: bei Lynmouth sollten nächtlicherweile große Waffenvorräte ausgeschifft worden sein und an einer Stelle, wo ein berühmtes Echo war, wollte man sogar Kommandoworte und Marschschritte gehört haben. Es mußte ja auch jedem Verschwörer sofort einleuchten, daß Exmoor, mit seinen tiefen Buchten und wilden Einöden, wie geschaffen schien, um heimlicherweise bedeutende Streitkräfte anzusammeln.
Aber, falls sich auch wirklich in unserer Mitte ein Aufstand gegen den König und die katholische Partei vorbereitete, war es denn denkbar, daß Herr Huckaback die Hand dabei im Spiele hatte? – Zwar die Papisten haßte er, das wußte ich aus seinem eigenen Munde; er war reich, geizig und äußerst vorsichtig, doch auch schrecklich rachsüchtig und verschlossen, so daß kein Mensch je zum voraus sagen konnte, was er thun oder lassen würde.
So viel ich mir aber auch den Kopf zerbrach, wie das alles zusammenhängen möchte, und welche Schwierigkeiten für uns persönlich entstehen würden, wenn die Protestanten wirklich zu den Waffen griffen – ich konnte zu keiner Klarheit gelangen. Zum Glück machte Onkel selbst eines schönen Tages für jetzt allen meinen Bedenken dadurch ein Ende, daß er ebenso plötzlich wieder abreiste, wie er gekommen war. Auf Annchens Pony erhob er keinen Anspruch, sondern ließ uns sogar etwas zurück, was in Mutters Augen sehr wertvoll war, nämlich seine Enkelin Ruth, die er erst später abholen lassen wollte. Das Mädchen war darüber hocherfreut, denn sie führte in Dulverton ein sehr trauriges Leben bei dem geizigen alten Mann. Unter uns war sie förmlich aufgelebt, hatte lustig lachen gelernt und zeigte sich offenherzig und harmlos wie wir.
Die Ernte war nun in die Scheunen geschafft, die Schnitter hatten ihren Lohn erhalten und ich vermochte meine Sehnsucht nach Lorna nicht länger zu bezwingen. Da der Mond bereits zweimal gewechselt hatte, hielt ich mich auch für völlig berechtigt die Geliebte aufzusuchen. Ich fing etwa anderthalb Dutzend Forellen im Bach, nahm alle frischen Eier, die ich finden konnte, und machte mich auf den Weg. Mit Annchen hatte ich verabredet, man möchte mich nicht zum Nachtessen erwarten. Es war ja wohl möglich, daß Lorna heute meinen Ring annahm und mir ihre Liebe gestand, dann hätte ich vielleicht bei ihr bleiben und ihre Mahlzeit teilen dürfen.
Aber ach, wie traurig ward meine Hoffnung getäuscht! Stundenlang wartete ich geduldig an dem gefährlichen Ort, doch Lorna ließ sich nicht blicken. Die kleine Liebesgabe aber, mit der ich sie erfreuen wollte, nahm der elende Carver Doone in Beschlag, was mich am allermeisten verdroß. Ich hatte nämlich die Eier und Fische, um sie frisch zu halten, in das Schilf am Wasser gelegt und mit Blättern zugedeckt. Lornas Grotte mochte ich nicht unaufgefordert betreten, so verbarg ich mich denn hinter einem Weidenbaum und spähte in das Thal hinaus. Auf einmal bemerkte ich einen großen Mann mit breitkrämpigem Hut, Lederwams und einer Flinte über der Schulter, der langsam einhergeschlendert kam. Ich zog mich eilig in die Felsennische am Wasserfall zurück, denn mit meinem Knotenstock allein konnte ich mich nicht gegen sein Schießgewehr verteidigen. Durch ein Guckloch, das ich mir schon längst für alle Fälle gemacht hatte, sah ich, wie der große schwarzhaarige Mann immer näher kam und konnte sein Gesicht betrachten. Es war nicht häßlich zu nennen, Stärke, Willenskraft und Entschlossenheit prägten sich darin aus, aber auch ein Zug kalter Grausamkeit, vor der mir schauderte.
Bei dem Gedanken, daß dieser Mensch Lorna zum Weibe begehrte, faßte ich meinen Stock fester und brannte vor Begierde, meine Kraft mit der seinen zu messen. Er aber ahnte nichts von meiner gefährlichen Nähe, sondern setzte seine Runde am Fluß entlang als Wächter ruhig fort. An der Stelle, wo mein kleiner Schatz verborgen war, sah ich ihn stillstehen und sich bücken, es fiel ihm auf, daß die Blätter mit der Rückseite nach oben lagen. In meiner Einfalt glaubte ich schon, nun sei alles verraten. Da hörte ich Carver Doones höhnisches Gelächter: »Hoho, Charlie, du schlauer Fischer,« rief er, »mit solchem Köder willst du Lorna fangen? Nun weiß ich doch, weshalb du so fleißig angeln gehst und warum unser Hühnerstall immer leer ist. Das wird ein köstliches Mahl für mich geben, Charlie, mein Junge, und du magst dich meinetwegen schwarz darüber ärgern.«
Kaltblütig raffte er meine Eier und Fische zusammen und trug sie lachend fort, während ich, empört über den frechen Raub, aus meinem Versteck hervorsprang, um ihm die Beute wieder abzujagen. Ich besann mich jedoch rechtzeitig, daß es Thorheit wäre, um solcher Kleinigkeit willen mein ganzes Lebensglück aufs Spiel zu setzen. Entdeckte man, auf welchem Wege ich mir den Zugang ins Thal verschafft hatte, so bekam ich entweder gleich eine Kugel in den Kopf, oder ich sah mich für immer von Lorna getrennt und stürzte mich und sie in Jammer und Herzeleid.
Ich wartete noch lange, aber die Geliebte kam nicht und endlich machte ich mich betrübt auf den Heimweg. Zwei Wochen hindurch versuchte ich täglich mein Glück, aber jedesmal vergebens. Und doch fand ich die Zeichen immer wieder erneuert, wie wir verabredet hatten, ein Beweis, daß man Lorna nicht mit Gewalt im Hause zurückhielt.
Einmal wäre es bei solcher Gelegenheit fast um mich geschehen gewesen. Eine Kugel pfiff dicht an mir vorbei, riß mir den Hut vom Kopfe und schon im nächsten Augenblick sah ich ihn tief unten auf dem Wasserfall tanzen. Ich hatte kaum Zeit mich zu verbergen, da erschien bereits Carver Doone am Felseingang, um zu sehen, was er geschossen habe. Gleich einem verwundeten Raben tauchte mein weicher schwarzer Filzhut eben aus dem weißen Schaum empor.
»Hab' ich dich endlich erwischt, du alter Krächzer,« rief mein Feind triumphierend. »Jetzt sollst du mir nie mehr mit deinem verdammten Geschrei den Morgenschlaf vertreiben. Zwei Kugeln hab' ich dir vergeblich nachgesandt, aber daß du mir zum drittenmal nicht entkommen würdest, wußte ich wohl. Dergleichen läßt sich Carver Doone nicht bieten.«
Ich mußte innerlich über den eiteln Prahler lachen. Lief ich doch nun schon zum drittenmal Gefahr von ihm entdeckt zu werden und war noch immer mit heiler Haut davon gekommen. Weit lieber wäre es mir freilich gewesen, ihm in offenem Kampfe zu begegnen; ich hatte das Verstecken und Lauschen herzlich satt und würde an ihm einen ebenbürtigen Gegner gefunden haben, den ich nicht zu schonen brauchte. Nur Annchens Bitten hielten mich noch ab, von der oberen Seite ins Doonethal einzudringen; denn meine Angst und Sorge um Lorna wuchs mit jedem Tage, an dem ich ihren Anblick entbehren mußte.
Als ich an jenem Abend in Trübsinn versunken dasaß, merkte ich plötzlich, wie sich die alte Betty in meine Nähe schlich und mir allerlei wunderliche Zeichen machte; ich kümmerte mich jedoch nicht darum, bis sie auf einmal ganz dicht herankam und, so daß es niemand anders hörte, mir ins Ohr flüsterte: »Lorna Du – uhn.« Damit war sie auch schon zur Thür hinaus.
Ich ging ihr eilends nach und fand sie draußen am Schweinekoben, wo sie so eifrig beschäftigt war, den Thieren ihr Fressen zu geben, daß ich wohl einsah, ich würde kein Wort aus ihr herausbekommen, solange auch nur noch ein Ferkel die Schnauze in den Trog steckte. So half ich ihr denn bei der Arbeit und wartete geduldig.
Das rührte endlich Bettys Herz. »Du bist liebeskrank, John,« sagte sie. »Ja, ja, gestehe es nur. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie das thut und kann es nicht länger mit ansehen wie du dich abhärmst. Komm', ich will dir 'was ins Ohr sagen.«
Rasch bog ich mich zu ihr nieder und sie flüsterte: »Geh' doch des Morgens zu ihr, du großer Einfaltspinsel. Sie läßt dir sagen, daß man sie abends zu scharf bewacht.«
Ganz außer mir vor Entzücken fiel ich Betty um den Hals und gab ihr einen derben Kuß, wie sehr sie sich auch sträubte und schalt, daß ich so unverschämt geworden sei.
Am nächsten Morgen war ich in aller Frühe munter und unterwegs zum Bagworthy-Wald, der bereits den roten, gelben und olivengrünen Schmuck des Herbstes trug. Prächtig stieg die Oktobersonne über die Hügel herauf, zerstreute die Nebel und kleidete Berg und Thal in Gold, Purpur und Rosenrot. Mit der Finsternis verschwand auch meine Herzensbangigkeit, alles atmete Hoffnung, Lebenslust und Dank für Gottes Güte, der seine Sonne aufgehen läßt über Gerechte und Ungerechte. Thäte er das nicht, wie dunkel wäre es da im Doonethal geblieben!
Aber auch dort lag der Morgenglanz auf den taufrischen Wiesen und mir klopfte das Herz vor Freude, denn nach kurzer Frist wurde ich meine Lorna gewahr, die mir strahlender erschien als die Sonne und reiner als der Morgentau. Vor dem jungen Tage war alle ihre Sorge gewichen, ihr ganzes Wesen atmete Frohsinn und Heiterkeit. Ich eilte ihr rasch entgegen und sah, wie bei meinem unerwarteten Anblick ihre Wangen erglühten und ein Freudenschimmer in ihren Augen aufleuchtete.
»Seid Ihr endlich da, John. Ich glaubte schon, Ihr hättet mich ganz vergessen. Abends hielt man mich immer gefangen und ich wußte nicht, wie ich es Euch kund thun sollte. – Aber kommt in mein Haus – hier sind wir nicht sicher.«
Ich folgte ihr mit freudigem Beben in die Grotte, die ich schon zweimal betreten hatte. Der wichtigste Augenblick meines Lebens war da, denn ich hoffte, jetzt würde mir Lorna gestehen, daß sie mich liebte. Zuerst schlug sie den Blick zu Boden, errötete, stammelte und versuchte von allerlei unwichtigen Dingen zu reden.
»Das zu hören bin ich nicht gekommen,« flüsterte ich ihr zu; »es ist etwas ganz anderes, um das ich Euch fragen wollte.«
»Seid Ihr gekommen mich etwas zu fragen, warum zögert Ihr dann so lange?«
»Ich zögere in der Angst meines Herzens,« entgegnete ich mit unterdrückter Leidenschaft, »denn an Eurer Antwort hängt all mein Glück. Was mir mehr gilt als die ganze Welt fürchte ich zu verlieren und ich kann nicht leben, wenn es nicht mein eigen wird.«
Sie bebte an allen Gliedern, erwiderte aber kein Wort; nun bezwang ich mich nicht länger, ich mußte ihr alles sagen:
»Seit vielen Jahren liebe ich dich, Lorna; schon damals, als wir noch beide Kinder waren, habe ich dir gehuldigt. Ich sah dich wieder, zum reizenden Mädchen erblüht, und verehrte dich von ganzem Herzen. Jetzt aber, da du, zur Jungfrau erwachsen, vor mir stehst, liebe ich dich aus vollster Seele, weit inniger als ich zu sagen vermag. Ich weiß, ich stehe tief unter dir, aber ich kann nicht länger hoffen und harren, ich muß meine Antwort haben.«
»Ihr habt Euch sehr treu erwiesen, John,« murmelte sie, nach dem Moos und Farnkraut am Boden blickend, »das muß ich Euch lohnen.«
»Nein, nein, – Mitleid oder eine erzwungene Zusage begehre ich nicht. Du mußt mir Liebe für Liebe schenken; mir genügt nur, wenn ich dein innerstes Herz besitze, so wie dir meines gehört.«
Da hob sie langsam den Blick zu mir empor, ließ mich tief in ihre liebestrahlenden Augen schauen, umschlang mich mit ihren Armen und flüsterte an meiner Brust:
»Nimm mich hin, Geliebter; ich gehöre mir nicht mehr selber an. Dir gebe ich mich zu eigen auf immer und ewig.«
Was ich hierauf that und sagte, erinnere ich mich nicht mehr; ich war trunken vor Wonne. Ich weiß nur noch, daß sie mir wie ein Kind lächelnd ihre Lippen darbot und ich sie fast erstickte mit meinen Küssen.
»Laß es nun für diesmal genug sein, John,« sagte sie sanft, aber mit tiefem Erröten. »Vergiß auch nicht, daß künftig nur ich zu geben habe und du bescheiden sein mußt, wie es sich geziemt. Aber die Hand darfst du mir küssen, John; ja das darfst du thun.«
Beglückt und stolz faßte ich ihre reizende kleine Hand, die jetzt mein eigen war, und steckte ihr den Verlobungsring an den Goldfinger. Diesmal streifte ihn Lorna nicht wieder ab, sie sah ihn zärtlich an und pries seine Schönheit. Plötzlich schmiegte sie sich an mich und brach in Thränen aus.
»Geliebtes Herz,« sagte ich, und hielt sie innig umfangen, »du darfst nun nicht mehr trauern und weinen. Im Schutz meiner Liebe sollst du friedlich und glücklich wohnen und kein Mensch wird es je wagen dich zu kränken.«
Sie aber seufzte tief, preßte die Hand auf ihre wogende Brust und große Thränen rollten ihr über die Wangen.
»Wie darf ich mich in solchen Träumen wiegen?« murmelte sie leise vor sich hin. »Es kann ja doch nun und nimmermehr sein. Mir sagt eine Stimme im innersten Herzen, daß ich auf ein so großes Glück nicht hoffen darf.«
In meiner Liebeswonne achtete ich jedoch auf kein Vorgefühl künftigen Leides. Lorna war mein, die Hohe, Herrliche – was konnte mich da noch betrüben? Auf ihren Wunsch nahm ich rasch zärtlichen Abschied von ihr und eilte jubelnd heim. Etwas bange zu Mute war mir freilich, denn Lorna hatte mir das Versprechen abgenommen, daß ich jetzt meiner Mutter alles sagen würde. Dies war zwar schon meine Absicht gewesen, sobald ich bei meinem Werben auf Erhörung rechnen konnte. Ich stellte mir lebhaft vor, welchen Kummer und Verdruß Mutter anfänglich empfinden werde, denn die Erbin des Doonethals brachte keinen willkommenen Brautschatz mit und überdies ward der Plan meiner Heirat mit Ruth Huckaback vereitelt. Allein ich kannte auch Mutters versöhnliche Natur und ihre große Liebe zu mir; über kurz oder lang würde sie sicherlich meinen Wunsch zu dem ihren machen. Besonders war ich fest überzeugt, daß sie Lorna nur einmal mit Augen zu sehen brauche, um für sie in Liebe und Bewunderung zu entbrennen. Dann würde ich wegen meiner Wahl noch Dank und Lob ernten, vielleicht weit über mein Verdienst.