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Zwei Monate lang sollte ich auf Lornas Gebot von ihr fern bleiben und doch war mein Herz leicht und freudevoll. Unsere verabredeten Zeichen sagten mir Tag für Tag, daß die Geliebte sich in Sicherheit wußte. »Großvater schützt mich vor Gewalt, Gwenny späht alles aus, was gegen mich im Werke ist, und für den schlimmsten Fall weiß ich Euch stets bereit mir beizustehen – wovor sollte ich mich fürchten?« hatte sie beim Abschied gesagt. »Nein, drückt mir die Hand nur nicht gar zu sehr, John, Ihr wißt nicht wie stark Ihr seid.«
O ich wußte es wohl. Ich fühlte meine Kraft. Den wildesten Stier konnte ich spielend bändigen, festgewurzelte Bäume wie Gerten zur Erde biegen, weder Berg noch Thal bot mir ein Hindernis. Aber ich liebte die ganze Natur, jedes Tier, jede Pflanze und mochte keinem Geschöpf wehe thun. Sie sollten sich alle ihres Lebens und Daseins freuen, wie ich es that.
Jetzt war die Erntezeit da. Das goldene Korn wogte weit und breit auf den Feldern, bis hinauf zum Waldessaum. Ein so reicher Erntesegen war uns nicht zu teil geworden seit mein Vater zuletzt die Sense führte, die nun müßig an der Wand hing, weil er selber in voller Manneskraft von dem ernsten Schnitter, Tod, dahingerafft worden war. Keine Hand hatte bisher meines Vaters Sense berührt, aber heute nahm ich sie feierlich herunter und Mutter, die mir zusah, wußte nicht recht, ob sie lachen oder weinen sollte.
Alle Leute, die zum Kirchspiel gehörten, versammelten sich auf unserm Wirtschaftshof, wo der Zug sich ordnete. Voran schritt der Pastor Josias Bowden, mit der Kirchenbibel und einer Sichel, wie es die Sitte verlangte. Dann folgte unsere Familie. Ich führte meine Mutter und trug Vaters Sense; hinter uns kamen Annchen und Lieschen, mit prächtigen Kornblumenkränzen geschmückt. Mutter hatte die Witwenhaube abgelegt und das reiche Haar fiel ihr offen über die Schultern. An der Spitze der Milchmädchen und der übrigen Mägde, die sich uns anschlossen, schritt Betty Muxworthy; sie konnte selbst heute das Schelten nicht lassen, aber niemand kümmerte sich darum.
Nachbar Snowe kam höchst selbstbewußt zwischen seinen Töchtern gegangen, die sich nach rechts und links umsahen und schwatzten und kicherten, um Aufsehen zu erregen. Wie sehr mißfiel mir ihr Benehmen, wenn ich an Lornas edle Einfachheit dachte. Auf die Snowes folgte Jasper Kebby mit seiner jungen Frau, wackere Leute, die nur ein kleines Gut von etwa hundert Morgen und Weidegerechtigkeit besaßen. Hinterdrein drängten sich sämtliche Knechte mit ihren Weibern; Kinder, welche Blumen am Wege pflückten und lustig nebenher sprangen, beschlossen den Zug. Alles in allem mögen es wohl sechzig Personen gewesen sein.
An dem großen Weizenfeld sollte der Schnitt beginnen. »Unser Anfang sei im Namen des Herrn, Amen,« sprach der Pastor mit lauter Stimme. Dann schwang er die Sichel und mähte die ersten Schwaden mit fester Hand. Nun trat Mutter vor, auf meinen Arm gelehnt, und wir beteten beide: »Dem Herrn sei Dank für alle seine Gnade und für die Frucht des Feldes, die er uns bescheert.« Hierauf stimmte der Küster ein Loblied an und alle sangen so kräftig mit, daß die Glockenblumen im Rasen auf ihren Stengeln zu schwanken begannen, als läuteten sie auch darein.
Nunmehr ging es an die Arbeit. Die blanken Sensen rauschten durch das Korn und legten die Schwaden nieder; hinter den Männern her kamen die Weiber, rafften so viele Ähren auf, als sie mit beiden Armen fassen konnten, banden sie kunstgerecht zusammen und stellten die fertigen Garben hin. So ging es bis zum Ende des Feldes und wieder zurück, dann wurden die Sensen geschärft, die durstigen Kehlen mit einem Trunk erquickt und man gönnte Rücken und Armen eine kleine Rast, um mit frischen Kräften das Werk fortzusetzen.
Aber – sollte man es glauben – mitten im Weizenfeld, wo die reifen Ähren mir zunickten, bis meine Sense sie in Reihen niederlegte, erschien mir plötzlich das Bild der Geliebten, wie sie mit gesenkten Wimpern vor mir gestanden, staunend über die Gewalt meiner Leidenschaft, und dann die leuchtenden Augen zu mir erhoben hatte, um die süßeste Hoffnung in meiner Brust zur Reife zu bringen. Ich meinte den Bagworthy-Wald zu sehen und das Thal in dem sie jetzt vielleicht lustwandelte. Hätte ich nur Flügel, um mich dorthin zu schwingen! Wäre ich doch eine Wolke und schwebte über dem Doonethal. Gewiß hatte der Wind, vor dem sich die Ähren neigten, Lornas Wange gefächelt und in ihren Locken gespielt – wie beneidete ich den sanften Hauch.
In meine Träume versunken, ließ ich die Sense ruhen und starrte sehnsüchtig ins Weite. – Aber, was zum Henker ist das – die Knechte machen sich mein Liebesschwärmen zu nutze. Sie haben die Obstweinkrüge, die im Schatten der Hecken standen, und den Korb mit Brod und Fleisch herbeigeholt und sitzen, meiner Treu, beim Mittagsmahl, noch ehe die Glocke elf geschlagen hat.
»Jakob, du Erzschlingel, was soll das heißen?« rief ich und hielt ihn zappelnd in der Luft, als er gerade einen saftigen Bissen in den Mund stecken wollte.
»Laßt mich herunter, Herr,« bat er, »dann will ich's Euch erklären.«
Ich stellte ihn wieder auf die Füße und konnte ihm nicht unrecht geben als er sagte, sie hätten gedacht, es wäre eine Zeitersparnis, wenn sie zu essen anfingen, während ich im Kopf mit allerlei Staatsangelegenheiten beschäftigt sei. Jakob glaubte nämlich steif und fest, der König habe mich in London mindestens zum Friedensrichter gemacht, ich dürfe es nur noch nicht eingestehen.
Die gebratenen Kartoffeln waren vortrefflich und ich hielt es für das beste, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und mich an der frühzeitigen Mahlzeit der Leute zu beteiligen. Dann gingen wir wieder munter ans Werk, mit wachen Sinnen und fleißiger Hand. Als die untergehende Sonne ihren goldenrötlichen Mantel über die Abendwolken breitete, hatten wir wohl zehn Morgen Weizen gemäht. Wir wischten die Stirnen und die Sensen ab und machten uns auf den Heimweg.
Natürlich waren sämtliche Schnitter auf den Abend bei uns zum Ernteschmaus geladen; sie brachten meist ihre Frauen mit, und es gab alle Hände voll zu thun, um die hungrigen Gäste zu bewirten. Ich schnitt den Braten vor, Annchen keuchte unter den schweren Schüsseln, die sie herumtrug, selbst Lieschen hatte ihre Bücher verlassen, um Bier und Apfelwein auszuschenken, und Mutter legte große Stücke Plumpudding auf Zinnteller zu dem Hammelfleisch. Betty Muxworthy aber kochte und briet und schürte das Feuer, damit es immer neuen Vorrat aufzutischen gab.
Als sich alle satt gegessen hatten kam das Trinken an die Reihe. Man stellte eine mit bunten Bändern geschmückte Garbe auf den Tisch, jeder nahm den schäumenden Becher zur Hand und nun ward aus voller Kehle ein Erntelied angestimmt. So lange der Kirchenchor mitsang, ging es ganz ordentlich, aber bald kamen die Sänger mehr und mehr auseinander; mancher war noch in der Mitte des einen Verses und der andere schon am Anfang des nächsten, jeder sang wie er Lust hatte, nur beim Kehrreim fanden sie sich wieder zusammen und ließen ein wahres Donnergebrüll erschallen.
Es ging beinahe allzu lustig her, aber wir hatten auch große Ursache, dem lieben Gott für die herrliche Ernte zu danken. Es war in diesem Jahr ungewöhnlich viel Weizen gesäet worden und der Ertrag überstieg unsere kühnsten Hoffnungen. Mitten in all der Lustbarkeit mußte ich unwillkürlich daran denken, wie Vater sich über den reichen Segen freuen würde, hätte er den Tag erleben können. Da schlich ich mich unbemerkt hinaus ins Freie, fort von dem Lärmen und lauten Lachen, und ging, um mich abzukühlen, über den Hof und immer weiter, bis auf den Kirchhof.
Mich ficht so leicht keine Furcht an, aber ich erschrak doch, als ich beim Mondlicht eine regungslose Gestalt auf Vaters Grabstein sitzen sah; es war aber niemand anders als unser Annchen in ihren besten Festtagskleidern.
»Du bist's,« rief ich verwundert, »was thust du hier bei Nacht? Was fällt dir ein, daß du mir die Sorge für unsere Gäste ganz allein überlässest?«
»Mir scheint, du nimmst die Sorge nicht allzuschwer, John. Was thust denn du hier bei Nacht?«
Als Annchen mir so schnippisch antwortete, wollte ich nichts mehr von ihr wissen und wandte ihr ärgerlich den Rücken. Sie aber sprang auf, hielt mich fest und barg ihr von Thränen nasses Gesicht an meiner Brust.
»O John, ich will es dir sagen, alles sollst du hören, nur sei mir nicht böse.«
»Ich, dir böse? Weshalb denn? Ihr Mädchen habt ja alle Eure Heimlichkeiten, eine wie die andere.«
»Und du hast wohl keine Geheimnisse, John? Bewahre. Wenn du so oft noch spät abends fortgehst – –«
»Hier ist nicht der Ort um zu streiten,« sagte ich in strengem Ton; »mir lastet manches auf der Seele, wovon ein junges Ding wie du keine Ahnung hat.«
»O doch, John, mir ist das Herz auch furchtbar schwer. Aber ich will dir alles bekennen, wenn du mir nur verzeihen willst und mich freundlich ansehen. Ich bin so elend und unglücklich.«
Ihr Jammer rührte mich, besonders da ich gern wissen wollte, was sie mir zu sagen hatte. So ließ ich mich denn von ihr streicheln und küssen und etwas abseits von Vaters Grab in den Schatten des alten Eibenbaums führen. Statt aber zu reden, legte sie den Kopf an den moosbedeckten Stamm und fing an herzbrechend zu weinen und zu schluchzen. Ein Glück, daß Mutter nicht sehen konnte wie sie ihr bestes Kleid verdarb!
»Nun höre endlich auf,« sagte ich so streng ich konnte; hätte ich ihr mein Mitgefühl gezeigt, sie würde die ganze Nacht fortgeweint haben, das wußte ich wohl, denn ich kannte meine Schwestern – das heißt Elise war mir oft unverständlich.
»Wie unfreundlich du bist, John,« schluchzte Annchen. »Ich weiß wohl, du meinst es gut – aber wenn eine andere, die ich nicht kenne und nicht kennen soll – so voller Kummer und Herzeleid wäre, du würdest sie in deine Arme schließen, sie liebreich trösten und recht zärtlich mit ihr sein.«
Woher sie das nur so genau wußte, die kleine Hexe? Das war ja gerade wie ich es gern mit Lorna gethan hätte.
»Höre Annchen,« rief ich, »du beschreibst das so lebendig, als kenntest du es aus eigener Erfahrung. Auf der Stelle gestehst du jetzt, wer sich dergleichen Freiheiten mit dir herausgenommen hat.«
»Wenn du in solchem Ton sprichst, wirst du es nie erfahren. Übrigens ist es etwas ganz anderes, wenn ein Vetter, der noch dazu mein Pathe ist –« sie schwieg erschreckt, weil sie sich verraten hatte, schaute mich aber ganz zuversichtlich an.
»So ist es denn wirklich wahr, was ich schon längst gefürchtet habe? Er ist hier gewesen, ohne daß wir darum wußten. Wie schändlich, sich so in das Herz eines jungen Mädchens zu stehlen hinter dem Rücken der Ihrigen.«
»Du thust doch nicht etwa selbst ähnliche Dinge, John?«
»Ein gemeiner Straßenräuber,« fuhr ich fort ohne ihren Einwand zu beachten, »der nicht eine Hufe Landes sein eigen nennt und heute oder morgen am ersten besten Galgen aufgeknüpft werden könnte.«
»Und die Doones, John – die haben wohl ein besonderes Vorrecht, nicht gehängt zu werden?«
Ich stand da wie vom Donner gerührt und traute meinen Sinnen kaum. Lange konnte ich keinen klaren Gedanken fassen, bis mir zuletzt einfiel, ich müsse schon um Lornas willen zu erfahren suchen, wieviel Annchen eigentlich wisse und ob sonst jemand unser Geheimnis durchschaut habe. So bezwang ich denn meinen Zorn, sprach ihr freundlich zu und hatte bald herausgefunden, daß sie von der ganzen Angelegenheit nichts entdeckt habe, nicht einmal den Namen meiner Herzensgeliebten; sie hatte nur aus diesem und jenem Umstand allerlei Vermutungen geschöpft, wie das Frauenart ist. Hierüber beruhigt, kam ich nun wieder auf ihre eigene Lage zu sprechen.
»Ist es denn möglich, Annchen, daß du Tom Faggus wirklich versprochen hast ihn zu heiraten?«
»Warum du nur die arme Sally Snowe mit solcher Kälte behandelst, wenn du doch gar keinen besonderen Grund dazu hast?«
»Weder Mutter noch mich zu fragen, das war sehr unrecht von dir.«
»Du weißt ja, wie sehnlich Mutter wünscht, daß du Sally zur Frau nimmst. Du kannst sie gewiß gleich bekommen. Sie erbt einmal das halbe Gut, versteht sich trefflich auf die Milchwirtschaft und bäckt die besten Eierkuchen.«
»Rede nicht solchen Unsinn. Ich will wissen, wie es mit dir und Tom Faggus steht. Denkst du wirklich daran ihn zu heiraten?«
»Wie könnte ich denn Hochzeit halten, bevor mein Bruder versorgt ist? Wer soll ihm so guten Rostbraten machen wie ich? Sally wäre die einzige, die das versteht. Du hast heute den andern so viel vorgeschnitten und selbst kaum etwas gegessen, John. Komm' mit mir nach Hause, ich brate dir ein recht saftiges Stück.«
Sie hatte nicht so unrecht und ich folgte ihr willig, besonders da ich einsah, daß mein Kreuzverhör doch zu nichts führen werde. Daß ich aber selbst noch den kürzeren ziehen und mich von dem schlauen Annchen überlisten lassen würde, war ich weit entfernt zu erwarten. Beim Hofthor blieb ihr Kleid an einem Dornbusch hängen und als ich mich bückte um es los zu machen, fragte sie ohne jede Vorbereitung:
»Kann dein Lieb Wildschnitten braten?«
»Bewahre,« rief ich unbesonnen, »sie ist keine bloße Küchenmagd.«
»Sie ist gewiß nicht halb so hübsch wie Sally Snowe.«
»Hunderttausendmal hübscher,« sagte ich entrüstet.
»Aber sieh' nur Sallys Augen an,« rief Annchen voll Entzücken.
»Wer in Lorna Doones Augen gesehen hat, fragt nicht mehr nach Sallys Augen.«
»O, Lorna Doone, Lorna Doone!« wiederholte Annchen halb erschrocken und klatschte triumphierend in die Hände; »Lorna Doone heißt die holde Maid, die ein gewisses Herz gestohlen hat. Den Namen will ich mir merken, der vergißt sich nicht so leicht.«
»Du nichtsnutziges Ding,« rief ich im höchsten Zorn, »ein paar tüchtige Ohrfeigen hättest du verdient für deine Ungezogenheit. Aber ich hebe sie für Herrn Faggus auf, um sie ihm mit Zinsen heimzuzahlen.«
»O, thu' das nicht, John, bitte nicht,« flehte sie inbrünstig. »Deine Hand ist so schrecklich schwer und er würde dir den Schimpf nie verzeihen, trotz seiner Gutherzigkeit. Versprich mir, daß du ihn nicht schlagen willst, lieber John, und ich gelobe dir, gegen jedermann zu schweigen. Selbst Mutter soll dein Geheimnis nicht erfahren, auch Vetter Tom nicht.«
»Elise darf auch nichts davon wissen, hörst du wohl?«
»Natürlich nicht. Was hat ein so junges Ding mit dergleichen zu schaffen! Verlaß dich auf mich John, ich sage keiner Menschenseele etwas.«
»Schon gut. Was geschehen ist, ist geschehen. Ich kenne jetzt dein Geheimnis und du meins. Es frägt sich noch, wer von uns beiden am übelsten daran sein wird, wenn es Mutter zu Ohren kommt. Ihr Schelten könnte ich wohl ertragen, aber nicht ihren stummen Gram.«
»Ganz so ist mir's auch zu Mute, John. Aber ich fühle mich schon lange nicht mehr so unglücklich, denn vielleicht kann ich dir nun nützlich sein. Nicht wahr, das Fräulein verdient doch deine Liebe? Ihr ist es nicht etwa um das Gut zu thun?«
»Wo denkst du hin!« rief ich mit dem Ausdruck tiefster Verachtung.
»Das freut mich, denn, unter uns gesagt, Sally gefiel unsere Milchkammer gar zu gut, mit samt den Rahmschüsseln und Milcheimern. Sie fragte immer nach dem Grasertrag der Wiesen und unsere beste Kuh hatte sie förmlich ins Herz geschlossen. Sie bekommt sie nun doch nicht, das ist mir ein wahrer Trost.«
Die Schnitter waren alle längst in mehr oder weniger trunkenem Zustand nach Hause gegangen, denn am nächsten Morgen mußten sie wieder früh bei der Arbeit sein. Gerade als ich die Stubenthür öffnen wollte, flüsterte mir Annchen noch zu: »Möchtest du nicht, daß Lorna drinnen bei Mutter säße statt aller andern Gäste?«
»Freilich Annchen, das wäre schön. Ich muß dir einen Kuß geben, weil du daran gedacht hast.«
»Liebt sie dich denn auch von ganzem Herzen, John?«
»O nein, das nicht. Sie hat kaum erst angefangen mir gut zu sein. Bis jetzt liebt sie nur ihren Großvater, sie ist noch viel zu jung. Aber mit der Zeit, hoffe ich, wird sie mich lieben lernen.«
»Das glaube ich gern,« meinte Annchen, als verstünde es sich ganz von selbst.
Im Wohnzimmer fand ich Polly und Sally Snowe im schönsten Staat, sie machten mir eine feierliche Verbeugung, wie sie es in Exeter gelernt hatten, und sprachen von den Sitten bei Hofe und den neuesten Moden, statt von Eiern, Rahm und Butter oder anderen Dingen die sie verstanden. Da mußte wohl außer Jasper Kebby noch sonst jemand zugegen sein, vor dem sie ihre Weisheit auskramten.
Und richtig – hinter dem Vorhang in der Fensternische saß, sehr müde und schläfrig, Onkel Ruben in eigener Person und neben ihm ein kleines Mädchen, das seine stillen Beobachtungen machte.
Ich begrüßte Onkel herzlich und fragte nach seinem Befinden. »Mir geht's nicht schlecht,« brummte er, »doch würde mir's noch besser gehen, hättet Ihr großen Lümmel nicht so viel Lärm gemacht.«
»Es thut mir leid, wenn wir dich gestört haben,« erwiderte ich ehrerbietig, »aber ich wußte gar nicht, daß du hier bist, und beim Ernteschmaus geht es nun einmal ohne Lärm nicht ab.«
»Auch nicht ohne Vergeudung und Völlerei wie mir scheint. Nun, meinetwegen. Übrigens habe ich meine Enkelin mitgebracht, die kleine Ruth Huckaback, meine Erbin;« er warf Mutter einen vielsagenden Blick zu.
»Willkommen in Plovers Barrows, Base Ruth,« sagte ich, ihr freundlich die Hand reichend.
Sie stand auf, sah mich mit ihren großen braunen Augen ängstlich an und machte mir einen Knix. Wie die Erbin eines bedeutenden Vermögens sah sie ganz und gar nicht aus.
»Wir haben nur auf dich gewartet, John,« begann Mutter jetzt, »um zum Schluß des Abends noch ein Tänzchen zu machen. Du tanzest mit Ruth vor, Onkel Ruben mit Sally, Herr Kebby tritt mit Polly an und Nachbar Niklas mit der jungen Frau Kebby. Lieschen aber wird uns zum Tanze aufspielen.«
»Und ist für die Herrin des Hauses kein Tänzer da?« fragte Onkel Ruben unwillig.
»Doch, Herr Pastor Bowden hat versprochen uns auszuhelfen. Er tanzt mit mir und bringt auch einen feinen jungen Herrn für Annchen mit,« sagte Mutter zu Onkels Beruhigung.
Lieschen saß schon mit ihren Noten am Spinett und kam sich sehr wichtig vor. Bald drehte ich mich mit der kleinen Ruth im Kreise; sie machte gar kein so ernstes Gesicht mehr, sondern lächelte vergnügt, ihre Augen strahlten und sie knixte sehr zierlich; hinter uns drein tanzten die übrigen Paare, lachend und scherzend. Als aber unser liebliches Annchen am Arm des Junkers Marwood de Wichehalse einhergeschwebt kam, verdroß es mich höchlich. Weit lieber hätte ich sie mit Tom Faggus tanzen sehen. Sie verstand meinen mißbilligenden Blick wohl und flüsterte mir zu: »Sorge nur für dich selbst, John, und störe mich nicht in meinem Vergnügen. Du tanzest ja auch nicht mit Lorna und scheinst doch ganz lustig.«
Glaubte sie wirklich, ich hätte so herumhüpfen können, wenn die Geliebte bei mir gewesen wäre?
Eins aber blieb mir ganz unverständlich, nämlich, warum Mutter, die mich doch sonst immer mit Sally Snowe zusammenbrachte, heute im Gegenteil alles that was sie konnte, um mich von ihr zu trennen. Ich mußte den ganzen Abend mit Ruth Huckaback tanzen und Mutter erzählte der kleinen Base so viel Schönes und Gutes von mir, daß ich mich ordentlich schämte, obgleich es natürlich kein unverdientes Lob war.