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Neunzehntes Kapitel.
Vor dem Lord Oberrichter.

Auf dem Gerichte herrschte reges Leben. Die Verhandlungen waren in vollem Gange; bald öffnete sich diese bald jene Thür, um Gerichtsdiener, Anwälte, Kläger und Beklagte heraus oder hinein zu lassen; auch wimmelte es in der Halle von Bittstellern und streitenden Parteien. Während ich auf eine günstige Gelegenheit paßte, trat ein Mann zu mir, mit einer Roßhaarperücke und einem langen blauen Sack, den er in der Linken trug. Er winkte mir abseits in eine Nische, wo uns niemand hören konnte, und ich folgte ihm gern, weil ich glaubte, er bringe mir Botschaft vom Gericht. Statt dessen fragte er mich plötzlich in vertraulichem Ton:

»Wie geht's deiner werten Mutter, John?«

»Gestrenger Herr,« erwiderte ich, überrascht und erfreut über seine Teilnahme, »seit fast zwei Monaten bin ich von ihr getrennt. Wollte Gott ich wüßte was sie alle daheim machen und wie es mit der Wirtschaft steht.«

»Wie gut, wie edel!« rief der alte Herr gerührt, »wahrhaftig, du bist ein Muster der Pflichttreue und kindlichen Ehrfurcht. Ach, auch ich habe meine Mutter innig geliebt und mußte sie verlieren.«

»Das thut mir sehr leid,« erwiderte ich ehrerbietig, denn er sah so tiefbetrübt aus.

»Ich glaube dir, John, auch ohne deine Versicherung; es steht dir ja im Gesicht geschrieben, wie mutig, rechtschaffen und ohne Falsch du bist. Nur fürchte ich, schlechte Menschen könnten dich hier in der großen Stadt ausbeuten. Leider, leider ist die Welt sehr verderbt und ich bin schon zu alt, um sie zu bessern.«

Sein Wohlwollen machte mich zutraulich und ich erzählte ihm offen und frei, was ich in London gesehen und gehört hatte, wieviel ich dem Pelzhändler bezahlte und wie gern ich wieder daheim sein möchte, ehe es Zeit sei das Korn zu mähen. Ich verschwieg ihm nichts, außer dem Grund meiner Vorladung und daß ich all mein Geld verausgabt hatte.

»Gerechter Gott,« rief der Anwalt – denn das war er – entrüstet aus; »in welchem Lande leben wir und was für eine Rechtspflege ist das! Man reißt einen braven jungen Landmann mitten in der Arbeitszeit aus den Armen seiner liebenden Mutter, läßt ihn hier ohne Verhör monatelang warten und vergütet ihm nicht einmal die Kosten. Das ist ja eine himmelschreiende Ungerechtigkeit und ganz und gar gegen unsere Gesetze. So etwas braucht sich niemand gefallen zu lassen.«

»Ich hätte Euch mein Leid nicht klagen sollen, gestrenger Herr, aber ich wußte nicht, daß Ihr es Euch so zu Herzen nehmen würdet. – Nun muß ich Euch verlassen, denn eben geht die Thür dort wieder auf. Bitte, nehmt Ihr – –«

Er streckte die Hand aus, sah aber dabei nach der andern Seite, als fürchte er mich einzuschüchtern.

Ich schüttelte ihm die Hand. »Nehmt meinen besten Dank für Eure Güte. Solltet Ihr einmal in unsere Gegend kommen, so vergesset nicht, daß wir, meine Mutter und ich – wenn ich nämlich je wieder heimkomme – alles thun werden, um Euch Gastfreundschaft zu erweisen.«

Ich wollte fort, aber er hielt meine Hand fest und sagte in völlig verändertem Ton:

»Halt, junger Mann; eine Einladung aufs Ungewisse hin kann ich nicht als empfangenes Honorar eintragen. Ich habe hier wohl eine Stunde lang Eure Klage angehört und mein Gutachten abgegeben. Als älterer Anwalt bin ich befugt, die Höhe der Gebühren selber zu bestimmen. Ich sollte zur Ehre meines Amtes wenigstens fünf Guineen fordern, aber ausnahmsweise will ich mich mit zwei Guineen begnügen und einer halben Krone Entgelt für meinen Schreiber.«

Ehe ich mich von meiner Bestürzung erholen konnte, zog er ein rotes Buch aus seinem Sack, auf dem mit Goldschrift ›Gebührenverzeichnis‹ stand, und machte folgende Eintragung: »Für Anhören der Rechtssache von John Ridd und Beratung desselben, zwei Guineen.«

»Aber, werter Herr,« stammelte ich, »daß Ihr eine Bezahlung dafür verlangen würdet, wußte ich nicht; so habe ich mir die Sache garnicht gedacht.« Es verdroß mich nämlich, ihm gestehen zu müssen, daß ich keine zwei Guineen mehr besaß.

»Ja, weshalb in aller Welt glaubtest du denn, daß ein Anwalt deine Litanei anhören sollte?«

»Ich dachte, Ihr hörtet mir aus Freundlichkeit zu, aus Teilnahme für meinen traurigen Fall, und weil Ihr mir wohlgesinnt wäret.«

»Ich – dir wohlgesinnt, du Wicht, du elender Knicker! Hat man schon je von einem Anwalt gehört, der sein Mitleid umsonst herschenkt? Du bist entweder ein ganz verschlagener Schurke oder der größte Dummkopf auf Erden. So magst du mir denn nur eine Guinee zahlen und den Lohn des Schreibers.«

Wäre der Mann nicht so grob geworden, ich hätte selbst meine Kleider versetzt, um ihm nur nichts schuldig zu bleiben; aber seine Scheltworte, die ich doch nicht verdient hatte, kränkten mich und machten mich stutzig.

»Ihr habt kein Recht mich einen Knicker zu heißen, Herr! Wäre ein jüngerer Mann an Eurer Stelle, er käme nicht ungestraft davon. Das Geld, das Euch gebührt, sollt Ihr erhalten. Wenn das Gericht mir alle notwendigen Ausgaben wiedererstatten muß, wie Ihr behauptet, so kommt jetzt mit mir vor den Lord Oberrichter Jeffreys und laßt Euch die zwei Guineen auszahlen, oder meinetwegen fünf, für den Rat den Ihr mir gegeben habt, ihm den Gehorsam zu verweigern.« Mit einer Entschlossenheit, über die ich mich selbst verwunderte, ergriff ich ihn am Arm, um ihn nach der offenen Thür zu führen.

»Um Gotteswillen, laßt mich los! Laßt mich los, werter Herr Ridd. Meine Frau ist krank, meine Tochter liegt im Sterben – ich beschwöre Euch – –«

»Behüte Herr,« sagte ich und hielt ihn fest; »ohne Bezahlung dürft Ihr nicht fort. Ihr sollt Euer Recht haben, verlaßt Euch darauf.«

»Ihr richtet mich zu Grunde, junger Mensch, wenn Ihr mich vor jenen Teufel schleppt. Ich weiß, er streicht mich sofort aus der Liste der Anwälte und dann kann ich mit meiner großen Familie verhungern. Hier, lieber guter Freund, nimm diese zwei Guineen. Du hast den Ausbeuter ausgebeutelt. Ich traute deiner Unschuldsmiene; ein andermal werde ich besser auf der Hut sein.«

Er drückte mir zwei Goldstücke in die Hand und flüsterte noch dringender: »Laß mich gehen, ich bitte dich; schon im nächsten Augenblick könnte es zu spät sein.«

»Wenn ich nicht irre, spracht Ihr auch von dem Lohn des Schreibers, werter Herr!«

»Gewiß, gewiß, hier ist er, mein Sohn. Ich bin in deinen Händen, und Besitz ist neun Zehntel im Recht, weißt du; das zehnte Zehntel aber ist Geistesgegenwart, und die hast du bewiesen.«

Das schmeichelte mir nicht wenig; ich ließ den Anwalt los und ehe ich's mich versah, war er verschwunden, samt der Perücke, dem blauen Sack und seiner großen Familie. Ich aber hielt die zwei Guineen und die halbe Krone in der Hand, ungewiß, was ich mit dem Gelde anfangen solle, denn behalten wollte ich es natürlich nicht. Da trat ein Gerichtsdiener auf mich zu und fragte nach meinem Namen.

Als ich ihm sagte, wer ich sei und was mich herführe, brachte er mich zu einem Unterbeamten, der mich einem Oberbeamten übergab. Diesem trug ich meine Sache vor und er hörte mir mit so grimmiger Miene zu, als hätte ich ihm irgend ein Leid angethan.

»John Ridd,« sagte er endlich, die Stirn runzelnd, »ist es Euer fester Wunsch und Wille, vor dem Lord Oberrichter zu erscheinen?«

»Freilich, Herr; schon seit zwei Monaten begehre ich nichts sehnlicher.«

»Gut, es soll geschehen. Aber ich rate Euch, John, sagt kein Wort von der langen Verzögerung; Ihr kämet sonst in Ungelegenheiten.«

»Wieso?« fragte ich verwundert, »es war ja nicht meine Schuld.«

Statt der Antwort führte er mich durch einen kleinen Gang vor eine Thür, die mit einem Vorhang bedeckt war.

»Wenn Euch der Lord verhört,« flüsterte er, »so sagt nur gleich die Wahrheit – er bekommt sie doch heraus. Widerspruch kann er nicht vertragen, aber auch keine Armesündermiene. Um die andern zwei Herren kümmert Euch nicht, aber auf den in der Mitte gebt wohl acht und laßt ihn nichts zweimal fragen.«

Er hob den Vorhang auf und ich trat in ein nicht sehr großes getäfeltes Gemach. An dem untern Ende waren drei erhöhte Sitze mit Samt ausgeschlagen und ein Prachthimmel über dem mittleren. Drei Männer saßen dort in kostbaren Staatskleidern, reich mit Pelz verbrämt, und langen, grauen Lockenperücken, die ihnen bis auf die Schultern fielen. Vor jedem stand ein Tisch mit Papier und Federn, aber sie schrieben nicht, sondern lachten und schwatzten. Der mittlere, ein untersetzter, vierschrötiger Herr mit einem breiten, roten Gesicht und mächtigen Kinnbacken, schien den beiden andern gerade eine gute Geschichte zu erzählen, der sie lauten Beifall zollten. Er war wohl der vornehmste und auch der jüngste von ihnen, obgleich sich ihr Alter wegen der großen Perücken nicht leicht bestimmen ließ; wer seine wild blickenden Augen sah, wunderte sich nicht, daß ihn alle ängstlichen Gemüter fürchteten und der Adel ihn verabscheute, wie die Leute sagten.

Es mochte wohl gerade eine Verhandlung zu Ende sein, denn an dem schmalen Tisch, der zwischen mir und den Richtern stand, packten die Advokaten ihre Akten zusammen. Der dicke Herr mit den blitzenden Augen hatte mich gleich erspäht und schrie mich an:

»Heda, du Mann vom Lande, wer bist du?«

»Ich bin John Ridd aus Oare in Somerset, Euer Gnaden,« antwortete ich mit lauter Stimme. »Der Gerichtsbote Jeremias Stickles hat mich vor zwei Monaten nach London berufen, damit ich auf Verlangen bereit und gewärtig sei, Zeugnis abzulegen in einer Sache, die den Landfrieden Seiner Majestät betrifft. Unsern König sah ich bereits dreimal, aber von seinem Landfrieden hat er mir nichts gesagt. Täglich bin ich seitdem während der Gerichtsstunden in der großen Westminsterhalle auf und ab gegangen, doch mich hat niemand vorgerufen. Deshalb möchte ich nunmehr Euer Gestrengen fragen, ob ich nach Hause gehen darf.«

»Bravo, John,« rief der Oberrichter, als ich jetzt tief Atem holte. »Eine so lange Rede hast du sicher dein Lebtag noch nicht gehalten. Sie macht dir aber alle Ehre. – Ich habe die Sache nicht vergessen und will sie selbst vornehmen, aber im Augenblick kann ich nicht. Du wirst uns ja nicht verloren gehen, so wenig wie der Tower von London. Mir thut nur die Schatzkammer Seiner Majestät leid, die für dich zahlen muß.«

»Um Verlaub, Euer Herrlichkeit, ich habe auf Kosten meiner Mutter gelebt und keinen Heller erhalten.«

»Ist das wahr, Spank?« schrie der Oberrichter mit Donnerstimme. Vor seinem Stirnrunzeln zitterten alle Herzen wie Espenlaub, meines so gut wie die andern. »Steht es so mit dem König, Spank, daß er seine Kronzeugen verhungern läßt?«

»Die Sache ist in Vergessenheit geraten, Euer Herrlichkeit,« stotterte der Oberamtmann Spank, »durch die großen Hochverratsprozesse der letzten Zeit.«

»Ich lasse deinen Kopf über dem Thor des Gerichtshauses aufspießen, elender Spank, wenn so etwas noch einmal vorkommt. Wofür bezahlt man dich denn, du Schuft? Du hast das Geld selbst eingesteckt, darauf will ich wetten. Warte nur, wenn ich hinter deine Schliche komme! Still – kein Wort mehr, sonst ist der Henker nicht weit.«

Die Hände auf die Kniee gestemmt, rutschte er wütend auf der Bank hin und her und alle warteten schweigend, bis sein Zorn verraucht war.

»Man hat dich schändlich behandelt, John Ridd,« wandte sich der Oberrichter nach einer Weile würdevoll zu mir. »Nein, keine Einwendungen! – Aber halte dich nur an den Menschen, den Spank, und laß mich wissen, wie er sich gegen dich benimmt;« hier warf er seinem Untergebenen einen fürchterlichen Blick zu. »Morgen sprechen wir uns wieder und bevor ich irgend einen andern Fall vornehme, verhelfe ich dir zu deinem Recht. Jetzt aber mach', daß du fortkommst, du großes Langbein.«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Mir graute noch, wenn ich an den Auftritt dachte. An jenem Tage hatte ich einen Menschen gesehen, dem der Teufel leibhaftig aus den Augen schaute, und dieser Mensch war der Lord Oberrichter Jeffreys.

Im Vorzimmer trat mir Spank schon entgegen und überreichte mir mit kriechender Höflichkeit einen schweren, gelbledernen Beutel.

»Nehmt, guter Herr Ridd,« bat er, »und sprecht ein Wort zu meinen Gunsten bei seiner Herrlichkeit. Er ist Euch merkwürdig gnädig gesinnt; das solltet Ihr benutzen und in London bleiben, dann wäre Euer Glück gemacht.«

Bevor ich meine Ausgaben zusammengezählt hatte, konnte ich aber das Geld unmöglich annehmen, deshalb schlug ich Herrn Spank vor, mir den Beutel bis morgen aufzubewahren, dann würde ich ihm Rechnung ablegen und den genauen Betrag in Empfang nehmen.

Er sah mich verächtlich an: »Weißt du eine günstige Gelegenheit nicht besser zu benutzen,« sagte er, »so wirst du's nicht weit bringen und selbst der Lord Oberrichter kann dir nicht helfen.«

Das war mir aber einerlei. Ich konnte es nicht verwinden, daß man mich einen Kronzeugen genannt hatte, denn das bedeutete bei uns einen elenden Angeber, und als solchen wollte ich mich nicht bezahlen lassen. Als mich tags darauf Herr Spank am Eingang erwartete und ich ihm meine schön geschriebene Rechnung übergab, lachte er mich aus: »Nehmt die doppelte Summe, Herr Ridd,« sagte er, »das thun alle und der König ist stolz darauf, daß man nicht genug von ihm bekommen kann.«

»Nein, ich will nur meine Auslagen erstattet haben,« entgegnete ich; »läßt der König sich gern berauben, so werden sich schon genug Leute dazu finden.«

»Nun, wie Ihr wollt. Der Lord ist heute sehr gut gelaunt, John, und ich habe Befehl erhalten, Euch sogleich zu ihm zu führen. – John Ridd, Euer Gnaden,« rief er, hob den Vorhang auf und ich stand dem Oberrichter Jeffreys allein gegenüber.

Seine Herrlichkeit war gerade mit der Durchsicht von Briefen beschäftigt und achtete nicht auf mich. Ihn anzureden wagte ich nicht, so betrachtete ich denn seinen großen Stierkopf und wartete bis er fertig war.

Jetzt legte er die Briefe hin und starrte mir ins Gesicht, als wollte er mich durch und durch sehen.

»Ich bitte um Euer Gestrengen Gewogenheit, hier bin ich, wie mir befohlen worden.«

»Gewogenheit? Ja ja, ein so gewichtiger Mann wie du muß gewogen werden. Wie viel legt man denn für dich auf die Wagschale, John?«

»Nur zweihundertvierzig Pfund im Ringeranzug, Euer Herrlichkeit. Doch habe ich wohl jetzt an Gewicht verloren, denn, daß ich mich hier in London herumtreibe, schafft mir viel Leiden und Verdruß.«

»Ha, ha, du steckst wohl voll Leidenschaft. – Hat der König dich schon gesehen?«

»Ja, zwei- oder dreimal. Seine Majestät hat auch einen Witz über mich gemacht.«

»Gewiß einen recht schlechten. Seine Späße sind lange nicht so fein wie die meinigen. – Nun sag' einmal, John, oder Jack, so wirst du doch wohl auch genannt –«

»Ja, hie und da von unserer alten Molly oder von Betty Muxworthy.«

»Schweig, du vorlauter Schlingel. Du machst dich viel zu breit. Aber wenn du auch gar zu hoch hinaus willst, man wird dir den Brodkorb schon höher hängen. Ha, ha, das ist gut – das muß Spank hören; in deinen Dickkopf geht so etwas doch nicht hinein, John.«

»Mit Verlaub, Euer Gnaden; ich bin zur Schule gegangen und man hat schon oft schlechte Witze über mich gemacht.«

»So, so – also du fühlst dich getroffen. Dich kann man auch nicht leicht verfehlen, sogar nicht mit der Harpune. Nun, mein großer Walfisch, kann ich von allen Seiten an dich heran, und du bist vielseitig, wenn auch nicht vielfältig, nein, nein, John, nur einfältig! Ha, ha! Du sollst doppelte Bezahlung haben, weil du mir zu so guten Witzen verhilfst.«

»›Für Geld ist nicht alles feil‹, sagt man in unserer Gegend.«

»Aha, der Haken sitzt. Es thut dir weh, John, meine Harpune ist dir ins Fleisch gegangen. – Nun wollen wir aber 'mal den Walfisch ans Land ziehen und einer Prüfung unterwerfen.«

Er sah mich mit völlig veränderter Miene und so drohenden Blicken an, als hätte er sein Lebtag nicht gelacht und verstünde durchaus keinen Spaß.

»Ich bin bereit, Euer Herrlichkeit Rede zu stehen, so weit meine Kenntnis reicht und es nicht wider meine Ehre ist.«

»Was weißt du von Ehre, du Tölpel? Du hast nichts zu thun, als mir auf meine Fragen zu antworten und damit basta. – Also: gibt es nicht in Eurer Nachbarschaft ein gewisses Nest von Räubern, Missethätern und Geächteten, gegen das sich niemand getraut, die Hand aufzuheben?«

»Ja, Euer Herrlichkeit. Wenigstens glaube ich, daß einige von ihnen Räuber sind, und geächtet sind sie alle.«

»Was fällt denn Euerm Oberrichter ein, daß er sie frei herumlaufen läßt? Warum bringt er sie nicht an den Galgen oder schickt sie mir zu, damit man sie ohne weiteres aufknüpfen kann?«

»Das wagt er wohl nicht, Euer Gestrengen, es ist gefährlich, sich mit ihnen einzulassen. Sie sind von hohem Adel, scheuen sich vor niemand und ihre Feste ist nicht leicht einzunehmen.«

»Von hohem Adel? Weißt du nicht, daß ein Spahn von einem alten Block heutzutage die sicherste Anwartschaft auf den Block des Henkers hat? Wie heißt denn das verruchte Geschlecht und wie viele sind ihrer?«

»Es sind die Doones aus dem Bagworthy-Wald; sie zählen wohl vierzig Köpfe, außer den Frauen und Kindern.«

»Vierzig Doones, vierzig Räuber und noch Frauen und Kinder dazu! Da schlag doch das Wetter drein. Wie lange hausen sie denn schon dort?«

»Etwa seit dreißig Jahren, Euer Herrlichkeit; kann sein noch länger. Sie kamen bevor der große Krieg ausbrach, viel früher als meine Erinnerung reicht.«

»Also lange vor deiner Geburt, John. Gut, du antwortest kurz und bündig. Wehe jedem Lügner, der mir in die Hände fällt! Sobald alle Verräter in London gehängt sind, komme ich auch in Euern Bezirk. – Wohnt nicht eine Familie De Wichehalse in deiner Nähe, John?« fragte er plötzlich und riß die Augen weit auf.

»Jawohl, nur einige Meilen entfernt,« antwortete ich unbefangen; »der Baron De Wichehalse wohnt in Ley Manor.«

»Ein schöner Baron, meiner Treu! Steckt die Zölle in seine Tasche, statt sie in des Königs Schatzkammer zu liefern. Da ist etwas nicht in Richtigkeit, man muß ihm auf die Finger sehen. Wartet, ihr rebellischen Schurken, ihr Trunkenbolde und Raubgesindel im Westen, ihr sollt schon noch nach meiner Pfeife tanzen lernen. Ich komme nach Oare, John Ridd, und treibe bei Euch im Kirchspiel den Teufel aus, verlaß dich drauf.«

Das konnte ich nicht auf uns sitzen lassen. »Euer Herrlichkeit sind Lord Oberrichter und sehr gelehrt, aber uns thut Ihr doch unrecht. Wir sind ehrbare Leute und gute Unterthanen; wenigstens habe ich hier in London niemand gesehen, der ehrlicher, rechtschaffener und verträglicher wäre. Wir leben still für uns und prahlen nicht mit unserer Tugend –«

»Halt, guter John, schweig' still. Die Tugend liebt die Bescheidenheit und verträgt sich nicht mit Eigenlob. Sag' einmal – hast du je gehört oder gedacht, daß De Wichehalse mit den Doones unter einer Decke stecken könne?«

Er that die Frage mit großem Nachdruck; mir war das ein ganz neuer Gedanke und ich starrte den Lord verwundert an.

»Dir ist so etwas noch nicht im Traum eingefallen, John Ridd, das steht dir im Gesicht geschrieben. – Hast du einmal einen Mann gesehen, der Thomas Faggus heißt?«

»Freilich, Herr, sehr oft; er ist ja mein Vetter.«

»Tom Faggus ist ein tüchtiger Mensch,« sagte er und verzog sein breites Gesicht zu einem wohlgefälligen Lächeln; er war ihm gewiß einmal persönlich begegnet. »Nur über das Besitzrecht hat er einige wunderliche Ansichten. Aber er macht keine Winkelzüge, stellt billige Rechnungen, kassiert sie ein und berechnet keine Kosten dafür, wie unsere Anwälte thun. Doch dürfen wir ihn nicht mit anderer Münze bezahlen wie die übrigen.«

Ich verstand nicht recht was das heißen sollte.

»Ich fürchte, er kommt doch noch an den Galgen,« fuhr der Oberrichter in leiserem Tone fort, »sage ihm das von mir, John. Wenn ich selbst ihn auch nie verurteilen werde, so kann ich doch nicht überall sein und für die anderen Richter einstehen. Sag' ihm, er soll seinen Namen ändern und sich einen neuen Beruf wählen. Er kann ja Pfarrer werden und den Zehnten zu Pferde einsammeln. – Nun, nur noch einige Fragen, John, und dann sind wir zwei für jetzt mit einander fertig.«

(Mir klopfte das Herz vor Freude, doch konnte ich meinem Glück noch nicht so recht trauen.)

»Herrscht bei Euch irgend welche Unzufriedenheit mit der Regierung Seiner Majestät, unseres allergnädigsten Königs?«

»Behüte! Wir beten für ihn in der Kirche und wünschen ihm das Beste. Sonst reden die Leute weiter nicht von ihm, da sie nichts zu sagen wissen.«

»Recht so, John. Und je weniger sie durch dich erfahren, desto besser ist es. Aber mir sind Dinge zu Ohren gekommen, die in Taunton, in Dulverton, ja sogar in Exmoor geschehen, und zum Pranger und Galgen führen. Ich sehe, daß du nichts davon weißt, aber über kurz oder lang sollen sie in ganz England kund werden. Du gefällst mir, John, weil du mir die Wahrheit gesagt hast, so furchtlos und ohne Rückhalt wie keiner. Drum rate ich dir, habe du nichts mit jenen Dingen zu schaffen. Hüte dich vor den Doones und De Wichehalse; bleib' von allem fern was du nicht verstehst. Ich wollte dich als Werkzeug benützen, doch du bist mir zu ehrlich und einfältig. Ich muß einen andern schicken, der schlauer ist. Aber laß dich nie unter meinen Gegnern finden und posaune meine Worte nicht aus, hörst du.«

Seine Augen funkelten so zornig, daß ich mich zehn Meilen weit wegwünschte. Als er meine Angst sah, wurde er freundlicher: »Nun mach' daß du fortkommst, John; ich werde mich deiner erinnern und du vergissest mich auch sobald nicht, darauf will ich wetten.«

»Wie freue ich mich, wieder daheim zu sein, Euer Gnaden! Das Heu ist gewiß schon eingefahren, die Schober müssen mit Stroh gedeckt werden, und wenn ich nicht zum Rechten sehe wird alles nur halb gethan. Mutter läßt sich rechts und links belügen und betrügen und – –«

»Aber, John Ridd, ich denke bei Euch sind die Leute alle so ehrlich und gut und rechtschaffen –«

»Das wohl, Euer Herrlichkeit – aber ich meinte nur –«

»Laß gut sein, John, es ist eben wie allerwärts; lügen und stehlen gehen miteinander; es ist eine durch und durch verderbte Welt.«

Das leuchtete mir nicht ganz ein, doch mußte es der Lord Oberrichter ja besser wissen und ich wollte ihm nicht widersprechen. So machte ich ihm denn eine unterthänige Verbeugung und ging meiner Wege. –


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