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Die Doones von Bagworthy hatten meinen lieben Vater umgebracht, als er am Samstag abend vom Markt in Porlock nach Hause ritt. Sechs Landwirte aus der Nachbarschaft begleiteten ihn, lauter wackere, nüchterne Männer, die friedlich einhergetrabt kamen, sich die Mühsal des Weges gegenseitig erleichterten und dann und wann ein erbauliches Lied anstimmten, um guten Mutes zu bleiben.
Da sahen sie plötzlich beim Sternenschein einen Reitersmann mitten auf der Straße halten; seine Kleidung, Waffen und gewaltige Größe ließen ihnen keinen Zweifel, wen sie vor sich hatten. Er war nur ein Mann gegen sieben; aber unter den sechs Gefährten meines Vaters, die noch eben so zuversichtlich von Gottes Schirm und Schutz gesungen hatten, war keiner, der nicht den Beutel zog, als der Doone sich nur blicken ließ.
Mein Vater hatte den Doones nie etwas zu leide gethan, ja nicht einmal viel Geschrei und Aufhebens darüber gemacht, wenn sie anderer Leute Gut raubten. Er war jedoch der Meinung, daß es Mannespflicht sei, sein Eigentum zu verteidigen und sich seiner Haut zu wehren. Während also die sechs Gevattern zitternd und bebend den Hut zogen, hob er seinen schweren Stock und ritt geradeswegs auf den Doone los. Der schwenkte rasch das Pferd zur Seite; auf Widerstand zu treffen war ihm völlig neu. Smiler schoß im Lauf an ihm vorüber, und es dauerte eine Weile, bis mein Vater den Gaul herumbekam. Indessen ließ der Geächtete einen schrillen Pfiff hören und begann ruhig die Bauern auszuplündern. Mein Vater wollte ihnen zu Hilfe eilen, sah sich aber plötzlich von einem Dutzend Leuten umringt, die teils zu Fuß, teils zu Pferd hinter einem Torfschober auftauchten. Er wehrte sich aus Leibeskräften gegen die Übermacht, und seine Gegner hatten keinen leichten Stand, denn er war groß und stark, und sein Blut war in Wallung geraten. Schon hatte er mit wuchtigen Hieben drei oder vier zu Boden gestreckt, schon zogen sich die Reiter zurück, so daß er hoffen durfte, das Feld zu behaupten und der Frau daheim von seinen Thaten erzählen zu können.
Aber ach – nur wenige Schritte abseits am Torfschober kauerte ein Mann und zielte mit seiner langen Flinte. Der nahm meinen armen Vater aufs Korn, und was weiter geschah, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, daß Smiler mit Blut bespritzt heimgelaufen kam und man am andern Morgen meinen Vater tot im Moorgrund fand; der Stock, mit dem er sich verteidigt hatte, lag zerbrochen unter ihm. Ob dies ein ehrlicher Kampf war, das richte Gott zwischen mir und den Doones!
Der Vorfall, der meine Mutter zur Witwe und uns zu vaterlosen Waisen gemacht hatte, erregte in jenen gewaltthätigen Zeiten mehr Schmerz als Entrüstung. Wir Kinder waren alle drei noch zu jung, um von Nutzen zu sein; in der Sorge und Arbeit für uns fand Mutter ihren einzigen Trost. Ich, John Ridd, war der älteste – dies Bewußtsein drückte mich schwer. Annchen zählte zwei Jahre weniger als ich und dann kam noch die kleine Elise.
Vor meiner Heimkehr, noch ehe ich meinen traurigen Verlust erfuhr – kein Sohn hat wohl je seinen Vater mehr geliebt als ich den meinigen – hatte meine Mutter einen höchst überraschenden Schritt gethan, die Nachbarn nannten es ein geradezu wahnsinniges Beginnen. Am Montag Morgen nämlich – ihr Gatte war noch nicht begraben – hüllte sie ihr Haar in ein weißes Tuch, warf einen schwarzen Mantel um und machte sich zu Fuß auf nach der Ansiedlung der Doones, ohne jemand ein Wort davon zu sagen.
Früh am Nachmittag gelangte sie zu dem dunklen, gewölbten Eingang, der durch kein Thor verschlossen war. Zum Glück feuerten die Wächter nicht auf sie; man verband ihr nur die Augen, that ihr aber sonst kein Leid an.
Jemand nahm sie bei der Hand und führte sie lange auf einem sehr rauhen, holperigen Wege weiter; dann ward ihr die Binde abgenommen und sie blickte verwundert um sich. Vor ihr lag ein tiefes grünes Thal in Form eines Eirunds, das ringsum von steilen Felsen, wohl achtzig bis hundert Fuß hoch, umstanden war wie von einer Mauer, auf deren Scheitel dunkle Waldungen den Horizont abgrenzten. Ein breiter Bach lief durch die Wiesenflur, Erlengebüsch, Gras und Binsen wuchsen an seinen Ufern, weiter thalabwärts aber floß er an einer Anzahl niedriger steinerner Häuser vorbei, – meine Mutter zählte ihrer vierzehn – die hüben und drüben zerstreut umherstanden. Eins sah dem andern völlig gleich; nur das erste, welches der Hauptmann bewohnte, war eine Art Doppelhaus, diesseits und jenseits des Baches gelegen und durch einen Brettersteg verbunden. Wie Wohnstätten des Friedens und der Unschuld lagen die Hütten in dem stillen, verborgenen Thal, und doch waren sie samt und sonders Räuberhöhlen und Mördergruben.
Zwei Männer geleiteten meine Mutter auf einer steilen, schlüpfrigen Treppe bis zu dem Wehr, über das der Bach sich brausend hinabstürzte. Bald hatten sie das Haus des Hauptmanns erreicht und gingen, ihm Meldung abzustatten.
Zitternd stand Mutter an der Thür und doch entschlossen, ihre Sache vorzubringen. Zwar wollte es ihr einen Augenblick scheinen, als habe sie, eines einfachen Landwirts Witwe, gar kein Recht zur Klage, weil jene edlen Herren es sich hatten einfallen lassen, ihren Gatten zu töten. Aber sie dachte daran, wie gut er immer gewesen, wie er ihr zur Seite gestanden und seinen starken Arm um ihre Schulter gelegt hatte, oder ihre Kochkunst gelobt, wenn ihm sein Leibgericht schmeckte. Da traten ihr heiße Thränen in die Augen und sie nahm allen Mut zusammen.
Ein hoher Greis mit langen weißen Locken, Sir Ensor Doone, trat jetzt zu ihr heraus. Er trug grobe Handschuhe und hielt eine Hacke in der Hand wie der gemeinste Taglöhner, aber seine Züge, sein Gang und vor allem seine Stimme ließen leicht erkennen, daß man es mit keinem gewöhnlichen Arbeiter zu thun hatte. Als er seine durchdringenden schwarzen Augen auf Mutter heftete, verneigte sie sich unwillkürlich.
»Haben meine jungen Leute schon wieder so ein hübsches, fremdes Frauenzimmer heraufgebracht – das darf nicht länger so fortgehen,« sagte er, die Stirn runzelnd, und schielte dabei mit Wohlgefallen nach meiner Mutter hin.
Sie aber, von Liebe und Schmerz überwältigt und in ihrer weiblichen Würde verletzt, rief voll zorniger Entrüstung: »Was Ihr meint, verstehe ich nicht. Ich bin hergekommen, um meinen Gatten zu fordern von Euch, Ihr Verräter, Feiglinge und Mörder.«
Weiter kam sie nicht, ihr Herz war zu voll, die Stimme versagte ihr, doch ihre Blicke redeten eine verständliche Sprache.
»Verzeihung, meine Gnädige,« versetzte Sir Ensor Doone, denn er war ein Edelmann von Geburt, wenn auch ein Bösewicht. »Meine alten Augen werden schwach, sonst hätte ich mich nicht so täuschen können. Wenn Euer Gatte unser Gefangener ist, soll er ohne Lösegeld freigelassen werden, weil ich Euch beleidigt habe.«
Bei seinen Worten bezwang Mutter ihren Jammer nicht länger und brach in bittere Thränen aus. Er zürnte ihr deshalb nicht, sondern ließ sie ruhig ausweinen, denn er hatte selbst viel Kummer erfahren und sah wohl, daß ihr Gatte tot sein müsse.
»Ich will niemand ungerecht verklagen,« fuhr Mutter endlich schluchzend fort, »nein gewiß, das will ich nicht. Aber ich habe den besten Mann verloren, den je ein Weib besaß. Von klein auf haben wir uns gekannt und lieb gehabt. Das ganze Hauswesen hat er mir anvertraut und mich als die Herrin geehrt; kein unfreundliches Wort habe ich je von ihm zu hören bekommen. O John, John, noch vor wenigen Tagen warst du mein Ein und Alles; ich kann es gar nicht fassen, daß du mir entrissen bist!«
Hunderterlei kleine Begebnisse aus dem Alltagsleben zogen jetzt an ihrer Seele vorüber. Sie hatte vergessen, wo sie war, und weinte still vor sich hin.
»Ich werde die Sache untersuchen lassen,« sagte der alte Doone, der doch nicht ganz verhärtet schien. »Wenn man Euch ein Unrecht zugefügt hat, so gelobe ich bei meiner Ehre, es soll wieder gut gemacht werden, so weit es in meinen Kräften steht. Ruht unterdessen bei mir aus, ich werde sogleich Erkundigungen einziehen. Wie hieß denn Euer guter Mann und wann und wo ist das Unglück geschehen?«
Er führte meine Mutter ins Haus und bot ihr sehr höflich einen Sitz, den sie jedoch nicht annahm. »O Gott, o Gott,« jammerte sie, »noch am Samstag Morgen war ich eine glückliche Frau, und am selben Abend haben meine Kinder den Vater verloren und ich bin zur Witwe geworden. John Ridd hieß mein Mann, in ganz Somerset und Devon gibt es keinen schöneren und besseren, das weiß jeder. Er kam aus Porlock vom Markt nach Haus; ein neues Kleid hatte er mir mitgebracht und einen prächtigen Kamm ins Haar – mein lieber, guter John!«
Sir Ensor Doone nahm eine ernste, teilnehmende Miene an. »Die Sache will wohl erwogen werden, werte Frau,« sagte er. »Ich weiß, meine Söhne sind zuweilen ungestüm; zwar kann ich mir nicht denken, daß sie absichtlich jemand Schaden zufügen sollten, doch hat es ganz den Anschein, als sei Euch Unrecht geschehen. – Der Rat soll zu mir kommen!« rief er mit lauter Stimme von der Schwelle seines Hauses.
»Rat Doone soll zum Hauptmann kommen!« schallte es weiter ins Thal hinaus.
Meine Mutter hatte kaum Zeit, sich wieder zu fassen, bevor der Gerufene ins Zimmer trat, ein vierschrötiger Mann von mächtigem Gliederbau, aber fast einen Fuß kleiner als alle anderen Doones. Sein grauer Bart fiel bis zum Gürtel hinab, und unter den langen, buschigen Brauen bargen sich zwei scharfe, dunkle Augen, die oft plötzlich mit unheimlichem Feuer hervorblitzten. Er hielt den Schlapphut in der Hand und schien meine Mutter nicht zu sehen.
Sir Ensor stand stolz aufgerichtet vor ihm. »Hier diese hochangesehene Dame,« sagte er, »kommt zu mir –«
»O bitte, ich bin nur eine einfache Frau.«
»Habt die Güte, mich ausreden zu lassen. – Diese Dame, welche die ganze Gegend kennt und ehrt, kommt zu mir und klagt die Doones an, sie hätten ihren Gatten ungerecht erschlagen.«
»Ermordet haben sie ihn,« rief meine Mutter, »schmählich ermordet! O Herr, Ihr wißt es ja.«
»Sobald ich den wahren Sachverhalt des Falles gehört habe, soll Euch Gerechtigkeit werden, werte Frau,« versicherte der Greis feierlich.
»Aber ich rede die Wahrheit – Gott ist mein Zeuge.«
»Tragt den Fall vor,« sagte der Rat.
»Es handelt sich um Folgendes,« begann Sir Ensor: »Der ehrenwerte Gatte dieser Dame ist am Samstag abend auf dem Rückweg vom Porlocker Markt erschlagen worden. Sein Name ist mir nicht unbekannt. Ein wackerer, friedliebender Mann, der uns nie in der Ausübung unseres Berufs gestört hat. Wenn einer der Burschen ihm zu nahe getreten ist, soll er es schwer büßen. Euch kommt hier alles zu Ohren, Rat, Ihr seid unser wandelndes Gesetzbuch und Ihr urteilt strenge. Sagt mir, wie verhält sich die Sache?«
»O Herr Rat,« flehte meine Mutter, »verschafft mir Gerechtigkeit! Nennt mir den Mörder, stellt mich ihm gegenüber, und wir wollen Gottes Segen für Euch erflehen, ich und meine Kinder.«
Ohne eine Miene zu verziehen, stand der alte graubärtige Mann an der Thür. Jetzt that er den Mund auf und seine Worte fielen wie Keulenschläge auf Mutters Herz:
»Der Fall ist bald erzählt,« sagte er. »Vier oder fünf unserer wohlerzogensten, friedfertigsten jungen Leute gingen mit gefülltem Beutel zur Messe nach Porlock; sie kauften um hohen Preis allerlei für den Hausbedarf und traten dann ehrbar den Heimweg an, das lärmende und betrunkene Gesindel vermeidend. Die Nacht brach schnell herein, als sie bei einem Torfschober mit den müden Pferden Rast hielten. Da kam ein gewaltiger Räuber mitten unter sie geritten, um sie in Schrecken zu jagen und auszuplündern. Trotz seiner Kraft und Kühnheit wollten sie doch ihr anvertrautes Gut nicht ohne Schwertstreich ausliefern. Schon hatte er drei von ihnen zu Boden gestreckt, da erhob der letzte seine Pistole gegen den Angreifer. Es war Carver, unserer wackerer, hochherziger Carver, der sich und seinen Brüdern das Leben rettete, als sie sich schon verloren glaubten. Doch hofften wir, es sei nur eine Fleischwunde gewesen und jener werde nicht dahin fahren müssen in seinen Sünden.«
Er sah meine Mutter mit großen, traurigen Augen an; sie aber war so entsetzt über das schändliche Lügengewebe, daß sie wie erstarrt dastand, ohne einen Laut von sich zu geben.
Um Sir Ensors Lippen spielte ein flüchtiges Lächeln, doch seine Stimme klang ernst und würdig.
»Wir Doones sind alle Ehrenmänner und werden doch von der hiesigen Landbevölkerung oft ungerecht beschuldigt,« sagte er; »aber wir freuen uns, wenn sich, wie hier, eine Gelegenheit bietet, den Irrtum aufzuklären. Überdies kann ich zu Eurer Beruhigung versichern, daß wir nicht glauben, Euer Gatte habe wirklich einen räuberischen Überfall geplant. Wir werden auch keine Klage gegen ihn anhängig machen, um Beschlag auf sein Eigentum zu legen. Nicht wahr, Rat, Ihr meint doch auch?«
»Er hat ohne Zweifel sein Besitzrecht verwirkt, wenn Ihr nicht Gnade vor Recht ergehen laßt,« versetzte der Gefragte.
»Das wollen wir thun. Ja, werte Frau, wir verzeihen ihm. Vielleicht war er an jenem Abend seiner Sinne nicht mehr ganz mächtig. Der Porlocker Branntwein ist stark, unsere Zeit unsicher, da hat schon mancher Ehrenmann blindlings dreingeschlagen, um sich gegen Raub und Gewaltthat zu schützen.«
War es wirklich ein Doone, der solche Reden führte? – Mutter ward ganz verwirrt im Kopf, sie wußte nicht mehr aus noch ein. Daß das Recht auf ihrer Seite war, fühlte sie wohl, aber wie sollte sie es den beiden klar machen? Um nicht noch ein Unglück anzurichten, verneigte sie sich rasch, trocknete ihre Augen und eilte in die frische Luft hinaus.
Dort nahmen sie die Wächter wieder in Empfang und verbanden ihr die Augen. Ach, ihre unaufhaltsam fließenden Thränen hätten sie ohnehin für alles blind gemacht! Sie waren schon ein Stück gegangen, da kamen eilige Tritte hinter ihr drein und ein schwerer Lederbeutel ward Mutter in die Hand geschoben. »Dies schickt Euch der Hauptmann für die Kinder!« flüsterte der Bote.
Aber sie ließ das Geld zu Boden fallen, als sei es ein ekler Wurm. Zum erstenmal schrie sie jetzt zu Gott in ihrer Not, die so groß war, daß es selbst einen Doone erbarmte.