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Entlassen war ich nun zwar, aber doch nicht aller Sorgen ledig, denn mir mangelte das Geld zur Heimreise. Um die Sehenswürdigkeiten Londons in Augenschein zu nehmen hatte ich fünfzig Schillinge verausgabt, die ich dem König nicht wohl anrechnen konnte. Als mir Spank aber die Rechnung bezahlte, kaufte ich in meiner Herzensfreude Geschenke für Mutter und Schwestern, die Leute auf dem Hof und alle Nachbarn. Auch für Lorna hatte ich ein teueres Geschenk besorgt; was konnte wohl für sie zu kostbar sein!
Im besten Glauben, die königliche Schatzkammer werde mir auch die Verpflegung auf dem Rückweg bezahlen, ging ich mit meiner zweiten Rechnung zu Herrn Spank. Allein er ließ mich gar nicht vor, sondern schickte mir nur einen Zettel heraus, auf dem die Worte standen: »John Ridd, geht zum Teufel. Wer nichts will, wenn's ihm geboten wird, hat später das leere Nachsehen.«
Hieraus schloß ich, daß der Lord Oberrichter mir seine Gunst entzogen habe, weil mein Zeugnis ihm nichts nützte. Ich war darüber sehr enttäuscht und empfand großen Kummer, denn ich wußte, daheim sollte das Korn geschnitten werden, die Amseln verspeisten unsere Herzkirschen und Mutter weinte sich die Augen rot. Und was war inzwischen aus Lorna geworden? Hatte sie jeden Gedanken an mich aufgegeben? War das arme Kind vielleicht gezwungen worden, den elenden Carver Doone zu heiraten?
Bei diesem Gedanken geriet ich so außer mir, daß ich beschloß, noch einmal mein Glück mit Spank zu versuchen. Der war jedoch nicht zu finden; sein Diener sagte mir, er sei aus Gesundheitsrücksichten an den Seestrand gereist, da es sehr schädlich sei, bei so heißem Wetter in London zu bleiben, wo nächstens die Pest ausbrechen werde. Die Pest – das war ja entsetzlich! – Nun stand mein Entschluß fest, gleich am nächsten Morgen zu Fuß nach Oare aufzubrechen und mich durchzuschlagen oder durchzubetteln so gut es ging, mochte es meinem Stolz auch noch so sauer ankommen. Für meine letzte Krone kaufte ich mir Pulver und Blei, denn das brauchte ich unterwegs noch nötiger als Brod.
Aber, unverhofft kommt oft. An der Straßenecke traf ich mit meinem guten Freunde Jeremias Stickles zusammen, der mich gerade aufsuchen wollte. Ich erzählte ihm, wie schlecht es mir ergangen sei und war erstaunt, daß es ihn gar nicht Wunder nahm.
»Das ist so der Lauf der Welt, John,« sagte er. »Nun man dich nicht länger braucht, denkt man auch nicht mehr daran dich zu füttern. Glaube mir, du bist noch gut fortgekommen und kannst von Glück sagen. Ich will dir fünf Pfund geben, die ich bei Gelegenheit dem Halunken Spank schon wieder abnehmen werde. Es thut mir nur leid, daß es nicht zehn Pfund sein können, wegen der schlechten Zeiten. Bleib' mir mit deinem Papier vom Leibe, John, ich brauche keine Schuldverschreibung; wir zwei kennen einander.«
Hocherfreut und gerührt, daß doch ein Mann in London lebte, der meiner Ehrlichkeit vertraute, dankte ich ihm von ganzem Herzen. Für Wegzehrung und Herberge hatte ich nun reichliche Mittel; daß ich zu Fuß hinwandern mußte, ließ sich einmal nicht ändern.
Ich war so voller Angst und Unruhe, daß ich den ganzen Weg von London bis Dunster, wohl hundertsiebenzig Meilen, in sechs Tagen zurücklegte. So kam ich denn mit wunden Füßen und ganz abgerissen bei unserm guten Vetter, dem Gerber, an, der uns schon auf dem Hinweg beherbergt hatte. Er nahm mich freundlich auf, trotz meines jämmerlichen Aussehens. Seine wackern Töchter stärkten mich mit Speise und Trank und stopften meine durchlöcherten Strümpfe; sie hatten mich viel zu fragen, aber ich war unfähig Auskunft zu geben, mir fielen die Augen vor Müdigkeit zu. Ich hatte kein anderes Verlangen als gehörig auszuschlafen und bald lag ich denn auch in einem köstlichen Bett und fühlte mich wie im Himmel.
Als am andern Morgen vor meinem Schlafstubenfenster die Berge von Exmoor auftauchten, dankte ich Gott, daß ich sie wiedersah. Es schien mir jetzt nicht schwerer sie zu übersteigen, als wären es Maulwurfshügel, und doch hatte mir auf der ganzen Reise vor dieser letzten Anstrengung gegraut. Sie blieb mir aber ganz erspart, weil der Vetter nichts davon hören wollte, daß ich zu Fuß weiter wanderte – ich mußte seinen stärksten Gaul besteigen. Die Mädchen geleiteten mich bis zum Hofthor und winkten mir noch lange ihren Abschiedsgruß nach, so daß ich stolz war und froh über meine trefflichen Verwandten.
Wie klopfte mir aber das Herz in der Brust vor Entzücken, als ich nun meiner Heimat näher und näher kam, dem Schauplatz meiner liebsten Erinnerungen, meiner kühnsten Hoffnungen! Als ich den ersten Hammel auf dem Moor sah, der mit einem großen roten ›J. R.‹ gezeichnet war, geriet ich ganz außer mir. »Jem, alter Kerl!« rief ich – und wahrhaftig, das gute Tier kannte mich, obgleich ich ein fremdes Pferd ritt. Ich kraute ihm den Kopf und gelobte mir, ihn zum Lohn für seine Treue nie schlachten zu lassen. Er lief dann in vollem Galopp davon, wahrscheinlich um allen übrigen ›J. R.‹ zu verkünden, daß der junge Herr endlich wieder da sei.
Was ich in der einen halben Stunde alles sah und erlebte, vermag ich nicht zu schildern. Ich trieb mein Pferd nicht zur Eile, denn ich fürchtete den Verstand zu verlieren, wenn die Eindrücke sich mir zu rasch und überwältigend aufdrängten. Wie schön ging die Sonne unter – dort in dem Hohlweg hatte ich die drei Enten geschossen – hier war der Teich, wo wir die Schafe wuschen – in jenem Torfschober bewahrte ich mein Essen, wenn ich über Mittag bei der Arbeit blieb – in dem Busch dort drüben hatten wir den Bienenschwarm gefunden.
Jetzt war das Moor zu Ende und als ich um die Ecke bog, lief mir Annchen entgegen und riß mich fast vom Pferde herunter, in der Freude des Wiedersehens.
»O John, John, bist du endlich da! Jeden Samstag Abend habe ich hier auf dich gewartet. Laß mich nur weinen, John, ich bin zu glücklich. Du hast ja selbst Thränen in den Augen. Nein, das geht nicht, was würde Mutter sagen! Komm' schnell zu ihr, sie wird sonst eifersüchtig.«
Aber Mutter sagte gar nichts, sie hielt mich nur fest an ihr Herz gedrückt, als fürchte sie, ich könne ihr entrissen werden; dabei liefen ihr die hellen Thränen über die Backen und sie dankte Gott immer von neuem, daß sie mich wieder hatte.
Als ich darauf von meiner Geldnot erzählte und daß ich zu Fuß hätte wandern müssen, waren alle drei höchst entrüstet und aufgebracht. Sie schienen mir auch etwas enttäuscht, weil ich ganz ohne Ehren und Würden heimkehrte, obgleich Mutter und Annchen versicherten, sie hätten mich am liebsten so wie ich immer gewesen wäre. Elise stimmte ihnen zuerst nicht bei, als ich ihr aber das schöne Geschenk gab, das ich für sie ausgewählt hatte, küßte sie mich fast so zärtlich wie das liebe Annchen. Es war nämlich ein großes schweres Buch, dessen Inhalt weit über mein Verständnis ging.
Glücklicher als wir an jenem Abend war wohl kein Mensch in der ganzen Welt.
Trotz meiner heißen Sehnsucht nach Lorna hielt mich doch die Pflicht am nächsten Tage bei Mutter und Annchen zurück. Es war Sonntag, und gleich nach dem Frühstück kamen alle Knechte und Mägde vom Hof herbei – auch die beiden Stalljungen fehlten nicht – um zu fragen wie sich Herr John befände und ob es wahr sei, daß der König ihn in seiner Leibwache angestellt habe. Sie waren in großer Sorge, wer dann den Preisgürtel bei den Ringkämpfen der Grafschaft tragen sollte, den mir schon seit Jahren keiner mehr streitig machte. Wer unser Gut bewirtschaften oder ihnen den Lohn auszahlen würde, danach fragte niemand.
Ich schüttelte ihnen allen die Hand und versicherte, ich würde den Gürtel zur Ehre unseres Kirchspiels selbst tragen, so lange mir Gott Kraft und Gesundheit dazu verliehe.
In der Kirche war ich der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit. Wenn ich hustete, den Kopf bewegte, mein Gesangbuch zur Hand nahm oder Amen sagte, flüsterte man einander zu: »Das hat er alles in London gelernt!« – Es dauerte aber nicht lange, so verwunderten sich die Leute, daß ich trotz meiner großen Reise weder klüger noch modischer und gebildeter geworden war. Sie meinten, ich hätte die gute Gelegenheit weit besser benützen sollen.
War ich auch nicht klüger geworden durch meine Erfahrungen in der Hauptstadt, so hatte ich doch das Glück eines friedlichen Lebens richtiger schätzen gelernt und war dankbarer für die Liebe der Meinigen und für das viele Gute, das mich umgab und das ich bisher als ganz selbstverständlich hingenommen. Auch hatte ich mich in dem Staub und Gewühl so sehr nach Feldern und Wäldern, frischen Quellen und Vogelgezwitscher gesehnt, daß ich die ländlichen Freuden jetzt in vollen Zügen genoß.
Wenn die Sonne am Morgen über die Hügel steigt, erwacht man neugestärkt an Seele und Leib. Das frische Laub rauscht im Morgenwind und von den Reben des Weinstocks tropft der junge Saft. Auf den Wiesen glänzen zahllose Tauperlen und glatte Rinder weiden dort in stattlichen Herden. Im Wirtschaftshof stehen die Pferde schon eingespannt; der Hahn kräht sein lustiges Kikeriki und kommt einherstolziert mit seinem gefiederten Hofstaat. Ihm entgegen naht von der andern Seite der alte Truthahn mit seiner Familie, der stets Händel anfängt. Die Gänse putzen ihr Gefieder und schnattern vor freudiger Erwartung des bevorstehenden Kampfes und die Enten im Teich kommen neugierig herbeigesegelt. Aber Zank und Streit sollen heute nicht die friedliche Morgenstunde stören; noch ehe die Gegner einander erreichen, watschelt die uralte Sau grunzend herbei wie ein großer wandelnder Speckklumpen, sie schnüffelt mit ihrem Rüssel nach rechts und links und trennt die feindlichen Haufen, die eilig zu beiden Seiten auseinanderstieben.
Nun ist es heller Tag; Menschen und Tiere haben ihre Ruhe genossen, sich durch Speise und Trank gestärkt und die Arbeit beginnt. Auch mein erster Arbeitstag brach am Montag an; ich wußte, daß aller Augen auf mich gerichtet waren und doch zog mich mein Verlangen in's Weite. Lorna sollte mich auch keinen Tag länger für treulos halten.
Wie gern hätte ich meiner Mutter alles gesagt und der Heimlichkeit ein Ende gemacht, aber der Gedanke an Vaters schrecklichen Tod hielt mich zurück. Wozu sollte ich Mutter unnütz betrüben und ängstigen, ehe ich noch wußte, ob ich Lornas Gegenliebe je erringen würde?
Ich hatte mit den Knechten im Felde um die Wette geschafft und als sie müde zum Umfallen waren und froh ein Stündchen ausruhen zu dürfen, ging ich meiner Wege, unbekümmert was man daheim denken und sagen würde. Zuerst erkletterte ich den Berggipfel, um nach Lornas Zeichen zu spähen, und richtig, da war der weiße Stein mit dem dunkeln Tuch bedeckt, wie wir es für den Fall ausgemacht hatten, daß Lorna meine Hilfe brauchte. Ich war einen Augenblick ganz starr über mein Mißgeschick, das mich von der Geliebten fern gehalten hatte, während sie meiner bedurfte. Dann aber klomm ich ohne Weg und Steg auf dem Gebirgskamm weiter, um an dem äußeren Klippenrand meinen alten Eingang ins Thal zu erreichen. Ich überwand jedes Hindernis und stand bald wieder in der Felsennische oben am Wasserfall. Mein thörichtes Herz klopfte laut und ich schaute mir schier die Augen aus, bis ich endlich eine schlanke, mir wohlbekannte Gestalt unter den dichtbelaubten Bäumen auf der Wiese erspähte. Wozu noch zögern oder mich verbergen und sie nur von ferne betrachten? Mochten die Doones mich immerhin töten, wenn Lorna mir nur eine Thräne nachweinte. Rasch sprang ich hervor – es war nicht Tollkühnheit, sondern meine große Liebe, die alle Bande sprengte.
Lorna erschrak sichtlich, als sie mich erblickte, und zeigte mehr Furcht als Freude. Glaubte sie vielleicht, ich würde in meinem allzustürmischen Entzücken die gebührende Zurückhaltung vergessen und Dinge sagen und thun, die ihr unstatthaft schienen?
Der Gedanke gab mir schnell die Besinnung wieder, ich bezwang mich gewaltig, schritt langsam auf sie zu und brachte nichts heraus als die Worte:
»Ich dachte Ihr bedürftet meiner Hilfe, Fräulein Lorna.«
»O ja, aber das ist schon lange her, wohl über zwei Monate.« Sie sagte das mit abgewandtem Gesicht, als ob nun alles zwischen uns aus sei. Mir vergingen schier die Sinne und mein Atem stockte, denn ich war sicher, daß ein anderer sie gewonnen und mir geraubt hatte. Schweigend wollte ich mich entfernen, allein wie sehr ich mich auch zusammennahm, ich mußte laut aufschluchzen vor Bekümmernis. Lorna hörte es und kam zu mir, ihre lieben Augen strahlten von Mitleid, Güte und Verwunderung, daß ich mehr als eine flüchtige Neigung für sie empfand.
»Nehmt es Euch doch nicht so zu Herzen, Herr Ridd,« bat sie und streckte mir beide Hände entgegen, die ich rasch ergriff; »ich wollte Euch ja nicht wehe thun.«
»Wollt Ihr das nicht, dann kann mich niemand auf der ganzen Welt kränken,« sagte ich mit inniger Liebe, doch wagte ich nicht sie dabei anzusehen.
»Wir können hier auf dem freien Platze nicht bleiben,« rief sie bebend, »ich werde in letzter Zeit schärfer bewacht und belauscht; kommt mit mir in die Grotte, John.«
Bald waren wir in der stillen Felsenkammer, die der Sommer mit reicher Pracht geschmückt hatte, aber ich sah und fühlte nichts als die Gegenwart des geliebten Mädchens, das tief errötend die Augen vor mir senkte. Sie hatte meine große Liebe erkannt und erbebte vor der Gewalt dieses ihr neuen unbekannten Gefühls, halb in Schmerz halb in Freude. Ich überließ sie ganz sich selbst und sprach kein Wort, aber die Entscheidung über Leben und Tod lag für mich auf der Wage.
Jetzt endlich hob Lorna den Blick zu mir empor, eine Thräne zitterte an ihrer Wimper, sie sah mich fragend und zweifelnd an.
»Hast du mich lieb, mein Herz?« war alles was ich über die Lippen brachte.
»Ja, ich bin Euch sehr gut,« flüsterte sie und sah wieder zu Boden.
»Aber liebst du mich, Lorna? Liebst du mich mehr als die ganze Welt?«
»Nein, das nicht. Ich wüßte nicht warum.«
»Warum weiß ich selber nicht; aber ich hoffte es von dir, Lorna. Liebe mich entweder gar nicht oder wie ich dich liebe, auf immer und ewig.«
»John, ich liebe Euch sehr und möchte Euch nicht betrüben. Ihr seid der tapferste, der gütigste und aufrichtigste Mensch – ich mag Euch sehr gut leiden und ich denke fast täglich an Euch.«
»Das genügt mir gar nicht, Lorna. Ich denke nicht nur fast täglich an dich, sondern ohne Unterlaß, jeden Augenblick meines Lebens. Für dich würde ich meine heiligsten Pflichten versäumen, meine Heimat verlassen, und alles, was mir sonst teuer ist in der Welt, ich würde mein Leben auf Erden für dich hingeben und meine Hoffnung auf den Himmel. Liebst du mich auch so?«
»O nein, durchaus nicht. Aber ich mag Euch herzlich gern, wenn Ihr nicht so wilde Reden führt. Ihr gefallt mir sehr, wenn Ihr daherkommt als wolltet Ihr das ganze Thal ausfüllen und als wäre es Euch eine Kleinigkeit, selbst mit Carver Doone fertig zu werden. Aber, daß ich Euch so über die Maßen lieben sollte, ist nicht gerade wahrscheinlich, besonders da Ihr zwei Monate lang mein Zeichen gar nicht beachtet habt. Nennt Ihr das einen Beweis Eurer ungeheuern Liebe, wenn Ihr es ruhig jenen Leuten überlaßt mit mir zu thun was sie wollen?«
»Was sie wollen? O Lorna – sie haben dich doch nicht gezwungen, Carver Doone zu heiraten?«
»Nein, nein, entsetzt Euch nicht so, Herr Ridd, Ihr seht ordentlich zum Fürchten aus.«
»Sagt schnell, daß Ihr Carver nicht geheiratet habt, warum ängstigt Ihr mich so?«
»Natürlich nicht. Wir sind hier lange nicht so ungestüm wie Ihr, John. Ich bin erst siebzehn Jahre alt – da denkt man noch nicht ans Heiraten. Aber ich sollte Carver mein Jawort geben und mich förmlich mit ihm verloben in Gegenwart des Großvaters. Dem Rat Doone, meinem Onkel, war bange geworden, weil Charleworth, ein hübscher lustiger Mensch, – man nennt ihn hier ›Charlie‹ – seiner Meinung nach ein Auge des Wohlgefallens auf mich geworfen hatte und zu oft an unserem Hause vorüberging.«
»Das soll er nur bleiben lassen,« rief ich zornig, als ich Lorna erröten sah, »sonst werfe ich den lustigen Charlie über das Dach hinaus.«
»Aber John Ridd, Ihr seid ja schlimmer als Carver, und ich hielt Euch für so gutherzig. – Mein Onkel wollte mir das Versprechen abnehmen, mich sogar feierlich geloben lassen, niemand anders zu heiraten als seinen ältesten Sohn, eben jenen Carver, der schon über fünfunddreißig Jahre zählt. Damals gab ich Euch das Zeichen, Herr Ridd, weil ich Euch zu sehen wünschte. Man stellte mir vor, daß es zum Wohl der ganzen Familie und zu meinem eigenen Besten sei, aber ich wollte nichts davon hören, obgleich der Großvater mich ermahnte es wohl zu überlegen und der schreckliche Carver sehr freundlich that. Der Rat Doone bestand darauf, man müsse mich zwingen, aber das gab Großvater nicht zu. So verschoben jene denn alle weiteren Maßregeln, bis Sir Ensor ihnen nicht mehr hinderlich sein würde und sie die Macht in Händen hätten. Seitdem ist meine Freiheit sehr beschränkt, ich werde bewacht und belauert und man folgt mir auf Schritt und Tritt. Ohne die Klugheit und Wachsamkeit der kleinen Gwenny Carfax könnten wir selbst hier nicht in Sicherheit verkehren. Sie ist mein einziger Trost und meine Hilfe, da mir keine andere mehr bleibt.«
Sie sah mich so traurig und vorwurfsvoll an, daß ich mich beeilte, ihr kurz zu berichten wie alles gekommen war. Ich erklärte die scheinbare Vernachlässigung durch meine lange Abwesenheit und sagte ihr, wie ich vergeblich versucht hätte, ihr die Kunde noch vorher zukommen zu lassen. Sobald sie alles wußte, zeigte ich ihr den schönen Ring mit dem großen Saphir, von Perlen eingefaßt, den ich für sie aus London mitgebracht hatte. Da flossen ihr die Augen über und sie schmiegte sich dicht an meine Seite; ich aber ergriff ihre weiße Hand, und ehe sie sich's versah, hatte ich ihr den Ring an den Finger gesteckt.
»Wie arglistig Ihr seid,« rief Lorna mit lieblichem Erröten, »ich hätte Euch so etwas gar nicht zugetraut. Kein Wunder, daß Ihr so gut Fische fangen könnt, wie damals als ich Euch zuerst sah.«
»Habe ich meinen kleinen Fisch denn wirklich gefangen? Oder soll ich all mein Lebenlang vergebens nach ihm angeln?«
»Keins von beiden, John. Gefangen habt Ihr mich noch nicht, wie lieb Ihr mir auch seid. Bleibt nur fern von hier, dann werde ich Euch bald noch lieber haben. Hoffnungslos angeln sollen aber alle andern nach mir, bis Ihr wieder von mir hört.«
Halb lächelnd, halb traurig preßte sie ihre frischen Lippen auf meine sorgenschwere Stirn, dann zog sie den Ring wieder vom Finger und hielt ihn mir hin. Als sie aber meine bekümmerte Miene sah, küßte sie das Kleinod erst dreimal, ehe sie es mir zurückgab.
»Noch darf ich den Ring nicht annehmen, John, ich möchte Euch nicht täuschen. Bewahrt ihn mir bis ich Eure Liebe erwidern kann, wie Ihr es wünscht und verdient. Vielleicht beklagt Ihr es dereinst, wenn es zu spät ist, von – meinesgleichen geliebt zu werden.«
Als sie so sprach, bedeckte ich ihre Hand mit Küssen und schwor hoch und teuer, daß ich alle Schätze der Welt hingeben würde für die Gewißheit ihrer Gegenliebe. Sie sah so reizend aus mit den dunkeln Wimpern über den leuchtenden Augen und den geröteten Wangen, daß mich ihr Anblick überwältigte.
»Geliebte meines Herzens,« flüsterte ich, »wie lange muß ich noch warten in Zweifelsqual, ob du dich trotz deiner hohen Geburt und wunderbaren Schönheit je herablassen kannst zu dem armen Knecht, dem unwissenden, ungebildeten Freisassen?«
»So dürft Ihr nicht reden, John. Ich will nicht, daß Ihr Euch roh und ungebildet scheltet,« rief Lorna zärtlich. »Ihr wißt weit mehr als ich, habt sogar Latein und Griechisch gelernt auf der Schule, wie Ihr mir früher einmal sagtet. Darin kann sich keiner hier mit Euch vergleichen, außer meinem Großvater und dem Rat Doone, der hochgelehrt ist. Wenn ich je einmal über Eure Sprache gelacht habe, so that ich es nur im Scherz und wollte Euch nicht kränken.«
»Nichts kränkt mich von dir, mein Herz, so lange du nicht sagst: Ich liebe einen andern, geh' deiner Wege, John Ridd.«
»Das wird nie geschehen, John,« erwiderte sie und beugte sich zu mir. Ihre Stimme klang wie Musik und ich streckte schon die Arme aus, um die schlanke liebliche Gestalt an meine Brust zu ziehen, doch besann ich mich rasch und that als hätte ich nur ein zierliches Farnkraut pflücken wollen, das am Felsen wuchs.
Lorna entging meine Verwirrung nicht. »Jetzt geht nach Hause, John, zu Eurer Mutter,« sagte sie, »es ist hohe Zeit. Ich liebe Eure Mutter schon sehr, nach allem, was Ihr mir von ihr erzählt habt, und will nicht, daß sie meinetwegen zu kurz kommt.«
»Bist du meiner Mutter wirklich gut,« entgegnete ich voll Hinterlist, »so könntest du das gar nicht besser beweisen, als wenn du ihren Sohn von ganzem Herzen liebst.«
Da lachte sie glockenhell, ihre Wangen glühten, ihre Augen strahlten und sie wich meinen Blicken aus. Mich aber durchströmte es plötzlich mit wonniger Glut. Auf einmal wußte ich so sicher als hätte sie es mir selbst gesagt, daß Lorna Doone jetzt angefangen hatte, mich wieder zu lieben, und nun und nimmermehr von mir lassen werde.