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Post-Scriptum

Brief, den ich, zusammen mit dem Manuskript meiner Memoiren, an M*** sandte, der mich um Angaben zu meiner Biographie bat, die er schreibt. Er hat sich gehütet, davon Gebrauch zu machen; sein Buch ist voll absurder Berichte und ungereimter Urteile..

 

Sehr geehrter Herr!

Sie wünschen die Gründe des Widerstandes kennen zu lernen, dem ich als Komponist in Paris fünfundzwanzig Jahre lang begegnet bin. Diese Gründe waren zahlreich; hochwillkommenerweise sind sie zum Teil verschwunden. Sie sind jetzt wieder vorhanden, und der Widerstand ist erbitterter, denn jemals. (1864.) Das Wohlwollen der gesamten Presse (ausgenommen die Revue des Deux-Mondes, deren Musikkritik einem Monomanen anvertraut ist und deren Besitzer mich mit seinem Haß beehrt) bei der Aufführung meines letzten Werkes »Die Kindheit Christi« scheint es zu beweisen. Manche Personen glaubten in dieser Partitur einen völligen Umschwung meines Stils und meiner Kompositionsweise zu sehen. Nichts ist weniger begründet als diese Meinung. Der Stoff erheischte natürlich eine naive, zarte Musik, die dem Geschmack und Verständnis jener näher stand, welche wiederum mit der Zeit sich entwickeln mußten. Ich hätte »Die Kindheit Christi« vor zwanzig Jahren ebenso geschrieben.

Der Hauptgrund des langen Krieges gegen mich ist in dem Antagonismus zwischen meinem musikalischen Empfinden und dem des großen Pariser Publikums zu suchen. Eine Menge Leute glaubte mich für einen Narren halten zu müssen, da ich sie ja als Kinder und Tröpfe ansah. Jede Musik, die sich von dem schmalen Pfade entfernt, auf dem die Verfertiger von komischen Opern dahintrotten, war notwendigerweise, ein Vierteljahrhundert lang, für diese Art Leute Narrenmusik. Das Meisterwerk Beethovens (die Neunte) und seine riesenhaften Klaviersonaten sind für sie immer noch Narrenmusik.

Ferner habe ich die durch Cherubini und Fétis verhetzten Konservatoriumsprofessoren gegen mich, deren Eitelkeit durch meine Heterodoxie in Ansehung harmonischer und rhythmischer Theorien heftig verletzt worden ist und deren Gewissen sich dagegen empört hat. Ich bin ein Ungläubiger im Reiche der Musik, oder, besser gesagt, ein Anhänger der Religion Beethovens, Webers, Glucks, Spontinis, die da glauben und durch ihre Werke bekennen und beweisen, daß alles gut ist oder daß alles schlecht ist; die in einem gewissen Zusammenhang erzeugte Wirkung allein läßt sie verdammen oder freisprechen.

Jetzt machen sich selbst die hartnäckigsten Verfechter der Autorität alter Regeln in ihren Werken mehr und mehr frei davon.

Unter meine Gegner muß man auch noch die Anhänger der sensualistischen italienischen Schule rechnen, deren Lehren und Götter ich oft angegriffen und geschmäht habe.

Heule bin ich klüger. Ich verabscheue immer noch, wie ehemals, die Opern, die von der Menge als Meisterwerke dramatischer Musik ausgeschrieen werden, die aber für mich niederträchtige Karikaturen des Gefühls und der Leidenschaft sind; nur bin ich stark genug, nicht mehr darüber zu reden.

Gleichwohl macht mir meine Stellung als Kritiker immer noch zahlreiche Feinde. Und die Haßerfülltesten sind noch weniger die, deren Werke ich bloßgestellt, als die, welche ich totgeschwiegen oder lau gelobt. Andere werden mir niemals gewisse Witze vergeben. Ich war vor achtzehn oder zwanzig Jahren so unklug, mir einen solchen über ein sehr plattes kleines Werk von Rossini zu leisten. Es sind drei Gesänge mit den Namen: Glaube, Hoffnung, Liebe. Als ich sie gehört hatte, schrieb ich, weiß nicht mehr wo, mit Beziehung auf den Komponisten: seine Hoffnung hat die unsere getäuscht, sein Glaube wird nicht Berge versetzen, und seine Liebe zu uns wird ihn nicht umbringen.

Stellen Sie sich die Wut der Rossinisten vor; obwohl ich andernorts eine lange, bewundernde Analyse des Wilhelm Tell geschrieben und bis zur Ersättigung wiederholt habe, daß der Barbier eines der Meisterwerke des Jahrhunderts ist.

Als mir Herr Panseron einen lächerlichen Prospekt geschickt hatte, in dem er mir, auf Küchenfranzösisch, die Eröffnung eines musikalischen Auskunftsbureaus ankündigte, wo die dilettierenden Komponisten von Romanzen ihre Produkte um hundert Franken korrigieren lassen könnten, machte ich die Sache im Journal des Débats bekannt; ich rückte sogar den ganzen Prospekt des Herrn Panseron ein, aber unter dem Titel:

Auskunftsbureau für geheime Musikleiden. (Wortspiel mit Mélodies – Maladies.)

Einige Jahre früher hatte Herr Caraffa eine Oper »Die Großherzogin« aufführen lassen. Dieses Werk erlebte nur zwei Vorstellungen. Nach der zweiten, über die ich zu berichten hatte, zitierte ich nur die berühmten Worte Bossuets aus seiner Leichenrede auf Henriette von England: Madame stirbt, Madame ist tot! Herr Caraffa hat mir nicht verziehen. Ich muß zugeben, daß mir auch manchmal im Gespräch Worte entschlüpften, die man für wirkliche Dolchstiche halten konnte. Eines Abends war ich bei meinem Freund d'Ortigue, zusammen mit mehreren Personen, unter denen sich Herr de Lamennais und ein Abteilungsvorstand des Ministeriums des Innern befand. Die Unterhaltung drehte sich um die Unzufriedenheit, die jeder mit seinem Stande empfindet. Herr P..., der Abteilungsvorstand, war mit dem seinen nicht unzufrieden: »Ich möchte nichts lieber sein, als was ich bin,« sagte er. – Meiner Seel', versetzte ich unbesonnenerweise, ich bin nicht, wie Sie, und wollte lieber alles andere sein, als was Sie sind.

Mein Partner im Gespräch nahm sich zusammen und erwiderte nichts, aber ich bin ganz sicher, daß ihm unsere Lachsalven, und namentlich die des Herrn de Lamennais, einen Stachel hinterlassen haben.

Seit einigen Jahren habe ich neue Feinde, der Überlegenheit wegen, die man mir in der Kunst des Dirigierens gerne zugesteht. Die Musiker haben mir, dadurch daß sie außergewöhnliche Fähigkeiten unter meiner Leitung entfalten, dann durch herzliche Kundgebungen und Worte, die sie fallen ließen, fast alle Kapellmeister in Deutschland zu Feinden gemacht. In Paris war es lange ebenso. Sie werden in meinen Memoiren die seltsamen Wirkungen der Mißgunst Habenecks und Girards sehen. Dasselbe gilt von London, wo mir Herr Costa einen heimlichen Krieg bereitet, wo immer er seine Hand im Spiel hat.

Ich habe gegen eine hübsche Phalanx zu kämpfen gehabt, wie Sie zugeben werden. Vergessen wir nicht die Sänger und Virtuosen, die ich auf ziemlich grobe Weise zur Ordnung rufe, wenn sie sich bei der Interpretation von Meisterwerken unehrerbietige Freiheiten herausnehmen; auch nicht die Neidischen, die immer außer sich geraten, wenn irgend etwas ein gewisses Aufsehen macht.

Aber dieses Leben voll Kampf hat, da sich die Opposition heute auf ein vernünftiges Maß beschränkt hat, einen gewissen Reiz. Ich liebe es, zu Zeiten eine Schranke krachen zu lassen, sie zu zerbrechen, anstatt hinüberzusteigen. Das ist die natürliche Wirkung meiner Leidenschaft für die Musik, einer stets in Heißglut befindlichen Leidenschaft, die immer nur auf Augenblicke gestillt ist. Die Liebe zum Geld gesellt sich unter keinen Umständen zu dieser Kunstliebe; ich bin im Gegenteil immer bereit gewesen, auf der Spur des Schönen oder um mich gegen die Berührung mit armseligen Plattheiten zu schützen, die von der Volksgunst getragen werden, Opfer aller Art zu bringen. Man biete mir Hunderttausend Franken für gewisse Werke, die ungeheuern Erfolg haben, und ich werde sie mit Entrüstung zurückweisen. So bin ich nun. Es wird Ihnen ein Leichtes sein, die Folgen zu erraten, die aus einer solchen Veranlagung erwachsen müssen inmitten einer Umgebung, wie sie die musikalische Welt von Paris vor zwanzig Jahren war.

Wenn ich nun hier die Kehrseite des Bildes entwerfen sollte, könnte ich es durch vierfache Unbescheidenheit. Die Sympathien, denen ich in Frankreich, England, Deutschland und Rußland begegnet bin, haben mich über so manche Mühsal getröstet. Ich könnte sogar ganz seltsame Äußerungen der Begeisterung anführen. Habe ich nötig, Ihre Aufmerksamkeit auf das königliche Geschenk Paganinis zu lenken und auf den künstlerisch so bezeichnenden Brief, den er ihm beifügte? ...

Ich will Ihnen nur ein hübsches Wort von Lipinski, des Konzertmeisters am Dresdener Theater, mitteilen. Ich war vor drei Jahren in der sächsischen Hauptstadt. Nach einem glänzenden Konzert, in dem meine Legende »Fausts Verdammung« aufgeführt worden war, stellte mir Lipinski einen Musiker vor, der, wie er sagte, sehnlich wünschte, mir sein Kompliment zu machen, der aber kein Wort französisch könnte. Nun, da ich nicht deutsch spreche, bot sich Lipinski als Dolmetsch an, aber der Künstler unterbricht ihn, tritt lebhaft vor, ergreift meine Hand, stottert einige Worte und bricht in Schluchzen aus, das er nicht mehr bezwingen konnte. Darauf wandte sich Lipinski an mich und wies auf die Tränen seines Freundes; »Sie verstehen!« sagte er ...

Und dann noch etwas, ein klassischer Ausspruch. Zu Braunschweig waren neulich, in einem Opernhauskonzert, mehrere Sätze aus meiner Sinfonie mit Chören »Romeo und Julie« aufgeführt worden. Am Morgen dieses Konzerttags saß an der Wirtstafel ein Unbekannter Der Baron de Donop, Kammerherr des Fürsten von Lippe-Detmold. neben mir, der mir mitteilte, er habe eine weite Reise gemacht, um diese Partitur in Braunschweig zu hören.

– »Sie sollten eine Oper über diesen Stoff schreiben,« sagte er, »in der Art, wie sie Shakespeare sinfonisch behandeln und auffassen; Sie werden etwas Unerhörtes, Wunderbares schaffen.«

– Ach, mein Herr, antwortete ich, wo sind die zwei Künstler, die fähig wären, die beiden Hauptrollen zu singen und zu spielen? Sie existieren nicht; und wenn sie vorhanden wären, so würde ich, angesichts der musikalischen Gebräuche und Gepflogenheiten, die jetzt auf allen Opernbühnen herrschen, sicherlich vor der ersten Aufführung sterben, wenn ich eine derartige Oper studieren ließe.

Am Abend geht mein Kunstfreund ins Konzert, plaudert während einer Zwischenpause mit einem seiner Nachbarn und wiederholt ihm meine Antwort vom Morgen, die Oper Romeo und Julie betreffend. Der Nachbar schweigt einen Augenblick, haut dann heftig auf die Brüstung seiner Loge und ruft: »Nun gut; soll er sterben! Wenn er's nur macht!«

Nehmen Sie, sehr geehrter Herr, die Versicherung meiner lebhaften Dankbarkeit für das Wohlwollen entgegen, das Sie mir beweisen, und für Ihren Wunsch, mich an so vielen Leuten und ungerechten Dingen zu rächen (wie Sie es nennen). Was die Rache betrifft, so glaube ich, man muß die Zeit machen lassen. Sie ist der große Rächer. Übrigens sind die Leute und Dinge, über die ich mich zu beklagen hatte und noch habe, nicht würdig Ihres Zornes.

Wie ich merke, habe ich nichts über die Technik meines Stils gesagt, und Sie wünschen vielleicht einiges hierüber zu wissen.

Im allgemeinen ist mein Stil sehr kühn, aber er neigt nicht im geringsten dazu, irgendeines von den wesentlichen Elementen der Kunst zu zerstören. Im Gegenteil suche ich die Zahl dieser Elemente zu mehren. Ich habe nie daran gedacht – wie man in Frankreich so verrückt behauptet hat –, Musik ohne Melodie zu schreiben. Diese Schule besteht heute in Deutschland und ich habe ein Grausen davor. Es ist leicht, sich zu überzeugen, daß ich, sogar ohne mich auf ein kurzes Motiv als Thema eines Satzes zu beschränken, wie es oft die größten Meister getan, immer darauf bedacht bin, meine Kompositionen mit einem wahren Überschwang von Melodie auszustatten. Man kann diesen Melodien ihren Wert, ihre Vornehmheit, ihre Originalität, ihren Reiz ganz und gar abstreiten – nicht an mir ist es, sie zu beurteilen; aber ihre Existenz zu leugnen, dazu, behaupte ich, gehört böser Wille oder Unfähigkeit. Nur haben diese Melodien oft einen sehr weiten Bogen, und so können kurzsichtige, kindliche Gemüter die Form nicht klar übersehen; oder sie sind mit andern Melodien einer zweiten Gattung verbunden, welche denselben kindlichen Gemütern die melodischen Umrisse verhüllen, oder schließlich unterscheiden sich diese Melodien so weit von den Späßchen, die der musikalische Pöbel Melodien nennt, daß man sich nicht entschließen kann, beide mit demselben Namen zu benennen.

Die Haupteigenschaften meiner Musik sind leidenschaftlicher Ausdruck, innere Glut, rhythmischer Schwung und überraschende Wendungen. Wenn ich sage: leidenschaftlicher Ausdruck, so meine ich damit das hartnäckige Streben des Ausdrucks, den innersten Sinn seines Gegenstandes wiederzugeben, auch dann, wenn der Gegenstand das Gegenteil von Leidenschaft ist und es sich darum handelt, sanfte, zärtliche Gefühle oder vollkommene Ruhe auszudrücken. Das ist die Art des Ausdrucks, die man in der »Kindheit Christi« zu finden glaubte, besonders in der Himmelsszene von »Fausts Verdammung« und im Sanktus des Requiem.

Im Zusammenhang mit diesem letztgenannten Werk ist es gut, Sie an eine Art des musikalischen Aufbaus zu erinnern, die ich fast allein von den modernen Komponisten begriffen habe und deren Tragweite die Alten nicht einmal ahnten. Ich meine jene Kompositionen von außerordentlichen Verhältnissen, die von gewissen Kritikern architektonische oder monumentale Musik genannt werden und die den deutschen Dichter Heinrich Heine veranlaßt haben, mich eine »kolossale Nachtigall, eine Lerche von Adlergröße« zu nennen, »dergleichen, wie man sagt, in der Urwelt vorgekommen ist. Ja,« fährt der Poet fort, »die Musik von Berlioz hat für mich im allgemeinen etwas Primitives, wenn nicht Antediluvianisches, ich muß dabei an ausgestorbene Riesentiere denken, an das Mammut, fabelhafte Reiche mit fabelhaften Lastern, an eine Fülle von Unmöglichkeiten; diese magischen Akzente rufen uns Babylon ins Gedächtnis zurück, die hängenden Gärten der Semiramis, die Wunder von Ninive, die kühnen Bauwerke von Mizraim, wie wir sie auf den Bildern des Engländers Martin sehen.«

In demselben Abschnitt seines Buches (Lutetia) vergleicht mich H. Heine noch weiterhin mit dem exzentrischen Engländer und versichert, ich habe wenig Melodie und überhaupt keine Naivität.

Drei Wochen nach dem Erscheinen von Lutetia fand die erste Aufführung der »Kindheit Christi« statt; und am nächsten Tage erhielt ich einen Brief Heines, in dem er sich nicht genug tun konnte mit Ausdrücken des Bedauerns, mich so falsch beurteilt zu haben. »Ich höre von allen Seiten,« schrieb er mir von seinem Schmerzenslager, »daß Sie einen Strauß der duftigsten melodischen Blüten gepflückt haben, und daß Ihr Oratorium als Ganzes ein Meisterwerk der Naivität ist. Ich werde es mir nie verzeihen, gegen einen Freund so ungerecht gewesen zu sein.« Ich besuchte ihn, und, da er wieder mit seinen Selbstanklagen begann, fragte ich ihn: »Aber warum haben Sie sich auch, wie ein gewöhnlicher Kritiker, so weit gehen lassen, ein absolutes Urteil über einen Künstler zu fällen, von dem Sie noch lange nicht alles kennen? Sie denken immer an den Hexensabbat, den Gang zum Hochgericht aus meiner phantastischen Sinfonie, an das Dies irae und das Lacrymosa meines Requiems. Indessen glaube ich, Sachen ganz anderer Art geschrieben zu haben und noch schreiben zu können.« ...

Jene musikalischen Probleme, die ich zu lösen versuchte und die an Heines Irrtum Schuld tragen, sind Ausnahmen wegen der Anwendung ungewöhnlicher Mittel. In meinem Requiem z. B. gibt es vier Orchester von Blechblasinstrumenten, die voneinander getrennt sind und sich, rund um Orchester und Chor aufgestellt, von weitem mit einmischen. Im Te Deum ist es die Orgel, die, vom einen Ende der Kirche aus, mit dem zweichörigen Orchester am andern Ende und mit einem dritten, sehr zahlreichen Chor von Stimmen im unisono verkehrt, der in seiner Gesamtheit die Gemeinde darstellt; diese beteiligt sich von Zeit zu Zeit an dem großen religiösen Konzert. Aber vor allem ist es die Form der Stücke, die Breite des Stils und die furchtbare Langsamkeit gewisser Steigerungen, deren Endziel man nicht ahnt, was diesen Werken ihre seltsame, riesenhafte Physiognomie gibt, ihren Anblick so kolossal macht. Das Ungeheure dieser Form macht auch, daß man entweder gar nichts davon versteht oder von einer schrecklichen Erregung gepackt wird. Wie oft befand sich bei den Aufführungen meines Requiems, zur Seite eines zitternden, im tiefsten Herzensgrund bewegten Hörers, ein anderer, der gespannt die Ohren spitzte, ohne etwas zu begreifen. Dieser war in der Lage der Neugierigen, welche die Statue des heiligen Carl Borromäus in Como besteigen und sehr überrascht sind, wenn man ihnen sagt, der Salon, in dem sie gerade säßen, sei der Kopf des Heiligen von innen.

Diejenigen meiner Werke, die bei den Kritikern als architektonische Musik gelten, sind: meine Trauer- und Triumphsinfonie für zwei Orchester und Chor; das Te Deum, dessen letzter Satz ( Judex crederis) ohne allen Zweifel zum Größten gehört, das ich geschrieben; meine zweichörige Kantate » l'Imperiale«, die in den Konzerten der Industrieausstellung des Jahres 1855 aufgeführt wurde, und vor allem mein Requiem. Was diejenigen meiner Kompositionen betrifft, die das gewöhnliche Maß nicht überschreiten, und in denen ich keinerlei außerordentliche Mittel verwendete, so sind es gerade ihre innere Glut, ihr Ausdruck und ihre rhythmische Originalität, die ihnen am meisten Abbruch getan haben, wegen der Eigenschaften, die ihre Ausführung erfordert. Um sie gut wiederzugeben, müssen die Mitwirkenden, und namentlich ihr Dirigent, empfinden wie ich. Dazu gehört die äußerste Genauigkeit, verbunden mit unwiderstehlicher Verve, ein wildes und doch maßvolles Feuer, träumerische Empfindsamkeit, eine sozusagen krankhafte Schwermut, ohne welche die Hauptzüge meiner Gestaltung entstellt oder gänzlich verwischt werden. Infolgedessen ist es mir ausnehmend schmerzlich, meine Kompositionen meistens unter einer andern Leitung, als der meinen, hören zu müssen. Ich wäre beinahe vom Schlag getroffen worden, als ich in Prag meine Ouvertüre zum König Lear hörte unter der Direktion eines Kapellmeisters, dessen Talent gleichwohl nicht zu bestreiten ist. Es war ungefähr richtig ... aber hier ist das Ungefähr so viel wie gänzlich falsch. Sie werden aus dem Kapitel über Benvenuto Cellini ersehen, was ich, während des langsamen Hinmordens dieser Oper, auf den Proben, selbst unter den unfreiwilligen Fehlern Habenecks, gelitten habe.

Wenn Sie mich jetzt fragen, welchem unter meinen Stücken ich den Vorzug gebe, würde ich Ihnen antworten: meine Ansicht ist die der meisten Künstler, ich gebe dem Adagio (der Liebesszene) aus Romeo und Julie den Vorzug. Eines Tages in Hannover, am Ende dieses Satzes, fühle ich mich, ohne zu wissen von wem, am Kleid gezogen; ich drehe mich um: es waren die Musiker neben meinem Pult, die mir die Rockschöße küßten. Aber ich würde mich hüten, dieses Adagio in gewissen Konzertsälen vor einer gewissen Art Publikum hören zu lassen.

*

Im Zusammenhang mit den französischen Vorurteilen gegen mich könnte ich Sie noch an die Geschichte des Hirtenchors aus der »Kindheit Christi« erinnern, der in zwei Konzerten unter dem Namen des Pierre Ducré, Kapellmeister an einer fingierten Kapelle des achtzehnten Jahrhunderts, aufgeführt worden ist. Welche Lobeserhebungen über die schlichte Melodik! Wieviele Leute haben gesagt: »Berlioz könnte so etwas nicht machen!«

In einem Salon wurde eines Abends eine Romanze gesungen, auf deren Titelblatt der Name Schubert stand, – in Gegenwart eines Kunstfreundes, dem meine Musik einen frommen Schauder einflößte. »Nun also!« rief er, »da ist doch noch Melodie, Empfindung, Klarheit und Geschmack! Berlioz wäre so etwas nicht eingefallen!« Es war die Romanze des Cellini aus dem zweiten Akte der Oper dieses Namens.

In einer Gesellschaft beklagte sich ein Dilettant, daß er auf unziemliche Weise gefoppt worden sei, wie folgt:

»Ich komme eines Morgens auf die Probe des Cäcilienkonzertes unter der Direktion von Seghers. Ich höre ein glänzendes, äußerst schwungvolles Orchesterstück, das sich aber in Stil und Instrumentation wesentlich von den mir bekannten Sinfonien unterscheidet. Ich wende mich an Seghers und frage ihn:

– ›Was ist denn das für eine schwungvolle Ouvertüre, die Sie da spielen?‹

– ›Die Ouvertüre »Römischer Karneval« von Berlioz.‹

– ›Sie werden zugeben ...‹

– ›O ja!‹ schneidet ihm einer meiner Freunde das Wort ab, ›wir müssen zugeben, daß es unschicklich ist, die Überzeugungen ehrenwerter Leute dergestalt zu überrumpeln.‹«

Man räumt mir, in Frankreich wie anderswo, ohne weiteres die maestria in der Kunst der Instrumentation ein, besonders seit ich ein Lehrbuch über diese Materie herausgegeben habe. Aber man macht mir den Mißbrauch der Sax-Instrumente zum Vorwurf (ohne Zweifel, weil ich die Fähigkeiten des geschickten Instrumentenbauers oft gelobt habe). Nun, ich habe sie bis zur Stunde nur in einer Szene der »Einnahme von Troja« angewandt, einer Oper, von der noch niemand eine Seite kennt. Auch die Übertreibung des Lärms, die Vorliebe für große Trommel, wird mir zum Vorwurf gemacht, obwohl ich sie nur in einer kleinen Anzahl von Stücken verwendet habe, wo ihr Gebrauch begründet ist, und obwohl ich mich, als einziger unter den Kritikern, seit zwanzig Jahren hartnäckig gegen den empörenden Mißbrauch des Fortissimo sträube, gegen die unsinnige Anwendung der großen Trommel, der Posaunen usw. in kleinen Theatern, kleinen Orchestern, kleinen Opern und Operetten, wo man sich jetzt sogar der kleinen Trommel bedient.

Rossini war, in seiner »Belagerung von Korinth«, der wahre Einführer der schmetternden Instrumentation in Frankreich, aber die französischen Kritiker verschweigen in diesem Zusammenhang seinen Namen und die häßliche Übertreibung seiner Manier bei Auber, Halévy, Adam und zwanzig andern, um sie mir desto mehr vorzuwerfen, um sie Weber vorzuwerfen!

Was mich betrifft, so glaube ich, daß dieser komische Irrtum durch die Festkonzerte entstanden ist, wo man mich oft ungeheure Orchester hat dirigieren sehen. Auch der Fürst Metternich fragte mich eines Tages in Wien:

– »Sie sind das doch, der Musik für fünfhundert Musiker komponiert?«

Worauf ich entgegnete:

– »Nicht immer, Durchlaucht, manchmal auch für vierhundertfünfzig.«

Aber was liegt daran? ... Meine Partituren sind heute veröffentlicht; die Genauigkeit meiner Angaben ist leicht zu untersuchen. Und sollte man sie nicht untersuchen, was liegt selbst daran! ...

Hochachtungsvoll
Hector Berlioz.

Paris, 25. Mai 1858.


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