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35.

Die Theater von Genua und Florenz. I Montecchi ed i Capuletti von Bellini. Romeo, von einer Frau gespielt. Paccinis Vestalin. Licinius, von einer Frau gespielt. Der Organist von Florenz. Das Fest del Corpus Domini. Wiedereintritt in die Akademie.

 

Nach Genua zurückgekehrt, ging ich in Paërs Agnese. Diese Oper war berühmt in der dämmernden Übergangszeit, die dem »Aufgang« Rossinis voranging.

Die kalte Langeweile, die mich befiel, war ohne Zweifel der erbärmlichen Aufführung zuzuschreiben, unter der die Schönheiten des Werkes verloren gingen. Ich merkte gleich, daß man der löblichen Absicht gewisser Leute gefolgt war, die, obgleich unfähig, selbst etwas zu schaffen, sich berufen fühlen, alles umzuschaffen oder zu retuschieren, und die mit Adlerblicken alsbald erspähen, woran es einem Werk gebricht. So war denn die weise gemäßigte Instrumentation Paërs durch eine große Trommel verstärkt worden, so zwar, daß unter dem Klöppel des verruchten Instruments das Orchester, welches auf einen solchen Widerstand nicht berechnet war, gänzlich verschwand. Frau Ferlotti sang (sie spielte nicht etwa) die Rolle der Agnes. Als Sängerin, die auf einen Franken genau weiß, was ihr jährlich ihre Kehle einbringt, antwortete sie auf das schmerzliche Wüten ihres Vaters mit der unerschütterlichsten Kaltblütigkeit, mit der vollkommensten Unempfindlichkeit; man hätte denken können, sie sei auf der Probe, denn sie markierte kaum ihre Bewegungen und sang ohne Ausdruck, um sich nicht zu ermüden.

Das Orchester kam mir leidlich vor. Es ist eine kleine, sehr harmlose Schar. Aber die Violinen spielen rein und die Bläser halten recht gut Takt. A propos Violinen ... während ich mich in seiner Vaterstadt langweilte, begeisterte Paganini ganz Paris. Während ich das böse Geschick verwünschte, das mich hinderte, ihn zu hören, suchte ich bei seinen Landsleuten wenigstens einige Nachrichten über ihn zu bekommen. Aber die Genuesen sind, wie alle Bewohner von Handelsstätten, sehr unempfänglich für die schönen Künste. Sie sprachen mit großer Kälte von dem außerordentlichen Manne, den Deutschland, Frankreich und England mit so großem Beifall aufgenommen hatten. Ich fragte nach seinem Vaterhause, man konnte es mir nicht zeigen. Zwar, ich suchte auch in Genua den Tempel, die Pyramide, endlich das Standbild, das, wie ich dachte, dem Kolumbus zu Ehren errichtet worden wäre, und nicht einmal die Büste des großen Mannes, der die neue Welt entdeckt, fiel mir auf, während ich die Straßen der undankbaren Stadt durchstreifte, in der er zur Welt kam und deren Ehre er war.

Von allen Städten Italiens hat mir keine so anmutige Erinnerungen hinterlassen, als Florenz. Ich war weit von jenem Spleen entfernt, dem ich später in Rom und Neapel zum Opfer fiel. Niemand kannte mich und ich kannte niemand, hatte, trotz der gewaltigen Bresche, die der Ausflug nach Nizza in meine Kasse gelegt, einige Hände voll Piaster zu meiner Verfügung, genoß infolgedessen völlige Freiheit und brachte meine Tage auf das behaglichste zu; sei es, daß ich die zahlreichen Denkmäler betrachtete und dabei von Dante und Michelangelo träumte, sei es, daß ich Shakespeare las in jenem köstlichen Hain, der das linke Arnoufer säumt und dessen tiefe Einsamkeit mir erlaubte, meine Bewunderung nach Belieben hinauszuschreien. Da ich wohl wußte, ich würde in der Hauptstadt von Toskana nicht das finden, was ich höchstens von Neapel oder Mailand hoffen durfte, so dachte ich kaum an Musik, als die Gespräche an der Wirtstafel mich belehrten, die Aufführung von Bellinis neuer Oper ( I Montecchi ed i Capuletti) stehe bevor. Man sprach viel Gutes von der Musik, aber auch vom Libretto, was mich höchlich überraschte, da es im allgemeinen selten ist, daß die Italiener von einer Oper Aufhebens machen. Aha, das ist etwas Neues!!! Ich soll also, nach so viel elenden musikalischen Bearbeitungen des herrlichen Werkes eine wirkliche Oper Romeo hören, des großen Shakespeare würdig! Welch ein Vorwurf! Alles wie geschaffen zur Musik! ... Zuerst der glänzende Ball in Capulets Hause, wo der junge Montague, inmitten eines verwirrenden Schwarmes von Schönheiten, zuerst die sweet Juliet bemerkt, deren Treue ihm später das Leben kostet; dann die wütenden Kämpfe in den Straßen Veronas, voran der wilde Tybalt, wie ein Genius der Wut und des Hasses; die unsagbar schöne Nachtszene auf Juliens Balkon, in der die beiden Liebenden ein Zwiegespräch zärtlicher, süßer Liebe flüstern, rein, wie die Strahlen des Abendsterns, der freundlich lächelnd auf sie niederblickt; der beißende Witz des sorglosen Mercutio, das naive Geplauder der alten Amme, der gewichtige Ernst des Eremiten, welcher vergeblich die Wogen der Liebe und des Hasses zu glätten sucht, deren brausender Schlag bis in seine ärmliche Zelle dröhnt ... dann die grauenhafte Katastrophe, der Taumel des Glücks, Hand in Hand mit der Verzweiflung, die Seufzer der Wonne, die in Todesröcheln übergehen, und endlich der feierliche Eid der beiden feindlichen Familien, die, zu spät, an der Leiche ihrer unglücklichen Kinder geloben, den Haß zu besänftigen, durch den so viel Blut und Tränen vergossen worden. Ich eilte nach dem Theater de la Pergola. Die zahlreichen Choristen auf der Bühne machten mir einen ziemlich guten Eindruck; ihre Stimmen klangen voll und hell; vor allem brachten die Altstimmen von einem Dutzend vierzehn- oder fünfzehnjähriger Burschen eine vorzügliche Wirkung hervor. Die Personen traten nacheinander auf und sangen sämtlich falsch, mit Ausnahme von zwei Frauen, deren eine, groß und stark, die Rolle der Julia verkörperte, die andere, klein und schlank, die des Romeo. – Zum dritten oder vierten Male nach Zingarelli und Vaccai schreibt man Romeo für eine Frauenstimme! ... Aber, bei allen Göttern, ist es denn ausgemacht, daß Juliens Geliebter der Merkmale seiner Männlichkeit beraubt sein muß? Ist der ein Kind, der in drei Ausfällen das Herz des wilden Tybalt, des Meisters in der Fechtkunst, durchbohrt? Der dann die Pforte zur Gruft seiner Geliebten sprengt und auf den Stufen des Grabmals den Grafen Paris, der ihn herausfordert, mit einem verächtlichen Stoß tot darniederstreckt? Und seine Verzweiflung, als er verbannt wird, seine düstere, schreckliche Resignation, als er Juliens Tod vernimmt, die krampfhaften Wahnsinnsausbrüche, als er das Gift getrunken, – entspringen all diese vulkanischen Leidenschaften der Seele eines Eunuchen?

Findet man denn die musikalische Wirkung zweier Frauenstimmen besser? ... Wozu sind dann Tenöre, Bässe, Baritone gut? Laßt doch alle Rollen von Sopranstimmen und Altstimmen singen; Moses und Othello werden sich, geflötet, kaum seltsamer ausnehmen, als Romeo. Aber damit muß man sich abfinden; das Werk selbst wird mich entschädigen ...

Welche Enttäuschung!!! In diesem Libretto giebt es keinen Ball bei Capulet, keinen Mercutio, keine schwatzende Amme, keinen ruhigernsten Eremiten, weder die Balkonszene, noch den erlesenen Monolog der Julie, als sie die Fiole vom Eremiten erhält, kein Zwiegespräch in der Klause zwischen dem verbannten Romeo und dem trostlosen Eremiten; keinen Shakespeare, nichts; ein verfehltes Werk. Und dennoch ist dieser Felix Romani ein begabter Dichter, den nur die armseligen Gewohnheiten der italienischen Opernbühnen gezwungen haben, ein so dürftiges Libretto aus Shakespeares Meisterwerk zurecht zu schneidern!

Immerhin wußte der Komponist eine der Hauptszenen sehr schön wiederzugeben: Am Ende eines Aktes entrinnen die beiden Liebenden, die durch den Zorn ihrer Eltern gewaltsam getrennt sind, einen Augenblick dem Zwang, der sie scheidet, und umfangen sich mit dem Ausruf: »Im Himmel sehen wir uns wieder.« Bellini hat zu den Worten, die diesen Gedanken ausdrücken, eine lebhaft bewegte, schwungvolle und leidenschaftliche Melodie geschrieben; sie wird von den beiden im Unisono gesungen. Die zwei Stimmen, die, als Symbol vollkommener Verschmelzung, wie eine einzige ineinander klingen, geben der Melodie eine außerordentliche, treibende Kraft. Lag es nun an der Umgebung der melodischen Phrase, der Art und Weise ihrer Einführung, an der wohlbegründeten Absonderlichkeit des Unisono, das man so gar nicht erwartet, oder endlich an der Melodie selbst – kurz, ich gestehe, daß ich unversehens gerührt wurde und ganz hingerissen applaudierte. Seitdem sind Duette im Unisono außerordentlich mißbraucht worden. –

Entschlossen, den Kelch bis zur Neige zu trinken, wollte ich, einige Tage später, Paccinis Vestalin hören. Obwohl das, was ich davon bereits kannte, mir wohl hätte sagen können, daß dieses Werk mit dem von Spontini nichts als den Titel gemeinsam habe, so war ich doch auf dergleichen nicht gefaßt ... Auch Licinius ward von einer Frau dargestellt ... Nach einigen Augenblicken mühsam gespannter Aufmerksamkeit mußte ich mit Hamlet ausrufen: »Das ist Wermut!«, und, außerstande, mehr davon zu genießen, ging ich mitten im zweiten Akte weg, gab dabei dem Parkett einen heftigen Fußtritt und beschädigte mir die große Zehe derart, daß ich sie noch drei Tage lang spürte. – Armes Italien! ... Wenigstens, wird man sagen, muß in den Kirchen der musikalische Pomp den Zeremonien entsprechen, für die er bestimmt ist. Armes Italien! ... Wir werden später sehen, welche Musik man zu Rom, der Hauptstadt der christlichen Welt, macht: inzwischen erzähle ich, was ich mit eigenen Ohren während meines Florentiner Aufenthalts gehört habe.

Es war kurz nach den Erhebungen von Modena und Bologna, an denen die beiden Söhne des Louis Bonaparte teilgenommen hatten. Ihre Mutter, die Königin Hortense, floh mit dem einen; der andere war gerade in den Armen seines Vaters gestorben. Man hielt den Trauergottesdienst ab; die Kirche, die ganz in Schwarz ausgelegt war, ein ungeheurer Trauerpomp von Priestern, Katafalken, Fackeln, stimmten nicht so sehr zu wehmütigen, großen Gedanken, als die in der Seele erweckten Erinnerungen an den Namen, für den man betete ... Bonaparte! ... So hieß er! ... Es war sein Großneffe! ... Fast sein Enkel! ... Tot mit zwanzig Jahren ... Und seine Mutter floh, den letzten ihrer Söhne dem Beil der Reaktion entreißend, nach England ... Frankreich ist ihr verschlossen ... Frankreich, wo ihr so viele glanzvolle Tage geleuchtet ... Mein Geist eilte den Lauf der Zeiten zurück und zeigte sie mir, wie sie, ein fröhliches Kreolenkind, auf dem Verdeck des Schiffes tanzte, das sie nach der alten Welt führte, sie, die einfache Tochter der Frau Beauharnais, später das Adoptivkind des Herrn von Europa, Königin von Holland, und endlich verbannt, vergessen, verwaist, eine schwergeprüfte Mutter, eine flüchtige Königin ohne Land ... O Beethoven! ... Wo blieb die große Seele, der tiefe, homerische Geist, der die heroische Sinfonie schuf, den Trauermarsch auf den Tod eines Helden und so viele andere große, tragische Dichtungen in Musik, welche die Seele erheben und das Herz beklemmen? Der Organist hatte das kleine Flötenregister gezogen und scherzte in der hohen Lage des Manuals, lustige Liederchen piepsend, wie die Zaunkönige, wenn sie sich, auf einer Gartenmauer, an den bleichen Wintersonnenstrahlen ergötzen ...

Das Fest del Corpus Domini (Fronleichnam) sollte nächstens in Rom gefeiert werden; seit einigen Tagen hörte ich in meiner Umgebung beständig davon reden, wie von einer besonderen Sache. Ich eilte also, mich mit einigen Florentinern, die derselbe Beweggrund leitete, nach der Hauptstadt der päpstlichen Staaten auf den Weg zu machen. Auf der ganzen Reise war von nichts anderem die Rede, als von den Wundern, die zu unserem Erstaunen sich uns darbieten sollten. Die Herrn entrollten mir ein Bild, das über und über von Weihrauchwolken, Tiaren, Mitren, Meßgewändern, strahlenden Kreuzen, goldenen Kleidern usw. funkelte.

– » Ma la Musica?«

– » Oh! signore, lei sentirà un coro immenso!« Dann kamen sie wieder auf die Weihrauchwolken, goldgestickten Kleider, auf die funkelnden Kreuze, das Dröhnen der Glocken und Kanonen zurück. Aber »der Frosch hüpft wieder in den Pfuhl«.

– » La musica?« fragte ich nochmals, » la musica di questa ceremonia?«

– » Oh! signore, lei sentirà un coro immenso!«

– »Nun, nach allem scheint es wirklich ... ein Riesenchor zu sein.«

Ich dachte schon an den musikalischen Pomp der religiösen Feste in Salomos Tempel; meine Phantasie entflammte sich mehr und mehr, ich begann schon auf etwas zu hoffen, das der gigantischen Pracht des alten Ägypten gleichkäme ... verwünschte Eigenschaft, die aus unserm Leben ein beständiges Wunder macht! ... Ohne sie hätte ich vielleicht an dem spröden, mißtönenden Fistulieren der castrati Gefallen gefunden, die einen geschmacklosen Kontrapunkt hören ließen; ohne sie wäre ich sicherlich gar nicht erstaunt gewesen, bei der Prozession den Schwarm junger Mädchen zu vermissen, die, weißgekleidet, die Gesichter von religiöser Empfindung verklärt, mit reiner, frischer Stimme fromme Gesänge gen Himmel hauchen: harmonische Düfte lebendiger Rosen; ohne diese verhängnisvolle Phantasie hätten mich die beiden Gruppen dieser Klarinetten mit ihrem Entengeschrei, die brüllenden Posaunen, rasenden großen Trommeln, die gauklerischen Trompeten nicht durch ihren ruchlosen, rohen Mißklang empört. Freilich hätte man dann auch seine Ohren abstellen müssen. Man nennt das in Rom »Militärmusik«. Wenn der alte Eselreiter Silen, gefolgt von einer Schar grober Satyren und unkeuscher Bacchantinnen, von einem solchen Konzert begleitet wird, so ist nichts natürlicher – aber das heilige Sakrament, der Papst, die Bilder der Jungfrau ...! Barbarisch! Barbarisch! Der Papst ist barbarisch, wie fast alle andern Herrscher. Das römische Volk ist barbarisch, wie alle andern Völker. Dennoch war dies nur das Vorspiel der Mystifikationen, die mich erwarteten. Aber ich greife vor!

So war ich denn in der Villa Medici rehabilitiert, wohl aufgenommen vom Direktor, gefeiert von meinen Kameraden, deren Neugierde wegen des Zwecks meiner soeben beendeten Pilgerfahrt zweifellos geweckt war, die aber dennoch im Hinblick auf mich die größte Zurückhaltung bewahrten.

Ich war abgereist, ich hatte meine Gründe dazu gehabt; ich war wieder da, das war erstaunlich; keine Erklärungen, keine Fragen.


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