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32.

Von Marseille nach Livorno. Sturm. Von Livorno nach Rom. Die französische Akademie zu Rom.

 

Die Jahreszeit war zu schlecht, als daß die Reise durch die Alpen mir einige Annehmlichkeiten hätte bieten können; so entschloß ich mich, sie zu umgehen, und begab mich nach Marseille. Hier sah ich zum ersten Male das Meer. Ich suchte ziemlich lange nach einem reinlichen Schiff, daß nach Livorno in See ginge; aber ich fand immer nur ordinäre kleine Fahrzeuge, die mit Wolle, Öltonnen, Knochenhaufen zur Fabrikation von Beinschwarz beladen waren, und einen unausstehlichen Gestank ausströmten. Überdies war kein Platz zu finden, auf dem ein anständiger Mensch sich hätte einrichten können; man bot mir weder Lebensmittel noch Obdach. Ich sollte mir meinen Unterhalt selbst beschaffen und mir für die Nacht einen Hundestall in einer Ecke des Schiffs zurechtmachen, die man mir bereitwillig zur Verfügung stellen wollte. Dazu als einzige Gesellschaft vier Matrosen mit Buldoggengesichtern, für deren Redlichkeit ich nicht die geringste Gewähr hatte. Ich weigerte mich. Ein paar Tage lang mußte ich die Zeit mit Umherstreifen in den Nachbarfelsen von Notre-Dame de la Garde totschlagen, eine Beschäftigung, an der ich immer sonderlichen Geschmack fand.

Endlich hörte ich die bevorstehende Abfahrt einer Sardinischen Brigg ankündigen, die sich nach Livorno begab. Einige junge Leute von freundlichem Aussehen, die ich auf der »Cannebière« traf, teilten mir mit, sie seien Passagiere dieses Fahrzeugs, und wir täten gut, uns gemeinsam zu verproviantieren. Der Kapitän wollte sich in keiner Weise um unsern Tisch bekümmern. Infolgedessen mußte man sich vorsehen. Wir nahmen Lebensmittel auf eine Woche mit und glaubten Überfluß zu haben, da die Überfahrt von Marseille nach Livorno bei günstiger Witterung nicht mehr als drei bis vier Tage in Anspruch nimmt. Es ist etwas Köstliches um eine erste Reise auf dem Mittelmeer, wenn das Wetter schön, das Schiff erträglich ist und man nicht an der Seekrankheit leidet. Die beiden ersten Tage konnte ich meinen guten Stern nicht genug preisen, der mich so wohl fahren ließ und mich allein mit dem Übel verschonte, von dem die andern Reisenden grausam gefoltert wurden. Unsere Mahlzeiten auf Deck im herrlichen Sonnenschein, angesichts der Sardinischen Küste, waren recht angenehme Zusammenkünfte. Alle diese Herren waren Italiener und hatten den Kopf voll Geschichten, die nicht immer glaubhaft, aber sehr interessant waren. Der eine hatte in Griechenland, wo er sich an Canaris angeschlossen, die Sache der Freiheit verfochten, und wir wurden nicht müde, ihn nach Einzelheiten über den heldenhaften Anführer auszufragen, der ruhmlos zu verlöschen schien, nachdem er zuvor in plötzlichem, schreckhaften Glanze aufgeleuchtet hatte, wie die Explosion seiner Minen. Ein Venetianer von ziemlich übeln Manieren, der sehr schlecht französisch sprach, wollte die Korvette Byrons, während der abenteuerlichen Züge des Dichters im adriatischen und griechischen Archipel, befehligt haben. Er beschrieb uns aufs genaueste die glänzende Uniform, die sich Byron hatte machen lassen, die Orgien, die sie miteinander feierten; er vergaß auch die Lobsprüche nicht, die der berühmte Reisende seinem Mute gespendet hatte. Während eines Sturmes hatte Byron den Kapitän aufgefordert, in seine Kajüte zu kommen, um eine Partie Ecarté mit ihm zu spielen. Der nahm, anstatt auf seiner Brücke zu bleiben und die Hantierungen zu überwachen, die Einladung an. Als die Partie begonnen hatte, wurden die Bewegungen des Schiffes so heftig, daß der Tisch und die Spieler hart zu Boden fielen.

– »Nehmen Sie die Karten auf und fahren wir fort!« rief Byron.

– »Gern, Mylord.«

– »Kommandant, Sie sind ein tapfrer Mann!«

Kann sein, daß an alledem nicht ein wahres Wort ist, aber man muß gestehen, daß die galonnierte Uniform und die Partie Ecarté dem Verfasser der Lara recht ähnlich sehen; überdies hatte der Erzähler nicht genug Geist, um seinen Geschichten den Duft des Lokalkolorits zu geben, und das Vergnügen, das ich empfand, mich mit einem Teilnehmer an der Pilgerfahrt des Child Harold Seite an Seite zu befinden, machte mich vollends gläubig. Aber unsere Überfahrt schien sich nicht merklich ihrem Ziele zu nähern. Eine vollkommene Windstille hatte uns im Angesicht Nizzas festgebannt; sie hielt uns da drei ganze Tage auf. Die leichte Brise, die sich allabendlich erhob, ließ uns etliche Meilen gewinnen, aber sie flaute während zweier Stunden ab, und eine Gegenströmung, die längs dieser Küsten herrscht, führte uns nachts ganz leise an unsern Ausgangspunkt zurück. Jeden Morgen, wenn ich auf Deck kam, galt meine erste Frage an die Matrosen dem Namen der Stadt, die man am Ufer liegen sah, und jeden Morgen erhielt ich die Antwort: » È Nizza, Signore. Ancora Nizza. È sempre Nizza!« Ich begann zu glauben, die anmutige Stadt Nizza sei mit magnetischer Kraft begabt, die auf unser Fahrzeug eine unwiderstehliche Anziehung ausübe, wenn sie auch nicht Stück für Stück die Eisenteile aus unserer Brigg zog, wie es, nach Aussage der Matrosen, vorkommen soll, wenn man sich den magnetischen Polen nähert. Ein wütender Nordwind, der uns von den Alpen her gleich einer Lawine anfiel, riß mich aus meinem Irrtum. Der Kapitän begrüßte freudig die schöne Gelegenheit, die verlorne Zeit einzuholen und hißte alle Segel. Das Schiff, seitlich gefaßt, schwankte entsetzlich. Indessen war ich sehr rasch an diesen Anblick gewöhnt, der mich in den ersten Augenblicken aufgeregt hatte. Aber als wir, gegen Mitternacht, in den Golf von la Spezzia einliefen, wuchs die Wut der Tramontana dergestalt, daß selbst die Matrosen vor dem Eigensinn des Kapitäns, der alle Segel draußen lassen wollte, zitterten. Es war ein wirklicher Sturm, den ich ein andermal im guten akademischen Stil beschreiben will. An eine Eisenstange des Verdecks geklammert, bewunderte ich unter heimlichem Herzklopfen das seltene Schauspiel, während der venetianische Kommandant, von dem ich früher berichtete, finstern Blicks den Kapitän maß, der damit beschäftigt war, Kurs zu halten. Er erging sich von Zeit zu Zeit in mißbilligenden Ausrufungen: »Das ist Wahnsinn! ... Welche Halsstarrigkeit! Der Dummkopf will wohl, daß wir kentern! ... So ein Sturm und fünfzehn Segel!« Der andre sprach kein Wort, er begnügte sich, am Steuer zu bleiben, als ein furchtbarer Windstoß das Schiff stürzte und es fast ganz auf die Seite legte. Es war ein schrecklicher Augenblick. Während unser Tolpatsch von Kapitän mitten unter den Tonnen rollte, die der Stoß nach allen Richtungen des Verdecks zerstreut hatte, schwang sich der Venetianer ans Steuer und übernahm den Befehl über die auszuführenden Manöver mit einer zwar ungesetzmäßigen, aber durch den Vorfall wohl gerechtfertigten Autorität, die der Instinkt der Matrosen angesichts der drohenden Gefahr anerkannte. Einige darunter glaubten sich verloren und riefen schon die Madonna um Hilfe an. »Hier handelt sich's nicht um die Madonna, Gott verflucht!« rief der Kommandant, »an die Bramstange! Alles an die Bramstange!« Und, beim Anruf des Kapitäns aus dem Stegreif, waren die Masten im Augenblick mit Menschen bedeckt, die Hauptsegel eingezogen; das Schiff hob sich zur Hälfte, gestattete die Ausführung der Einzelarbeiten, und wir waren gerettet.

Andern Tages erreichten wir Livorno, mit einem einzigen Segel, so heftig war der Wind. Einige Stunden nach unserer Einquartierung im Gasthof zur Aquila nera kamen unsere Matrosen in corpore auf Besuch, scheinbar in eigennütziger Absicht, in Wirklichkeit aber nur zu dem Zwecke, sich der gerade glücklich überstandenen Gefahr gemeinsam mit uns zu freuen. Die armen Teufel, die zur Not das Stück Stockfisch und den Zwieback verdienen, aus denen ihr tägliches Brot besteht, wollten unser Geld durchaus nicht annehmen, und nur mit Mühe und Not brachten wir sie schließlich zum Bleiben und Teilnehmen an einem improvisierten Frühstück. Ein solches Zartgefühl ist selten, besonders in Italien, und der Aufzeichnung wert.

Meine Reisegefährten hatten mir während der Überfahrt anvertraut, daß sie zum Aufstand, der gegen den Herzog von Modena ausgebrochen war, herbeigeeilt seien. Sie waren von der lebhaftesten Begeisterung beseelt und glaubten schon am Vorabend der Befreiung ihres Vaterlandes zu stehen. Wenn Modena gefallen war, sollte ganz Toskana sich erheben; man würde ohne Verzug auf Rom marschieren; übrigens würde es Frankreich nicht an seiner Unterstützung eines so edlen Unternehmens fehlen lassen usw. usw. Aber ach! Ehe sie noch Florenz erreichten, wurden zwei von ihnen von der Polizei des Großherzogs angehalten und in einen Kerker geworfen, in dem sie vielleicht noch heute schmachten; die andern sollen sich, wie ich später hörte, in den Reihen der Patrioten von Modena und Bologna ausgezeichnet, aber als Gefährten des tapfern, unglücklichen Menotti all dessen wechselnden Geschicke miterlebt und sein Los geteilt haben. Das war das tragische Ende der schönen Freiheitsträume.

Nach einem Abschied, den ich nicht auf immer zu nehmen glaubte, blieb ich allein in Florenz zurück und traf meine Vorbereitungen zur Reise nach Rom. Der Zeitpunkt war sehr ungünstig, und in meiner Eigenschaft als Franzose, der aus Paris kommt, war mir das Betreten der päpstlichen Staaten noch mehr erschwert. Man weigerte sich, meinen Paß zu diesem Zwecke zu visieren; die Pensionäre der Akademie waren hochverdächtig, die aufständische Bewegung auf der Piazza Colonna geschürt zu haben, und der Papst begünstigte begreiflicherweise nicht gerade das Anwachsen der kleinen revolutionären Republik. Ich schrieb an unsern Direktor, Herrn Horace Vernet, der, nach wiederholtem energischen Einspruch, vom Kardinal Bernetti die Vollmacht erhielt, die ich brauchte.

Durch einen merkwürdigen Zufall war ich allein von Paris abgereist; ich hatte, als der einzige Franzose, die Überfahrt von Marseille nach Livorno mitgemacht; als einziger Fremder fand ich in Florenz den Vetturino zur Reise nach Rom bereit und kam in gänzlicher Einsamkeit dort an. Zwei Bände Memoiren über die Kaiserin Josephine, die mir der Zufall bei einem Sieneser Antiquar in die Hände gespielt, halfen mir die Zeit totschlagen, während meine alte Berline friedlich dahinzog. Mein Phaeton verstand kein Wort französisch; ich für mein Teil kannte nur einige italienische Redensarten, zum Beispiel: » Fa molto caldo. Piove. Quando lo pranzo?« Es war schwer, unsere Unterhaltung anziehend zu gestalten. Der Anblick des Landes war recht wenig malerisch, und der vollkommene Mangel an Bequemlichkeit in den Flecken oder Dörfern, wo wir uns aufhielten, ließ mich vollends Italien und die alberne Notwendigkeit, die mich hierher führte, verwünschen. Aber eines Tages, gegen zehn Uhr morgens, als wir gerade eine kleine Häusergruppe, la Storta genannt, erreicht hatten, sagte auf einmal der Vetturino, der sich ein Glas Wein eingoß, in gleichgültigem Tone zu mir: » Ecco Roma, Signore!« Diese wenigen Worte bewirkten eine völlige Umwandlung in mir; ich kann die Verwirrung, die Ergriffenheit nicht beschreiben, die mich beim Anblick der fernen ewigen Stadt inmitten der ungeheuern, nackten, trostlosen Ebene befielen. Alles erschien meinen Augen groß, poetisch, erhaben. Die imposante Majestät der Piazza del Popolo, über die man Rom betritt, wenn man von Frankreich kommt, vermehrte bald darauf noch meine andächtige Rührung, und ich war wie im Traume, als die Pferde, deren Langsamkeit ich nun nicht mehr verfluchte, vor einem Palaste von edler, strenger Bauart hielten. Es war die Akademie.

Die Villa Medici, die von den Pensionären und dem Direktor der französischen Akademie bewohnt wird, wurde im Jahre 1557 von Annibal Lippi erbaut; später fügte ihr Michelangelo einen Flügel und sonstige Verschönerungen an; sie liegt auf dem Teil des Monte Pincio, der die Stadt beherrscht, und von dem man eine der schönsten Aussichten der Welt genießt. Zur Rechten breitet sich die Promenade des Pincio aus; es ist die Avenue des Champs-Élysées von Rom.

Allabendlich, wenn die Hitze sich zu legen beginnt, wird sie überschwemmt von Spaziergängern zu Fuß, zu Pferd, und vor allem in offener Kalesche, die eine Zeitlang die Einsamkeit der großartigen Höhe beleben, sie aber Schlag sieben Hals über Kopf verlassen und sich zerstreuen wie ein vom Wind verwehter Mückenschwarm. So groß ist die abergläubische Furcht, welche die Römer vor der »schlechten Luft« empfinden; und wenn ein Häuflein später Spaziergänger, dem verderblichen Einfluß der aria cattiva trotzend, noch nach dem Verschwinden der Menge verweilt, um die Pracht der herrlichen Landschaft zu bewundern, die sich im Scheine der hinter dem Monte Mario untergehenden Sonne ausbreitet, so kann man sicher sein: diese leichtsinnigen Träumer sind Fremde.

Zur Linken der Villa stößt die Allee des Pincio auf den kleinen Platz der Trinità del Monte, der mit einem Obelisk geschmückt ist, von wo eine breite Marmortreppe nach Rom hinabführt und zur unmittelbaren Verbindung zwischen der Kuppe des Hügels und dem spanischen Platze dient.

Auf der andern Seite läuft der Palast auf schöne Gärten hinaus, die im Geschmack von Lenôtre angelegt sind, wie sich das für die Gärten jeder anständigen Akademie schickt. Ein Teil davon besteht aus einem Hain von Lorbeerbäumen und grünen Eichen auf einer Terrasse, die auf der einen Seite von den Wällen Roms, auf der andern vom Kloster der französischen Ursulinen begrenzt wird, das ans Gelände der Villa Medici heranreicht.

Gegenüber sieht man, inmitten unbebauter Felder der Villa Borghese, das melancholische, verlassene Landhaus, das von Raffael bewohnt wurde; und, wie um das trübe Bild noch düsterer zu machen, rahmt ein Kranz schirmartiger Pinien, die beständig von einem Heer schwarzer Raben bedeckt sind, den Horizont ein.

So ungefähr sieht die wahrhaft königliche Lage des Ortes aus, mit der die französische Regierung ihre Künstler für die Zeit ihres römischen Aufenthaltes beschenkt hat. Die Wohnräume des Direktors sind auffallend luxuriös ausgestattet; mancher Gesandte wäre froh, wenn er sie hätte. Hingegen sind die Zimmer der Pensionäre, mit Ausnahme von zweien oder dreien, klein, unbequem und vor allen Dingen äußerst schlecht möbliert. Ich wette, ein Regimentsquartiermeister der Pariser Popincourt-Kaserne ist in dieser Hinsicht besser daran, als ich es im Palast der Accademia di Francia war. Die meisten Ateliers der Maler und Bildhauer befinden sich im Garten; die übrigen sind im Innern des Hauses und auf einer kleinen erhöhten Altane zerstreut, die auf den Garten der Ursulinen geht, von wo die Kette der Sabinerberge, der Monte Cavo und das Lager Hannibals sichtbar sind. Des weiteren ist eine Bibliothek, die neuer Werke ganz entbehrt, aber recht gut mit klassischen Büchern versehen ist, bis drei Uhr den fleißigen Schülern geöffnet, und bietet denen, die es nicht sind, Schutz gegen Langeweile. Denn die Freiheit, die sie genießen, ist sozusagen unbegrenzt. Wohl sind die Pensionäre gehalten, alljährlich ein Bild, einen Plan, eine Münze oder eine Partitur an die Pariser Akademie zu schicken, aber, wenn das erst geschehen, können sie ihre Zeit nach Gutdünken oder auch gar nicht verwenden, ohne daß ein Hahn darnach krähte. Die Tätigkeit des Direktors beschränkt sich darauf, die Anstalt zu verwalten und die Erfüllung der Vorschriften, unter denen sie steht, zu überwachen. Was die Leitung der Studien angeht, so übt er in dieser Beziehung nicht den geringsten Einfluß aus. Versteht sich: da die zweiundzwanzig Schülerpensionäre sich mit fünf Künsten beschäftigen, die, wenn man will, Schwestern, aber ungleiche Schwestern, sind, so kann sie ein einzelner Mann unmöglich alle beherrschen, und es wäre nicht angebracht, wenn er zu denen, die ihm fremd sind, seine Meinung gäbe.


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