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17.

Vorurteil gegen Opern mit italienischem Text. Dessen Wirkung auf den Eindruck, den mir gewisse Werke Mozarts machen.

 

Wie gesagt, war ich zur Zeit meiner ersten Bewerbung am Institut ausschließlich dem Studium des großen dramatischen Stiles in der Musik hingegeben. Ich sprach von der lyrischen Tragödie, und sie war der Grund der Kühle meiner Bewunderung für Mozart.

Gluck und Spontini hatten allein die Macht, mich zu begeistern. Was war nun die Ursache meiner Lauigkeit gegen den Komponisten des Don Juan? Die beiden Opern von ihm, die in Paris am meisten gegeben wurden, waren Don Juan und Figaro. Aber sie wurden dort auf italienisch gesungen, durch Italiener und im Théâtre-Italien; und dies genügte, daß ich mich einer gewissen Befremdung gegenüber diesen Meisterwerken nicht erwehren konnte. Sie hatten in meinen Augen den Makel, scheinbar der ultramontanen Schule anzugehören. Überdies, und das ist verständlicher, hatte mich eine Stelle in der Partie der Donna Anna unangenehm berührt, an der Mozart das Unglück hatte, eine erbärmliche Vokalise zu schreiben, die einen Flecken in seiner lichtvollen Partitur bedeutet. Ich spreche vom Allegro der Sopranarie im zweiten Akt, einer Arie, in der sich tiefste Niedergeschlagenheit kundgibt, in der alle Poesie der Liebe sich ganz in Tränen und Trauer zeigt, und wo man trotzdem gegen Ende lächerliche Passagen von so abstoßender Geschmacklosigkeit findet, daß man kaum glauben sollte, sie hätten der Feder eines solchen Mannes entwischen können. Donna Anna scheint hier ihre Tränen zu trocknen und sich mit einem Male unehrbaren Belustigungen hinzugeben. Die Worte lauten an dieser Stelle: Forse un giorno il cielo ancora sentirà a-a-a (hier folgt ein unglaublicher Lauf schlechtesten Stils) pietà di me. Gewiß für das edle, geschändete Mädchen eine sonderbare Art, die Hoffnung auszusprechen, »daß sich der Himmel eines Tages ihrer erbarmen werde!« ... Es ist mir schwer gefallen, Mozart etwas derart Abscheuliches zu verzeihen. Heute weiß ich, daß ich einen Teil meines Blutes hergeben würde, um diese schändliche Seite auszulöschen, sie und einige andere, deren Dasein in seinen Werken man wohl wird zugeben müssen. Ich finde selbst das Beiwort »schändlich« noch zu schwach, um diese Stelle zu brandmarken. Mozart hat gegen die Leidenschaft, gegen das Gefühl, gegen den guten Geschmack und gesunden Verstand eines der häßlichsten, unsinnigsten Verbrechen begangen, die man aus der Kunstgeschichte anführen kann.

Ich konnte also nicht anders, als seinen dramatischen Lehren mißtrauen, und das genügte, um das Thermometer meiner Begeisterung bis in die Nähe des Nullpunktes sinken zu lassen. Zwar hatte mich die religiöse Erhabenheit der »Zauberflöte« mit Bewunderung erfüllt; aber ich machte ihre Bekanntschaft zuerst in dem Pasticcio »Die Mysterien der Isis« und hatte erst später Gelegenheit, in der Bibliothek des Konservatoriums die ursprüngliche Partitur kennen zu lernen und sie mit dem kläglichen französischen Potpourri zu vergleichen, das in der Oper aufgeführt wurde.

Das dramatische Gesamtwerk des großen Komponisten war mir, wie man sieht, schlecht vorgeführt worden, und erst nach Jahren konnte ich, dank minder ungünstiger Umstände, seinen Zauber und vollendete Anmut genießen. Die wundersamen Schönheiten seiner Quartette, Quintette und einiger seiner Sonaten ließen mich zuerst den himmlischen Genius verehren, dessen Reinheit nur an manchen Orten durch allzuoft bewiesene Vorliebe für die Italiener und Pädagogen des Kontrapunkts getrübt werden konnte.


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