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50.

Herr von Rémussat beauftragt mich, die Trauer- und Triumphsinfonie zu schreiben. Ihre Aufführung. Ihre Popularität in Paris. Ein Wort Habenecks. Spontini findet ein Eigenschaftswort für dieses Werk. Sein Irrtum, das Requiem betreffend.

 

Als im Jahre 1840 der Juli herankam, wollte die französische Regierung den zehnten Jahrestag der Revolution von 1830 festlich begehen, und die Überführung der mehr oder weniger heldenhaften Opfer der drei Tage feiern durch das Denkmal, das eben für sie auf dem Bastilleplatz errichtet worden war. Herr de Rémussat war damals Minister des Innern; ganz zufällig ist er, wie Herr de Gasparin, Musikfreund. Der Gedanke kam ihm, mich für die Zeremonie der Überführung der Toten eine Sinfonie schreiben zu lassen. Form und Art der Ausführung waren mir gänzlich überlassen. Man bewilligte mir zu dieser Arbeit die Summe von zehntausend Franken, von der ich die Kosten für Kopiatur und Mitwirkende bezahlen mußte.

Ich glaubte, für ein Werk dieser Art sei der einfachste Plan der beste, und für eine Sinfonie, die (wenigstens zum ersten Male) im Freien gehört werden solle, eigne sich allein eine Menge von Blasinstrumenten. Zuerst wollte ich, inmitten der Trauerklänge eines zugleich gewaltigen und schmerzlichen Marsches, der während der Dauer des Zuges gespielt werden sollte, an die Kämpfe der drei berühmten Tage erinnern; dann eine Art Grabrede oder Abschied, gerichtet an die erlauchten Toten, hören lassen, im Augenblick, da die Körper in die monumentale Gruft versenkt würden, und endlich eine Siegeshymne erklingen lassen, wenn sich die Grabstätte geschlossen und das Volk nichts anderes im Auge hätte, als die hohe Säule, über der sich die Freiheit mit ausgebreiteten Flügeln gen Himmel schwingt, wie die Seele derer, die für sie starben.

Ich hatte den Trauermarsch so ziemlich beendet, als das Gerücht sich verbreitete, die Feierlichkeiten im Juli würden nicht stattfinden. »Schön!« sagte ich mir, »das ist das Gegenstück zur Geschichte des Requiems! Nicht weiter; ich kenne meine Pappenheimer!« So brach ich denn kurzerhand ab. Aber als ich, nach ein paar Tagen, durch Paris schlenderte und mich der Einfahrt zum Hause des Ministers des Innern näherte, bemerkte mich Herr de Rémussat, ließ seinen Wagen halten, gab mir ein Zeichen, und ich trat heran. Er wollte wissen, wie weit ich mit meiner Sinfonie wäre. Ich sagte ihm rund heraus, aus welchem Grund ich meine Arbeit unterbrochen hätte und fügte hinzu, daß ich mich noch der Angst erinnere, in die mich die Zeremonie für Marschall Damrémont und das Requiem versetzt hätten.

– »Aber das Gerücht, das Sie beunruhigt, ist vollkommen falsch,« sagte er, »nichts ist geändert; die Einweihung der Bastillensäule, die Überführung der Gefallenen vom Juli, alles wird stattfinden, und ich rechne auf Sie. Beendigen Sie schleunigst Ihr Werk.«

Trotz meines nur zu wohl begründeten Mißtrauens zerstreute die Versicherung des Herrn de Rémussat meine Besorgnisse, und ich ging gleich wieder ans Werk. Als Marsch und Grabrede fertig waren und ich das Thema der Apotheose gefunden hatte, wurde ich ziemlich lange aufgehalten durch die Fanfare, die ich aus den Tiefen des Orchesters allmählich aufsteigen lassen wollte bis zu dem hohen Ton, mit dem die Apotheose glanzvoll einsetzt. Ich schrieb ihrer, ich weiß nicht wieviele; sie hatten aber alle meinen Beifall nicht. Entweder fielen sie gewöhnlich aus, oder zu klein in der Form, oder zu wenig feierlich, oder nicht volltönend genug, oder schlecht im Aufbau. Ich träumte vom Drommetengeschmetter der Erzengel, das, einfach, aber vornehm, gleichsam in Wehr und Waffen, im strahlenden Triumphe sich aufschwingen sollte, dröhnend und ungeheuerlich, Himmel und Erden die Eröffnung der feurigen Tore des Jenseits kündend. Endlich blieb ich, nicht ohne Befürchtung, bei der jetzt bekannten Fassung. Der Rest war bald geschrieben. Später brachte ich, wie gewöhnlich, meine Korrekturen und Modifikationen an, bereicherte die Sinfonie um ein Orchester von Saiteninstrumenten und einen Chor, die, ohne unentbehrlich zu sein, die Wirkung doch ungemein heben.

Ich verpflichtete für die Zeremonie eine Militärmusik von zweihundert Mann, die Habeneck auch diesmal gerne geleitet hätte, deren Direktion ich mir aber klugerweise vorbehielt. Ich hatte den Streich mit der Tabaksdose nicht vergessen.

Zum großen Glück hatte ich den Gedanken, eine zahlreiche Hörerschaft zur Hauptprobe der Sinfonie einzuladen; denn am Tage der Feier konnte man sie nicht beurteilen. Ungeachtet der Macht eines solchen Orchesters von Blasinstrumenten hörte man uns, während der Zug marschierte, wenig und schlecht. Mit Ausnahme dessen, was auf dem Wege längs des Boulevard Poissonnière gespielt wurde, dessen große, damals noch vorhandenen Bäume als Schallverstärker wirkten, ging alles verloren.

Auf dem weiten Platz der Bastille war es noch schlimmer; auf eine Entfernung von zehn Schritt verstand man fast nichts mehr. Um das Unglück voll zu machen, begannen die Kompagnien der Nationalgarde, die ungeduldig wurden, weil sie bis zum Schluß der Feier mit geschultertem Gewehr in der heißen Sonne aushalten sollten, ihren Abzug beim Schall von etwa fünfzig Trommeln, die, während der ganzen Apotheose, fortfuhren brutal zu wirbeln, so daß infolgedessen kein Ton durchdrang. Die Musik wird in Frankreich bei Festen oder öffentlichen Vergnügungen immer so geachtet; man erblickt ihre Aufgabe in einer Schaustellung fürs Auge.

Aber ich wußte das, und die Hauptprobe im Saal Vivienne war meine eigentliche Aufführung. Sie erzielte eine so große Wirkung, daß der Unternehmer der in diesem Saale veranstalteten Konzerte mich für vier Abende verpflichtete, an denen die neue Sinfonie an erster Stelle stand und die viel Geld einbrachten.

Beim Verlassen eines dieser Konzerte sagte Habeneck, mit dem ich, aus unbekannten Gründen, wieder überworfen war: »Der Kerl hat entschieden große Gedanken.« Acht Tage später sagte er wahrscheinlich das Gegenteil. Diesmal war von Pfennigfuchserei von seiten des Ministeriums keine Rede. Herr de Rémussat benahm sich als Gentleman; die zehntausend Franken wurden mir prompt erstattet. Als Orchester und Kopist bezahlt waren, blieben mir zweitausendachthundert Franken. Das ist wenig, aber der Minister war zufrieden, und das Publikum bewies mir bei jeder Aufführung meines neuen Werkes, daß dieses die Gabe, zu gefallen, in höherem Maße besitze, als alle seine Vorgänger, ja sogar, bis zur Narretei hinzureißen. Eines Abends im Saal Vivienne kamen nach der Apotheose einige junge Leute auf den Einfall, die Stühle zu nehmen und mit Geschrei am Boden zu zertrümmern. Der Eigentümer gab unverzüglich Weisung, an den folgenden Abenden die Verbreitung der neuen Art von Beifallsbezeugung zu verhindern.

Auf diese Sinfonie hin, die, lange nachher, im Saale des Konservatoriums mit den beiden Orchestern, aber ohne Chor, aufgeführt wurde, schrieb mir Spontini einen langen, merkwürdigen Brief, den ich dummerweise einem Autographensammler überließ und von dem ich hier leider keine Kopie geben kann. Ich weiß nur, daß er begann: »Noch unter dem Eindruck Ihrer erschütternden Musik stehend« usw.

Dies einzige Mal hat er, trotz seiner Freundschaft für mich, meinen Kompositionen Lob gespendet. Er pflegte sie zu hören, ohne je mit mir darüber zu sprechen. Doch nein: einmal noch geschah es nach einer großen Aufführung meines Requiems in der Eustachiuskirche. An diesem Tage sagte er:

– »Sie tun unrecht, die Bestimmung des Institutes, das seine Laureaten nach Rom schickt, zu tadeln: Sie hätten, ohne Michel Angelos ›Jüngstes Gericht‹ ein solches Requiem nicht erfunden.«

In diesem Punkte täuschte er sich gewaltig; denn das berühmte Freskogemälde der sixtinischen Kapelle hat mir nur grimmige Enttäuschung bereitet. Ich sehe darin eine Szene höllischer Qualen, aber ganz und gar nicht die letzte Versammlung der Menschheit. Schließlich verstehe ich überhaupt nichts von Malerei und bin für konventionelle Schönheit wenig empfänglich.


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