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7.

Eine erste Oper. Herr Andrieux. Eine erste Messe. Herr de Chateaubriand.

 

Einige Monate nach meiner Aufnahme unter die Privatschüler von Lesueur (zu denen des Konservatoriums gehörte ich noch nicht) setzte ich mir in den Kopf, eine Oper zu schreiben. Das literarische Kolleg bei Andrieux, das ich fleißig hörte, brachte mich auf diesen geistreichen alten Herrn, und ich hatte die sonderbare Idee, mich wegen des Libretto an ihn zu wenden. Ich weiß nicht, was ich ihm hierüber schrieb, aber seine Antwort lautete so:

»Sehr geehrter Herr!

Ihr Brief hat mich lebhaft interessiert; die Begeisterung, die Sie für die schöne Kunst zeigen, in deren Dienst Sie stehen, gewährleistet Ihnen Erfolge darin; ich wünsche sie Ihnen von ganzem Herzen und wollte nur, ich könnte dazu beitragen. Aber die Beschäftigung, die Sie mir vorschlagen, ist nichts mehr für mein Alter: meine Gedanken und Strebungen sind anderswohin gerichtet; ich würde Ihnen als Barbar erscheinen, wenn ich Ihnen sagte, wieviele Jahre ich nicht mehr den Fuß in die Oper oder ins Feydeau gesetzt habe, ich bin vierundsechzig Jahre alt, es stünde mir schlecht, Liebesverse zu machen, und was die Musik betrifft, so darf ich höchstens an ein Requiem denken. Ich bedaure, daß Sie nicht dreißig oder vierzig Jahre früher auf die Welt gekommen sind, oder ich um so viel später. Dann hätten wir zusammenarbeiten können. Nehmen Sie meine nur zu wohl begründeten Entschuldigungen entgegen, zugleich mit meinem aufrichtig ergebenen Gruße.

17. Juni 1823.«
Andrieux.

Herr Andrieux war so freundlich, mir seinen Brief selbst zu bringen. Er plauderte lange mit mir und sagte beim Weggehen: »Ach, auch ich bin in meiner Jugend ein leidenschaftlicher Verehrer der Musik gewesen. Ich war ein toller Piccinist ... und doch Gluckist.«

Entmutigt durch diesen ersten Mißerfolg bei einer literarischen Größe, flüchtete ich bescheiden zu Gerono, der sich ein wenig Poet fühlte. Ich bat ihn (man bewundere meine Unschuld!), mir Estelle von Florian zu dramatisieren. Er entschloß sich dazu, und ich setzte sein »Werk« in Musik. Glücklicherweise hörte niemand je etwas von dieser Komposition, die mir von meinen Meylaner Erinnerungen aufsuggeriert worden war. Ohnmächtige Erinnerungen! Denn meine Partitur war ebenso lächerlich – um nicht mehr zu sagen –, als das Stück und die Verse Geronos. Auf dieses rosarote Werk folgte, als Gegensatz, eine sehr düstere Szene, die dem Drama Saurins »Beverley oder der Spieler« entnommen war. Ich begeisterte mich ernstlich für dieses ungestüme Musikstück, das für eine Baßstimme mit Orchester geschrieben war und das ich von Dérivis singen lassen wollte, dem es, wie mir schien, liegen mußte. Das Schwierige dabei war, eine günstige Gelegenheit zur Aufführung ausfindig zu machen. Ich glaubte sie gefunden zu haben, als ich das Théatre-Français eine Benefizvorstellung für Talma ankündigen sah, auf deren Programm Athalia mit den Chören von Gossec stand. – Da ja Chöre dabei sind, sagte ich mir, wird auch ein Orchester vorhanden sein, sie zu begleiten; meine Szene ist leicht aufzuführen, und wenn sie Talma in sein Programm aufnehmen will, wird sich Dérivis sicher nicht weigern, sie zu singen. Auf zu Talma! Aber allein der Gedanke, mit dem großen Tragöden zu sprechen, Nero von Angesicht zu Angesicht zu sehen, verwirrte mich im höchsten Grade. Als ich mich seinem Hause näherte, fühlte ich ein Herzklopfen von übler Vorbedeutung. Jetzt bin ich da; beim Anblick seiner Tür beginne ich zu zittern; auf der Schwelle bleibe ich in unglaublicher Ratlosigkeit stehen. Sollte ich weiter gehen? ... Sollte ich auf meinen Plan verzichten? Zweimal hebe ich den Arm, die Klingelschnur zu ergreifen, zweimal lasse ich ihn sinken ... Die Röte steigt mir ins Gesicht, die Ohren klingen mir, ich bin wie geblendet. Endlich siegt die Schüchternheit, und, alle meine Hoffnungen aufgebend entferne ich mich oder vielmehr flüchte mit großen Schritten.

Versteht man das? ... von einem jungen, kaum erwachsenen Enthusiasten, der ich damals war?

Etwas später schlug mir Herr Masson, der Kapellmeister an St. Rochus, vor, eine große Messe zu schreiben, die er, wie er sagte, am Tage der unschuldigen Kindlein, dem Feste der Schutzpatrone der Chorknaben, aufführen wollte. Wir brauchten hundert ausgewählte Orchestermusiker und einen noch größern Chor; die Chorstimmen sollten in Monatsfrist studiert werden; die Abschrift sollte mir nichts kosten, sie sollte gratis und sorgfältig von den Chorknaben der Rochuskirche angefertigt werden usw. usw. Ich begann also mit Feuereifer an dieser Messe zu arbeiten, deren Stil mit seinem ungleichen, gewissermaßen zufälligen Kolorit nur eine ungeschickte Nachahmung von Lesueurs Schreibart war. Wie die meisten Lehrer, billigte auch er bei der Prüfung meiner Partitur hauptsächlich die Stellen, welche seine Manier am treuesten widerspiegelten. Kaum war ich fertig, so händigte ich das Manuskript Herrn Masson ein, der dessen Kopiatur und Einstudierung seinen jungen Schülern anvertraute. Er schwor mir beständig bei allen Göttern, die Aufführung würde pompös und hervorragend werden. Es fehlte uns nur ein geschickter Orchesterdirigent, da weder er noch ich gewohnt waren, »ein so großes Aufgebot von Singstimmen und Instrumenten« zu leiten. Valentino stand damals an der Spitze des Opernorchesters, er hoffte auf die Ehre, auch das der königlichen Kapelle unter seine Leitung zu bekommen. Zweifellos würde er sich gehütet haben, meinem Lehrer etwas abzuschlagen, der Oberintendant Die Oberintendanten wohnten lediglich der Aufführung ihrer Werke bei; sie dirigierten niemals persönlich. dieser Kapelle war. Wirklich bestimmte ihn ein Brief Lesueurs, den ich ihm brachte, dazu, mir seine Hilfe zu versprechen, trotz seinem Mißtrauen gegen die Mittel zur Ausführung, über die ich verfügte. Der Tag der Hauptprobe kam heran, und als unser »großes Aufgebot« von Sängern und Instrumentalisten beisammen war, fand sich's, daß wir ganze zwanzig Choristen – fünfzehn Tenöre und fünf Bassisten –, zwölf Kinder, neun Geigen, eine Bratsche, eine Oboe, ein Horn und ein Fagott hatten. Man stelle sich meine Verzweiflung und Scham vor, als ich Valentino, dem berühmten Leiter eines der ersten Orchester der Welt, diese musikalische Phalanx präsentierte! ... »Beruhigen Sie sich nur,« versicherte Meister Masson, »morgen bei der Aufführung fehlt niemand. Beginnen wir, beginnen wir!« Valentino gibt resigniert das Zeichen, sie fangen an; aber nach wenigen Augenblicken muß abgeklopft werden, der unzähligen Schreibfehler wegen, die sich in der Stimme eines jeden finden. Hier ist die Vorzeichnung der Been und Kreuze vergessen worden; dort fehlen zehn Pausen; dann wieder sind dreißig Takte ausgelassen. Ein unkenntliches Geschmier! Ich leide alle Höllenqualen, und schließlich müssen wir für diesmal auf meinen so lange gehätschelten Traum einer Aufführung mit großem Orchester gänzlich verzichten.

Wenigstens war diese Lehre nicht vergebens. Das wenige, was ich von meiner Unglückskomposition gehört, hatte mir ihre Hauptfehler gezeigt, und ich faßte alsbald einen radikalen Entschluß, in dem mich Valentino bestärkte, der mir versprach, mich nicht im Stiche zu lassen, wenn es sich später um meine Genugtuung handeln würde. Ich arbeitete die Messe fast gänzlich um. Aber während dieser Beschäftigung ließen sich's meine Eltern, die von meinem Fiasko erfahren hatten, nicht nehmen, Kapital daraus zu schlagen, meine vorgebliche Berufung zur Musik zu zertrümmern und meine Hoffnungen ins Lächerliche zu ziehen. Es war die Hefe in meinem Wermutbecher. Ich leerte ihn schweigend und blieb darum nicht weniger standhaft.

Die Partitur war fertig. Eine traurige Erfahrung hatte mich überzeugt, daß ich die Arbeit, sie abzuschreiben, niemand anvertrauen dürfe, und da ich, aus Mangel an Geld, keine Kopisten von Beruf verwenden konnte, so ging ich daran, die Stimmen selbst auszuschreiben, sie zu verdoppeln, zu verdrei- und vervierfachen usw. In drei Monaten waren sie soweit. Ich fand mich damals mit meiner Messe ebenso behindert, wie Robinson mit seinem großen Kanoe, das er nicht lenken konnte; die Mittel, sie aufzuführen, fehlten mir vollständig. Von neuem auf das musikalische »Aufgebot« des Herrn Masson zu zählen, wäre allzu kindlich gewesen; die Künstler, die ich brauchte, selbst bitten konnte ich nicht, da ich keinen von ihnen persönlich kannte; meine Zuflucht zur königlichen Kapelle unter Leitung meines Lehrers zu nehmen, hatte dieser ausdrücklich für unmöglich erklärt. Ich sah damals durchaus nicht ein, warum. Sicherlich würde man Lesueur in allen Stücken willfahrt haben, wenn er die ganze königliche Kapelle in die St. Rochuskirche oder anderswohin gebeten hätte, um das Werk eines seiner Schüler aufzuführen. – Aber er fürchtete ohne Zweifel, daß meine Mitschüler die gleiche Gunst für sich in Anspruch nehmen möchten und Mißbrauch damit getrieben würde. Damals gab mir mein Freund Humbert Ferrand, von dem ich bald länger reden werde, den ziemlich kühnen Gedanken ein, an Herrn von Chateaubriand zu schreiben, der allein fähig sei, eine solche Bitte zu verstehen und zu gewähren, und ihn zu ersuchen, mir 1200 Franken zu leihen, damit ich die Aufführung meiner Messe selbst in die Hand nehmen könne. Herr von Chateaubriand antwortete mir mit folgendem Briefe:

Paris, am 31. Dezember 1824.

Sie bitten mich, sehr geehrter Herr, um 1200 Franken. Ich habe sie nicht. Ich würde sie Ihnen schicken, wenn ich sie hätte. Ich bin durchaus nicht in der Lage, Ihnen bei Ministern behilflich zu sein. Es scheint, ich hatte Herrn von Chateaubriand unter anderm, gebeten, mich den Mächten des Tages zu empfehlen. »Allzuviel ist ungesund« sagt das Sprichwort. Ich liebe die Künste und ehre die Künstler; aber die Prüfungen, denen das Talent unterworfen ist, führen es manchmal zum Siege, und der Tag des Erfolgs entschädigt für alle Leiden.

Nehmen Sie, sehr geehrter Herr, den Ausdruck meines aufrichtigen Bedauerns entgegen!

Chateaubriand


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