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42.

Die Influenza in Rom. Neues philosophisches System. Jagden. Dienstbotenkummer. Abreise nach Frankreich.

 

Da bin ich wieder in der akademischen Kaserne! Abermals wachsender Überdruß. Eine Art mehr oder minder ansteckender Influenza verheert die Stadt; es wird mit großer Leichtigkeit gestorben, zu Hunderten, zu Tausenden. Zum großen Ergötzen der römischen Gassenbuben mit einer Art Kapuze angetan, etwa wie die Maler den Petrarca darstellen, begleite ich die Wagen mit den Toten zur Transteveriner Kirche, deren geräumige Gruft sie gähnend empfängt. Ein Stein des innern Hofes wird aufgehoben, und die Leichname werden mit einem Eisenhaken sanft auf die Steinplatten dieses Palastes der Verwesung hinabgelassen. Einige Schädel werden geöffnet für die Ärzte, die gerne wissen möchten, warum die Kranken nicht haben gesund werden wollen. Die Gehirne liegen ausgebreitet auf dem Totenwagen. Der Mann, der in Rom die Stelle eines internationalen Totengräbers versieht, nimmt alsdann die Überreste des Denkorgans mit einer Kelle und schleudert sie kürzesten Weges auf den Grund des Schlundes. Shakespeares Gravedigger, dieser Maurer der Ewigkeit, hat gleichwohl nicht daran gedacht, sich der Kelle, noch solchen menschlichen Mörtels zu bedienen.

Ein Architekt der Akademie, Garrez, zeichnete die anmutige Szene, worauf ich, in der Kapuze, zu sehen bin. Der Spleen verdoppelt sich.

Der Maler Bézard, der Landschafter Gibert, der Architekt Delanoie und ich gründen einen Verein, genannt »Die Vier«, mit der Bestimmung, das große philosophische System auszuarbeiten und zu ergänzen, zu dem ich vor sechs Monaten den ersten Grund gelegt hatte; es sollte heißen: »System der absoluten Gleichgültigkeit gegen alles« und war eine transzendente Doktrin, die dem Menschen die Vollkommenheit und Empfindsamkeit eines Felsblocks zu geben versuchte. Unser System hat kein Glück. Man hält uns entgegen: Schmerz und Lust, Gefühle und Empfindungen! Man hält uns für verrückt, wenn wir auch mit bewunderungswürdigem Gleichmut antworten:

– »Die Herren sagen, wir sind verrückt! Machst du dir was draus, Bézard? ... Wie denkst du darüber, Gibert? ... Was sagst du dazu, Delanoie? ...«

– »Das tut keinem was.«

– »Ich sage: nun ja, die Herren halten uns eben für verrückt.«

– »Es scheint, die Herren halten uns für verrückt.«

Man lacht uns aus. Große Philosophen sind stets so verkannt worden.

Eines Nachts gehe ich mit dem Bildhauer Debay auf die Jagd. Wir rufen den Torwächter der porta di popolo an, der, dank dem päpstlichen Befehl zugunsten der Jäger, aufstehen und uns nach Vorzeigung der Waffenpässe öffnen muß. Wir wandern bis um zwei Uhr morgens. Eine gewisse Bewegung im Gras an der Straße läßt uns auf die Gegenwart eines Hasen schließen. Zwei Flintenschüsse knallen gleichzeitig ... Er ist tot ... ein Kollege, ein Rivale, ein Jäger, der seine Seele Gott und sein Blut der Erde zurückgibt: es ist eine unglückliche Katze, die einer Brut Wachteln auflauerte. Der Schlaf kommt, unwiderstehlich. Wir ruhen einige Stunden im Felde und trennen uns dann. Strömender Regen setzt ein; ich finde in einer Senkung ein kleines Eichengehölz, wo ich vergebens Schutz suche. Hier schieße ich ein Stachelschwein, von dem ich einige »hervorstechende Schönheiten« als Trophäe mitnehme. Aber siehe da: ein einsames Dorf. Mit Ausnahme einer alten Frau, die ihr Leinen in einem schmächtigen Bache wäscht, gewahre ich kein menschliches Wesen. Sie belehrt mich, der stille Winkel heiße Isola Farnese. Das ist, sagt man, der moderne Name des alten Veji. Hier also war die Hauptstadt der Volsker, der stolzen Feinde Roms! Hier gebot Aufidius, und der flüchtige Marcius Coriolanus bot ihm seinen verruchten Arm, sein eigenes Vaterland zu verderben. Die alte Frau dort, die sich zum Ufer des Baches niederbückt, nimmt vielleicht die Stelle ein, wo die edle Veturia, Die bei Shakespeare Volumnia heißt an der Spitze der römischen Matronen, vor ihrem eigenen Sohne niederkniete. Den ganzen Morgen wanderte ich auf diesem Boden, wo so viel schöne Schlachten ausgefochten wurden, die von Plutarch beschrieben, von Shakespeare verherrlicht worden sind, aber in Wirklichkeit, ihrer Ausdehnung und Wichtigkeit nach, denjenigen eines Krieges zwischen Versailles und Saint-Cloud ziemlich gleichgekommen sein dürften. Die Träumerei übermannt mich. Der Regen dauert fort, wird heftiger. Meine Hunde verstecken, geblendet vom himmlischen Wasser, die Schnauze in den Hecken. Ich erlege eine große, dumme Schlange, die bei solchem Wetter lieber hätte in ihrem Loch bleiben sollen. Debay ruft mich durch eine Reihe von Schüssen; wir finden uns zum Frühstück zusammen. Ich entnehme meiner Jagdtasche einen Schädel, den ich auf der Höhe des Kirchhofs von Radicoffani aufgehoben hatte, als ich im vergangenen Jahre von Nizza zurückkam; denselben, der mir heute als Streusandbüchse dient. Wir legten Scheiben von Schinken hinein und setzten ihn dann mitten in einen Wasserlauf, um das abscheuliche Nahrungsmittel etwas zu entsalzen. Es war ein kärgliches Mahl, gewürzt mit kaltem Regen; kein Wein, keine Zigarren! Debay hatte nichts geschossen. Was mich betrifft, so konnte ich, zur Gesellschaft der Katze, des Stachelschweins und der Schlange, nur ein unschuldiges Rotkehlchen zu den Toten schicken. Wir wandten uns zur Herberge von la Storta, der einzigen Behausung der Umgegend. Hier lege ich mich nieder und schlafe drei Stunden, während man meine Kleider trocknet. Endlich zeigt sich die Sonne, der Regen hat aufgehört. Ich kleide mich sehr mühsam wieder an und breche auf. Debay, voll Eifer, hat nicht auf mich warten wollen. Ich stoße auf einen Flug sehr schöner Vögel, die von den Küsten Afrikas kommen sollen, deren Namen ich aber nie in Erfahrung bringen konnte. Sie streichen beständig wie Schwalben mit einem schwachen Schrei, ähnlich dem der Rebhühner, und sind gelb und grün gestreift. Ich erlege ein Halbdutzend davon und stelle so die Jägerehre wieder her. Von ferne sehe ich, wie Debay einen Hasen fehlt. Wir kehren nach Rom zurück, kotbedeckt, wie es Marius gewesen sein muß, als er aus den Sümpfen von Minturnä kam.

Die Woche stockt.

Endlich belebt sich die Akademie ein wenig, dank dem komischen Schrecken unseres Kameraden L... Dieser war glücklicher Liebhaber der Frau eines in Diensten des Herrn Vernet stehenden Italieners und war mit jener vom Ehemann überrascht worden, daher er allen Ernstes erwartete, jeden Augenblick ermordet zu werden. Zur Essenszeit mußten wir ihn abholen und, untergefaßt, nach dem Speisesaal bringen. Er glaubte in allen Ecken des Palastes Messer blinken zu sehen, magerte ab, wurde blaß, gelb, blau, kam zu nichts. Das zog ihm, eines Tages bei Tisch, folgende reizende Anrede von Delanoie zu:

»Nun, mein armer L..., hast du denn immer noch ›Dienstbotenkummer‹ ( chagrins de domestiques)?« L... war groß im Verführen von Stubenmädchen; er behauptete, ein sicheres Mittel, sie in sich verliebt zu machen, sei: immer etwas Schwermut zu zeigen und weiße Hosen zu tragen.

Dies Wort machte mit viel Erfolg die Runde.

Aber der Überdruß siegte; ich träumte nur noch von Paris. Ich hatte mein Monodrama vollendet und meine phantastische Sinfonie nachgebessert: ich mußte sie aufführen lassen. Von Herrn Vernet erhielt ich die Erlaubnis, Italien vor Ablauf meiner Verbannungszeit zu verlassen. Ich sitze für mein Porträt, das, wie üblich, von unserem ältesten Maler gezeichnet wurde und in der schon erwähnten Galerie des Speisesaals seinen Platz fand. Ich mache eine letzte mehrtägige Wanderung nach Tivoli, Albano, Palestrina, verkaufe meine Flinte, zerbreche meine Gitarre, schreibe in einige Albums, stifte meinen Kameraden einen großen Punsch, liebkose lange die beiden Hunde des Herrn Vernet, meine gewöhnlichen Begleiter auf der Jagd; dann empfinde ich eine Zeitlang tiefe Trauer, weil ich diese poetische Gegend verlassen soll, vielleicht auf Nimmerwiedersehen; meine Freunde begleiten mich bis Ponte-Molle; ich steige in einen scheußlichen Karren – und fort bin ich.


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