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1.

La Côte Saint-André. Meine erste Kommunion. Erster musikalischer Eindruck.

 

Ich wurde am 11. Dezember 1803 geboren in la Côte Saint-André, einem kleinen Städtchen Frankreichs, das im Departement Isère, zwischen Vienne, Grenoble und Lyon liegt. Während der Monate vor meiner Geburt träumte meine Mutter keineswegs, wie die Virgils, sie werde einen Lorbeerzweig zur Welt bringen. Und – wie sehr dieses Geständnis meine Eitelkeit auch kränken mag – ich muß hinzufügen, daß sie ebensowenig einen Feuerbrand im Schoße zu tragen glaubte – wie doch der Mutter Alexanders, Olympia, geschehen. Sehr ungewöhnlich, wie ich zugebe, aber wahr. Ich erblickte das Licht der Welt ganz einfach, ohne irgend eines der Vorzeichen, die in den poetischen Zeiten das Erscheinen künftiger Ruhmesgrößen anzukündigen pflegten. Wäre es darum geschehen, weil unserm Zeitalter die Poesie fehlt? ...

La Côte Saint-André ist, wie schon der Name sagt, am Hange eines Hügels erbaut und beherrscht eine ziemlich weite Ebene, reich an Grün und goldenem Getreide, deren Stille etwas – wie soll ich sagen – Träumerisch-Majestätisches hat, das noch gesteigert wird durch den Kranz der abschließenden Berge im Süden und Osten, hinter denen sich ferne die riesigen Alpengipfel mit ihren Gletschern erheben.

Ich brauche nicht erst zu sagen, daß ich im katholischen Glauben, dem römisch-apostolischen, erzogen wurde. Diese Religion hat, seit sie niemand mehr verbrennt, viel Liebenswürdiges und ist mein Glück gewesen sieben volle Jahre; obgleich wir seit langem uneins geworden, habe ich ihr doch immer eine sehr zärtliche Erinnerung bewahrt.

Sie ist mir übrigens so sympathisch, daß ich, wenn meine Geburt unglücklicherweise in die Zeit einer jener Kirchenspaltungen gefallen wäre, wie sie der plumpe Geist eines Luther oder Calvin ausgeheckt hat, totsicher im ersten Augenblick poetischer Regungen und freier Besinnung schleunig und feierlich abgeschworen hätte, um die schöne Römerin von ganzem Herzen zu umarmen. Ich kommunizierte zum ersten Male, gemeinsam mit meiner älteren Schwester, im Ursulinenkloster, wo sie erzogen wurde. Schon dieser Umstand allein verlieh jener ersten religiösen Handlung einen zarten Schimmer, dessen ich mit Rührung gedenke. Früh um sechs Uhr suchte mich der Almosenier des Klosters auf. Es war im Frühling, die Sonne lachte und der Wind spielte in den flüsternden Pappeln; irgend ein köstlicher Duft erfüllte die Lüfte. Tief bewegt überschritt ich die Schwelle des heiligen Hauses. In die Kapelle aufgenommen, fand ich mich von jungen Mädchen in weißen Kleidern, Freundinnen meiner Schwester, umgeben, und harrte, im gemeinsamen Gebet mit ihnen, auf den Beginn der hehren Feier. Der Priester trat vor, die Messe begann, und ich war ganz in Gott versunken. Aber wie unangenehm berührte es mich, als mich der Priester mit jener unhöflichen Bevorzugung, die gewisse Leute ihrem Geschlechte bis an die Stufen des Altars bewahren, vor diesen netten jungen Mädchen zum Tisch des Herrn lud, denen – das fühlte ich – der Vorrang gebührt hätte. Dennoch trat ich heran, errötend ob der unverdienten Ehre. Da, als ich die geweihte Hostie empfing, setzte gleichzeitig ein Chor jungfräulicher Stimmen mit einer Hymne auf das heilige Abendmahl ein und erfüllte mich mit einer zugleich mystischen und leidenschaftlichen Verwirrung, die ich vor den Anwesenden vergebens zu verbergen trachtete. Ich glaubte den Himmel offen zu sehen, den Himmel der Liebe und keuscher Wonnen, ein Himmel, reiner und tausendmal schöner als der, von dem man mir soviel erzählt hatte. O Wundermacht wahren Ausdrucks, unvergleichliche Schönheit der Melodie des Herzens! Dies Lied, das sich so kindlich heiligen Worten fügte und das bei einer religiösen Feier erklang, war die Romanze der Nina: »Wenn der Liebste einst wiederkehrt.« Zehn Jahre später erkannte ich sie wieder. Welcher Überschwang meiner jungen Seele! Teurer d'Aleyrac! Und das Volk, uneingedenk seiner Sänger, kennt heute kaum noch deinen Namen!

Das war mein erster musikalischer Eindruck.

So ward ich mit einem Male fromm, so fromm, daß ich täglich die Messe hörte, jeden Sonntag kommunizierte und zur Beichte ging, in der ich meinem Seelsorger nur zu sagen wußte: » Ich habe nichts getan, mein Vater.« ... – »Gut, mein Kind,« versetzte der Biedere, » fahre so fort.« Ich habe mehrere Jahre lang diesen Rat nur allzu treulich befolgt.


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