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28.

Gewaltsame Ablenkung. F. H. Fräulein M.

 

Diese musikalischen Unternehmungen waren nicht die einzigen Ursachen fieberhafter Aufregungen für mich. Eine junge Person, die heute durch ihr Talent und ihre Abenteuer unter unseren Virtuosinnen die erste Stelle einnimmt, hatte dem deutschen Pianisten und Komponisten H., an den ich mich, seit ich in Paris war, angeschlossen, eine wahre Leidenschaft eingeflößt. H. kannte meine große shakespearische Liebe und betrübte sich über die Qualen, die ich deshalb auszustehen hatte. Er war so kindlich unklug, mit Fräulein M. oft darüber zu sprechen und ihr zu sagen, eine Exaltation, wie die meine, sei ihm noch nicht vorgekommen. – »Ach, ich wäre nicht eifersüchtig auf ihn,« bemerkte er eines Tages, »ich bin ganz sicher, er würde dich nie lieben!« Man kann sich den Effekt denken, den eine so ungeschickte Bemerkung auf die Pariserin machen mußte. Sie sann nur noch nach, wie sie ihrem allzu vertrauenden, platonischen Anbeter das Gegenteil beweisen könnte.

Im Laufe desselben Sommers hatte mir die Vorsteherin eines Damenpensionats, Frau d'Aubré, vorgeschlagen, an ihrem Institut Unterricht auf der ... Guitarre zu geben, und ich war darauf eingegangen. Komischerweise stehe ich noch heute unter den Lehrern der Pension d'Aubré, als Professor dieses edlen Instruments, auf dem Prospekt. Fräulein M. unterrichtete dort auch; sie gab Klavierstunden. Sie machte sich über meine Niedergeschlagenheit lustig, versicherte, es gebe jemand, der sich lebhaft für mich interessiere ..., erzählte mir von H., der sie wohl liebe, wie sie sagte, aber kein Ende finden könne ...

Eines Morgens erhielt ich sogar einen Brief von Fräulein M., in dem sie mich, unter dem Vorwand, mit mir noch über Herrn H. reden zu wollen, zu einer heimlichen Zusammenkunft auf den nächsten Tag bestellte. Ich vergaß, hinzugehen. Das wäre ein Meisterstück der Durchtriebenheit, würdig der größten Lebemänner, gewesen, wenn ich es absichtlich geliefert hätte; allein ich vergaß wirklich das Stelldichein und erinnerte mich erst nach ein paar Stunden daran. Dieser erhabene Gleichmut vollendete das so schön Begonnene, und nachdem ich einige Tage recht brutal den Joseph gespielt hatte, ließ ich mich schließlich »bepotipharen« und mich in meinem geheimen Kummer trösten mit einer Glut, die man sehr wohl begreifen wird, wenn man an mein Alter und an die achtzehn Jahre und die aufreizende Schönheit von Fräulein M. denkt.

Wenn ich diesen kleinen Roman erzählen wollte, samt den unglaublichsten Szenen jeder Art, aus denen er besteht, so wäre ich beinahe sicher, den Leser auf eine neue, unerwartete Weise zu unterhalten. Aber, wie gesagt, ich schreibe keine Bekenntnisse. Es genügt mir, zuzugeben, daß mir Fräulein M. die Feuerpein samt allen Höllenteufeln ins Gebein jagte. Der arme H., dem ich das Geständnis der Wahrheit zu schulden glaubte, vergoß zuerst bittere Tränen; als er dann erkannte, daß ich mich, im Grunde genommen, keiner Treulosigkeit gegen ihn schuldig gemacht, faßte er sich männlich und mit Würde, drückte mir krampfhaft die Hand, wünschte viel Vergnügen und reiste nach Frankfurt ab. Ich habe sein Benehmen in dieser Angelegenheit stets bewundert.

Das ist alles, was ich über die gewaltsame Zerstreuung zu berichten habe, die, im Sinnentaumel, einen Augenblick neben die große, tiefe Leidenschaft trat, die mein Herz erfüllte und meine ganze Seele gefangen nahm. Man wird indessen aus der Erzählung meiner italienischen Reise ersehen, wie dramatisch sich diese Episode entwickelte und wie Fräulein M. beinahe einen schrecklichen Beweis für die Wahrheit des Sprichworts: »Spiele nicht mit Schießgewehren« erhalten hätte.


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