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58.

Berlin.

 

An Louise Bertin

Zu allererst, mein Fräulein, muß ich um Nachsicht bitten wegen des Briefes, den ich so frei bin Ihnen zu schreiben; ich habe Grund genug, die geistige Verfassung zu fürchten, in der ich mich befinde. Seit einigen Tagen unterliege ich einem Anfall schwarzer Philosophie, und Gott weiß, auf welch düstere Ideen, zu welch ungereimten Anschauungen, auf wie seltsame Erzählungen er mich unfehlbar bringen wird ... wenn er andauert. Sie wissen vielleicht noch nicht so recht, was die schwarze Philosophie ist? ... Sie ist das Gegenteil der weißen Magie, nicht mehr noch weniger.

Was die weiße Magie betrifft, so lehrt sie einen, daß Victor Hugo ein großer Dichter ist; daß Beethoven ein großer Musiker war; daß Sie gleichzeitig Musikerin und Dichterin sind; daß Janin ein Mann von Geist ist; daß, wenn eine schöne, gut aufgeführte Oper durchfällt, das Publikum nichts davon begriffen hat; daß, wenn sie gefällt, das Publikum nicht mehr davon verstanden hat, als daß das Schöne selten, das Seltene nicht immer schön; daß das Recht des Stärkeren das beste ist; daß Abd-el-Kader unrecht hat, O'Connell gleichfalls; daß die Araber entschieden keine Franzosen, daß Friedensbestrebungen Dummheiten sind und dergleichen verzwickte Sätze mehr.

Durch die schwarze Philosophie dagegen gelangt man dahin, alles zu bezweifeln, sich über alles zu wundern, die lieblichen Bilder von der Rückseite zu sehen und die scheußlichen Objekte so, wie sie wirklich sind; man brummt beständig, schmäht das Leben, verwünscht den Tod, entrüstet sich mit Hamlet darüber, daß sich mit »Cäsars Asche ein Mauerloch verstopfen lasse«; man würde sich noch mehr entrüsten, wenn die Asche der Elenden allein zu dieser unfeinen Verwendung geeignet wäre; man beklagt den armen Yorick, daß er nicht einmal mehr mit jener dummen Fratze grinsen könne, die er vor fünfzehn Jahren auf Erden gemacht, und wirft seinen Schädel mit Schauder und Ekel zurück; oder man hebt ihn auch wohl auf, macht ein Trinkgefäß daraus, und der arme Yorick, der nicht mehr trinken kann, dient den Rheinweinfreunden, die sich über ihn lustig machen, zur Stillung ihres Durstes.

So würde ich also, zu dieser Stunde der schwarzen Philosophie, Gestern, als ich einen Anfall dieser Philosophie hatte, befand ich mich in einem Hause, wo der Autographenwahnsinn herrscht. Die Gebieterin des Salons verfehlte nicht, mich um einen Beitrag für ihr Album anzugehen. »Aber, wenn ich bitten darf,« setzte sie hinzu, »keine Banalitäten.« Diese Erinnerung störte mich, und ich schrieb alsbald:
»Die Todesstrafe ist ein gar schlechtes Ding; denn, wenn sie nicht existierte, so hätte ich wahrscheinlich schon viele Leute umgebracht, und wir hätten heute nicht so viele Lumpen und Simpel, diese Landplage für Kunst und Künstler.«
Man lachte sehr über meinen Aphorismus und meinte, ich glaube kein Wort davon.
in Ihrem einsamen les Roches, wo Sie sich friedlich dem Laufe Ihrer Gedanken überlassen, nichts empfinden, als Unzufriedenheit und Langeweile zum Sterben. Wenn Sie mich einen schönen Sonnenuntergang bewundern lassen möchten, wäre ich imstande, ihm die Gasbeleuchtung der Avenue des Champs-Élysées vorzuziehen; wenn Sie mir auf dem See Ihre Schwäne mit ihren eleganten Formen zeigten, würde ich Ihnen sagen: der Schwan ist ein dummes Tier; er denkt nur ans Herumstochern und Fressen; er hat keinen andern Gesang als ein blödes gräßliches Röcheln. Wenn Sie sich ans Klavier setzen und mir einige Seiten Ihrer Lieblingsautoren, Mozart und Cimarosa, Fräulein Bertin hat mich letzthin versichert, ich verleumde sie, da ich Cimarosa unter ihre Lieblingskomponisten rechne. Ich muß also meinen Irrtum einsehen und bedaure, in ihm befangen gewesen zu sein. Jedenfalls ist es keine sehr schwere Verleumdung und man kann sich darüber trösten. vorspielen möchten, unterbräche ich Sie vielleicht launisch und fände, es sei bald Zeit, der Begeisterung für Mozart ein Ende zu machen, weil seine Opern sich alle glichen und sein schönes Ebenmaß ermüde und ungeduldig mache! ... Was Cimarosa betrifft, so würde ich seine einzige ewige »Heimliche Ehe« zum Teufel wünschen, weil sie fast gerade so langweilig, aber nicht entfernt so musikalisch sei als »Figaros Hochzeit«; ich würde Ihnen beweisen, daß die Komik dieses Werkes allein aus den Späßen der Schauspieler beruht, daß seine musikalische Erfindung gering genug ist; daß die alle Augenblicke wiederkehrende Kadenz allein zwei Drittel der Partitur ausmache –: kurz, daß es eine Oper sei für Karneval und Jahrmarkt. Und wenn Sie, ein Beispiel für den entgegengesetzten Stil wählend, Ihre Zuflucht zu einem Werke Sebastian Bachs nähmen, wäre ich imstande, vor seinen Fugen Reißaus zu nehmen und Sie mit seiner »Passion« allein zu lassen.

Sie sehen die Folgen dieser schrecklichen Krankheit! ... Man hat, wenn sie einen ergreift, weder Höflichkeit, noch Lebensart, noch Vorsicht, noch Politik, noch Mutwillen, noch Verstand mehr; man sagt Ungeheuerlichkeiten aller Art, und, was schlimmer ist, man glaubt, was man sagt.

Fort mit der schwarzen Philosophie! Der Anfall ist vorüber; ich bin jetzt verständig genug, um vernünftig mit Ihnen zu reden; vernehmen Sie also, was ich zu Berlin gehört und gesehen; später will ich erzählen, was ich dort aufführen ließ.

Ich beginne mit der Oper; jedem das Seine!

Die ehemalige deutsche Oper, die vor kaum drei Monaten durch eine Feuersbrunst so ungemein schnell zerstört worden ist, war ziemlich düster und unsauber, aber von guter Akustik und für musikalische Wirkungen sehr geeignet. Das Orchester schob sich nicht, wie in Paris, weit in die Reihen der Zuhörer vor; es breitete sich weit zur Rechten und zur Linken aus, und die lauten Instrumente, wie Posaunen, Trompeten, Pauken und große Trommel, die von den ersten Logen ein wenig bedeckt werden, verloren so etwas von ihrer übermäßigen Klangfülle. Der Instrumentalkörper, einer der besten, die ich je gehört, ist an den Tagen der großen Vorstellungen so besetzt: vierzehn erste, vierzehn zweite Geigen, acht Bratschen, zehn Violoncelli, acht Kontrabässe, vier Flöten, vier Hoboen, vier Klarinetten, vier Fagotte, vier Hörner, vier Trompeten, vier Posaunen, ein Paukenschläger, eine große Trommel, ein Paar Becken und zwei Harfen.

Die Saiteninstrumente sind fast alle ausgezeichnet; an ihrer Spitze muß man die Brüder Ganz erwähnen (den ersten Geiger und den ersten Violoncellisten, beide sehr tüchtig) und den geschickten Violoncellisten Ries. Die Holzblasinstrumente sind auch sehr gut und, wie Sie sehen, gegenüber denen unserer Pariser Oper in doppelter Anzahl vertreten. Diese Kombination ist sehr vorteilhaft: sie erlaubt, im Fortissimo als Füllstimmen zwei Flöten, zwei Hoboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte anzuwenden, und mildert dann die Rauheit der Blechinstrumente, die ohnedies immer zu sehr dominieren. Die Hörner haben eine schöne Klangfülle und sämtlich Ventile, zum großen Leidwesen Meyerbeers, der bei seiner Meinung über den neuen Mechanismus geblieben ist, die noch bis vor kurzem auch die meine war. Mehrere Komponisten stehen dem Ventilhorn feindlich gegenüber, weil sie glauben, seine Klangfarbe entspreche nicht der des einfachen Horns. Ich habe mehrmals den Versuch gemacht und abwechselnd offene Töne des einfachen und eines Ventilhornes mit angehört und gestehe, daß es mir unmöglich gewesen ist, zwischen beiden den geringsten Unterschied der Klangfarbe oder des Tones zu entdecken. Überdies hat man dem neuen Horn einen scheinbar begründeten Vorwurf gemacht, der indes leicht zu widerlegen ist. Seit der Einführung dieses (nach meiner Ansicht vollkommenen) Instrumentes in das Orchester finden es gewisse Hornisten, welche die Ventile gebrauchen, wenn sie eine Stimmung für das Waldhorn blasen, bequem, die vom Komponisten absichtlich vorgeschriebenen Stopftöne durch den Mechanismus offen zu spielen. Das ist wirklich ein sehr schwerer Mißbrauch, der aber den Ausführenden und nicht dem Instrument zur Last gelegt werden muß. Weit gefehlt: das Ventilhorn kann in den Händen eines geschickten Künstlers nicht nur alle Stopftöne des gewöhnlichen Hornes, sondern sogar die ganze Tonleiter ohne einen einzigen offenen Ton wiedergeben. Aus alledem folgt nur, daß die Hornisten ihre Hand in der Stürze müssen gebrauchen können, als wenn der Ventilmechanismus nicht vorhanden wäre, und daß der Komponist in seinen Partituren künftig durch irgendein Zeichen diejenigen Töne der Hornstimme wird kenntlich machen müssen, die gestopft werden sollen; der Ausführende dürfte dann nur diejenigen offen blasen, die keinerlei Zeichen tragen.

Dasselbe Vorurteil hat eine Zeitlang die heute in Deutschland allgemeine Anwendung der Ventiltrompeten bekämpft, indes minder gewaltsam, als die Einführung der neuen Hörner. Die Frage nach den gestopften Tönen, die kein Komponist für Trompete schreibt, fiel natürlich fort. Man begnügte sich damit, zu sagen, daß der Trompetenton durch den Ventilmechanismus viel von seinem Glanz verlöre; das geschieht aber nicht, wenigstens nicht für mein Ohr. Nun, wenn ein feineres Ohr, als das meine, dazu gehört, um einen Unterschied zwischen den beiden Instrumenten herauszufinden, so wird man hoffentlich zugeben, daß der Nachteil, der aus diesem Unterschiede der Ventiltrompete erwächst, unvergleichlich geringer ist, als der Vorteil dieses Mechanismus, ohne Schwierigkeit und ohne die mindeste Ungleichheit der Töne eine ganze chromatische Skala von zweieinhalb Oktaven Umfang zu durchlaufen. Ich kann also die fast gänzliche Vergessenheit, der die einfache Trompete heute in Deutschland anheimgefallen ist, nur freudig begrüßen. Wir haben in Frankreich fast noch gar keine chromatischen (oder Ventil-) Trompeten; die unglaubliche Popularität des Cornet à pistons hat ihnen bis auf den heutigen Tag siegreich Konkurrenz gemacht, aber, nach meiner Ansicht, ungerechterweise, da der Klangcharakter des Kornets von der Noblesse und Leuchtkraft der Trompete weit entfernt ist. Auf jeden Fall fehlt es uns nicht an Instrumenten; Adolf Sax verfertigt gegenwärtig Ventiltrompeten, große und kleine, in allen möglichen, gebräuchlichen und nicht gebräuchlichen Stimmungen, deren Klangfülle und Vollkommenheit unbestreitbar sind. Sollte man glauben, daß dieser junge, erfinderische Künstler die größte Not hat, sich in Paris durchzusetzen und zu behaupten? Man erneuert gegen ihn Verfolgungen, die des Mittelalters würdig sind und lebhaft an das Tun und Treiben der Feinde Benvenutos, des florentinischen Goldschmieds, erinnern. Man beraubt ihn seiner Arbeiter, stiehlt ihm seine Pläne, klagt ihn des Wahnsinns an, prozessiert gegen ihn; etwas mehr Mut noch, und man würde ihn töten. Das ist der Haß, den die Erfinder stets unter ihren nicht erfinderischen Rivalen erregen. Glücklicherweise haben Protektion und Freundschaft, mit denen der General de Rumigny den geschickten Instrumentenbauer beständig beehrt hat, diesem geholfen, bis jetzt den elenden Kampf zu bestehen; aber wird das auf die Dauer ausreichen? ... Es wäre Sache des Kriegsministers, einen so nützlichen Mann von so seltener Begabung in eine Stellung zu bringen, deren er durch sein Talent, seine Beharrlichkeit und Bemühungen würdig ist. Unsere Militärkapellen haben noch keine Ventiltrompeten, noch Baßtuben (das mächtigste der tiefen Instrumente). Die Herstellung dieser Instrumente ist unvermeidlich geworden, wenn man die französischen Militärkapellen auf die Höhe derer von Preußen und Österreich bringen will; eine auf dreihundert Trompeten und hundert Baßtuben lautende Bestellung des Ministers an Adolf Sax würde diesen retten.

Berlin ist die einzige der – von mir besuchten – deutschen Städte, wo sich die große Baßposaune (in B) findet. Wir besitzen eine solche in Paris noch nicht, da sich die Ausführenden weigern, ein Instrument zu blasen, das ihnen die Brust ermüdet. Die preußischen Lungen sind anscheinend kräftiger, als die unsern. Das Berliner Opernorchester besitzt zwei dieser Instrumente, deren Klangfülle dergestalt ist, daß sie den Schall der andern (Alt- und Tenor-) Posaunen, welche die obern Stimmen blasen, völlig auslöscht und verschwinden läßt. Der rauhe, vorherrschende Klangcharakter einer Baßposaune würde genügen, das Gleichgewicht und die Harmonie von drei Posaunenstimmen zu zerstören, die jetzt überall von den Komponisten geschrieben werden. Allein, in der Berliner Oper gibt es keine Ophikleïde, und anstatt sie in den französischen Opern, die fast alle die Ophikleïde verlangen, durch eine Baßtuba zu ersetzen, ist man darauf verfallen, diese Stimme durch eine zweite Baßposaune blasen zu lassen. Die Ophikleïdenstimme, die oft mit der dritten Posaune in der tieferen Oktav geht, macht, so gespielt, durch die Vereinigung dieser beiden furchtbaren Instrumente eine vernichtende Wirkung. Man hört nur den wuchtenden Ton der Blechinstrumente; höchstens, daß noch die Stimme der Trompeten darüber vernehmbar ist. In meinen Konzerten, wo ich doch nur eine Baßposaune für die Sinfonien gebrauchte, sah ich mich, in der Erwägung, daß man sie allein hören würde, gezwungen, den Künstler, der sie blies, zu bitten, sitzen zu bleiben, sodaß die Stürze des Instrumentes sich gegen das Pult richtete, welches ihm so als eine Art Dämpfer diente, während dagegen die Tenor- und Altposaune stehend bliesen und infolgedessen ihre Stürzen über die Bretter des Pultes erhoben. Nur so konnte man die drei Stimmen hören. Diese in Berlin wiederholt gemachten Beobachtungen haben mich zur Einsicht geführt, daß die beste Art, die Posaunen im Theater zu gruppieren, demnach die ist, welche man in der Pariser Oper eingeführt hat, und die darin besteht, drei Tenorposaunen zusammen anzuwenden. Die Klangfarbe der kleinen (Alt-) Posaune ist grell und ihre hohen Töne sind von geringem Nutzen. Ich würde also für ihre Entfernung aus dem Theater stimmen und die Baßposaune nur dann für wünschenswert halten, wenn man in vier Partien schriebe, und zwar für drei Tenorposaunen, die fähig sind, ihr Widerpart zu halten.

Wenn ich auch nicht Gold rede, so rede ich wenigstens viel »Blech«; indes bin ich sicher, mein Fräulein, daß diese Einzelheiten der Instrumentation Sie viel mehr interessieren werden, als meine misanthropischen Tiraden und meine Totenkopfgeschichten. Sie sind melodisch und harmonisch gebildet, aber, wenigstens so viel ich weiß, sehr wenig bewandert in der Osteologie. So setze ich denn das Examen der musikalischen Kräfte von der Berliner Oper fort.

Der Paukenschläger ist gut musikalisch, hat aber nicht viel Beweglichkeit in seinen Handgelenken; seine Wirbel sind nicht dicht genug. Übrigens sind seine Pauken zu klein, haben wenig Ton und er kennt nur eine einzige Art Klöppel von mäßig starker Wirkung, die die Mitte halten zwischen unsern Klöppeln mit Fell und denen mit Schwammköpfen. In diesem Betreff ist man in Deutschland sehr weit hinter Frankreich zurück. Was die Ausführung selbst angeht, so habe ich, Wiprecht, den Leiter der Berliner Militärkapelle, ausgenommen, der die Pauken wie ein Donnerwetter schlägt, keinen Künstler gefunden, den man, was Präzision, Geschwindigkeit des Wirbels und Feinheit der Schattierung betrifft, mit Poussard, dem trefflichen Paukenschläger der Oper, vergleichen könnte. Soll ich Ihnen von den Becken sprechen? Ja, und zwar nur, um Ihnen zu sagen, daß ein paar heile Becken, das heißt solche, die weder zersprungen, noch zerbrochen, kurz: die ganz sind, zu den großen Seltenheiten zählen; ich habe sie weder in Weimar, noch in Leipzig, noch in Dresden, noch in Hamburg, noch in Berlin angetroffen. Das war jedesmal ein Gegenstand größten Zornes für mich, und es kam vor, daß ich das Orchester eine halbe Stunde warten ließ und eine Probe nicht eher beginnen wollte, bevor man mir nicht ganz neue, gut schmetternde, echt türkische Becken, wie ich sie wünschte, gebracht hatte, um dem Kapellmeister zu zeigen, ob ich unrecht tat, die geborstenen Scherben, die man mir unter jenem Namen anbot, lächerlich und armselig zu finden. Im allgemeinen ist die beleidigende Minderwertigkeit auffallend, über die sich gewisse Teile des Orchesters in Deutschland bis auf den heutigen Tag nicht erhoben haben. Man hat, scheint es, keine Vorstellung von dem Vorteil, der sich aus ihnen ziehen läßt und auch wirklich anderorten gezogen wird. Die Instrumente taugen nichts, und die Ausführenden kennen bei weitem nicht alle ihre Möglichkeiten. Dahin gehören die Pauken, die Becken, die große Trommel; ferner das Englische Horn, die Ophikleïde und die Harfe. Aber dieser Fehler liegt offenbar an der Schreibart der Komponisten, die diesen Instrumenten nie etwas Bedeutsames anvertraut haben und schuld daran sind, daß ihre Nachfolger, die auf andere Weise schreiben, fast nichts damit anfangen können.

Aber um wieviel sind andrerseits die Deutschen uns über, was die Blechinstrumente im allgemeinen und die Trompeten im besondern betrifft! Wir haben keinen Begriff davon. Auch ihre Klarinetten sind mehr wert, als die unsern; für die Hoboen gilt nicht dasselbe; ich glaube, in diesem Punkte haben beide Schulen gleiche Vorzüge; was die Flöten angeht, so werden sie durch die unsern übertroffen; man spielt nirgend so Flöte, als in Paris. Die Kontrabässe haben mehr Ton als unsere französischen Bässe; die Violoncelli, Bratschen, Violinen haben große Qualitäten; dennoch könnte man sie, ohne ungerecht zu sein, mit unserer jungen Schule für Streichinstrumente nicht auf eine Stufe stellen. Die Geigen, Bratschen und Violoncelli des Pariser Konservatoriums haben ihresgleichen nicht. Ich habe, scheint mir, die Seltenheit guter Harfen in Deutschland überreichlich erfahren; die in Berlin bilden keine Ausnahme von der allgemeinen Regel, und man hätte einige Schüler von Parish-Alvars in dieser Hauptstadt sehr nötig. Das prachtvolle Orchester, dessen Präzision im Zusammenspiel, dessen Kraft und Feinheit hervorragend sind, steht unter Leitung Meyerbeers, des königlich preußischen Generalmusikdirektors. Es ist jener Meyerbeer, (den Sie, glaub' ich, kennen!!! ...). Weitere Dirigenten sind Hennig (erster Kapellmeister), ein geschickter Mann, dessen Talent bei den Künstlern in hohem Ansehen steht, und Taubert (zweiter Kapellmeister), ein glänzender Klavierspieler und Komponist. Ich habe ein Klaviertrio von ihm gehört, das er selbst und die Brüder Ganz spielten; es war von ausgezeichneter Faktur und originellem, schwungvollen Stil. Taubert hat gerade Chöre zu dem griechischen Trauerspiel Medea, das in Berlin neu einstudiert wurde, geschrieben und mit Erfolg zur Aufführung gebracht.

Die Herren Ganz und Ries teilen sich in den Titel und die Ämter des Konzertmeisters.

Betreten wir nun die Bühne.

Der Chor besteht gewöhnlich nur aus sechzig Stimmen; führt man aber große Opern in Gegenwart des Königs auf, dann wird der Chor ums Doppelte verstärkt, und sechzig auswärtige Choristen werden denen des Theaters beigesellt. Alle Stimmen sind von vorzüglicher Frische und Schönheit im Ton. Die meisten Choristen – Männer, Frauen und Kinder – sind musikalisch, zwar weniger geschickt im Vomblattlesen, als die der Pariser Oper, aber viel geübter als diese in der Kunst des Singens, aufmerksamer, sorgfältiger und besser bezahlt. Es ist der beste Theaterchor, dem ich noch begegnet bin. Der Chordirektor ist Elßler, ein Bruder der berühmten Tänzerin. Dieser intelligente, geduldige Künstler könnte sich viele Mühe sparen und bei den Chorübungen raschere Fortschritte machen, wenn er die hundertzwanzig Stimmen, anstatt sie alle zusammen im selben Saale einzuüben, vorher in drei Gruppen teilte (die Soprane und Alte, die Tenöre und die Bässe) und sie, in drei besondern Sälen, unter Leitung dreier von ihm gewählten und beaufsichtigten Unterleiter, getrennt vornähme. Diese analytische Methode, die man am Theater durchaus nicht einführen will, aus elenden Gründen der Sparsamkeit und eingefleischter Gewohnheit, ist dennoch die einzige, die es erlaubt, jede Chorpartie von Grund auf zu studieren und eine sorgfältige, wohl nüancierte Ausführung davon zu ermöglichen; ich habe das schon an anderer Stelle gesagt und werde nicht müde, es zu wiederholen.

Die Solosänger der Berliner Oper nehmen in der Hierarchie der Virtuosen keinen so hohen Rang ein, als zu dem sich Chor und Orchester, jedes in seiner Art, unter den musikalischen Streitkräften Europas aufgeschwungen haben. Die Truppe zählt indessen ansehnliche Talente, unter denen anzuführen sind:

Fräulein Marx, ein ausdrucksvoller, sehr sympathischer Sopran, dessen äußerste Register, in der Tiefe und Höhe, leider schon ein wenig an Reiz einzubüßen beginnen.

Fräulein Tutchek, ein biegsamer Sopran, von ziemlich reiner, schattierungsfähiger Klangfarbe.

Fräulein Hähnel, ein ausgesprochener Alt.

Boeticher, ein vortrefflicher Baß von großem Umfang und schönem Timbre, geschickter Sänger, guter Darsteller, singt vollendet musikalisch vom Blatt.

Zsische, lyrischer Baß, ist wahrhaft begabt; seine Stimme und Methode dürften im Konzert noch glänzender hervortreten als im Theater.

Mantius, erster Tenor; seiner Stimme fehlt es etwas an Geschmeidigkeit und Umfang.

Frau Schroeder-Devrient, die erst seit einigen Monaten engagiert ist: ein in der Höhe verbrauchter Sopran, wenig biegsam, indessen durchdringend und dramatisch. Frau Devrient singt jetzt allemal zu tief, wenn sie den Ton nicht gewaltsam hervorstoßen kann. Ihre Verzierungen sind von sehr schlechtem Geschmack und sie untermischt – wie unsere Vaudeville-Sänger in ihren Couplets – den Gesang mit gesprochenen Phrasen und Ausrufungen von greulicher Wirkung. Diese Gesangsschule ist die unmusikalischste und trivialste; man könnte sie Anfängern als abschreckendes Beispiel vorhalten.

Pischek, der ausgezeichnete Bariton, den ich schon bei meiner Schilderung von Frankfurt erwähnte, ist, sagt man, auch gerade von Meyerbeer engagiert worden: eine kostbare Erwerbung, zu der man der Direktion des Berliner Theaters gratulieren kann.

Das sind, mein Fräulein, alle mir bekannten Kräfte der dramatischen Musik in der Hauptstadt Preußens. Im italienischen Theater habe ich keine einzige Vorstellung gehört, enthalte mich also eines Berichtes hierüber.

In einem der folgenden Briefe werde ich, bevor ich mich mit der Erzählung meiner Konzerte befasse, meine Erinnerungen an die Vorstellungen der Hugenotten und der Armida, denen ich beiwohnte, an die Singakademie und die Militärkapelle, zu ordnen haben; Einrichtungen wesentlich entgegengesetzten Charakters, aber von ungeheuerm Werte, deren Glanz, verglichen mit dem, was wir in dieser Art besitzen, unsern Nationalstolz tief demütigen muß.


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