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56.

Dresden.

 

An Ernst

Sie haben mir, mein lieber Ernst, dringend empfohlen, mich auf meiner Reise durch Deutschland nicht in den kleinen Städten aufzuhalten und versicherten mich, die Hauptstädte allein böten mir die nötigen Mittel für meine Konzerte.

Andere, als Sie, und einige deutsche Kritiker hatten im selben Sinne zu mir gesprochen und mir später vorgeworfen, ich sei ihren Winken nicht gefolgt, da ich nicht zuerst nach Berlin oder Wien gegangen. Aber Sie wissen, es ist immer bequemer, gute Ratschläge zu geben, als ihnen zu folgen, und wenn ich mich nicht in Übereinstimmung mit dem Reiseplan befinde, der aller Welt der vernünftigste dünkte, so kommt das daher, daß ich ihn nicht einhalten konnte. Erstens war ich nicht Herr über die Zeit für den Antritt meiner Reise; nach einem vergeblichen Besuche in Frankfurt konnte ich, wie ich schon sagte, nicht Knall und Fall nach Paris zurückkehren. Ich wollte nach München reisen, aber ein Brief Baermanns unterrichtete mich, daß meine Konzerte in dieser Stadt erst nach einem Monat stattfinden könnten, und Meyerbeer schrieb mir seinerseits, daß die Neueinstudierung einiger bedeutender Werke das Berliner Theater lange genug in Anspruch nehmen werde, um meine Anwesenheit in Preußen zu dieser Zeit überflüssig zu machen. Dennoch durfte ich nicht müßig bleiben. So entwarf ich denn, voll Sehnsucht, kennen zu lernen, was Ihr harmonienreiches Vaterland an musikalischen Einrichtungen besitzt, den Plan, alles zu sehen, alles zu hören, und meine Ansprüche an Chor und Orchester tief herabzuschrauben, damit ich mich so ziemlich überall auch hören lassen könne. Ich wußte wohl, daß ich den durch Form und Stil einiger meiner Partituren geforderten musikalischen Aufwand in den Städten zweiten Ranges nicht würde finden können; aber ich hob diese Partituren für den Schluß der Reise auf, sie sollten das Forte des Crescendo bilden; und so dachte ich, dies langsame Vorwärtsschreiten ermangele weder der Vorsicht, noch eines gewissen Interesses. Jedenfalls hatte ich nicht zu bereuen, es gewählt zu haben.

Reden wir jetzt von Dresden.

Ich war dort für zwei Konzerte eingeladen und sollte Chor, Orchester, Harmoniemusik, und noch dazu einen berühmten Tenor kennen lernen; seitdem ich Deutschland betreten, hatte ich dergleichen reiche Mittel noch nicht angetroffen. Außerdem sollte ich in Dresden einen warmen, ergebenen, energischen und begeisterten Freund antreffen: Karl Lipinsky, dem ich ehemals in Paris begegnet war. Es ist mir unmöglich, mein lieber Ernst, Ihnen zu beschreiben, mit welchem Feuereifer dieser prächtige Mensch mich alsbald unterstützte. Seine Stellung als erster Konzertmeister, zudem die allgemeine Achtung, die seine Person und sein Talent genießen, geben ihm eine große Autorität über die Künstler der Kapelle, und sicherlich ließ er es nicht daran fehlen, Gebrauch davon zu machen. Da mir der Intendant, Baron Lüttichau, zwei Abende versprochen hatte, so stand das ganze Theater zu meiner Verfügung, und es handelte sich um weiter nichts mehr, als eine vollendete Ausführung anzustreben. Das geriet glänzend, trotzdem das Programm furchtbar war: es enthielt die Ouvertüre zu König Lear, die phantastische Sinfonie, das Offertorium, den Sanktus und das Quaerens me aus meinem Requiem, die beiden letzten Sätze meiner Trauersinfonie, die, wie Sie wissen, für zwei Orchester und Chor geschrieben ist, und einige Gesangstücke. Ich hatte keine Übersetzung des Chores der Sinfonie, aber der Regisseur des Theaters, Herr Winkler, ein geistreicher und zugleich gebildeter Mann, war so außerordentlich gütig, die deutschen Verse, deren wir bedurften, sozusagen zu improvisieren, und die Proben zum Finale konnten beginnen. Was die Gesangsoli betrifft, so existierten sie in lateinischer, deutscher und französischer Sprache. Tichatschek, der Tenor, von dem ich vorhin sprach, hat eine reine, rührende Stimme, die, wenn durch die dramatische Handlung erhitzt, auf der Bühne eine seltene Energie erhält. Sein Gesangstil ist einfach und geschmackvoll, er ist musikalisch und liest vollendet vom Blatt. Er übernahm gleich im Anfang das Tenorsolo im Sanktus, ohne es vorher sehen zu wollen, ohne zu stocken, ohne Grimassen, ohne sich aufzuspielen; er hätte, wie so viele andere im gleichen Falle, das Solo annehmen und mir, zu seinem Privaterfolg, eine ihm bekannte Kavatine aufbürden können; er tat es nicht. Alle Achtung, das war wohlgetan!

Aber die Kavatine aus Benvenuto, die mir einfiel in das Programm aufzunehmen, machte mir allein mehr Mühe, als das ganze übrige Konzert. Man hatte die Primadonna, Frau Devrient, dafür nicht vorschlagen können, da ihr das Stück zu hoch lag und zu bewegliche Koloratur enthielt; Fräulein Wiest, die zweite Sängerin, die von Lipinsky dafür in Aussicht genommen war, fand die deutsche Übersetzung schlecht, das Andante zu hoch und zu lang, das Allegro zu tief und zu kurz, sie verlangte Kürzungen, Punktierungen, war erkältet usw. usw.; Sie kennen ja die Komödie einer Sängerin auswendig, die weder kann noch will.

Endlich zog mich Frau Schubert, die Gattin des Konzertmeisters und geschickten Geigers, den Sie kennen, aus der Verlegenheit und übernahm, nicht ohne Angst, die unglückliche Kavatine, deren Schwierigkeiten sich ihrer Bescheidenheit übertrieben groß darstellten. Sie gefiel sehr. Wirklich, es ist, scheint's, manchmal schwieriger, den »Tajofluß« singen zu lassen, als die C-Moll-Sinfonie aufzuführen.

Lipinsky hatte den Ehrgeiz der Musiker derart angestachelt, daß ihr Wunsch, es gut zu machen, und vor allen Dingen besser, wie die Leipziger (es besteht eine heimliche musikalische Nebenbuhlerschaft zwischen beiden Städten), uns mächtige Arbeitskräfte lieh. Vier lange Proben schienen kaum hinreichend, und das Orchester selbst hätte gern um eine fünfte gebeten, wenn die Zeit uns nicht gefehlt hätte. Aber die Aufführung legte auch Zeugnis davon ab; sie war vortrefflich. Die Chöre allein hatten mich bei der Hauptprobe erschreckt; aber zwei weitere Unterweisungen vor dem Konzert ließen sie die fehlende Sicherheit gewinnen, und die Fragmente aus dem Requiem wurden so gut wiedergegeben, als alles übrige. Die Trauersinfonie hatte denselben Erfolg, als in Paris. Am nächsten Morgen kamen die Militärmusiker, die dabei mitgewirkt hatten, voll Freuden, mir ein Ständchen zu bringen; es trieb mich aus dem Bette, dessen ich doch so sehr bedurfte, und zwang mich, trotz der Kopfschmerzen und meinem ewigen Halsweh, mit ihnen einen kleinen Humpen Punsch zu leeren.

In diesem Dresdener Konzert sah ich zum ersten Male die Vorliebe des deutschen Publikums für mein Requiem sich kundgeben, trotzdem wir, wegen der Kleinheit des Chores, nicht gewagt hatten, die großen Stücke, wie das Dies irae, das Lacrymosa usw. in Angriff zu nehmen. Die phantastische Sinfonie gefiel einem Teile meiner Beurteiler weit weniger. Die vornehmen Kreise meiner Hörerschaft, an der Spitze der König von Sachsen und der Hof, waren, wie man mir sagte, nur mittelmäßig erbaut von der Heftigkeit dieser Leidenschaften, der Schwermut dieser Träume und von allen greulichen Erscheinungen des Schlußsatzes. Nur der Ball und die Ländliche Szene fanden, glaube ich, Gnade vor ihnen. Was das eigentliche Publikum betrifft, so ließ es sich vom Strom der Musik mitreißen und spendete dem »Gang zum Hochgericht« und dem »Hexensabbath« wärmeren Beifall, als den drei andern Sätzen. Alles in allem war indes leicht zu ersehen, daß diese Komposition, die in Stuttgart so wohl aufgenommen, in Weimar so trefflich verstanden, in Leipzig so viel besprochen worden, dem musikalisch-poetischen Herkommen der Dresdener wenig entsprach; diese wurden durch die Inkongruenz des Stückes mit der ihnen bekannten Form der Sinfonie verwirrt und mehr davon überrascht, als erfreut, minder gerührt, als betäubt.

Das Dresdener Orchester, das lange unter Leitung des Italieners Morlachi und des erlauchten Komponisten des Freischütz gestanden, wird jetzt von den Herren Reißiger und Richard Wagner dirigiert. Wir kennen in Paris von Reißiger kaum mehr, als den weichmelancholischen Walzer, der unter dem Titel »Webers letzter Gedanke« herausgekommen ist. Während meines Aufenthalts in Dresden wurde eine seiner kirchlichen Kompositionen aufgeführt, die man mir höchlich anpries. Ich kann in dieses Lob nicht einstimmen; am Tage der Feier, bei der das Werk aufgeführt wurde, fesselten mich schreckliche Leiden ans Bett, und so ward ich leider verhindert, es zu hören. Was den jungen Kapellmeister Richard Wagner betrifft, der sich lange in Paris aufgehalten, ohne sich anders, als durch ein paar Artikel in der Gazette musicale bekannt machen zu können, so brauchte er seine Autorität zum ersten Male, indem er mich bei meinen Proben unterstützte, was er mit Eifer und großer Gutmütigkeit tat. Die Feierlichkeit, bei der er der Kapelle vorgestellt worden, hatte am Tage nach meiner Ankunft stattgefunden, und so traf ich ihn im vollen Rausche einer ganz natürlichen Freude an. Nachdem Richard Wagner in Frankreich tausend Entbehrungen und alle Schmerzen erlitten hatte, die das Unbekanntsein mit sich bringt, war er in seine Heimat, Sachsen, zurückgekehrt, hatte den Mut gehabt, eine fünfaktige Oper (Rienzi) in Wort und Ton zu beginnen, und das Glück, sie zu vollenden. Das Werk hatte in Dresden einen durchschlagenden Erfolg. Bald darauf folgte »Der fliegende Holländer«, Oper in drei Akten, deren Dichtung und Musik gleichfalls von ihm stammt. Wie man auch über den Wert dieser Werke denken mag: man muß zugeben, daß Männer, die fähig sind, sich zweimal mit Erfolg der literarisch-musikalischen Doppelarbeit zu unterziehen, nicht zu den gewöhnlichen gehören, und daß Wagner eine Talentprobe ablegte, die mehr als hinreichend war, die Aufmerksamkeit und das Interesse auf sich zu lenken. Der König von Sachsen hatte das vollkommen begriffen, und am Tage, da er seinem ersten Kapellmeister Richard Wagner zur Seite setzte und so dessen Existenz sicherte, konnten die Kunstfreunde zu Sr. Majestät sagen, was Jean Bart Ludwig XIV. antwortete, als dieser dem unerschrockenen Seebären seine Ernennung zum Befehlshaber des Geschwaders ankündigte: »Sire, Sie haben wohl getan!«

Die Oper Rienzi, welche die gewöhnliche Länge der deutschen Opern weit übersteigt, wird jetzt nicht mehr als Ganzes gegeben. Die beiden ersten Akte werden an einem Abend gegeben und am nächsten die drei letzten. Nur diesem zweiten Teil habe ich beigewohnt; bei einmaligem Hören konnte ich ihn nicht so gründlich kennen lernen, um mir eine feste Meinung über ihn zu bilden; ich erinnere mich nur eines schönen Gebetes, das Rienzi (Tichatschek) im letzten Akte singt, und eines Triumphmarsches, der wohl, ohne sklavische Nachahmung, dem großartigen Marsch aus Olympia nachgebildet ist. Die Partitur des fliegenden Holländers schien mir bemerkenswert durch ihr düsteres Kolorit und gewisse Sturmeffekte, die durch den Vorwurf völlig motiviert sind; aber ich mußte darin auch einen Mißbrauch des Tremolo erkennen, der um so leidiger wirkte, als er mir schon im Rienzi unangenehm aufgefallen war, und weil er eine gewisse geistige Trägheit des Komponisten anzeigt, vor der er sich nicht genug in acht nimmt. Das ausgehaltene Tremolo ist von allen Orchestereffekten derjenige, den man am leichtesten müde wird; es erfordert übrigens nicht die geringste Erfindung von seiten des Komponisten, wenn es, weder oben, noch unten, von irgendeinem hervortretenden Gedanken begleitet wird.

Wie dem auch sei, ich wiederhole: man muß den königlichen Einfall ehren, der einem jungen Künstler von schätzbaren Fähigkeiten vollen tätigen Schutz angedeihen ließ und ihn sozusagen rettete.

Die Intendanz des Dresdener Theaters hat nichts versäumt, der Inszenierung beider Wagnerschen Werke jeden nur möglichen Glanz zu geben; die Dekorationen, Kostüme und die Regie des Rienzi kommen dem Besten nahe, das man in dieser Art zu Paris sieht. Frau Devrient, von der ich bei Gelegenheit ihres Berliner Auftretens länger zu reden haben werde, spielt im Rienzi die Rolle eines jungen Mannes; dieses Kostüm paßt kaum mehr zu ihren etwas mütterlichen Formen. Viel mehr war sie, wie mich dünkt, im »Fliegenden Holländer« am Platz, trotz einiger affektierten Posen und gesprochener Einwürfe, die sie überall meint anbringen zu müssen. Aber ein wahrhaftes, reines und vollkommenes Talent, das sehr lebhaft auf mich wirkte, ist das von Wechter, der die Rolle des fliegenden Holländers innehatte. Seine Baritonstimme ist eine der schönsten, die ich je gehört, und er wendet sie vollkommen kunstgerecht an; sie hat jenen weichen und dabei leidenschaftlichen Klang, dessen Ausdrucksgewalt so groß ist, sobald der Künstler nur ein wenig Herz und Empfindung in seinen Gesang legt; diese beiden Eigenschaften besitzt Wechter in sehr hohem Grade. Tichatschek ist in der Rolle des Rienzi voller Anmut, Leidenschaft und Glanz, er ist heldenhaft und hinreißend; hier kommen ihm seine schöne Stimme und seine großen, feurigen Augen wunderbar zu statten. Fräulein Wiest, Rienzis Schwester, hat fast nichts zu singen. Der Komponist hat diese Rolle, als er sie schrieb, den Mitteln der Sängerin vollkommen angepaßt.

Nun möchte ich Ihnen, mein lieber Ernst, ausführlich von Lipinsky erzählen; aber Ihnen, dem hochbewunderten Geiger, dem man in ganz Europa Beifall klatscht, Ihnen, dem aufmerksamen, fleißigen Künstler, könnte ich wahrlich nichts Neues sagen über das Talent des großen Virtuosen, der Ihr Vorgänger ist. Sie wissen ebensogut, ja besser, als ich, wie er singt, wie er, im hohen Stile, rührt und erhebt, und haben in Ihrem untrüglichen Gedächtnisse seit langem die schönen Stellen aus seinen Konzerten aufbewahrt. Übrigens war Lipinsky, während meines Aufenthalts in Dresden, so ausnehmend hilfsbereit, so voller Wärme und Ergebenheit gegen mich, daß mein Lob, in den Augen vieler Leute, nicht unparteiisch erscheinen möchte; man würde es (sehr mit Unrecht, darf ich sagen) eher der Erkenntlichkeit, als dem wahren Antrieb der Bewunderung zuschreiben. Er ward in meinem Konzert, nach der Violinromanze, die, wenige Tage früher, von David in Leipzig gespielt worden, und nach dem Bratschensolo meiner zweiten Sinfonie (Harold) mit Beifall überschüttet.

Der Erfolg dieses zweiten Abends war dem des ersten überlegen; die melancholischen, religiösen Szenen des Harold schienen vom ersten Anfang an alle Herzen zu gewinnen, und dasselbe Glück ward den Bruchstücken aus Romeo und Julie zuteil (Adagio und Fest bei Capulet). Was aber auf das Publikum und die Künstler Dresdens am lebhaftesten wirkte, war die Kantate »Der fünfte Mai«, die von Wechter und dem Chor bewundernswert gesungen wurde, auf eine deutsche Übersetzung, die wiederum der unermüdliche Winkler so gütig war für diese Gelegenheit zu schreiben.

Das Andenken Napoleons ist heute dem deutschen Volke fast ebenso wert, als dem französischen, und das ist ohne Zweifel die Ursache des tiefen Eindrucks, den dieser Gesang beständig in allen Städten machte, wo ich ihn hernach zur Aufführung brachte. Vor allem hat manchmal der Schluß zu besondern Kundgebungen Veranlassung gegeben:

Fern diesem Felsen flüchten wir uns schweigend,
der Tagesstern verlosch am Firmament ...

In Dresden machte ich die Bekanntschaft des wunderbaren Harfenspielers Parish-Alvars, dessen Name noch nicht die verdiente Popularität gewonnen hat. Er kam von Wien. Das ist der Liszt der Harfe! Man stellt sich nicht vor, was er alles an zarten und kräftigen Wirkungen hervorbringt, originelle Läufe, unerhörte Klänge – auf seinem in gewisser Weise so beschränkten Instrumente. Seine Phantasie über Moses, deren Form von Thalberg so glücklich nachgeahmt und für Klavier übertragen worden ist, seine Flageolet-Variationen über den Chor der Meermädchen aus Oberon und zwanzig andere Stücke gleicher Art haben mich unbeschreiblich entzückt. Der Vorteil der neuen Harfen: mittels doppelter Pedaltritte zwei Saiten in den Einklang stimmen zu können, brachte ihn auf Kombinationen, die, sieht man sie geschrieben, ganz unausführbar erscheinen.

Ihre ganze Schwierigkeit besteht indessen nur in der sinnreichen Anwendung der Pedale, mittels deren man die sogenannten synonymen Töne hervorbringt. So erzeugt er mit blitzartiger Schnelle vierstimmige Gänge aus kleinen Terzen, weil, mittels der »Synonyme«, die Saiten seiner Harfe, anstatt, wie gewöhnlich, in der Ces-Dur-Tonleiter gestimmt zu sein, in absteigender Folge die Reihe hören lassen: Symbol. Parish-Alvars hat während seines Wiener Aufenthalts einige gute Schüler ausgebildet. Er hat sich kürzlich in Dresden, Leipzig, Berlin und in vielen andern Städten hören lassen, wo sein Talent stets Begeisterung erweckte. Was zögert er, nach Paris zu kommen? ...

Man findet im Dresdener Orchester, neben anderen hervorragenden, bereits genannten Künstlern, den trefflichen Professor Dotzauer; er führt die Violoncelli an und muß allein die Verantwortung für die Einsätze des ersten Pultes der Kontrabässe übernehmen; denn der Kontrabassist, der mit ihm die gleiche Stimme liest, ist zu alt, um auch nur ein paar Noten daraus zu spielen und hat gerade noch die Kraft, das Gewicht seines Instrumentes zu tragen. Ich habe in Deutschland oft Beispiele von übel angebrachter Ehrfurcht vor den Greisen gesehen, welche die Kapellmeister veranlaßt, jene vor Aufgaben zu stellen, die ihre physischen Kräfte weit übersteigen; sie lassen sie leider im Amt, bis sie der Tod hinwegrafft. Mehr als einmal habe ich mich mit meiner ganzen Unempfindlichkeit wappnen und mit grausamer Hartnäckigkeit auf Ersetzung dieser armen Invaliden dringen müssen. In Dresden gibt's ein sehr gutes Englisches Horn. Der erste Hoboist hat einen schönen Ton, aber einen veralteten Stil, und eine Sucht, Triller und Mordente anzubringen, die mich, wie ich gestehe, tief verletzt hat. Besonders Schauerliches erlaubte er sich beim Solo zu Beginn der »Ländlichen Szene«. Ich gab bei der zweiten Probe meinen Abscheu vor diesen musikalischen Spässen sehr deutlich zu erkennen; er enthielt sich ihrer heimtückischer Weise in den nächsten Proben, aber das war nur ein Hinterhalt: am Tage des Konzerts begann der perfide Hoboist, der sicher war, daß ich nicht abklopfen und ihn persönlich vor Hof und Publikum zur Rede stellen würde, von neuem seine kleinen Niederträchtigkeiten und sah mich dabei mit spöttischer Miene an, so daß ich vor Entrüstung und Wut fast hintenübergefallen wäre.

Unter den Hornisten fällt Herr Lévy auf, ein Virtuose, der in Sachsen einen guten Ruf genießt. Er gebraucht, wie seine Kollegen, das Ventilhorn, welches beim Leipziger Orchester, das in diesem Punkte unter den Orchestern des deutschen Nordens wohl einzig dasteht, noch nicht in Aufnahme gekommen ist. Die Trompeten in Dresden haben gleichfalls Ventile; sie vertreten vorteilhaft unsere cornets à pistons, die man dort nicht kennt.

Die Militärkapelle ist sehr gut, sogar die Trommler sind musikalisch; aber die Instrumente mit Mundstück, die ich dort hörte, erschienen mir nicht einwandfrei; sie lassen an Reinheit zu wünschen, und der Kapellmeister dieser Regimenter täte gut, sich um einige Klarinetten an unsern unvergleichlichen Instrumentenbauer Adolf Sax zu wenden.

Ophikleïden gibt es nicht; die tiefen Stimmen werden mit russischen Fagotten, Serpenten und Tuben besetzt.

Ich habe bei der Leitung des Dresdener Orchesters oft an Weber gedacht, der es einige Jahre lang dirigierte, als es noch zahlreicher war, denn heute.

Weber hatte es dergestalt geschult, daß es ihm manchmal einfiel, im Allegro der Freischützouvertüre die vier ersten Schläge zu geben, und dann das Orchester bis zu den Schlußfermaten ganz allein laufen zu lassen. Die Musiker, die im gleichen Falle ihren Dirigenten so die Arme kreuzen sehen, dürfen stolz sein.

Möchten Sie glauben, mein lieber Ernst, daß es während der drei Wochen, die ich in dieser so musikalischen Stadt zubrachte, niemand einfiel, mir gegenüber die Familie Weber zu erwähnen, noch mich darüber zu belehren, daß sie in Dresden wohnhaft sei? Ich wäre so glücklich gewesen, sie kennen zu lernen und meiner ehrfürchtigen Bewunderung für den großen Komponisten, der ihren Namen berühmt gemacht, einigen Ausdruck zu geben! ... Ich erfuhr zu spät, daß ich die kostbare Gelegenheit versäumt hatte und muß wenigstens an dieser Stelle Frau Weber und ihre Kinder bitten, an meinem Bedauern hierüber nicht zu zweifeln.

In Dresden wurden mir einige Partituren des berühmten Hasse gezeigt, genannt der Sachse, der auch, vor Zeiten, lange die Schicksale der Kapelle gelenkt hat. Ich gestehe, nichts Besonderes daran gefunden zu haben; nur ein Tedeum, das ausdrücklich für ein glorreiches Jubiläum des sächsischen Hofes komponiert war, kam mir prunkvoll und glänzend vor, wie ein Geläute großer Glocken, die mit aller Macht schwingen. Dieses Tedeum darf denjenigen, die sich in solchem Falle mit einer machtvollen Klangfülle begnügen, als schön gelten; was mich betrifft, so scheint mir diese Eigenschaft nicht hinreichend. Was ich vor allem kennen lernen möchte, aber durch eine gute Aufführung, das sind einige der zahlreichen Opern, die Hasse für Italien, Deutschland und England schrieb und die seinen ungeheuern Ruf begründet haben. Warum versucht man nicht in Dresden, wenigstens eine davon wieder aufzuführen? Es wäre ein interessantes Experiment; vielleicht eine Auferstehung! Hasses Leben muß sehr abenteuerlich gewesen sein; ich habe vergebens versucht, es kennen zu lernen. Ich habe darüber nichts, als die gewöhnlichen Biographien gefunden, die das wiederholten, was ich schon wußte, und kein Wort von dem sagten, was ich gerne erfahren hätte. Er ist soviel gereist, hat solange in der heißen Zone und an den Polen gelebt, will sagen in Italien und England. Er müßte in seinen Beziehungen zu dem Venezianer Marcello, in seinem Liebesverhältnis mit Faustina, die er heiratete und die in seinen Opern die Hauptrollen sang, einen seltsamen Romanhelden abgeben, wie auch in den ehelichen Zwisten, dem Kriege des Komponisten gegen die Sängerin, wo der Herr Sklave ist und das Recht immer unrecht hat. Vielleicht geschah auch nichts von alledem, wer weiß? Vielleicht war Faustina eine sehr menschliche Diva, war bescheiden als Sängerin, tugendhaft als Gattin, war gut musikalisch und ihrem Manne treu, betete ihren Rosenkranz und strickte Strümpfe, wenn sie nichts zu tun hatte. Hasse schrieb, Faustina sang; sie verdienten alle beide viel Geld und sparten. Das kam vor, kommt noch vor; ich wünsche es Ihnen, wenn Sie heiraten.

Als ich Dresden verließ, um nach Leipzig zurückzukehren, und Lipinsky vernahm, daß Mendelssohn in dem Konzert zum Besten der Armen mein Finale aus Romeo und Julie aufführe, teilte er mir seine Absicht mit, zu dieser Aufführung zu kommen, wenn der Intendant ihn auf zwei bis drei Tage beurlauben wolle. Ich hielt dieses Versprechen nur für eine sehr liebenswürdige Redensart; aber stellen Sie sich meine Betrübnis vor, als ich am Tage des Konzerts Lipinsky eintreffen sah, da doch wegen des Zwischenfalls, von dem ich im vorigen Brief erzählte, das Finale nicht aufgeführt werden konnte ... Er hatte fünfunddreißig Meilen zurückgelegt, um dieses Stück zu hören! ... Das nenne ich einen musikliebenden Musiker! ... Aber dieser Zug wird Sie, mein lieber Ernst, nicht in Erstaunen setzen; Sie würden es ebenso machen, des bin ich sicher. Sie sind Künstler!

Ade, ade!


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