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25.

Dritter Wettbewerb am Institut. Der erste Preis wird nicht verliehen. Merkwürdiges Gespräch mit Boïeldieu. Die wohltuende Musik.

 

Der Monat Juni eröffnete mir von neuem die Schranken des Instituts. Ich hatte gute Aussicht, diesmal zum Ziel zu gelangen; von allen Seiten trafen die günstigsten Prophezeiungen ein. Selbst die Mitglieder der Musikabteilung sprachen sich dahin aus, daß ich sicherlich den ersten Preis gewinnen würde. Übrigens bewarb ich mich als Laureat des zweiten Preises mit Schülern, die überhaupt noch keine Auszeichnung erhalten hatten, mit schlichten Bürgern, und als gekröntes Haupt war ich gegen sie sehr im Vorteil. Da ich sagen hörte, ich könne meiner Sache sicher sein, tat ich – wie mich die Erfahrung alsbald lehrte – folgenden Fehlschluß: »Da die Herrn im voraus gewillt sind, mir den ersten Preis zu geben, sehe ich nicht ein, warum ich mich, wie im vergangenen Jahre, zwingen soll, in ihrem Stil und Sinne zu schreiben, statt daß ich mich meiner eigenen Empfindung überlasse und dem mir natürlichen Stil. Sei du ernstlich Künstler und schreib eine Kantate, die sich gewaschen hat.«

Der Stoff, den wir zu behandeln hatten, war »Kleopatra nach der Schlacht bei Aktium«. Die ägyptische Königin läßt sich von einer Viper beißen und stirbt in Zuckungen. Ehe sie ihren Selbstmord ausführt, ruft sie, voll ehrfürchtigen Schauders, die Schatten der Pharaonen an; sie fragt, ob sie, die schmachbeladene, schuldvolle Königin, würdig sei, Aufnahme zu finden in einem der Riesengräber, die man den Manen der ruhmreichen, tugendsamen Herrscher errichtet.

Hier galt es, eine große Idee auszudrücken. Ich hatte manchesmal in Gedanken den unsterblichen Monolog der shakespearischen Julia musikalisch zu illustrieren versucht

»But if when I am laid into the tomb ...«,

dessen Affekt sich, wenigstens so weit er Schrecken ist, der Anrede nähert, die unser französischer Reimschmied der Kleopatra in den Mund gelegt hatte. Ja, ich war so ungeschickt, den zitierten englischen Vers als Motto auf meine Partitur zu schreiben – schon das allein war in den Augen voltairischer Akademiker, meiner Richter, ein unverzeihliches Verbrechen.

Ich komponierte also ohne Sorgen ein Stück über dieses Thema, das mir nicht ohne Größe zu sein schien, einen gerade durch seine Fremdheit packenden Rhythmus hatte, enharmonische Verwechslungen aufwies, die für mich von feierlichem, düstern Wohlklang waren, und eine Melodie, deren dramatischer Fluß in einem langsamen, beständigen Anwachsen dahinströmte. Ich habe später, ohne daran zu ändern, den Chor (in unisono und Oktaven) mit dem Namen »Chor der Schatten« in meinem lyrischen Drama »Lelio« daraus gemacht.

Da ich ihn in meinen deutschen Konzerten gehört, kenne ich seine Wirkung gut. Die Erinnerung an das übrige in dieser Kantate ist aus meinem Gedächtnis entschwunden, aber ich glaube, dieses Stück allein hätte den ersten Preis verdient. Daher erhielt es ihn nicht. Keine Kantate bekam ihn übrigens.

Das Preisgericht hatte es vorgezogen, in diesem Jahre lieber überhaupt keinen ersten Preis zu verleihen, als durch seine Abstimmung einen jungen Komponisten zu ermutigen, bei dem sich derartige Neigungen kundgaben. Am Tage nach dieser Entscheidung begegnete mir Boïeldieu auf dem Boulevard. Ich gebe das Gespräch, das wir führten, wortgetreu wieder; es war zu merkwürdig, als daß ich es hätte vergessen können.

Als er mich sah, sagte er: »Mein Gott, Kind, was haben Sie gemacht? Sie hatten den Preis in der Hand und warfen ihn weg.«

– »Gleichwohl habe ich mein Bestes gegeben, ich versichere Sie.«

– »Gerade das werfen wir Ihnen vor. Sie sollten nicht Ihr Bestes geben; Ihr Bestes ist der Feind des Guten. Wie könnte ich solche Sachen billigen, ich, der ich die wohltuende Musik über alles liebe? ...«

– »Es ist recht schwer, wohltuende Musik zu machen, wenn eine ägyptische Königin, verzehrt von Selbstvorwürfen und durch einen Schlangenbiß vergiftet, unter seelischen und körperlichen Qualen stirbt.«

– »O, ich zweifelte nicht daran, daß Sie sich zu verteidigen wüßten; aber all das beweist nichts; man kann immer anmutig sein.«

– »Ja, die Gladiatoren des Altertums verstanden es, graziös zu sterben; aber Kleopatra war nicht so selbstbewußt, das erlaubte ihr Zustand nicht. Übrigens starb sie ja nicht öffentlich.«

– »Sie übertreiben; wir haben ja nicht von Ihnen verlangt, sie einen Kontertanz singen zu lassen. Welche Nötigung lag ferner vor, in Ihrer Anrufung der Pharaonen so fremdartige Harmonien zu bringen? ... Ich bin nun einmal kein Harmoniker und muß gestehen, daß ich von Ihren Akkorden aus der andern Welt überhaupt nichts verstanden habe.«

Ich senkte den Kopf, weil ich nicht wagte, die Antwort zu geben, die mir der gesunde Menschenverstand auf die Zunge legte: Kann ich dafür, daß Sie kein Harmoniker sind? ...

– »Und dann«, fuhr er fort, »wozu dieser Rhythmus in Ihrer Begleitung, den man nie und nirgends gehört hat?«

– »Ich glaube nicht, daß man beim Komponieren Neuerungen vermeiden müßte, wenn man so glücklich war, solche zu finden, und wenn sie am Platze sind.«

– »Aber, mein Lieber, Frau Dabadie, die Ihre Kantate sang, ist ausgezeichnet musikalisch, und trotzdem sah man, daß sie, um sich nicht zu irren, all ihr Talent und ihre ganze Aufmerksamkeit zusammennehmen mußte.«

– »Wahrhaftig, ich muß gestehen, ich wußte noch nicht, daß die Musik dazu bestimmt sei, ohne Talent und Aufmerksamkeit ausgeführt zu werden.«

– »Wohl, wohl, Sie ziehen niemals den kürzeren, ich weiß. Adieu, machen Sie sich diese Erfahrung für nächstes Jahr zunutze. Inzwischen besuchen Sie mich; wir plaudern zusammen; ich werde mit Ihnen streiten, aber als französischer Kavalier.« Und er entfernte sich, ganz stolz, eine Pointe für seinen Abgang gefunden zu haben, wie die Brettlsänger sagen. Um diese »Pointe«, die eines Elleviou Berühmtes Mitglied der Opéra-Comique, der Typus der galanten französischen Kavaliere des Kaiserreichs. würdig gewesen wäre, in ihrer ganzen Vortrefflichkeit zu verstehen, muß man wissen, daß Boïeldieu, als er sie auf mich abschoß, gewissermaßen eines seiner Werke zitierte, in dem er die beiden federbuschigen Wörter in Musik gesetzt hatte. Johann von Paris.

Gleichwohl faßte Boïeldieu in dieser kindlichen Unterhaltung nur die französischen Anschauungen seiner Zeit über Musik zusammen. Ja, wohl war es so; das große Publikum von Paris wollte einschmeichelnde Musik, selbst bei den schrecklichsten Begebenheiten, ein wenig dramatisch, aber nicht zu ausgesprochen, farblos, frei von ungewohnten Rhythmen und außerordentlichen Harmonien, von neuen Bildungen, unerwarteten Wirkungen; Musik, die von den Ausführenden und Hörern weder großes Talent, noch große Aufmerksamkeit fordert. Es war eine liebenswürdige, galante Kunst in eng anliegenden Hosen und Stulpen, nie begeistert oder träumerisch, aber vergnüglich, Troubadour und französischer Kavalier ... von Paris.

Vor einigen Jahren wollte man etwas anderes: etwas, das kaum mehr wert war. Jetzt weiß man nicht, was man will, oder vielmehr: man will überhaupt nichts.

Wo zum Teufel hatte der liebe Gott den Kopf, als er mich in dem possierlichen Lande Frankreich zur Welt kommen ließ? ... Und doch liebe ich dieses drollige Land, seit ich es fertig gebracht, die Kunst zu vergessen und nicht mehr an unsere dummen politischen Hetzen zu denken. Wie amüsiert man sich dort bisweilen! Wie lacht sich's dort! Welcher Aufwand mit Ideen wird dort getrieben! (wenigstens in Worten). Wie zerreißt man dort Gott und die Welt mit hübschen weißen Zähnchen, mit schönen polierten Nägeln! Wie sprüht dort der Esprit! Wie jongliert man dort mit Phrasen! Wie belügt man sich dort königlich und republikanisch! ... Diese letzte Art ist die weniger lustige.


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