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3.

Meylan. Mein Onkel. Die rosa Halbschuhe. Die Baumnymphe von Saint-Eynard. Die Liebe eines zwölfjährigen Herzens.

 

Denn ich kannte schon die grausame Leidenschaft, die der Dichter der Äneide so wohl beschrieben hat, eine seltene Leidenschaft, was man auch sage, schwer zu erklären und so voll Macht über gewisse Seelen. Sie hatte sich mir, dem Zwölfjährigen, vor der Musik offenbart. Und das kam so:

Mein Großvater mütterlicherseits, der den Namen mit Walter Scotts fabelhaftem Krieger (Marmion) gemeinsam hat, lebte zu Meylan, einem Landgut, das, zwei Meilen von Grenoble entfernt, auf der Seite der savoyischen Grenze liegt. Das Dorf und die es umgebenden Weiler, das Tal der Isère, das sich zu ihren Füßen breitet, und die Berge des Dauphiné, die sich dort mit den Voralpen vereinigen, gewähren einen der romantischsten Aufenthaltsorte, die ich jemals bewundert habe. Meine Mutter, meine Schwestern und ich gingen, gewöhnlich jedes Jahr, im Spätsommer auf drei Wochen dorthin. Mein Onkel (Félix Marmion), der damals der leuchtenden Spur des großen Kaisers folgte, schloß sich uns manchmal an, noch heiß vom Pulverdampf; bald schmückte ihn ein einfacher Lanzenstich, bald hatte er einen Kartätschenschuß im Fuß oder einen prachtvollen Säbelhieb mitten durchs Gesicht. Er war erst Regimentsadjutant bei den Lanciers; jung, der Ruhmesgöttin ergeben und bereit, sein Leben für einen Blick von ihr zu opfern, hielt er den Thron Napoleons für unerschütterlich wie den Montblanc. Übrigens war er lustig und galant, ein großer Liebhaber des Geigenspiels und sehr bewandert im Singen komischer Opernpartien.

Im obern Teil von Meylan, hart am steilen Berghang, steht ein weißes Häuschen, umgeben von Weinbergen und Gärten, von wo sich die Aussicht auf das Tal der Isère öffnet; dahinter liegen ein paar steinige Hügel, eine alte Turmruine, Wald und ein gewaltiger Felsriese, der St. Eynard, kurz, es ist ein Ruhesitz, ganz wie geschaffen zum Schauplatz eines Romans. Es war die Villa der Frau Gautier, die während der schönen Jahreszeit dort mit ihren beiden Nichten wohnte, deren jüngste Estelle hieß. Der Name allein hätte genügt, meine Aufmerksamkeit zu erregen; er war mir lieb schon von Florians Schäferspiel her (Estelle und Némorin), das ich der Bibliothek meines Vaters entwendet und heimlich hundert- und aberhundertmal gelesen hatte. Aber, die ihn trug, war achtzehnjährig, von zierlichem, hohem Wuchs, hatte große, kampfbereite Augen, die aber immer lächelten, Haar, das den Helm des Achilles würdig geschmückt hätte, Füße, ich will nicht sagen: einer Andalusierin, aber einer Pariserin reiner Rasse, und ... rosa Halbschuhe! ... Ich hatte nie solche gesehen ... Ihr lacht!! ... So hört: ich habe die Farbe ihrer Haare vergessen (sie waren indessen schwarz, glaube ich), aber ich kann nicht an sie denken, ohne daß ich, zugleich mit ihren großen Augen, die kleinen rosa Schuhe schimmern sehe.

Wenn ich sie sah, fühlte ich einen elektrischen Schlag; ich liebte sie, mehr kann ich nicht sagen. Der Schwindel ergriff mich und ließ mich nicht mehr. Ich hoffte nichts ... wußte nichts ... aber empfand im Herzen einen tiefen Schmerz. Ich brachte ganze Nächte in Verzweiflung hin. Tagsüber verbarg ich mich in den Maisfeldern, in heimlichen Verstecken des großväterlichen Obstgartens, wie ein verwundeter Vogel, stumm und leidend. Die Eifersucht, die bleiche Begleiterin der reinsten Liebe, quälte mich beim geringsten Wort, das ein Mann an mein Idol richtete. Noch höre ich schaudernd die Sporen meines Onkels klirren, wenn er mit ihr tanzte! Alles im Hause und in der Nachbarschaft machte sich über das arme zwölfjährige Kind lustig, das einer Liebe erlag, die über seine Kräfte ging. Sie selbst, die alles zuerst erraten, ergötzte sich, wie ich sicher glaube, höchlich daran. Eines Abends war große Gesellschaft bei ihrer Tante. Es sollte Barlauf gespielt werden. Man mußte sich, zur Bildung zweier feindlicher Parteien, in zwei gleiche Gruppen teilen. Die Herren wählten sich ihre Damen; man ließ mich, absichtlich vor den andern, die meine aussuchen. Aber ich wagte es nicht, das Herz schlug mir zu stark; ich senkte die Augen und schwieg. Alles neckte mich; da nahm mich Fräulein Estelle bei der Hand: »Nun, dann nicht, so werde ich wählen! Ich nehme Herrn Hektor!« O Schmerz! Auch sie, die Grausame, lachte von der Höhe ihrer Schönheit auf mich herab ...

Nein, die Zeit hat keine Gewalt darüber ... Neue Liebe löscht nicht die Spur der ersten ... Dreizehn Jahre zählte ich, als ich sie aus den Augen verlor ... Dreißig Jahre war ich alt, als mir, auf der Rückreise von Italien durch die Alpen, die Augen feucht wurden, da sie von ferne den St. Eynard, das weiße Häuschen, den alten Turm sahen ... Ich liebte sie noch ... Bei meiner Ankunft erfuhr ich, sie sei ... verheiratet und ... alles, was daraus folgt. Es heilte mich nicht. Meine Mutter, die mich manchmal mit meiner ersten Leidenschaft aufzog, tat vielleicht unrecht, mir den folgenden Streich zu spielen. »Hier!« sagte sie wenige Tage nach meiner Rückkehr aus Rom zu mir, »da ist ein Brief, den ich einer Dame aufheben soll, die jeden Augenblick mit der Vienner Post hier durchkommen muß. Geh, während des Pferdewechsels, aufs Postbüro, erkundige dich nach Frau F***** und händige ihr den Brief ein. Betrachte dir die Dame dann wohl; ich wette, du erkennst sie wieder, obwohl du sie seit siebzehn Jahren nicht gesehen.« Ich gehe, ohne mir zu überlegen, was das heißen solle, auf die Poststation. Als der Wagen kommt, trete ich, den Brief in der Hand, heran und frage nach Frau F*****. »Das bin ich!« antwortet mir eine Stimme. Das ist sie! sagt mir mit dumpfem, dröhnendem Schlag mein Herz. Estelle! ... Noch schön! ... Estelle! ... Die Nymphe, die Dryas vom St. Eynard, der grünen Hügel von Meylan! Ja, so trug sie den Kopf, das ist ihr herrliches Haar, ihr berückendes Lächeln! ... Aber die kleinen rosa Schuhe, ach, wo sind sie hin? ... Sie nahm den Brief. Erkannte sie mich wieder? Ich weiß es nicht. Der Wagen fuhr wieder ab und ich kehrte heim, zitternd vor Aufregung. »Nun?« sagte meine Mutter und sah mich forschend an, »ich merke, Némorin hat seine Estelle noch keineswegs vergessen.« Seine Estelle! O boshafte Mutter! ...


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