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Widerschein der Vergangenheit.

An Charlotte Bindemann. Der Erinnerung an die Jugendfreundin Charlotte Bindemann, später verehelichte Copin, gewidmet. (D. H.)

1856.

Es klang ein Klang, es schien ein Schein,
Wie geklungen, geschienen von andern Sternen.
So klingt aus hohen Alpenfernen
Ein Frühlingslied ins Tal hinein;
So scheint ein goldner Abendschein
Von längst verschienenen, goldnen Tagen,
Ein Tröster aller Mühn und Plagen
Dem müden Pflüger ins Fenster hinein.

In solchen wunderbaren Weisen
Tust mir mit rosenlächelndem Mund,
Du, liebes Kind, dem weißen Greisen
Vergelbte Jugendbilder kund.
Es ist, wie das Vergißmeinnicht
Die diamantne Zauberpforte,
Bewacht vom unsichtbaren Wicht,
Leicht aufzuschließen uns verspricht.

Wir sehn die aufgehäuften Horte
Tief aus der Zwergenschmiede dunkeln
Gemächern uns entgegenfunkeln –
Schon rufet der Juwelenschein:
» Schließ auf! Schließ auf! Herein! Herein!
Rühr's Blümlein dran, der Schatz ist dein.«

O süßes Spiel der Phantasei!
Du süßes Kind vom ersten Mai!
Du Blümelein Vergißmeinnicht,
Das heut so Unaussprechlich's spricht,
Als könnten wir von allen Riegeln
Und Schlössern das Zauberwort entsiegeln,
Als wäre in den grauen Herzen
Der Jugend hellem Zauberschatz
Und ihren süßen Blumenscherzen
Noch immer ein begrünter Platz.

Ach ja! Ach ja! Wie mancher Schatz
Mit seinem Glanz ist uns versunken,
Den einst mit frischem Jugendmut
Wir heldenkühn und wonnetrunken
Uns aus der Zauberesse Glut
Gemeint mit leichter Hand zu heben,
Wo jetzt die Eulen und die Unken,
Weit, weit vom Kühnen und vom Schönen,
Ach, ein gar andres Lied vom Leben
Gar anders mitternächtlich tönen
Den armen Adamstöchtern und -söhnen.

So ist's. Doch, liebes Erdenkind,
Viel tausend Dank für süße Zeichen,
Wodurch die halbjahrhundertbleichen
Gebilde neu lebendigt sind.
O bleibe dir das Blümlein hold,
Das höchsten Schatzes Schlösser schließet,
Das nicht der Zauberberge Gold
In Strömen in den Schoß dir gießet,
Der Zauberschlüssel zu den Herzen!

So schließet seinen langen Reim
Der Greis von längstverspielten Scherzen,
Von Blumenduft und Maienschein,
Und geht still in sein stilles Heim.



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