Helmut Wördemann
Gedichte
Helmut Wördemann

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Der weiche Waschlappen

Es war einmal ein Waschlappen, der lag ausgetrocknet auf dem Rand des Waschbeckens im Badezimmer und sah aus wie ein kleines Gebirgsmodell. Eines Tages legte die Hausfrau einen Drahtschwamm neben den Waschlappen, weil sie damit groben Dreck wegscheuern wollte.

Der harte Schwamm fühlte den verkrusteten Waschlappen, ließ ihn aber in Ruhe, weil er nicht so recht wusste, wer der Stärkere war. Als aber eines der Kinder sich mit dem Lappen gewaschen und ihn wieder auf den Waschbeckenrand gehängt hatte, spürte die Drahtbürste, wie labberig der Lappen geworden war.

»Du Weichling,« höhnte sie, »jetzt erst erkenne ich dein wahres Gesicht. Spielst dich als Gebirge auf und bist doch nur ein platter Anpasser. Ich habe gesehen, wie feige du dich jeder Unebenheit des Menschen angepasst hast. Schämen solltest du dich, denn du hast keinen Charakter.«

Der in sich verklebte Waschlappen konnte nicht antworten. Schwer atmend lag er da und bebte vor Wut. Da kam der Hausherr, sah den Drahtschwamm und schimpfte:

»He, wo ist mein Waschlappen, soll ich mich etwa mit diesem struppigen harten Ding waschen?«

Da brachte ihm seine Frau einen frisch gewaschenen, duftigen Waschlappen. Auch ihn beschimpfte der Drahtschwamm. Mit der Zeit aber zeigte sich nicht nur, dass er nur für die schmutzige und grobe Arbeit zu gebrauchen war, sondern auch, dass er leichter kaputtging. Die halsstarrigen Drähte rissen, während die feinen Fäden der Waschlappen noch lange hielten. Und als der Drahtschwamm längst auf dem Müllhaufen lag, konnten die Waschlappen noch beim Hausputz aushelfen.

 


 


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