Helmut Wördemann
Gedichte
Helmut Wördemann

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Der trotzige kleine Knopf

Es war einmal ein Knopf, der hatte vier Löcher. Er lag im Nähkasten zwischen mehreren anderen Knöpfen, von denen einige schon Lebenserfahrung hatten. »Du kommst auch noch dran,« hänselten sie ihn, »die Frau stichelt dich an eine Jacke, ja, wahrscheinlich an eine Jacke, so wie du aussiehst, bist du für einen Mantel nicht groß genug. Und dann beginnt der Ernst des Lebens. Eija, Kleiner, dann musst du den ganzen Tag die zwei Hälften der Jacke zusammenhalten, das zieht ganz schön, je nach Mode nach links oder rechts. Aber das kann dir sowieso egal sein. Hauptsache es tut weh, hihihi.«

Das verdroß den kleinen Knopf. Bis dahin hatte er sich auf die Arbeit gefreut, denn ihretwegen würde er aus dem dunklen Kasten ans Tageslicht geholt und durchs Leben getragen, blinkend im Sonnen- und im Lampenlicht, mal hier, mal dort. Die Frotzeleien aber erregten seinen Widerspruch: »Gar nichts werde ich,« trumpfte er auf und stellte sich balancierend auf die Seitenkante. »Das werde ich euch schon beweisen.«

Damit ließ sich der kleine Knopf auf ein Stückchen Kreide fallen, das zum Markieren von Stoffen verwendet wurde, und presste sich so heftig hinein, dass seine Löcher davon verstopft wurden. »So macht man das,« erklärte er selbstzufrieden, »jetzt kann mich keine Frau mehr irgendwo annähen, und ich bleibe in euerer lustigen Gesellschaft.«

Die Schlussbemerkung klang nicht besonders fröhlich, denn im Grunde wollte der kleine Knopf ja – wie gesagt – gerne frei sein. Aber ob fröhlich oder nicht, es war sowieso zu spät.

Bald kam die Winterzeit, die Zeit, in der mehr Kleidung getragen wird und der Mensch ohne Knöpfe hilflos wäre. Immer öfter musste die Hausfrau in ihren Nähkasten greifen. Immer wieder erwischte sie auch den kleinen Trotzknopf. Doch der war verstopft, also warf sie ihn immer wieder zurück. Natürlich hätte sie die Kreide aus seinen Löchern herausstechen können. Aber so eine Seltenheit war der Kleine nicht, dass man nicht leicht einen Ersatz dafür hätte finden können.

Der kleine Trotzknopf wurde ganz traurig, und je mehr von seinen Artgenossen sich nützlich machten und den Sinn ihres Daseins erfüllten, umso einsamer und trauriger wurde der kleine Angeber. Er rief die Frau an, bat und flehte, doch sie hörte sein feines Stimmchen nicht.

Da brach er in Tränen aus und wurde ganz nass, so dass er sich vorkam wie ein Taucher unter Wasser. Als er aber wieder zu sich kam, fühlte er sich sehr erleichtert. Und tatsächlich: Die Tränen hatten die Kreide aus den Löchern gespült, er war gebrauchsfähig. Und es dauerte gar nicht lange, da nahm ihn die Hausfrau und nähte ihn an die Jacke eines Mädchens. Mit ihm wanderte der Knopf nun täglich zur Schule, zum Spielen, zum Schwimmen oder zur Kirche.

Weil das Mädchen schlank war, so dass die Jacke locker um seinen Oberkörper hing, hatte der kleine Knopf gar nicht viel zu halten. Helmut Wördemann

 


 


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