Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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38

Seit dem Morgen, an dem Aubrey Rayne Spittering Farm so überstürzt verlassen hatte, war eine volle Woche verstrichen, ohne daß der junge Mann ein Lebenszeichen von sich gegeben hätte, aber er geriet deshalb nicht in Vergessenheit. Wenigstens bei Mrs. Fanny nicht, die ihrem Wortschatz nun den Ausdruck »Seine Lordschaft« einverleibt hatte und denselben ungefähr nach jedem zehnten Wort, das sie sprach – und sie sprach in diesen aufregungsreichen Tagen noch mehr als früher – einzuflechten wußte.

Nachdem nun die Sache für alle Welt klar war, glaubte sie kein Geheimnis mehr daraus machen zu müssen, daß ihre Eltern bei den Raynes in Highgate-Abbey bedienstet gewesen waren, und daß sie daher Seine Lordschaft sozusagen von Kindesbeinen an kannte. Das ergab natürlich einen unerschöpflichen Gesprächsstoff für die Plauderstündchen auf der Hausbank, und sogar Grace Lyndsell, wie sie jetzt hieß, fand sich dazu ein, seitdem sie einmal im Vorübergehen aufgeschnappt hatte, worum sich diese angeregte allabendliche Debatte drehte. Sie saß still und verträumt dabei, hatte das feine schmale Gesichtchen in die Hände gestützt und schien an dem Gespräch selbst nicht den mindesten Anteil zu nehmen. Nichtsdestoweniger wurde Fanny in ihrer Gegenwart in den Erinnerungen an Seine Lordschaft noch eingehender und überschwenglicher, während sie sich Peter und dem schweigsamen Evans gegenüber mehr über das unerhörte Glück von Mary zu verbreiten pflegte.

»Denken Sie sich, sie hat plötzlich ein leibliches Kind, und Seine Lordschaft wird ihr ein hübsches Häuschen bauen«, sprudelte sie eines Abends völlig neidlos und strahlend hervor, aber auf Mr. Forge schien dies keinen sonderlichen Eindruck zu machen, denn er zuckte etwas wegwerfend mit den Achseln.

»Das kann ich Ihnen auch . . .«, platzte er selbstbewußt heraus, verlor aber plötzlich den Faden und mußte seinen linken Mundwinkel erleichtern, um eine Fortsetzung zu finden. »Ich kann zehn hübsche Häuschen bauen, wenn ich will«, brummte er dann, und die stattliche Frau an seiner Seite seufzte tief auf. Diesen anregenden Abenden pflegten aber immer höchst einförmige Tage vorauszugehen, die Grace zumeist in dem weiten Park verbrachte. Dabei streiften Peter und Al unablässig wie zwei treue wachsame Hunde um sie herum, um sich auch wie solche eifersüchtig anzuknurren, wenn der eine oder der andere sich gar zu sehr um die kleine Lady kümmerte.

Der heutige Vormittag hatte einen Besuch gebracht, der das stille Haus und seine Bewohner in arge Aufregung versetzt hatte. Die Anwaltfirma Palmer & Pitkin war korporativ erschienen, um der neuen Klientin von ihren ersten Erfolgen zu berichten, die über das günstige Endergebnis der eingeleiteten Schritte eigentlich keinen Zweifel mehr ließen.

Grace hatte es ursprünglich trotzig abgelehnt, die Herren überhaupt zu empfangen, da sie die ganze Sache nicht interessierte, wie sie sagte, aber schließlich erklärte sie sich dazu bereit, wenn Peter und Evans mit dabei sein würden.

Die äußerst feierlich gekleidete Firma Palmer & Pitkin machte zunächst Miß Lyndsell eine sehr tiefe, den beiden Männern aber eine etwas abgemessenere Verbeugung und ließ dann eine sehr wohlgesetzte Rede los, in der jedem der beiden Teilhaber die gleiche Anzahl von schönen und bedeutsamen Worten zufiel.

». . . Und nun möchten wir Sie ergebenst bitten, Miß Lyndsell«, endete Mr. Palmer, »uns schon heute etwaige besondere Wünsche bekanntzugeben . . .«

». . . und uns vor allem wissen zu lassen, ob Sie zu irgendwelchem Zweck bereits in allernächster Zeit über eine namhaftere Summe zu verfügen gedenken«, schloß Mr. Pitkin.

Dann saßen Palmer & Pitkin wie zwei ausgerichtete Lineale und blickten erwartungsvoll auf Miß Lyndsell, die mit der kleinen Falte zwischen den Brauen an ihnen vorüberstarrte.

»Ich werde ein Waisenhaus bauen«, stieß sie endlich hastig hervor, aber diese ihre Willenskundgebung störte plötzlich den würdigen Verlauf der ernsten Beratung, denn Mr. Forge schlug höchst unmanierlich auf den Tisch.

»Das Waisenhaus baue ich!« sagte er entschieden, stieß aber damit auf den Widerspruch Evans, der zwar weniger nachdrücklich, aber ebenso entschieden erklärte: »Das ist meine Sache!«

Darüber gerieten die beiden alten Gefährten sehr hart aneinander, und der Erfolg war, daß das junge Mädchen plötzlich die Hände vors Gesicht schlug und schluchzend aus dem Zimmer lief.

Palmer & Pitkin blieb schließlich nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge, aber mit unerschütterter Würde, abzugehen, worauf die beiden Kampfhähne ihre Debatte fortsetzten.

»Das Waisenhaus baue ich!« schrie Peter herausfordernd. »Ich habe keine Kinder . . .«

»Nein, ich!« gab Evans weit sanfter, aber nicht weniger bockbeinig zurück. »Und außerdem kannst du noch welche kriegen.«

Peter schielte ihn betroffen und mißtrauisch an, sagte aber kein Wort mehr, und als ihn gleich darauf die resolute Fanny in der Diele abfaßte, fühlte er sich plötzlich äußerst verlegen.

»Peter«, flüsterte sie ihm erregt zu – das »Mr.« ließ sie in letzter Zeit wieder weg, da es eigentlich doch gar zu fremd klang – »haben Sie unsere Miß gesehen? Sie ist schon wieder ganz außer sich und weint sich in der hübschen Laube, die Sie ihr gebaut haben, die Augen aus.« Die flachsblonde Frau atmete tief auf, und ihr sommersprossiges Gesicht bekam einen höchst energischen Ausdruck. »Das kann so nicht weitergehen«, entschied sie. »Schließlich ist sie ja nicht die erstbeste, sondern eine vornehme Dame, und wenn ihr Seine Lordschaft den Kopf verdreht hat, so sollte man vielleicht . . .«

Sie brach ab und sah Forge vielsagend an, aber dieser kratzte sich mit einem Finger vorsichtig den gestriegelten Scheitel und wußte nicht recht, was das eigentlich heißen sollte.

»Wieso glauben Sie, daß er ihr den Kopf verdreht hat?« fragte er ausweichend, worauf Fanny die runden Schultern hob und den Blick verschämt an ihrer blütenweißen Schürze hinabgleiten ließ.

»Dafür hat unsereiner doch einen Blick«, meinte sie. »Wenn eine Frau soviel seufzt, und überhaupt plötzlich so eigen ist.«

»Sie seufzen doch auch manchmal«, wandte er ein, bekam aber von der erglühenden Frau einen Klaps und wurde dann hastig in die Küche gezogen, wo die Beratung ihre Fortsetzung fand.

Eine Viertelstunde später schoß Mrs. Fanny in geheimnisvoller Geschäftigkeit durch das Haus, telefonierte eifrig, band dann Peter umständlich und sorgsam die neue Krawatte, telefonierte nochmals und besah sich schließlich Mr. Forge in dem neuesten seiner neuen Anzüge kritischen Auges von allen Seiten. Dann geleitete sie ihn sogar bis vor das Tor, wo das aus Chesterhills bestellte Auto hielt, und als er würdevoll in dem Wagen saß, schärfte sie ihm nochmals ein:

»Sie dürfen ihm das natürlich nicht so geradezu ins Gesicht sagen, sondern so ein bißchen rundherum.«

Sie machte mit der fleischigen Hand eine erklärende Bewegung, und Peter nickte verständnisvoll.

»Mr. Peter Forge«, meldete um die Mittagsstunde Tom seinem Herrn in der Brook Street sehr steif und förmlich, und der junge Mann, der hinter einem Stoß von Papieren saß, erhob sich mit großer Lebhaftigkeit. Die letzte Woche hatte ihm zwar eine Unmenge von Arbeit gebracht, aber seine Gedanken waren oft nach Spittering Farm gewandert . . .

Peter kam auf dem dicken Teppich etwas unsicher hereingetänzelt, doch seine Mienen verrieten, daß er sich der Wichtigkeit und des Ernstes seiner Sendung vollkommen bewußt war. Nur das mit dem »rundherum« hatte seine Schwierigkeiten, und er beschloß daher, lieber direkt auf die Sache loszugehen.

»Eure Lordschaft, oder wie man zu Ihnen jetzt sagen muß«, platzte er also ohne weitere Umschweife heraus, als er in dem tiefen Klubsessel saß, »das mit unserer kleinen Lady kann so nicht weitergehen. Schließlich ist sie ja nicht die erstbeste, sondern eine vornehme Dame, und wenn Sie ihr den Kopf verdreht haben, so sollten Sie eigentlich . . .«

Er wußte nicht recht weiter, da ja Mrs. Fanny auch nicht weiter gesprochen hatte, dafür aber starrte er den jungen Mann aus seinen funkelnden schwarzen Augen so herausfordernd an, daß er außer Fassung geriet.

»Was fällt Ihnen ein, Peter?« stammelte er betroffen und verwirrt. »Wie kommen Sie auf so etwas?«

Aber Mr. Forge hob nur die mächtigen Schultern und zog den linken Mundwinkel etwas spitz.

»Dafür hat unsereiner doch einen Blick«, sagte er. »Wenn eine Frau so viel seufzt und überhaupt plötzlich so eigen ist . . .«

Als nach weiteren zwei Stunden der große, dunkle Wagen wieder einmal in den Hof von Spittering Farm rollte, stand Mrs. Fanny mit strahlenden Augen und in dem von Mr. Forge gespendeten neuen Seidenkleid unter der Haustür und knickste ehrerbietig vor dem jungen Mann, der ihr lebhaft, aber etwas zerstreut, zunickte. Peter aber, der stolz aus dem Auto kroch, deutete mit seinem dicken Daumen stumm nach einer Ecke des Parks, und Lord Shelley verschwand mit Riesenschritten in dem dichten Gebüsch.

Grace Lyndsell saß, mit dem Köpfchen in den Händen, in der kleinen Laube und grübelte mit der düsteren Falte zwischen den Brauen vor sich hin, als plötzlich ein Schatten auf den Eingang fiel.

Sie blickte teilnahmslos auf und starrte den großen Mann vor sich sekundenlang wie ein Traumbild an, dann aber schnellte sie jäh empor und suchte nach einem Weg zur Flucht.

Als sie sah, daß es keinen gab, erwachte plötzlich wieder der alte Trotz in ihr, und mit einemmal glich sie wieder der sprungbereiten Pantherkatze, die Aubrey Rayne am ersten Tag kennengelernt hatte.

»Ach, Lord Shelley!« höhnte sie. »Welche Ehre, daß Sie sich wieder einmal an Spittering Farm erinnert haben.«

Peter Forge hätte von dieser Begrüßung wohl keine sonderliche Freude gehabt, Lord Shelley aber lächelte nur.

»Weshalb empfangen Sie mich so, Grace?« fragte er weich, richtete damit jedoch nur noch mehr Unheil an.

»Wie sollte ich Sie denn sonst empfangen?« stieß sie aufs höchste gereizt hervor. »Etwa wie Miß Ormond, die Ihnen wohl sofort um den Hals gefallen wäre? – Was hatten Sie mit dieser Person?«

Das junge Mädchen stand mit sprühenden Augen und bebenden Gliedern vor dem großen Mann, und in ihrem Gesichtchen zuckte es verdächtig.

»Das werde ich Ihnen ein andermal sagen, Grace«, versuchte er sie zu beruhigen.

»Wann?« wollte sie, noch immer heftig und mißtrauisch, wissen.

»Wenn Sie zum erstenmal den Rubinschmuck der Shelleys anlegen werden«, sagte Aubrey ernst und feierlich. »Er bedarf einer neuen Trägerin, die ihn wieder zu Glanz und Ehren bringt.«

Das war eine so komplizierte Antwort, daß Grace Lyndsell diesmal nicht sofort eine Erwiderung fand, sondern verwirrt das dunkle Köpfchen sinken ließ. Als sie aber sprechen wollte, war es bereits zu spät, weil ihr Mund von einem anderen heißen Lippenpaar verschlossen war.

Es dauerte lange Zeit, bis Grace Lyndsell und Lord Shelley Arm in Arm im Gesichtskreis der fieberhaft harrenden Mrs. Fanny auftauchten, aber kaum hatte die flachsblonde, sommersprossige Frau das schöne junge Paar erblickt, als sie mit einem tiefen Seufzer verschämt über ihre blütenweiße Schürze strich und dann kurz entschlossen dem stolz grinsenden Peter einen schallenden Kuß aufdrückte.

Hierauf flog sie in die Küche, um an ihre Arbeit zu gehen, aber gefräßig, wie Peter Forge nun einmal war, stapfte er eilig hinter ihr drein, um zu sehen, ob von dieser feinen Sache vielleicht noch etwas zu haben wäre.

 

Ende

 


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