Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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8

»Die Tiere sind heute äußerst unruhig«, sagte Rayne, der von der Rückseite des Hauses kam, indem er sich neben Peter auf der Bank niederließ. »Wahrscheinlich bekommen wir ein Unwetter.«

Forge spuckte wortlos aus, um anzudeuten, was er von den englischen Unwettern hielt. Nach einer Weile aber erhob er sich und ging mit wuchtigen Schritten ums Haus, wobei er sich dicht im Schatten der Mauer hielt.

Die hereinbrechende Nacht war von beklemmender Schwüle, und an den uralten Bäumen von Spittering Farm regte sich kein Blatt. Sogar die Abendbrise von der See war diesmal ausgeblieben, und hinter den nahen Höhenzügen schob sich eine bösartige Wolkenwand hervor.

Nach einer Weile kehrte Peter wieder zurück.

»Wir haben die Bestien in den inneren Käfig getrieben und die Eisentür herabgelassen«, brummte er kurz und begann dann an seiner Pfeife zu ziehen, daß sie wie eine Esse lohte und qualmte. Ringsum herrschte tiefes Schweigen, und die Luft war so mit Spannung geladen, daß Rayne sie in allen Gliedern fühlte. Als etwa eine weitere Viertelstunde verstrichen war, flog plötzlich ein heller Feuerschein über das Firmament, und gleich darauf rollte der erste Donner.

In diesem Augenblick erklang aus dem Flur der Lauf unbeholfener Füße, und die beiden Männer schnellten instinktiv auf.

»Kommen Sie rasch«, stieß Fanny atemlos und ängstlich hervor und eilte bereits wieder voran in die Krankenstube. Der Bewußtlose lag noch genau so steif und regungslos wie vordem, aber die Frau deutete scheu auf ein dunkles borstiges Etwas, das sich kaum zollbreit unterhalb des verbundenen Gesichts von der dicken Daunendecke abhob.

»Es kam plötzlich zum Fenster hereingeflogen«, erklärte die Frau aufgeregt, »und ich dachte zunächst, daß es ein Nachtfalter wäre. Aber dann sah ich, daß es etwas anderes war und habe rasch den Laden zugeschlagen. Es ist knapp an seinem Gesicht vorübergegangen.«

Die beiden Männer beugten sich gleichzeitig über das runde flockige Ding, und Forge wollte bereits mit seinen plumpen Händen zufassen, als Rayne ihn mit festem Griff zurückhielt und selbst mit spitzen Fingern das kleine Büschel aus der Bettdecke zog.

Es war ein Schießbolzen, wie er zu Zimmergewehren und Blasrohren Verwendung zu finden pflegt, aber als der junge Mann ihn gegen das Licht hielt, konnte er feststellen, daß die Spitze nadeldünn zugeschliffen und mit einer lackartigen Schicht überzogen war.

Er warf dem vierschrötigen Mann an seiner Seite einen vielsagenden Blick zu, und Peter schien ihn sofort zu verstehen, denn sein Gesicht verzerrte sich zu einer wilden Grimasse, und aus seinem breiten Mund fuhr ein halblauter Fluch.

Was er noch auf der Zunge hatte, wurde ihm von einer dunklen Gestalt abgeschnitten, die plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, im Zimmer stand. Mamed, der Malaie, triefte vom langen, strähnigen Haar bis zu den bloßen Füßen, aber er vergaß nicht, ehrerbietig die Arme zu kreuzen und den Kopf zu neigen, bevor er in seinem seltsamen Kauderwelsch einige abgehackte Sätze hervorstieß.

Rayne vermochte ihm nicht zu folgen, aber Forge faßte den braunen Burschen an der Schulter und riß ihn mit sich zur Tür. »Mamed hat der Kanaille sein Messer in die Hüfte geworfen«, erklärte er bereits halb im Davonstürmen über die Schulter, »aber das ist zu wenig. Ich werde dem verdammten Hund die Hölle auf die Fersen hetzen, und wenn ich ihn erwische . . .«

Er vollendete die Drohung nicht, aber Rayne kannte Peter Forge und wußte, was sie zu bedeuten hatte.

»Machen Sie keine Dummheiten«, fuhr er auf, aber der, dem seine Worte galten, polterte bereits mit gewaltigen Sätzen durch die Diele, und hinter ihm drein sprang mit gespannten Muskeln und Sehnen der halbnackte braune Mann.

 

Grace Wingrove lehnte seit Stunden am offenen Fenster und blickte durch das kunstvolle Gitter in den trostlosen Garten. Sie hatte die wiederholten Versuche ihrer freundlichen Wärterin, sie durch einen kleinen Plausch aufzuheitern, schroff zurückgewiesen, und sie hatte auch nicht einen Bissen von dem appetitlichen Abendbrot berührt. Es war ihr unmöglich, von den Gedanken und Grübeleien loszukommen, die unaufhörlich auf sie einstürmten und sie immer wieder zu der Frage führten, welche geheimnisvollen Umstände sie in diese Lage gebracht haben mochten und inwieweit sie mit dem schrecklichen Mal im Zusammenhang standen, das sie durchs Leben trug. »Die kleine Lady mit der Pantherkatze« hatte der fremde große Mann mit den seltsamen Augen sie genannt, und irgendwo mußte es also da eine Verbindung geben. Nur finden konnte sie sie nicht. Solange sie zurückzudenken vermochte, war schon immer dieser häßliche blaue Fleck auf ihrer Schulter gewesen, aber niemand von den einfachen, unfreundlichen Leuten, unter denen sie aufgewachsen war, hatte davon gesprochen. Nur die Gespielinnen hatten sie damit geneckt, und sie hatte darüber manche heiße Träne vergossen. Später war dann eine alte einsame Lehrerin auf das aufgeweckte hübsche Mädchen aufmerksam geworden und hatte Grace an Kindes Statt angenommen. Die Sache war mit einigen Schwierigkeiten verbunden gewesen, denn es stellte sich plötzlich heraus, daß die Papiere nicht in Ordnung waren. Aber die Pflegeeltern vermochten keine weitere Auskunft zu geben, und man mußte deshalb darüber hinweggehen.

Dann kamen für die kleine Grace Wingrove die ersten freundlichen Jahre ihres Lebens. Sie fand eine liebevolle Pflege, genoß eine sorgfältige Erziehung und hatte Gelegenheit, alles zu lernen, um sich einmal selbst in auskömmlicher Weise fortzubringen. Als sie durch den Tod ihrer Wohltäterin den ersten großen Schmerz zu fühlen bekam, war sie bereits neunzehn Jahre alt und seit längerer Zeit beruflich tätig. Aber trotz ihres ernsten Fleißes und ihrer Tüchtigkeit hatte sie damit wenig Glück, und wenn ihr nicht die alte Frau die kleine Wohnung und einen Spargroschen von wenigen hundert Pfund hinterlassen hätte, wäre sie sehr bald in eine recht mißliche Lage geraten.

Und nun hatte auch ihre Tätigkeit beim Parisiana-Theater ihren Abschluß gefunden. Aber das bekümmerte sie augenblicklich nicht weiter, sondern ihr ganzes Sinnen galt nur dem Rätsel, das sie in die Mauern dieses Hauses gebracht hatte.

Draußen war mittlerweile der Abend hereingebrochen und die Nacht heraufgezogen, aber Grace Wingrove hatte es nicht wahrgenommen. Sie blickte mit starren Augen in die mächtigen Baumkronen und in das undurchdringliche Gebüsch, das um die Stämme wucherte. Aus einer Lücke in dem dichten Blätterwerk schimmerte eine weiße Mauer hervor, und von dorther klang zuweilen ein langgezogenes Jaulen, aber das junge Mädchen achtete nicht weiter darauf. Und sie merkte auch nicht, daß das Stück Himmel, das sie überblicken konnte, immer schwärzer und schwärzer wurde, und erst ein blendender Blitz schreckte sie aus ihrem Grübeln auf.

Gleich darauf prasselte der Regen in langen dicken Schnüren auf die durstige Erde, und Grace legte den Kopf an das Gitter, um die heiße, schmerzende Stirn zu kühlen.

Einmal sah sie einen dunklen Schatten aus den Büschen gegen das Haus gleiten und nach wenigen Minuten wieder auftauchen, und dann schnellte ein zweiter Schatten lautlos hinter dem ersten drein. Sie vernahm so etwas, wie einen kurzen unterdrückten Aufschrei, aber alles das ging an ihren Sinnen vorüber wie ein Traum.

Plötzlich jedoch wußte sie, daß sie nicht träumte.

Von dorther, wo die weiße Mauer zu sehen war, brach es auf einmal krachend, klirrend und schnaubend durch das Buschwerk und, durch das Dunkel noch mehr verzerrt, bot sich Grace ein Bild, das sie schauernd zusammenfahren ließ: Zwei riesige Katzen, in eine Art Joch gespannt, trabten keuchend und knurrend über den freien Platz gegen die jenseitige Parkmauer, und neben ihnen liefen zur einen Seite ein halbnackter Mann, in dessen Händen eine starke Kette rasselte, und zur anderen eine gedrungene Gestalt, die einen mächtigen Knüppel schwang.

Es war wie der Spuk einer grausigen wilden Jagd, der an ihr vorüberflog, und Grace Wingrove ließen ihre gequälten Nerven im Stich. Sie schrie auf, bedeckte ihre Augen mit den Händen und flüchtete in das Innere des Zimmers.

Gleich darauf ging ein eigentümlicher summender Ton durch das Haus, und das junge Mädchen nahm mit wahnsinnigem Entsetzen wahr, daß der Boden, auf dem sie stand, langsam zu sinken begann. Und mit ihm der ganze Raum mit allem, was darin war.

Aubrey Rayne stand in dem rückwärtigen Gang dicht an der Wandverkleidung, von der er eine Tafel beiseite geschoben hatte und horchte, die Hand am Schaltknopf, gespannt auf das leise Surren des Motors. Er hatte den schweren Aufzug seit Wochen ungezählte Male ausprobiert, vermochte aber doch ein Gefühl der Angst nicht loszuwerden, als nun die seltsame Anlage mit dem kranken Mann und dem jungen Mädchen in die Tiefe fuhr. Evans hatte in seinem roh entworfenen Plan diese Einrichtung für Spittering Farm ausdrücklich vorgesehen, und es war ihm sehr daran gelegen gewesen, daß sie auch wirklich durchgeführt wurde. Aubrey vermochte zwar den Zweck bis vor kurzem nicht einzusehen, aber nun glaubte er ihn zu ahnen. Von irgendwoher schien eine tückische Gefahr zu drohen, der Evans fast zum Opfer gefallen war. Der vergiftete Schießbolzen hatte glücklicherweise sein Ziel verfehlt, aber jede Stunde konnte einen neuen Anschlag bringen, und es war jedenfalls gut, wenn der Kranke und das Mädchen mit der Pantherkatze sich in Sicherheit befanden.

Rayne schob die Tafel wieder über die Schalter und schritt ungeduldig in der Diele auf und ab. Aber es währte länger als eine Stunde, bevor Peter von seiner Expedition zurückkehrte, und sein Gesicht hatte einen völlig ratlosen und verstörten Ausdruck. »Wir haben ihn gefunden«, stieß er heiser und abgerissen hervor. »Wieder in dem Wäldchen. Und es war genau so ein schrecklicher Hieb wie bei Al. Nur hat er diesmal besser gesessen und hat den halben Schädel zu Brei geschlagen. Der Bursche war erledigt, und wir haben ihn so liegen gelassen, wie wir ihn gefunden haben.« Er fuhr sich mit dem Handrücken über das nasse Gesicht und streifte den jungen Mann mit einem unsicheren fragenden Blick. »Wir waren ihm dicht auf den Fersen, und es kann keine zweihundert Schritte vor uns geschehen sein.«

»Evans und das Mädchen sind unten«, bemerkte Rayne gelassen. »Halten Sie für alle Fälle Ihre Flinte bereit, und sagen Sie auch Mamed, daß er die Augen offen halten soll.«

 

Etwa um dieselbe Zeit näherte sich Bill Short, ein schlanker, sehniger Mann von außerordentlicher Behendigkeit, den ersten Häusern von Chesterhills. Er war fast eine halbe Stunde auf glitschigem Boden querfeldein gelaufen und wagte erst jetzt einen Augenblick auszuschnaufen und scharf Umschau zu halten. Als alles ruhig blieb, schlug er neuerlich einen Bogen zum jenseitigen Ende des Ortes und schlüpfte dort durch ein verstecktes Hinterpförtchen in ein abseits stehendes kleines Haus. Ohne Licht zu machen, tastete er sich durch einen engen Flur in einen Raum zur Rechten, verschloß die Tür, verhängte sorgfältig das Fenster und zog dann unter dem durchnäßten Wettermantel zwei Gegenstände hervor, die er beim Schein einer Taschenlaterne eilig in einem geschickt verdeckten Loch unter der Türschwelle barg: Das eine war ein seltsam geformtes, roh gearbeitetes Messer, das zweite ein eigenartiger riesiger Handschuh von ansehnlichem Gewicht, der ziemlich geräuschvoll in das Versteck polterte.


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