Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5

Grace Wingrove saß mit einer zornigen Falte zwischen den dunklen Brauen und einem Zucken um den hübschen Mund in der Seitenkulisse der kleinen Parisiana-Bühne, und alles in ihr war in Empörung. Sie hatte das Gefühl, daß ihre gegenwärtige Stellung, die dritte, die sie innerhalb eines Jahres bekleidete, nur mehr von allerkürzester Dauer sein würde, aber diese Aussicht erleichterte sie eigentlich mehr, als sie sie bedrückte. Sie war eben wieder einmal hereingefallen, und je früher sie wieder loskam, desto besser war es.

Sie hatte sich, nachdem an ihr letztes Büro die Gerichtssiegel angelegt worden waren, um das verlockende Angebot einer »Sekretärin mit perfekten französischen Kenntnissen und stilistischen Fähigkeiten für ein Kunstinstitut« beworben und war in dem intimen Parisiana-Theater im Südwesten gelandet. Hier hatte sie von der Korrespondenz bis zur Verfassung der Tagesprogramme die gesamte Büroarbeit zu besorgen, denn der stets geschäftige fette Direktor huldigte dem Grundsatz, für möglichst wenig Geld möglichst viel Arbeit zu verlangen. Aber dafür durfte sie am Abend in den pikanten Schwänken französischer Herkunft, die sie selbst zu übersetzen hatte, die verständnisvollen, diskreten Stubenmädchen spielen.

Diesmal aber sollte Grace Wingrove sogar avancieren und nebenbei auch noch eine Hauptrolle, eine junge Dame in einer Badewanne, übernehmen, und deshalb war es zu dem Krach gekommen.

»Das werde ich nicht tun«, hatte sie entrüstet abgelehnt, aber der zappelige Regisseur mit dem Nußknackergesicht, der die vertrottelten Ehemänner spielte, hatte gerade einen besonders schlechten Tag.

»Sie werden es tun!« hatte er zurückgebrüllt. »Das ist doch die einzige Rolle, zu der Sie überhaupt taugen. Wenn wir hier ein anständiges Theater hätten, würde man Sie außer in einer Badewanne oder in einem Bett überhaupt nicht auf die Szene lassen. Natürlich schlafend. Sie können ja weder gehen, noch stehen, und wenn Sie den Mund aufmachen, bekommt man Krämpfe.«

Sekundenlang hatte das junge Mädchen Miene gemacht loszufahren, aber dann war es bei einem verächtlichen Blick aus den dunklen Augen und einem Achselzucken geblieben.

Mittlerweile ging auf der Szene die Probe weiter, und die geladene Atmosphäre brachte es mit sich, daß der gallige Regisseur mit dem weiblichen Star auch aneinander geriet. Miß Jetta Ormond war eine zierliche Person mit einem pikanten Gesichtchen und einem roten Bubikopf und hatte den Teufel in dem quecksilbernen Leib. Damit, und mit ihren wunderbaren Beinen, heimste sie ihre stürmischen Erfolge bei dem zumeist aus Lebemännern bestehenden Publikum des Theaters ein. Im übrigen hatte sie falsche pathetische Töne und eine etwas schrille Stimme, die zuweilen wie eine Kindertrompete klang.

Sie hatte eben in einer schwülen Liebesszene wieder einmal einige ihrer schrillen Laute zum besten gegeben, als der Regisseur sich entsetzt an die Ohren fuhr.

»Einen Augenblick, Miß Ormond, das halte ich nicht aus. Hier muß irgendwo ein Pfau sein. Ein Pfau ist ein wunderschönes Tier, aber er hat keinen Verstand, und wenn er schreit, ist das so, als ob man einem mit einer Gilletteklinge über das Trommelfell fahren würde. – Inspizient, sehen Sie nach, wo das Vieh steckt und schmeißen Sie es hinaus, denn so etwas hat nichts beim Theater zu suchen. – So, und nun setzen wir fort. Die ganze Szene noch einmal von vorne!«

Miß Ormond duckte sich wie eine gereizte Katze, und ihre funkelnden Augen suchten nach einem Gegenstand in der Nähe, mit dem sie dem Mann im Zuschauerraum bei der nächsten Anzüglichkeit die gebührende Antwort geben könnte. Vorläufig begnügte sie sich mit einer indirekten Erwiderung.

»Wenn Sie den blöden Pfau finden, Inspizient«, quietschte sie, »so fragen Sie ihn, ob er früher nicht vielleicht Regisseur war.«

Vielleicht hätte das kritische Geplänkel seine unabsehbare Fortsetzung gefunden, wenn in diesem Augenblick nicht Colonel Rowcliffe auf der Bühne erschienen wäre. Der elegante, dunkelhaarige Herr mit dem etwas verlebten gelben Gesicht durfte sich das erlauben, denn er war nicht nur der Freund von Miß Jetta, sondern auch ein Mann, den der Direktor in seinem gutturalsten Tonfall nur »Mein hochverehrter Gönner« nannte. Diese ehrenvolle Bezeichnung kostete den Colonel zwar sehr viel Geld, aber dafür durfte er in dem Theater aus- und eingehen, und schalten und walten, wie es ihm beliebte. Wenn seine Freundin, Miß Ormond, Probe hatte, kam er gewöhnlich zu dieser Stunde, um sie abzuholen.

»Darf ich warten, bis Sie fertig sind?« fragte er mit höflicher Förmlichkeit, »oder wünschen Sie, daß ich Sie später abhole?«

»Warten Sie!« entschied der Rotkopf mit einem herausfordernden Blick nach dem Zuschauerraum. »Wir werden dann rascher vom Fleck kommen, weil gewisse Leute den Mund nicht so voll nehmen werden.«

Der Regisseur klatschte etwas krampfhaft in die Hände.

»Wir probieren sofort den letzten Einakter, meine Herrschaften, den ›Besuch in der Badewanne‹. Spieldauer zwanzig Minuten. Wenn Sie alle bei der Sache sind, können wir die Kleinigkeit in einer halben Stunde fix und fertig gestellt haben. – Miß Wingrove, auf die Bühne! Wir beginnen.«

Grace trat hochaufgerichtet aus der Kulisse. Sie wußte, daß nun die Entscheidung kam, und in ihrem stolzen Gesicht und ihrer ganzen Haltung lag kampfbereite Abwehr.

»Sie wünschen?« fragte sie kurz.

Dem Regisseur lag daran, sich vor dem Colonel in Szene zu setzen.

»Ich wünsche gar nichts«, gab er brüsk zurück, »sondern wir gehen jetzt weiter. Nehmen Sie sich einen Stuhl in den Hintergrund und markieren Sie damit die Badewanne. Davor kommt ein Vorhang. Los!«

Das junge Mädchen rührte sich nicht.

»Ich habe Ihnen bereits erklärt, daß ich dafür nicht zu haben bin«, sagte sie ruhig.

»Geben Sie keine langen Erklärungen ab«, schrie der nervöse Mann, »denn die helfen Ihnen gar nichts.«

»Dann werde ich mir eben selbst helfen.«

Die Worte flogen blitzschnell hin und wieder, und Miß Ormond begann höchst ungeduldig zu werden. Sie hatte es bisher unter ihrer Würde gefunden, an eine so unbedeutende Kollegin, wie es Grace Wingrove war, auch nur einen Blick zu verschwenden, und sie war nicht gesonnen, sich durch eine solche Person aufhalten zu lassen.

»Machen Sie keine Geschichten«, herrschte sie das junge Mädchen über die Schulter an. »Glauben Sie, ich werde Ihretwegen hier die Zeit vertrödeln?«

Die Sympathien Graces für den rotköpfigen Star waren nicht groß, und die Einmengung von dieser Seite brachte ihre mühsam behauptete Selbstbeherrschung völlig ins Wanken.

»Das verlange ich nicht. Setzen doch Sie sich in die Badewanne, und alles ist in Ordnung. Sie brauchen ja dazu überhaupt nichts mehr abzulegen.«

Miß Jetta schnellte mit wutverzerrtem Gesicht herum, und ihre Stimme überschlug sich.

»Sie unverschämtes Ding, was nehmen Sie sich heraus? Wie können Sie sich unterstehen, so mit mir zu sprechen? Bin ich Ihresgleichen? Habe ich mich wie Sie im Zirkus oder in Matrosenkneipen herumgetrieben und mir alle möglichen Dinge auf den Leib malen lassen?«

Grace stand einen Augenblick wie erstarrt, dann aber geschah etwas so blitzschnell, daß es selbst der in unmittelbarer Nähe befindliche Colonel nicht zu verhindern vermochte. Das junge Mädchen holte mit der Hand aus, und noch in derselben Sekunde gab es einen klatschenden Schall, dem ein gellender Wutschrei des Stars folgte.

Dann ging Grace Wingrove hocherhobenen Hauptes von der Bühne ab und überließ das Feld Miß Ormond, die sich wie eine Wahnsinnige gebärdete. Sie raufte sich das Haar, weinte und schrie, und als Rowcliffe versuchte, sie zu beschwichtigen, entlud sich ihr ganzer ohnmächtiger Zorn über ihn. »Das werde ich Ihnen nie vergessen, Sie jämmerlicher Feigling«, heulte sie. »Ich werde in gröbster Weise beleidigt, und Sie stehen wie ein Haubenstock daneben. So etwas muß ich mir gefallen lassen – von einer tätowierten Dirne! Sie ist genau so ein gemeines wildes Tier, wie die Katze, die sie auf der Schulter hat.«

Der Colonel faßte seine Freundin etwas unsanft am Handgelenk.

»Was hat sie?« raunte er hastig und halblaut.

Miß Ormond sah in der Gelegenheit, das Geheimnis ihrer Gegnerin ausplaudern zu können, einigen Trost und bezähmte daher den Weinkrampf, in den sie verfallen war.

»Ein wildes Tier hat sie auf der Achsel. Einen Tiger oder so etwas. Ich habe es genau gesehen, als sie sich einmal umzog. Es ist mindestens fingerlang. Scheußlich. Und von solch einem Auswurf der Menschheit muß ich mich mißhandeln lassen.«

Sie brach neuerlich in ein hysterisches Schluchzen aus und stampfte mit den Füßen, aber auf den Colonel schien das alles keinen Eindruck zu machen. Er war noch fahler als sonst und starrte sie wie geistesabwesend an. Dann griff er hastig nach Hut und Stock und stürmte ohne ein Wort in wilder Eile davon. Er hatte Glück. Grace war rasch noch in ihr Büro gelaufen, um ihre paar Habseligkeiten zusammenzuraffen, und Rowcliffe sah sie gerade durch das Tor schlüpfen, als er von der Bühne kam. Sie verließ das Gebäude in förmlicher Flucht, und der Colonel mußte gewaltig ausgreifen, wenn er sie noch einholen wollte, bevor sie in dem dichten Straßengewühl verschwand. Er kannte sie nicht persönlich, obwohl ihm ihre äußerst vornehm wirkende Erscheinung schon längst aufgefallen war, aber Miß Ormond hatte scharfe Augen und duldete keine Seitenblicke.

Nur ihr Name war ihm bekannt, und als er endlich dicht hinter ihr war, rief er sie etwas atemlos und erregt an.

Sie wandte flüchtig den Kopf, aber als sie ihn erkannte, begann sie noch mehr zu laufen. Er mußte sie jedoch unbedingt sprechen und blieb daher trotz des Aufsehens, das diese Jagd erregte, dicht auf ihren Fersen. Endlich kam er so nahe, daß er sie am Arm zu fassen vermochte.

»Miß Wingrove«, begann er hastig, aber sie versuchte sich loszureißen, und als ihr dies nicht gelang, schreckte sie selbst vor einem öffentlichen Skandal nicht zurück.

»Lassen Sie mich«, stieß sie heftig hervor. »Wollen Sie, daß ich die Hilfe der Polizei in Anspruch nehme?«

Die Sache war jedoch Rowcliffe so wichtig, daß er sie noch immer nicht freigab.

In diesem Augenblick löste sich aus der Menge, die sich bereits angesammelt hatte, ein ehrwürdiger älterer Herr mit einem Widdergesicht, lüftete vor dem jungen Mädchen mit großer Höflichkeit den Hut, maß den Colonel mit einem herausfordernden Blick und deutete dann einladend auf ein Auto, das dicht am Rand des Gehsteigs hielt.

Rowcliffe ließ unwillkürlich locker, und Grace benützte diese Gelegenheit, um ohne Bedenken in den Wagen zu schlüpfen. Gleich darauf saß der hilfsbereite Herr neben ihr, und das Auto fuhr schnell an.

Der Colonel sah ihm gespannt nach und nagte nervös an seinem buschigen dunklen Schnurrbart. Was er seit zwei Tagen vergeblich zu finden bemüht war, hatte ihm eben ein lächerlicher Zufall in den Weg geführt. Und wenn sich ihm Grace Wingrove augenblicklich auch entzogen hatte, nun, da er wußte, wer »die Lady mit der Pantherkatze« war, konnte sie ihm nicht mehr entgehen.


 << zurück weiter >>