Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

28

Ein Viertel vor elf löste sich in dieser Nacht ein dünner Schatten von dem verwitterten Mauerwerk des »Tanzenden Delphin« und setzte sich schnurgerade gegen Westen in Bewegung.

Der Mond war noch nicht aufgegangen, und der festliche Lichtschein, der vorne über der Bucht lag, vermochte nicht, bis hierher zu dringen, aber Spang bedurfte seiner nicht. Er spurte sicher und lautlos über Stock und Stein, und wenn er ja einmal etwas ausbiegen mußte, weil ihm ein Haus oder ein Loch in den Weg kam, so war er schon in der nächsten Minute todsicher wieder in seiner Richtung.

Er hatte sich eben durch eine ziemlich breite und dichte Hecke gezwängt und war mit dem Zählen genau bis vierhundertvierundneunzig gekommen, als er unmittelbar vor sich die leise Warnung vernahm:

»Passen Sie auf, daß Sie Hannibal nicht auf den Schwanz treten. Sie wissen, daß er das nicht mag.«

Spang stoppte gehorsam und tastete mit seinen scharfen Augen in die Dunkelheit.

Zwei Schritte vor ihm stand ein windzerzauster Baum, und noch etwas weiter stieg eine mit Gestrüpp bestandene Steinwand auf. Neben dem Baum aber erblickte er ein Loch, und darin hockte eine umfangreiche dunkle Masse.

Der Empfang war nicht eben freundlich.

»Sie taugen zum Polizisten, wie ich zum Seiltänzer. Warum haben Sie nicht gleich ein Posthorn geblasen, damit ja jeder weiß, daß Sie sich hier herumtreiben? Seit zehn Minuten höre ich Sie heranpoltern, und Hannibal spitzt seine großartigen Ohren noch länger. Wenn er nicht ein so verständiger Hund wäre, hätte er einen Mordsspektakel losgelassen. – Wenn ich Sie zu einer Stunde, zu der ein anständiger Mensch schon längst ins Bett gehört, an einen so verdammt ungemütlichen Platz bestelle, haben Sie so leise zu kommen wie eine Laus, die vom Blatt fällt. – Was gibt es Neues in dem Loch?«

Mit dem Loch meinte der respektvolle Murphy Scotland Yard, und Spang legte im Flüsterton wie ein aufgezogener Automat los. »Inspektor Maathuis ist nach Hatcham versetzt worden. Man sagt, weil er in der Kelsall-Sache nichts ausgerichtet hat und . . .«

»Spang«, fiel ihm Murphy ins Wort, »wenn Sie so etwas vielleicht einmal auch von mir so kaltschnäuzig erzählen sollten, und ich höre davon, so werden Sie etwas erleben. – Aber recht ist ihm geschehen. Diese jungen Leute glauben eben, daß sie die Gescheitheit mit dem großen Löffel gefressen haben und arbeiten mit allen möglichen Instrumenten, nur nicht mit der eigenen Nase. Die aber ist verläßlicher als alle Daktyloskopie, Phrenologie, Graphologie und wie sonst der Humbug heißt. Merken Sie sich das. – Weiter.«

Der eingeschüchterte Sergeant fand es ratsam, in seinen Mitteilungen etwas vorsichtiger zu sein und sich auf unverfänglichere Neuigkeiten zu beschränken.

»Heute vormittag ist ein kleines Paket mit einem Brief abgegeben worden, aber man weiß nicht recht, was es damit für eine Bewandtnis hat. In dem Päckchen war ein kostbarer Schmuck, und in dem Brief stand, daß er Lord Shelley gehört. Ein Beamter ist deshalb nach Highgate-Castle gefahren.«

»Aha!« hauchte der Oberinspektor gedehnt. »Eine nette Bescherung.«

Dann schwieg er eine Weile, und Spang wartete auf ein neues Stichwort. In der Mulde war es mäuschenstill, und nur Hannibal tat hie und da einen grimmigen Schnapper nach einem zudringlichen Mückenschwarm.

»Vorwärts«, gebot Murphy endlich. »Wozu erzählen Sie mir so dumme Geschichten, die mich nichts angehen? – Ich will wissen, was Sie die ganze Zeit getrieben haben. Natürlich nichts Gescheites.«

»Ich habe den Anwalt gefunden, bei dem das Schriftstück von der Lady mit der Pantherkatze aufgesetzt worden ist«, murmelte der Sergeant zaghaft, und erst, als ihn sein Vorgesetzter nicht sofort wieder anschnauzte, wurde er etwas gesprächiger. »Es sind aber nur ein paar Zeilen: ›Ich, Al Evans, vermache alles der kleinen Lady mit der Pantherkatze. Peter Forge weiß, daß das schon immer mein Wille war und kann es beeiden. Alles andere steht in dem schwarzen Buch in der Truhe, die Peter zu den Panthern stellen sollte. Ich bitte Mr. Rayne, daß er es herausnimmt und dem Gericht übergibt‹.« Spang hatte den Inhalt des Schriftstückes aus dem Gedächtnis heruntergeleiert, ohne auch nur einmal zu stocken und gestattete sich erst jetzt eine kleine Atempause. Aber Murphy fand das höchst überflüssig.

»Daß man Ihnen doch immer die Würmer stückweise herausziehen muß«, knurrte er verdrießlich, und der erschrockene Sergeant setzte seine Zunge rasch wieder in Schwung.

»Der Mann, der das Dokument diktierte, hat den Anwalt ersucht, es vierzehn Tage aufzubewahren. Wenn er es binnen dieser Zeit nicht selbst abholen würde, so sollte es Mr. Aubrey Rayne in Spittering Farm eigenhändig übergeben werden. – Und es war gewiß der Fremde«, fügte Spang hinzu, »der aus dem Hotel in Bermondsey verschwunden ist. Die Beschreibung stimmt ganz genau überein. Er soll sehr aufgeregt gewesen sein und ausgesehen haben wie einer, der etwas Besonderes vorhat. Im Hotel hat er am letzten Tag sehr viel telefoniert, und gegen Abend ist er dann von einem Ford-Wagen abgeholt worden. Den Schofför hat niemand genauer gesehen, aber das Auto hatte einen zerbeulten Kühler, wie der Wagen, der später auf der Landstraße gefunden worden ist. Er war am Nachmittag einem Geschäftsmann in der City gestohlen worden.«

Der Oberinspektor schien für diesen Bericht kein sonderliches Interesse zu haben, denn er unterhielt sich zwischendurch mit Hannibal, dem die Sache schon zu lange zu währen schien. Er richtete sich immer wieder auf, zog hörbar den Wind ein und ließ ein leises Knurren hören. Er reagierte nicht einmal auf den gewissen dünnen Pfiff, und als er einen kräftigen Nasenstüber abbekam, fletschte er beleidigt die Zähne.

»Ich werde dir auch noch dein zweites Ohr abdrehen, du ungezogenes Rabenvieh«, drohte ihm sein erboster Herr. »Sind das Manieren für einen Polizeihund? – Aber daran sind auch wieder nur Sie schuld, Spang. Anstatt zu schauen, daß Sie zu Ende kommen, quasseln Sie um Mitternacht herum, daß selbst meinem armen, braven Hund die Geduld ausgeht. Machen Sie es also kurz, zum Teufel, wenn Sie noch etwas zu sagen haben.«

Der Sergeant war schon längst daran gewöhnt, daß er an allem schuld war, und daß er es nie recht machen konnte, aber das vermochte ihn nicht zu entmutigen, sondern nur anzuspornen. Er stellte sein Gedächtnis auf die größte Präzision und seine Zunge auf die höchste Geschwindigkeit ein und begann alles hervorzusprudeln, was er über Colonel Rowcliffe in Erfahrung gebracht hatte. Der Rapport war etwas bunt und sehr eingehend, und als der Besuch in dem alten Haus in Limehouse an die Reihe kam, fand auch der merkwürdige Rundgang von Mr. Hearson eine entsprechende Erwähnung, aber das Wichtigste behielt sich der Sergeant zum Schluß vor.

»Ich habe auch festgestellt, daß sich auf dem Stadthaus des Colonel ein Einschlupf für Brieftauben befindet«, lispelte er, »und auch bei Mr. Johnson ist ein solcher. Ganz knapp unter dem Kamin auf der Hofseite.«

Der Oberinspektor schwieg diesmal, und nur Hannibal machte neuerlich durch ein kräftiges Zerren an der Leine und ein bösartiges Schnaufen seinem Mißvergnügen Luft.

»Kusch, du Mißgeburt«, schnauzte ihn Murphy an, und dann kam sofort wieder Spang an die Reihe. »Das ist wohl alles, ha? Und Sie bilden sich vielleicht ein, daß man damit etwas anfangen kann? – Nun, ich habe ja gewußt, daß Sie dem lieben Gott die Zeit und unserem armen Staat den Sold stehlen werden, wenn ich nicht hinter Ihnen her bin. Aus Ihnen wird nie etwas werden. Sie besitzen keine Intelligenz, mein Lieber, und was Ihr Gedächtnis betrifft« – er machte eine kleine, nachdenkliche Pause, um plötzlich eine Frage herauszuschnellen – »so sagen Sie mir doch, was mit Bill Short damals eigentlich los war?«

Es dauerte ungefähr zehn Sekunden, bevor der Zettelkasten im Kopf des Sergeanten Spang das gesuchte Blatt auswarf, aber dann ging es monoton und unhemmbar los.

»Bill Short, mit dem richtigen Namen Allward, heute ungefähr fünfunddreißig Jahre alt. Sohn eines kleinen Reeders in Exmouth, der sich wegen Bankrotts erschossen hat. Es soll sich aber eigentlich um Erpressungen wegen eines Versicherungsbetruges gehandelt haben. Bill kam in Pflege zu zwei vermögenden Tanten, ging jedoch durch und wurde Schiffsjunge. War einige Jahre verschollen, tauchte dann plötzlich in London auf und trieb sich mit unseren schwersten Kunden herum. Man konnte ihm aber nie etwas nachweisen. Während des Krieges verschwand er wieder, und man weiß nicht, was er während dieser Zeit getrieben hat. Wir stießen erst vor etwa zwei Jahren wieder auf ihn; bei dem großen Einbruch in der London Joint Stock Bank, bei dem als einziger Anhaltspunkt ein Zettel mit dem Stampiglienabdruck eines Panthers gefunden wurde, den wahrscheinlich einer von der Bande verloren hatte. Es sind dabei den Räubern über dreißigtausend Pfund in die Hände gefallen, man konnte jedoch nur Bill Short fassen, der mit einem gebrochenen Bein und einer schweren Gehirnerschütterung unter dem zertrümmerten Glasdach eines Lichthofes aufgefunden wurde. Vor Gericht hat er sich dann ausgeredet, daß er in einem Nachbarhaus aus einer ungesicherten Tür zur Feuerleiter abgestürzt sei, was nach dem Lokalaugenschein immerhin möglich war, und er mußte schließlich mangels Beweisen freigesprochen werden. – Dieses war der zweite Fall der Panther«, schloß der Sergeant gewissenhaft, aber er hätte sich diese Bemerkung ersparen sollen, denn sie erregte Murphys Mißfallen.

»Habe ich Sie gefragt, der wievielte Fall der Panther das war?« knurrte er. »Sie können nie bei der Sache bleiben. Und was ich Ihnen gerade vorhin gesagt habe, Sie besitzen keine Intelligenz. Ein Mensch von Intelligenz fängt nicht von hinten an, wie Sie, sondern wenn es einen ersten und einen zweiten Fall der Panther gibt, so beginnt er mit dem ersten. Verstehen Sie mich?«

»Jawohl, Sir«, hauchte Spang hastig. »Der erste Fall war viel früher. Etwa vor zwanzig Jahren. Damals, als Sie mit dem Prinzen von Wales auf der Weltreise waren. Sir William Lyndsell in Worcester hat zuerst Briefe erhalten, daß er einen bestimmten großen Betrag an dem und dem Ort hinterlegen solle, und auf diesen Briefen war genau so ein Tier, wie man es später auf dem Zettel in der Bank gefunden hat. Der Mann hat sich an die Polizei gewandt, aber bevor diese noch etwas ausrichten konnte, ist plötzlich seine dreijährige Tochter verschwunden. Einige Nächte später wurde sie jedoch wieder vor das Haus gebracht und hatte auf der Schulter eine Pantherkatze eintätowiert. Nun zahlte Sir William eiligst, ohne der Polizei ein Wort zu sagen, aber es hat ihm nichts genützt. Nach wenigen Monaten war das Kind wieder fort und diesmal für immer. Auch ein Gärtner ist damals mit verschwunden . . .«

»Sein Name?« stieß der Oberinspektor kurz hervor.

»Al Skinner«, gab der Sergeant ebenso hastig zurück, denn er war noch nicht fertig. »Die Anwaltfirma Palmer & Pitkin hat damals eine Belohnung von zehntausend Pfund für die Auffindung des Mädchens ausgeschrieben, und die Prämie läuft noch immer. Ich habe sie erst unlängst in unserem Journal gefunden.«

»Zehntausend Pfund . . .« echote Murphy tonlos. – »Und das sagt dieser Mensch so, als ob es sich um einen Pappenstiel handelte.« Er vermochte sich vor Staunen und Erregung nicht zu fassen. »Zehntausend Pfund . . .! – Ich fürchte, Spang, Sie sind noch viel dümmer, als ich bisher geglaubt habe, und wissen nicht einmal, wieviel Geld das ist. – Und wenn man Ihnen, sagen wir« – er überlegte bedächtig, als ob es sich um eine ganz ernsthafte Sache handelte – »zweitausend Pfund auf die Hand zählt, kämen Sie sicher in die größte Verlegenheit, weil Sie nicht wüßten, was damit anfangen.«

»Jawohl, Sir«, gestand der Sergeant ohne weiteres, und sein Vorgesetzter triumphierte.

»Sehen Sie . . .! Wie sagten Sie doch gleich, daß die Anwaltfirma heißt?«

»Palmer & Pitkin, Sir. Lincoln's Inn.«

In dem Gebüsch auf der Steinwand vor ihnen leuchtete in diesem Augenblick ein greller Blitz auf, und in die letzten Worte Spangs fuhr der harte Knall eines Schusses. Über ihre Häupter summte eine bleierne Hummel und schlug auf das Gestein hinter ihnen, daß die Splitter flogen.

In der Hecke einige Schritte weiter wurde irgendein Wild aufgestört und brach in eiliger Flucht durch das Gestrüpp.

Hannibal röhrte in grimmiger Wut, denn sein Herr hatte ihn noch im letzten Augenblick an der Leine erwischt, und Spang streckte, mit einem Revolver in der Rechten, hochaufgerichtet die spitze Nase in die Luft. Aber die Hand seines Vorgesetzten legte sich so nachdrücklich auf seinen Rücken, daß er sofort wieder platt zu Boden fiel.

»Nieder!« zischte ihm Murphy kategorisch zu. »Ihr Schädel ist ja nicht viel wert, aber wenn Sie ein Loch hineinbekommen, wird er nicht besser. Der Kerl schießt zwar wie ein Schwein, das sind jedoch die gefährlichsten. Er ist imstande, auf Sie zu zielen und mich zu treffen. – Das könnte Ihnen wohl so passen?«

Eine Viertelstunde blieb es in der kleinen Bodensenkung still, dann verlor der Oberinspektor die Geduld.

»Wenn der Bursche glaubt, daß ich seinetwegen statt in meinem feinen Bett auf dem harten Boden schlafen werde, hat er sich geirrt«, raunte er dem Sergeanten zu. Ich krieche jetzt heraus, und Sie halten Hannibal so lange. Und wenn es drüben blitzen sollte, so knallen Sie hin. Bei Ihrem saumäßigen Glück legen Sie ihn am Ende um.«

Spang wußte zwar nichts von seinem saumäßigen Glück, aber er riß gehorsam die Augen weit auf und hielt die Waffe schußbereit, während Murphy auf allen vieren behende aus der Grube kletterte. Dann kam Hannibal an die Reihe, und schließlich lagen sie alle drei hinter dem Baum auf dem Bauch. »Jetzt geht's hinter die Hecke«, ordnete der Oberinspektor leise an. »Wieder zuerst ich . . .«

Er hatte eben ausgesprochen, als es von der Steinwand neuerlich angesummt kam. Diesmal nicht unter Blitz und Knall, sondern leise schwirrend, wie ein großer Käfer, der an den Baum klatschte.

Murphy ließ einige Sekunden verstreichen, dann richtete er sich hinter dem Stamm vorsichtig auf und griff blitzschnell danach. Das Ding steckte tief im Holz, aber schließlich gab es doch nach, und als der Oberinspektor den Bolzen fühlte, barg er ihn zunächst vorsichtig in seiner Streichholzschachtel. Erst als sie die Häuser des Ortes bereits vor sich hatten, besah er sich die Sache näher. Der Sergeant mußte mit seiner Taschenlampe leuchten, und Murphy zog mit den Fingerspitzen einen Papierstreifen ab, der mit einem dünnen Bindfaden um den Stahl gewickelt war.

Spang steckte neugierig die lange Nase in den winzigen Zettel, aber sein Vorgesetzter wies ihn sofort zurecht.

»Was ist das wieder für eine Wichtigtuerei? Sie können so etwas hundertmal lesen und werden es doch noch immer nicht verstehen.«

Der arme Sergeant hätte es selbst nach zweihundertmaligem Lesen nicht verstanden, denn der Streifen enthielt in flüchtiger Blockschrift nur die Worte: »Im blauen Haus . . .«, und selbst Murphy bedurfte einer ziemlichen Weile, um sich über ihren Sinn, vor allem aber über ihren Zweck einigermaßen klar zu werden.

Die ganze Episode, die sich oben in der Mulde abgespielt hatte, gab ihm nun doppelt zu denken. Hatte der Schuß ihm und Spang oder, was fast wahrscheinlicher schien, einem anderen gegolten, der dann auch flüchtend durch die Hecke gebrochen war? Aber wer war der Schütze und wer war der andere gewesen, und was sollte die seltsame Botschaft durch das Blasrohr? Sie konnte ein wertvoller Fingerzeig, aber auch eine böse Falle sein, und der Oberinspektor saß fünf Minuten mit geschlossenen Augen und hängender Unterlippe. »Spang«, sagte er nach dieser Zeit gelassen, »Sie gehen jetzt diesen Fußweg hinunter und warten beim letzten Haus auf mich. Ich habe auf der anderen Seite des Ortes noch etwas zu tun, und wenn ich nicht selber kommen sollte, so wird Sie Hannibal schon aufstöbern. Denken Sie jedenfalls an sein Halsband, obwohl ich nicht glaube, daß dies heute notwendig sein wird.«

 

Das blaue Haus lag etwas abseits von dem planlos durcheinander geschachtelten alten Fischerdorf und hatte seinen Namen offenbar von dem nicht mehr neuen, aber unverwüstlichen Anstrich.

Murphy pürschte mit Hannibal an der Leine wenigstens eine Viertelstunde um das Haus herum, bevor er sich geschmeidig und lautlos an die Rückseite heranschlängelte, in der nur ein winziges Pförtchen und zwei kleine vergitterte Fenster zu sehen waren. Er wußte, daß es eine etwas waghalsige Sache war, in die er sich da einließ, aber es geschah nicht zum erstenmal, und er setzte wieder einmal alles auf seine Kaltblütigkeit und die Nase seines Hundes. Hannibal würde sich schon rühren, wenn es irgendwie brenzlig wurde, wie er sich eben oben in dem Loch gerührt hatte, aber vorläufig war er lediglich verdrossen. Er hatte die Rute so zwischen die Hinterläufe geklemmt, daß nur die geknickte Spitze hervorlugte, und seine Augen schielten unwirsch nach dem Herrn, der ihm nicht einen Augenblick Freiheit ließ, obwohl es ringsherum von Mäusen und Fröschen nur so wimmelte.

Der Oberinspektor drückte auf die Klinke des Pförtchens, aber dieses schien nur angelehnt gewesen zu sein, denn es ging sofort auf, und Murphy suchte blitzschnell hinter der Mauer Deckung. Als nichts geschah, leuchtete er mit seiner starken Taschenlampe in den dunklen Gang, der bis zur vorderen Tür lief und suchte dann mit dem Licht Schritt für Schritt den Ziegelbelag des Fußbodens, die Seitenmauern und die Decke ab. Auch Hannibal steckte die Nase in den Raum, zog sie aber sofort gelangweilt wieder zurück.

Einige Minuten später war Murphy damit beschäftigt, Nachschau zu halten, was es in dem Haus für ihn eigentlich so Besonderes zu sehen gebe. Er hatte das Pförtchen mit einem Stein so angelehnt, daß es sich nicht schließen konnte, und für alle Fälle hatte er auch die Vordertür handbreit geöffnet, um für den Hund einen Ausschlupf zu schaffen. Er hatte das ganze Haus unversperrt gefunden und wunderte sich nicht so sehr darüber, denn in den Räumen zu beiden Seiten des Flurs gab es so gut wie gar nichts, was weggetragen werden konnte. In der einen Stube stand nur eine wertlose, wurmstichige Truhe, und in der anderen fand er zwei wacklige Sessel und einen ebensolchen Tisch. Sonst war in dem ganzen Haus weder ein Möbelstück noch irgendein Gebrauchsgegenstand, und nichts deutete darauf hin, daß es zu Wohnzwecken benutzt wurde.

Der Oberinspektor suchte etwas enttäuscht nach einem Zugang zum Kellerraum oder zum Dach, und als er nichts dergleichen fand, begann er mißtrauisch zu werden. Vielleicht hatte man ihn doch nur hierhergelockt, um . . .

Ein leises Schnaufen Hannibals ließ ihn herumfahren, und im Nu verlöschte seine Laterne. Aber es blieb alles still. Nur der Hund zog durch die irgendwo angepreßte Nase die Luft ein und begann dann lebhaft zu scharren.

Murphy ließ den Lichtkegel über die Schwelle spielen, die Hannibal so angelegentlich beschäftigte, und einige Augenblicke später steckte er seinen Arm in die freigelegte Öffnung. Der Gegenstand, den er zunächst zu fassen bekam, war überraschend schwer, und als er ihn endlich draußen hatte, glitt er ihm aus der Hand und verursachte ein dumpfes Poltern. Der Oberinspektor griff vorsichtig nochmals in die Höhlung, aber außer einem Messer konnte er nichts mehr aufstöbern.

Er brachte seinen Fund zum Tisch, um sich ihn genauer zu besehen. Das unförmige Ding war ein zolldicker Gummihandschuh, der an der Innenfläche mit dreieckig gestellten messerscharfen Schneiden besetzt war und am Handgelenk einen Riemen durchgezogen hatte. Das Messer war ein primitives fremdländisches Fabrikat, und Murphy legte es nach kurzer Prüfung wieder beiseite, um sich von neuem mit dem weit interessanteren anderen Gegenstand zu beschäftigen.

Er war so in Aufregung geraten, daß er sich den Schweiß von der Stirn wischen mußte, und seine Augen funkelten vor Eifer. »Teufel, Teufel«, murmelte er strahlend. »Also, das sollte es wohl sein. – Die Pranke des Panthers . . .«

Hannibal schoß mit einem wuterstickten Laut gegen das Fenster, und der Oberinspektor lag bereits auf dem Boden, als mit dem Knall die Kugel durch Holz und Glas splitterte und gegenüber dem Tisch in die Mauer einschlug.

In der nächsten Sekunde schon fiel draußen ein zweiter Schuß, aber dieser schien irgendwo fehlgegangen zu sein.

Spang glaubte seinem Vorgesetzten von den Schüssen im Ort berichten zu müssen, als dieser sich mit einem schweren Paket, das er in sein riesiges Taschentuch eingeschlagen hatte, endlich bei ihm einstellte.

»Die Schüsse kamen aus der Richtung, in die Sie gegangen waren, Sir«, erklärte er eifrig. »Und der zweite wurde aus der gleichen Waffe abgegeben wie vorhin oben in der Mulde. Ich konnte das ganz genau unterscheiden. Der erste Schuß aber war aus einem großkalibrigen Amerikaner.«

»Spang«, sagte der nachdenkliche Murphy trocken, »werden Sie mir nicht am Ende größenwahnsinnig, weil Sie vorhin einmal in Ihrem Leben ein bißchen Pulver gerochen haben. Das könnte mir so fehlen. Sie und Schießsachverständiger! Wahrscheinlich hat man in der Bucht ein paar Raketen abgebrannt, und Sie haben gleich die Hosen vollbekommen. – Weiß der liebe Himmel, wie das mit Ihrer Einfalt noch enden wird.«

Der Sergeant schwieg, denn er wußte es auch nicht.

Auf jeden Fall bekam er in der Nähe des »Tanzenden Delphin« noch eine Standrede zu hören.

»Es kann sein, daß Sie mich in den nächsten Tagen nicht zu sehen bekommen«, sagte Murphy, »denn ich glaube, ich werde eine Menge zu tun haben. Mir geht es leider nicht so gut, daß ich mich wie Sie ausfaulenzen und mästen könnte. Aber wenn Sie sich unterstehen, sich von Ihrem ›Tanzenden Delphin‹ auch nur zwanzig Schritte wegzurühren, so holt Sie der Teufel. – Sagen Sie den Leuten, wenn diese neugierig sein sollten, daß man Sie aus einer Anstalt für Schwachsinnige zur Erholung hierhergeschickt hat. Das wird Ihnen jeder glauben. Und wenn ich Ihnen die zweitausend Pfund geben sollte . . .«

Der Oberinspektor vollendete nicht, denn er wollte sich die Sache erst überlegen.


 << zurück weiter >>