Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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15

Die dralle Mrs. Fanny besaß trotz ihrer sonstigen Tüchtigkeit offenbar nicht die entsprechende Eignung für eine Gefängniswärterin. Als sie gegen Abend wieder einmal zu einem kurzen, aber lebhaften Plausch bei Grace vorgesprochen hatte, vergaß sie beim Weggehen die Tür abzusperren, und das junge Mädchen war sofort entschlossen, sich diese Gelegenheit zunutze zu machen. Den abenteuerlichen Plan einer Flucht hatte sie schon längst aufgegeben, denn es gab eigentlich nichts mehr, was sie zu diesem Wagnis drängte. Man war ihr bisher in keiner Weise nahegetreten, und die rücksichtsvolle Art, in der man sie behandelte, ließ sie auch für die Zukunft keinerlei Befürchtungen hegen. Außer der fürsorglichen Fanny, der das gute Herz ständig auf der Zunge lag, kümmerte sich niemand um sie, und der geheimnisvolle Mann, dessen Interesse sie ihr Abenteuer zuzuschreiben haben sollte, hatte auch schon jeden Schrecken für sie verloren. Sie war nur mehr neugierig und gereizt wegen der hinterhältigen Art, in der man sich ihrer bemächtigt hatte, und wollte nun wenigstens das Recht auf ungehinderte Bewegungsfreiheit im Haus als etwas Selbstverständliches in Anspruch nehmen. Sie öffnete die Tür und stieg entschlossen die Treppe hinab. Durch die offene Diele fiel das letzte Sonnenlicht, und in dem hellen Schein gewahrte Grace plötzlich eine Gestalt, die ihren Fuß unwillkürlich stocken ließ. Es war ein vierschrötiger Mann mit einem verwilderten Gesicht und langem Haar, der dicht an der Wand hinter der halb geöffneten Küchentür stand und mit seinen stechenden schwarzen Augen verwirrt und entsetzt nach der Treppe starrte. Aber bevor Grace noch einen Entschluß fassen konnte, gab es dem Mann einen heftigen Ruck, und er setzte mit einem gewaltigen Sprung polternd durch die Diele und mit einem zweiten über die Stufen, als ob der Teufel hinter ihm her wäre.

»Wer war das?« fragte Grace die Wirtschafterin, die ihr sommersprossiges Gesicht mit einer kampfbereiten Falte zwischen den blonden Brauen aus der Küche steckte.

»Das war Peter Forge«, erklärte Fanny bereitwillig und wischte sich die Hände lebhaft an ihrer tadellosen weißen Schürze, weil das unvermutete Erscheinen des jungen Mädchens sie in Bestürzung versetzte. »Wenn es Essenszeit wird, schnüffelt er immer um die Küche herum, denn er ist sehr gefräßig. Eine ganze Familie könnte man mit dem abfüttern, was er jedesmal verschlingt. Und dabei ist er immer in fünf Minuten fertig. So etwas habe ich noch nie gesehen. – Wünschen Sie vielleicht etwas, Miß?« unterbrach sie sich in ihrem Lieblingsthema hastig und schuldbewußt. »Ich komme sofort zu Ihnen hinauf.«

Grace schüttelte mit einem leichten Lächeln den dunklen Kopf und trat mit einer Selbstverständlichkeit in die Küche, die die resolute Fanny völlig ratlos machte.

»Ich werde ein bißchen hierbleiben und Ihnen zusehen. Vielleicht kann ich Ihnen auch ein wenig helfen. Viel verstehe ich zwar nicht, aber wenn Sie Gemüse zu schälen haben oder sonst etwas Ähnliches . . .«

Der semmelblonden Frau verschlug dieses Anerbieten völlig die Rede, und sie konnte nur heftig den Kopf schütteln.

»Das geht nicht, Miß«, stieß sie endlich entsetzt hervor. »Wo denken Sie hin? Wenn Seine Gnaden das sehen würde . . .«

Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die glühende Stirn und sah das junge Mädchen mit einem flehenden Blick an.

»Gehen Sie lieber wieder auf Ihr Zimmer, Miß. Er ist nur nach London gefahren und kann jeden Augenblick zurückkehren. Und er ist sehr streng.«

Grace warf trotzig den Kopf zurück und ließ sich herausfordernd beim offenen Fenster nieder.

»Ich fürchte mich nicht«, begehrte sie auf. »Er hat kein Recht, mich hier gefangen zu halten. Wenn ich schon nicht davonlaufe, so werde ich fortan wenigstens das tun, was mir beliebt. Richten Sie ihm das aus. Und jetzt wird man mich hier höchstens mit Gewalt wegbringen.«

Sie setzte sich mit großer Entschiedenheit zurecht, und Fannys sommersprossiges Gesicht bekam einen erbarmungswürdigen Ausdruck. Die arme Frau befand sich in einer der peinlichsten Lagen ihres Lebens und begann ratlos mit dem blinkenden Geschirr auf dem Herd hin- und herzuschieben.

»Warum ist der Mann vorhin so davongelaufen?« wollte Grace nach einer kleinen Weile wissen, und die mollige Frau, die in einem kleinen Disput eine Ablenkung von ihren Besorgnissen erblickte, beeilte sich, ihr erschöpfend Auskunft zu geben.

»Weil ihm Seine Gna . . .« – sie erinnerte sich plötzlich und verbesserte sich rasch – »Mr. Rayne verboten hat, sich vor Ihnen sehen zu lassen. Und Mr. Rayne hat ganz recht. So etwas sollte man überhaupt nicht frei herumlaufen lassen, sondern in einen Käfig stecken. Nicht daß er gerade bösartig wäre«, gab sie zu, »aber das kann man ja nicht wissen, wenn man sein haariges Affengesicht sieht. Daß ein Mann so gar nichts auf sich halten kann! Aber das kommt davon, wenn man glaubt, sein ganzes Leben ohne Frau auskommen zu können. Dann werden aus diesen Weiberfressern solche Scheusale.« In ihre Mienen trat ein höchst energischer Zug, und die Pfannen, mit denen sie hantierte, flogen nur so hin und her. »Ich möchte es ihm schon zeigen. Mit einer Bürste, einem Pfund Seife und einer Schere würde ich ihn herrichten, daß er sich selbst nicht mehr erkennen sollte.«

Peter vernahm jedes Wort dieser interessanten Unterhaltung, denn er hockte mit gespitzten Ohren sprungbereit unter dem Küchenfenster und sah ebenso nachdenklich wie grimmig drein. – Dieses Frauenzimmer wollte ihm etwas zeigen?

Er würde ihr etwas zeigen!

Aber Fannys Redestrom war nun einmal im Fließen und nicht so leicht zu hemmen. Peter bekam noch andere Dinge zu hören, die ihn in seinem fürchterlichen Entschluß immer mehr bestärkten.

»Dabei hat so etwas noch besondere Wünsche wegen des Futters«, fuhr die empörte Frau in der Küche fort. »Wissen Sie, was seine Lieblingsspeise ist? – Rohes Steak mit Knoblauch. Und gehörig gepfeffert muß es sein. Wahrscheinlich fressen das die Wilden, bei denen er sein ganzes Leben lang gehaust hat, aber bei mir gibt es das nicht. Ich bin eine anständige Köchin und mag mit einem solchen Menschenfressergeschmack nichts zu tun haben. Knoblauch gibt es bei mir überhaupt nur bei Hammelrippchen. Und auch da nur so viel, daß man es gar nicht merkt.«

»Wie macht man rohes Steak?« erkundigte sich das junge Mädchen interessiert, aber Fanny hatte für diese Frage nur eine verächtliche Handbewegung.

»Da ist weiter gar nichts zu machen, Miß. Das gehackte Fleisch, das Sie dort sehen, weil wir heute faschierten Braten haben, wird einfach roh hinuntergeschlungen. Pfui Teufel!« Sie hätte ihrem Abscheu sicherlich noch nachdrücklicheren Ausdruck gegeben, wenn in diesem Augenblick nicht die schlanke Gestalt des Javaners im Türrahmen erschienen wäre und ihr lebhafte Zeichen gemacht hätte. Sie ließ alles liegen und stehen und beeilte sich, ihm zu folgen, aber an der Schwelle zögerte sie einen Augenblick.

»Ich muß Sie eine Weile allein lassen«, meinte sie unschlüssig. »Es wäre vielleicht doch besser, wenn Sie wieder hinaufgingen.«

»Ich werde mittlerweile achtgeben, daß nichts anbrennt«, entschied Grace bestimmt, und die geplagte Haushälterin verschwand mit einem hörbaren Seufzer.

In den nächsten Minuten kam Grace Wingrove ein komischer Einfall, der ein spitzbübisches Lächeln in ihr sonst so strenges Gesichtchen zauberte. Sie mußte unausgesetzt an den armen Mann denken, der in so panikartiger Hast die Flucht vor ihr ergriffen hatte, und er tat ihr leid, denn er schien es nach allem hier nicht sonderlich gut zu haben. Das junge Mädchen war entschlossen, etwas für ihn zu tun, und er sollte endlich einmal sein Steak mit Knoblauch bekommen.

Sie stand bereits am Küchentisch und begann so einfach zu hantieren, wie Fanny dies angedeutet hatte. Sie schichtete mit einem Löffel eine gehörige Portion von dem gehackten Fleisch auf einen Teller, tat recht reichlich Salz, Pfeffer und noch einige andere Gewürze hinzu, die sie erreichen konnte, und ergatterte nach längerem Suchen endlich auch einige Stückchen Knoblauch, die sie mit gespitzten Fingern und gerümpftem Näschen in ansehnlichen Würfeln hineinschnitt. Dann rührte sie die Masse rasch und gründlich um und ergriff den Teller, um sich auf die Suche nach dem bedauernswerten Halbwilden zu machen, den sie beglücken wollte.

Peter hockte noch immer scheu unter dem Fenster und hatte kaum den Schatten unter der Haustür wahrgenommen, als er auch schon aufschnellte, um das Weite zu suchen. Aber ein hastiges »Pst« ließ ihn doch den Kopf wenden, und was er sah, hemmte seinen Fuß. Das war wahrhaftig ein Haufen Fleisch, wie er es liebte, und die Knoblauchstücke darin waren auf zehn Schritte wahrzunehmen. Dabei sah ihn ein Paar schöner Mädchenaugen mit einem schelmischen Lächeln an, und ein zarter Finger winkte ihn heftig und geheimnisvoll heran.

Mr. Peter Forge verharrte einen Augenblick wie angewurzelt, aber dann wußte er, was er zu tun hatte. Mr. Rayne war zwar ein großer Herr, und er hatte vor ihm und seinen Anordnungen gewiß gewaltigen Respekt, aber wenn er ihm in diesem Augenblick in den Weg getreten wäre, hätte er sich den Teufel um ihn geschert. Schließlich war er Peter Forge, und wenn ihm eine so schöne junge Lady winkte, so konnte er doch nicht einfach wie ein kleiner Junge davonlaufen. Diese Mrs. Fanny, die aussah wie ein schwabbriger Pudding, hatte ein ganz niederträchtiges loses Maul, und die junge Lady sollte schon sehen, daß er nicht so war, wie jene ihr ihn beschrieben hatte.

Im ersten Augenblick wußte zwar Peter nicht, wie er ihr dies beweisen sollte, denn er hatte ja keinen Hut auf dem Kopf, den er höflich lüften konnte, und einen Selam wie Mamed konnte er auch nicht gut machen, weil sie ihn sonst vielleicht doch für einen Wilden gehalten hätte; aber dann fiel ihm gerade noch zur rechten Zeit ein Bild ein, das lange Jahre in seinem Blockhaus gehangen und auf dem es von Königen und sonstigen vornehmen Leuten nur so gewimmelt hatte. Und wenn er es so machte, wie diese Leute, konnte es nicht schlecht sein. Er zog daher zunächst einen Katzenbuckel, schob dann sein stämmiges rechtes Bein nach vorn und zog es in einem weiten Halbkreis wieder nach rückwärts. Dieses Zeremoniell wiederholte er dreimal, wobei er immer näher kam. Dann griff er rasch nach dem Teller und machte sich eiligst davon, um sich an einem ungestörten Plätzchen mit seiner lang entbehrten Lieblingsspeise zu beschäftigen. Dem mißgünstigen Weibsbild, das in der Küche, waltete, war es zuzutrauen, daß es ihm den Teller noch aus der Hand riß.

Es währte eine ziemlich lange Weile, bis Fanny wieder in der Küche erschien, und sie war außerordentlich erregt, denn es hatte sich etwas Wichtiges ereignet. Der geheimnisvolle Kranke war nach Tagen aus seinem todesähnlichen Schlaf erwacht und suchte nun mit halbgeöffneten, ausdruckslosen Augen, sich wieder in die Wirklichkeit zurückzufinden. Sie wußte nicht genau, was es mit dem Mann eigentlich für eine Bewandtnis hatte, aber jedenfalls waren seine ersten Lebenszeichen ein Ereignis, das sehr viel zu bedeuten hatte.

Trotz ihrer begreiflichen Aufregung begann die tüchtige Frau sofort mit geblähten Nüstern in der Küche herumzuschnüffeln, und schließlich blieb ihr Blick fragend und etwas mißtrauisch auf dem jungen Mädchen haften. Grace tat zunächst äußerst unbefangen, aber dann veranlaßte sie ein gewisser Trotz, ein offenes Bekenntnis abzulegen.

»Ich sehe nicht ein, weshalb der arme Mann sein Steak nicht haben soll, wenn es ihm so gut schmeckt«, schloß sie entschieden, indem sie herausfordernd den Kopf zurückwarf. »Er war auch von einer geradezu rührenden Dankbarkeit.«

Fanny konnte sich das nicht gut vorstellen und wiegte sehr mißbilligend mit dem Kopf.

»Das hätten Sie nicht tun sollen, Miß. Nun werden Sie ihn fortwährend hinter sich herhaben, wie einen Hund, dem man einmal eine Wurst zugesteckt hat. Sie werden schon sehen.«

Sie machte sich etwas verstimmt wieder am Herd zu schaffen, aber nach einer Weile fiel ihr Blick zufällig auf den Vorhof, und sie gewahrte Peter, der am Brunnen stand und aus einem riesigen Blechgefäß in gierigen Zügen trank. »Nun säuft er natürlich wie ein Kamel, und dann kommt eine gehörige Portion Whisky in den ausgebrannten Schlund«, nahm sie bissig den Faden wieder auf. »Es wundert mich überhaupt, daß er sich heute einmal mit Wasser abgibt. Das mag er nämlich sonst nicht. Weder zum Trinken noch zum Waschen.« Ihr Gesicht wurde plötzlich sehr nachdenklich und dann sehr mißtrauisch. »Was haben Sie denn hineingetan, Miß?«

Grace erklärte ihr mit einem gewissen Stolz alles sehr deutlich und eingehend, und je weiter sie kam, desto größer wurden die wasserblauen Augen von Mrs. Fanny.

»Wenn es nicht für Peter gewesen wäre«, flüsterte sie endlich entsetzt, »würde ich mir Sorgen machen, denn so etwas kann ja ein menschlicher Magen nicht aushalten. Aber ihm gönne ich das«, fügte sie schadenfroh hinzu. »Er wird sich sein Naschmaul endlich einmal gründlich verbrannt haben.«

In diesem Augenblick war ein Hupensignal zu hören, und Peter setzte den Blechnapf von den durstigen Lippen, um den schweren Riegel des Tores zurückzuwerfen. Auch Fanny ließ alles im Stich und eilte auf den Hof, um Rayne die große Neuigkeit aus der Krankenstube mitzuteilen, aber sie konnte ihm nur wenige Worte zuraunen, denn Forge stand breit wie ein Klotz daneben und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.

»Ich habe ein Wort mit Ihnen zu reden, Sir«, sagte er feierlich und gewichtig, und Rayne sah überrascht in sein Gesicht, das noch verschlagener und grimmiger aussah als sonst.

»Ist es sehr dringend?« fragte er etwas ungeduldig, da er raschestens nach dem Kranken sehen wollte.

»Das will ich meinen.« Peter setzte umständlich seine Pfeife in Brand und hüllte sich in eine ungeheure Rauchwolke.

»Ich muß nämlich Geld haben.«

Es war das erstemal, daß Aubrey Rayne von Peter mit einer derartigen Angelegenheit in Anspruch genommen wurde, denn bisher hatte dieser solche geschäftlichen Dinge mit Evans abgemacht.

»Wozu brauchen Sie Geld?« forschte er mit ehrlicher Verwunderung, denn er wußte, daß der Mann außer seinem beißenden Tabak und seinem Whisky keinerlei Bedürfnisse hatte.

»Das geht niemanden etwas an«, gab Peter kurz angebunden zurück und sah höchst verstockt drein.

»Also wieviel?« lenkte Rayne mit einem leichten Lächeln ein.

Peter geriet durch diese Frage sichtlich in Verlegenheit und starrte irgendwohin zur Seite.

»Einen ganzen Haufen«, sagte er dann leichthin und begann umständlich unter seinem offenen Hemd herumzunesteln.

»So viel habe ich nicht.«

Mr. Forge ließ respektlos einen ausgiebigen Spritzer aus seinem linken Mundwinkel los und zog einen breiten Ledergürtel vom Leib, mit dem er breitbeinig zu der Bank marschierte. »Das wird vielleicht genug sein«, knurrte er und warf die dicke Geldkatze am Gürtel klatschend auf den Sitz. »Aber Sie müssen mir erst etwas auf so einen Wisch aufschreiben. Damit habe ich mich nie abgegeben«, fügte er von oben herab hinzu, »das war alles Evans' Sache. Ich habe dann immer nur meinen Namen daruntergeschrieben.« Er spitzte wiederum den Mundwinkel und schob dem jungen Mann ein Bündel Papiere zu. »Verdammte Scherereien, bevor man zu seinem eigenen Geld kommt.«

Rayne glaubte zu erraten, daß Forge einen Scheck ausgestellt haben wollte, und sah das Paket aus der Geldkatze interessiert durch. Es waren Kontoauszüge der Bank von England und der Holländischen Bank sowie einige Scheckbücher, und wenn er auch schon immer vermutet hatte, daß die beiden anspruchslosen Goldgräber und Plantagenbesitzer über recht bedeutende Geldmittel verfügen mußten, war er nun doch überrascht von den ungeheuren Summen, die da allein unter dem Namen Peter Forge liefen.

»Wissen Sie auch, wieviel Sie da beisammen haben?« fragte er, aber Peter ging mit einer großartigen Handbewegung darüber hinweg. Tatsächlich hatte er nicht die mindeste Ahnung, was in den Papieren stand, denn das Lesen fiel ihm etwas schwer, und in Zahlen kannte er sich schon gar nicht aus. Aber das mußte schließlich nicht jeder wissen.

»Schreiben Sie also vielleicht die Hälfte davon auf«, meinte er leichthin.

»Wollen Sie sich ein paar Häuser in Westend oder einen Herrensitz kaufen?«

Mr. Forge schüttelte mißmutig mit dem Kopf. Die Ausfragerei paßte ihm nicht, und er wollte endlich den Wisch, für den er sein Geld bekommen konnte, in der Hand haben.

»Was ich kaufen will, ist meine Sache«, brummte er, »jedenfalls muß ich aber einen hübschen Batzen Geld haben.«

»Ich werde Ihnen also vorläufig einen Scheck auf tausend Pfund ausstellen«, schlug Rayne vor, aber der vierschrötige Mann sah ihn etwas unsicher an und kraute sich umständlich den Kopf.

»Kriegt man dafür auch wirklich etwas?« fragte er mißtrauisch.

»Soviel, daß eine kleine Familie ein ganzes Jahr davon recht anständig leben kann.«

Das war eine Antwort, mit der Peter etwas anzufangen wußte, und er nickte daher befriedigt, während er seinen Schatz wieder zusammenkramte und um den Leib schnallte. Dann ging er neuerlich zum Brunnen, weil sein Schlund wie höllisches Feuer brannte, und Rayne eilte, ohne sich umzusehen, in die Krankenstube.

»Ich bin froh, daß er Sie hier nicht bemerkt hat«, tuschelte Fanny dem jungen Mädchen zu und atmete erleichtert auf.

»Nun müssen Sie aber wirklich gehen.«

»Im Gegenteil, nun bleibe ich erst recht«, gab Grace entschieden zurück. »Ich finde es hier viel gemütlicher als oben, und das Abendbrot wird mir viel besser schmecken, wenn ich es mit Ihnen einnehmen kann.«

Die Bestürzung der flachsblonden Frau war so groß, daß ihr das Ei, das sie eben aufschlagen wollte, aus der Hand patschte, und sie bedurfte einiger Augenblicke, um sich halbwegs zu fassen.

»Das Abendbrot hier in der Küche . . .«, murmelte sie verstört. »Das kann nicht Ihr Ernst sein, Miß.«

»Mein voller Ernst.« Sie nickte energisch und hatte schon wieder die finstere Falte zwischen den Brauen. »Und wenn ich nicht hier unten essen darf – nicht nur jetzt, sondern überhaupt immer – so rühre ich in diesem Hause keinem Bissen mehr an. Und wenn ich verhungern sollte. – Gehen Sie zu Ihrem Mr. Rayne und sagen Sie ihm das.«

Das war eine fürchterliche Drohung, und da das junge Mädchen ganz so aussah, als ob sie sie wahrmachen wollte, fand es Fanny wirklich am geratesten, Seiner Gnaden davon Mitteilung zu machen.

»Sehen Sie, ich habe ja gewußt, daß er es nicht erlauben wird«, triumphierte sie, als sie nach einer Weile mit strahlendem Gesicht wiederkam. »Ich kenne Seine Gnaden. Und es schickt sich ja auch wirklich nicht«, fuhr sie mit sanfter Eindringlichkeit fort, als sie die finstere Miene des jungen Mädchens bemerkte. »Sie sind doch eine Dame, und die gehört nicht in die Küche. Das heißt«, verbesserte sie sich eifrig, »daß Sie zu mir herunterkommen, um ein bißchen zu plaudern, dagegen hat er natürlich nichts. Aber mit dem Essen ist das etwas anderes. Wir haben ein sehr hübsches Speisezimmer, wo serviert wird, wenn Seine Gnaden hier ist, und er hat Tom sofort befohlen, ein Gedeck für Sie aufzulegen. Sie kennen ja Tom. Es ist der Mann, der Sie hergebracht hat. Es wird pünktlich um acht Uhr gegessen.«

Grace war von dieser Wendung der Dinge, die sie heraufbeschworen hatte, nicht sonderlich entzückt, und es lag bereits ein entschiedenes »Nein« auf ihren trotzig verkniffenen Lippen, als sie es sich im letzten Augenblick überlegte. Sie durfte sich nicht selbst degradieren, wenn sie ihre Würde wahren wollte, und der Küchentisch war wirklich nicht der ihr gebührende Platz. Außerdem bot sich ihr dadurch vielleicht endlich Gelegenheit, etwas Näheres über die Gründe zu erfahren, weshalb man sie hier festhielt. Dieser sonderbare Mr. Rayne schien zwar ein etwas schweigsamer Mann, aber sie war entschlossen, ihm so zuzusetzen, daß ihm vielleicht doch die eine oder die andere Andeutung entschlüpfen würde.

Es bedurfte diesmal keiner weiteren Aufforderung von Seiten Fannys, sondern Grace ging mit einem kurzen Kopfnicken von selbst, und je weiter sie sich von der Küche entfernte, desto eiliger wurden ihre Schritte. Die letzten Stufen der Treppe nahm sie sogar mit elastischen Sprüngen, denn sie hatte festgestellt, daß nur mehr zwanzig Minuten bis zur Dinnerzeit fehlten, und so wie sie war, wollte sie doch nicht erscheinen. Dieser Mr. Rayne hatte einen derart überheblichen Blick und einen so herausfordernden Zug um den Mund, daß sie ihm nicht gerne Veranlassung zu einer abfälligen Kritik gegeben hätte.


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