Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

23

Colonel Rowcliffe mußte fast eine volle Stunde warten, bevor er zu Mr. Johnson vorgelassen wurde, und zu allem schien der Alte auch noch einen seiner brummigsten Tage zu haben. Er saß, wie immer, hinter dem großen Schreibtisch in dem verdunkelten Hofzimmer, hatte über die Beine einen warmen Plaid gebreitet und trotz der dicken Polsterung des Armstuhles noch eine Unmenge von Kissen um sich herumgestopft. In dem Raum herrschten ein derartiges Halbdunkel, daß kaum die Umrisse der einzelnen Möbelstücke zu erkennen waren, und die beklemmende dumpfe Luft einer Krankenstube.

Nachdem sich Rowcliffe zu dem unförmigen Klubsessel vor dem Schreibtisch, der für Besucher bereit stand, hingetastet hatte und der Diener verschwunden war, kam er ohne weitere Einleitung auf sein Anliegen zu sprechen. Er faßte sich äußerst knapp und schilderte einige Umstände sehr oberflächlich, aber Johnson ließ ihn ohne irgendwelche Zwischenfragen ausreden. Auch als der andere mit seinem hastigen Bericht schon längst zu Ende war, schwieg er noch immer, und der Colonel begann äußerst nervös zu werden.

»Sie können sich meine Lage wohl vorstellen«, stieß er keuchend hervor, indem er sich die feuchte Stirn trocknete. »Wenn ich den Schmuck nicht wiedererlange, bin ich ruiniert, und außerdem gibt es einen furchtbaren Skandal. Das können Sie doch nicht wollen.«

»Wer sagt Ihnen das?« kam es krächzend zurück. »Wer hat Ihnen geraten, so albern zu sein? Einen verpfändeten Schmuck hängt man nicht einem anderen Frauenzimmer um den Hals, damit sie ihn in einem Tanzsaal spazieren führt. Diese Weibergeschichten richten immer das größte Malheur an. Nun müssen Sie eben selbst zusehen, wie Sie aus der Geschichte halbwegs heil herauskommen. Was soll ich dazu tun? Bin ich ein Polizist? Kann ich mit meinen lahmen Beinen hinter dem Dieb herlaufen? Wenn Sie den Mann kennen, so stellen Sie ihn doch oder lassen Sie ihn festnehmen. Wozu haben wir denn die vielen Leute in Scotland Yard?«

Der Alte hatte die einzelnen Sätze kurzatmig und unliebenswürdig hervorgestoßen, und Rowcliffes Stimmung war immer gereizter geworden. Besonders der höhnische Rat, sich doch an die Polizei zu wenden, brachte den Colonel in Wut, und sein Hals und seine Lippen waren so trocken, daß er nur mühsam einige Worte hervorzubringen vermochte.

»Schön. Wenn Sie nächstens wieder so ein gewisses Anliegen haben werden, werde ich Sie auch an Scotland Yard verweisen.«

»Es wird mir auch nichts anderes übrigbleiben«, gab der Alte unverfroren zurück, und seine dünne Stimme hatte plötzlich einen weinerlichen Klang. »Mit Ihnen ist ja nichts mehr anzufangen. Was Sie anpacken, verhauen Sie. Die wichtige Schwarze Nummer 5 ist durch Ihre Unachtsamkeit verschwunden, und ich werde deshalb bis aufs Blut gequält. Und die Sache mit dem Mädchen haben Sie auch gründlich verfahren.«

»Für den Verlust der Taube kann ich nicht«, rechtfertigte sich Rowcliffe erregt, »und was das Mädchen betrifft, so habe ich meine Schuldigkeit getan. Ich habe Sie gestern nachmittag durch eine Graue benachrichtigt, daß die Gesuchte nach Spittering Farm gebracht wurde, und mehr wollten Sie ja nicht von mir. Ob Sie sie heute noch dort finden können, weiß ich allerdings nicht«, fügte er trocken hinzu, »denn sie ist mit dem gewissen Burschen eben nach London gefahren.« Der Colonel vermochte nicht zu erkennen, welchen Eindruck seine Mitteilung auf Johnson gemacht hatte, denn dieser lehnte wie ein regloses Bündel in seinen Polstern, und eine Weile waren in dem Raum nur die schnaufenden Atemzüge des erregten Rowcliffe zu hören.

»Ich werde Ihnen etwas sagen«, begann der Alte plötzlich, indem er den Oberkörper aufrichtete, wobei sein spitzer Kopf mit dem wirren Haar und dem schmutzig-grauen Gesicht für einen Augenblick deutlicher erkennbar wurde. »Weil Sie es sind, will ich Ihnen zu helfen versuchen, aber versprechen kann ich gar nichts. Sie sind nicht mehr so gut angeschrieben wie früher, und ich weiß nicht, ob man für Sie wird etwas riskieren wollen. Die Sache scheint mir gefährlich, denn mit den Leuten von Spittering Farm ist irgend etwas los. Aber ich werde mein möglichstes tun. – Warum haben Sie Hearson mitgebracht?« sprang er plötzlich ab, und seine Frage hatte etwas Lauerndes und Mißtrauisches. »Was wollte er und warum hat er sich wieder davongemacht?«

»Er wollte von Ihnen Vollmacht zur Erwerbung der alten Häuser draußen im Ort haben, mußte aber zu einer dringenden Sitzung. Er wird Sie jedoch nachher nochmals aufsuchen.« Johnson ließ ein leises, boshaftes Meckern hören.

»Sagen Sie ihm, daß er sich den Weg ersparen kann«, krähte er. »Und daß ihn der Teufel holen soll. Ich mag den alten Schleicher nicht leiden.«

»Gibt es sonst etwas?« fragte der Colonel, indem er sich erhob. Er hatte zwar in seiner wichtigen Angelegenheit eigentlich nicht sehr viel erreicht, aber wenn der Alte wirklich helfen wollte, war das immerhin etwas. Er hatte wiederholt erfahren, daß der Apparat, der mit dem kleinen Haus in Limehouse irgendwie zusammenhing, sehr rasch und sicher arbeitete, und er wollte nicht annehmen, daß man ihn, der doch so manche Verdienste hatte, in seiner argen Bedrängnis einfach im Stich ließ.

Johnson brummte etwas, was wie eine Verabschiedung klang, aber als Rowcliffe bereits an der Tür war, erinnerte sich der andere doch noch einer wichtigen Sache.

»Drehen Sie allen Brieftauben, die sich bei Ihnen befinden, den Kragen um und verscharren Sie sie irgendwo. Die schwarzen und die grauen, verstanden? Man wünscht das so. Und lassen Sie sich in der nächsten Zeit hier nur blicken, wenn ich Sie rufe. Ich fürchte, es stimmt etwas nicht, und ich möchte nicht gerne Scherereien haben.«

Dem Colonel klang dieser Rat nicht sehr angenehm, denn er deutete auf irgendeine drohende Gefahr. Rowcliffe verließ das alte Haus äußerst bestürzt und in ungewöhnlicher Eile.

 

Etwa eine Viertelstunde, nachdem er gegangen war, betrat der Diener nach einem leisen Klopfen das dunkle Zimmer und pflanzte seine untersetzte Figur schweigend einige Schritte vor dem Schreibtisch auf.

»Was gibt's?« fragte der Alte lebhaft.

»Lady Shelley hat angerufen. Sie ist von halb zwei Uhr an im Berkeley-Hotel und erwartet dort Bescheid, wann Sie zu sprechen sind.«

Johnson schien die Mitteilung völlig überhört zu haben, denn er antwortete die längste Zeit nicht, und als er endlich zu sprechen begann, stellte er eine ganz fernliegende Frage. »Wie lange sind wir eigentlich nun schon beisammen?«

Der Diener dachte eine Weile nach.

»Ungefähr dreiundzwanzig Jahre.«

»Dreiundzwanzig Jahre«, wiederholte der Alte grübelnd. »Eine verdammt lange Zeit. Und es muß rein der Teufel die Hände im Spiel haben, daß so alte Geschichten auf einmal wieder lebendig werden.« Der kranke, hilflose Mann schlug plötzlich mit der Faust dröhnend auf den Tisch, und seine Stimme klang hart und scharf.

»Wir hätten schon damals mit dem Burschen kurzen Prozeß machen sollen, denn er war immer ein unsicherer Patron. Oder du hättest wenigstens jetzt ganze Arbeit tun müssen, als er uns so schön ins Garn lief. Deine verwünschte Stümperei kann uns beiden den Hals kosten, mein Lieber.«

Der vierschrötige Mann ließ die Vorwürfe ohne Widerspruch über sich ergehen, und erst als sein Herr zu Ende war, entschuldigte er sich:

»Ich hatte schon den Arm erhoben, als er es bemerkt haben muß und mit einem wilden Schrei herumfuhr. Er knallte mich dann blitzschnell auf einen Schritt an, und während ich dem Schuß auswich, mußte ich zuschlagen. Im nächsten Augenblick hörte ich bereits die Straßenpatrouille und konnte gerade nur noch rasch seine Sachen an mich nehmen. Um ihn ins Tor zu schleifen, war es schon zu spät. – Und kaum war der Fahrer weg, kamen die Leute von Spittering Farm mit den Bestien.«

Eine Weile blieb es still, dann klang hinter dem Schreibtisch ein kaltes, galliges Lachen hervor.

»Ich möchte meinen Kopf darauf wetten, daß er diese Biester nur unseretwegen mit herüber gebracht hat. Ein vernünftiger Mensch schleppt sich doch sonst nicht ausgerechnet mit Panthern in der halben Welt herum. Aber wir haben ihm damals etwas arg zugesetzt, und ich glaube, er hat die ganze lange Zeit an nichts anderes gedacht, als daran, wie er sich an uns rächen könne. Und da sind ihm in seiner gottverlassenen Wildnis plötzlich die scheußlichen Katzen untergekommen, die ihm hier so viel zu schaffen gegeben hatten . . .« Johnson machte wieder eine Pause, und der Diener verharrte mit der Regungslosigkeit einer Statue. Sein Herr hatte ihn zu einem Automaten umgewandelt, in den nur Leben kam, wenn er es ihm befahl. Nun hatte er zuzuhören, und er hörte gespannt zu, weil ganz unvermittelt ein wichtiger Befehl kommen konnte.

Aber vorläufig kam Johnson von den Panthern nicht los.

»Ich glaube, er wäre imstande gewesen, uns unsere vierbeinigen Namensvettern bei der ersten Gelegenheit auf den Hals zu hetzen, und wir können von Glück sagen, daß wir ihn früher aufgestöbert haben, als er uns. Aber heute oder morgen wird er wieder auf die Beine kommen, und so lange dürfen wir nicht warten. Er hat eine verdammt gute Nase, und, wie es scheint, unmenschlich viel Geld. Statt den albernen Jack mit dem Bolzen loszulassen, hätten wir an diesem Tag in Spittering Farm gleich ganze Arbeit tun sollen. So gab es nur unnützen neuen Lärm, und es läuft jetzt irgend jemand herum, der von uns und dem Tor viel zu viel weiß. Dafür sollte man dir die Pranke zu kosten geben, denn du taugst zu nichts mehr. Erst Al, dann Jack, und nun ist die Hölle los.« Die Stimme des Alten war allmählich immer schneidender geworden, und der Pockennarbige duckte sich ängstlich wie vor einer drohenden Gefahr.

»Ich konnte auch da nichts dafür, Sir«, stieß er hastig hervor. »Glauben Sie mir. Ich hatte Jack niedergeschlagen, weil er wegen des Messers in der Hüfte ein so furchtbares Geschrei machte. Dabei waren die Leute mit den wilden Katzen dicht hinter ihm, und er hätte in seiner Angst sicher alles verraten. Wie ich dann aber das Tor offen hatte und den Körper hineinschleifen wollte, hat mich plötzlich der andere angesprungen und hat mir die Pranke heruntergerissen. Gerade daß ich ihm noch die Steinplatte vor der Nase zuschlagen konnte.«

»Wenn du ihn wenigstens erkannt hättest«, knurrte Johnson. »Aber in der verdammten Geschichte geht plötzlich alles schief, und man könnte es fast mit der Angst zu tun bekommen. Zum erstenmal in der langen Zeit. Und wir haben doch schon ganz andere Dinge erledigt als die Sache mit dem Mädchen. Aber gerade dieser Fall wird auf einmal brenzlig, und die Lady wird keine besondere Freude haben, wenn sie davon erfährt.«

»Für wann soll ich sie bestellen?« fragte der Diener eifrig.

»Für halb drei«, bestimmte Johnson nach einer kleinen Pause. »Und wenn sich vielleicht auch Hearson nochmals einstellen sollte«, fügte er mit einem leisen Kichern hinzu, »so setze ihn möglichst rasch vor die Tür. Es ist zwar nicht wahrscheinlich, aber man kann nicht wissen. – Ist sonst alles vorbereitet?«

»Jawohl, Sir«, erklärte der Pockennarbige eifrig. »Vier Leute überwachen das Haus des Mädchens, und die Mannschaft für Spittering Farm ist auch bereits zusammengestellt. Der Bucklige hat ihre Führung übernommen, und er ist geschickt und verläßlich.«

»Hast du den Burschen von heute nacht gehörig ins Gebet genommen?« forschte der Alte mißtrauisch.

»Ich habe ihn verprügelt«, gab der Diener gelassen zurück, »aber er lügt sicher nicht. Er weiß zu gut, was er dabei aufs Spiel setzen würde, und die Beule an seiner Schläfe ist auch wirklich noch zu sehen.«

»Nichts will mehr klappen«, stieß der Alte zwischen den Zähnen hervor. – »Der Colonel meint, es sei wieder Spittering Farm, und das könnte uns recht sein. – Glaubst du daran?«

Der Diener hob bedächtig die Schultern. »In einigen Stunden werde ich es bestimmt wissen, Sir«, erwiderte er ausweichend.

»Und dann werden wir ihnen so kräftig auf die Finger klopfen, daß es ihnen für immer vergehen soll, sie in unsere Suppe zu stecken«, knurrte Johnson grimmig.

Er machte eine energische Bewegung mit der Hand, und der Pockennarbige verschwand auf leisen Sohlen aus dem Zimmer, dessen Geheimnis er trotz zweier Jahrzehnte bisher ebenso wenig kannte wie das Geheimnis seines Herrn selbst. Er hatte auch nie den Versuch gemacht, das eine oder das andere zu ergründen, denn er wußte, daß darauf der Tod stand.


 << zurück weiter >>